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Die Erfindung betrifft ein hydraulisches Bremssystem für ein Kraftrad, insbesondere ein Motorrad, mit einer Bremsbetätigungseinrichtung und einem Hauptbremszylinder, der durch eine Bremsleitung mit einer Bremse für ein Rad des Kraftrades verbunden ist, und mit einer hydraulischen Kontrolleinheit, umfassend ein in die Bremsleitung geschaltetes NO-Ventil und eine das NO-Ventil umgehende Umgehungsleitung mit einem NC-Ventil und einem Niederdruckspeicher, und mit einer elektronischen Zentraleinheit und mit einem Raddrehzahlsensor.
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Antiblockiersysteme (ABS) gehören zunehmend standardmäßig zur sicherheitsrelevanten Ausstattung eines Fahrzeuges. Durch eine gezielte Ansteuerung der Bremsen, bei der Bremsdruck nach Bedarf an- und abgebaut werden kann, verhindern sie das Blockieren der Räder bei einem Bremsvorgang. Das Blockieren der Räder tritt beispielsweise bei extrem starken Bremsvorgängen und/oder bei rutschigem Untergrund auf. Oberstes Ziel dabei ist, das Fahrzeug während des Bremsvorganges kontrollierbar zu halten. Der effektive Bremsweg kann dabei gegenüber einem System ohne ABS sogar leicht länger sein (er ist also im Wesentlichen „sicherer” und nicht kürzer). Blockieren die Räder eines Fahrzeuges, so ist eine Kontrolle des Fahrzeuges, beispielsweise durch Lenkbewegungen, im Wesentlichen nicht möglich. Insbesondere kontrolliertes Lenken, z. B. Einlenken in Kurven, und zeitgleiches starkes Bremsen sind ohne ABS-System in den meisten Fällen nicht möglich.
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Vollführt der Fahrzeugführer eine Vollbremsung und tritt entsprechend stark auf das Bremspedal, so wird in den Bremsen hoher Bremsdruck aufgebaut, der zu einer starken Verzögerung der Räder führt. Detektiert das Antiblockiersystem nun das Blockieren eines oder mehrerer der Räder wird durch wiederholtes, kontrolliertes Abbauen und Aufbauen des Bremsdruckes wieder erreicht, dass das Rad bzw. die Räder an Bodenhaftung gewinnen und eine im Schlupfverhalten definierte Rollbewegung ausführen. Da das ABS automatisch arbeitet, muss der Fahrzeugführer beim Bremsvorgang keine besonderen Vorkommnisse treffen bzw. Vorgänge ausführen. Es reicht völlig, wenn er durch starkes Betätigen des Bremspedals seinen Bremswunsch äußert.
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Antiblockiersysteme werden gewöhnlich realisiert mittels einer hydraulischen Anordnung, die ein NO-Ventil (NO: normally open, d. h. das Ventil steht im Normalzustand offen bzw. ist auf Durchlass geschaltet, d. h. stromlos offen) geschaltet, ein NC-Ventil (NC: normally closed, d. h. das Ventil ist im Normalzustand geschlossen bzw. sperrt, d. h. stromlos geschlossen) und einen Niederdruckspeicher zur Aufnahme von Bremsflüssigkeit umfasst. Durch eine gezielte Ansteuerung der Ventile kann in der Bremse Druck abgebaut und ein Blockieren der Räder vermieden bzw. reduziert werden.
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Antiblockiersysteme sind nicht auf zweispurige Fahrzeuge, wie beispielsweise PKWS oder Lastkraftwagen, beschränkt, sondern werden auch in einspurigen Fahrzeugen, beispielsweise in Motorrädern, eingesetzt. Bei Motorrädern ist es besonders wichtig, das Vorderrad am Blockieren zu hindern. Ein Blockieren des Hinterrades kann von einem geübten Fahrer während des Bremsvorganges einigermaßen ausgeglichen werden. Ein Blockieren des Vorderrades jedoch nimmt dem Fahrer jegliche Möglichkeit, das Motorrad beispielsweise durch Lenkbewegungen zu kontrollieren und führt gewöhnlich zum Sturz des Motorrads. Es besteht auch die Gefahr, dass der Lenker des Motorrades unkontrolliert nach links oder rechts ausschlägt. Im Gegensatz zum Auto führt das Blockieren der Räder beim Motorrad noch zu weiteren Problemen der Stabilität. Beim Blockieren, d. h. im Wesentlichen Stillstehen, eines Rades fehlen die von dem Rad verursachten Kreiselkräfte, die das Motorrad stabilisieren.
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Im Gegensatz zu Kraftfahrzeugen, wie beispielsweise PKWS, ist bei Motorrädern das „Packaging”, d. h. die räumliche Aufteilung und Verteilung verschiedener Komponenten, eine schwierig zu lösende Aufgabe. Die räumliche Aufteilung der Komponenten (Motor, Steuerelektronik und hydraulische Bauteile) soll dabei in optimierter Weise gleichzeitig höchste Anforderungen an die Sicherheit, die Gewichtsverteilung, die Handhabbarkeit, und das allgemeine Design des Motorrades erfüllen. Da zu einem Bremssystem, insbesondere einem mit ABS-Funktionalität, gewöhnlich sowohl hydraulische als auch elektronische Komponenten gehören, ist eine optimierte Unterbringung dieser Komponenten unter den oben genannten Gesichtspunkten gewöhnlich mit hohen Schwierigkeiten verbunden.
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Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein hydraulisches Bremssystem mit ABS-Komponenten für ein Motorrad bereitzustellen, das eine flexible und komfortable Unterbringung der einzelnen Komponenten ermöglicht und gleichzeitig höchsten Sicherheitsanforderungen genügt. Weiterhin soll ein Kraftrad mit einem derartigen hydraulischen Bremssystem angegeben werden sowie ein Betriebsverfahren für ein derartiges Bremssystem.
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In Bezug auf das hydraulische Bremssystem wird diese Aufgabe dadurch erfindungsgemäß gelöst, dass eine elektronische Dezentraleinheit vorgesehen ist, die zur Ansteuerung der Ventile signalseitig mit dem NO-Ventil und dem NC-Ventil verbunden ist und signalseitig mit der Zentraleinheit und dem Raddrehzahlsensor verbunden ist. Die elektronische Dezentraleinheit und die elektronische Zentraleinheit sind dabei vorzugsweise jeweils als elektronische Kontrolleinheit (ECU: electronic control unit) ausgeführt.
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Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind Gegenstand der Unteransprüche.
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Die Erfindung geht von der Erkenntnis aus, dass aufgrund des knapp zur Verfügung stehenden Verstauungsraumes beim Motorrad eine gewissermaßen monolithische Bauweise eines hydraulischen Bremssystems, das für Antiblockiersysteme benötigte Komponenten umfasst, unvorteilhaft ist. Bauartbedingt ist für Motorräder ein Design eines solchen Bremssystems vorteilhaft, bei dem unterschiedliche Komponenten des Bremssystems zwar miteinander, beispielsweise signalseitig, verbunden sind, aber räumlich voneinander getrennt untergebracht werden können. Die Komponenten können dann an jeweils räumlich günstigen Positionen am Motorrad verstaut werden.
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Ausgehend davon fußt die Erfindung auf der Überlegung, dass eine Trennung der Komponenten vorteilhafterweise aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktion bzw. Funktionalität geschehen sollte. Wie nunmehr erkannt wurde, erweist sich insbesondere eine Komponententeilung in drei Teile, nämlich die hydraulische Kontrolleinheit, eine elektronische Dezentraleinheit, die zur Ansteuerung der Ventile dient und gegebenenfalls rudimentäre Berechnungen ausführt, und einer elektronischen Zentraleinheit als vorteilhaft. Neben der räumlichen Trennung der Dezentraleinheit und der Zentraleinheit kann so auch die Ventilansteuerung von dem eigentlichen ABS-Algorithmus funktionell getrennt bzw. von ihm abstrahiert werden. Mitunter lässt sich so beispielsweise die zum hydraulischen Bremssystem gehörige elektronische Zentraleinheit in eine bereits vorhandene elektronische Steuer- und Kontrolleinrichtung integrieren.
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Die knappen Platzverhältnisse bei einem Motorrad können besonders vorteilhaft genutzt werden, wenn die Dezentraleinheit baulich unmittelbar an der hydraulischen Kontrolleinheit, insbesondere an den Spulen der Ventile, angeordnet ist. Dabei kann die Dezentraleinheit mit der hydraulischen Kontrolleinheit integral verbunden sein, beispielsweise an die hydraulische Kontrolleinheit angespritzt bzw. in diese eingespritzt sein. Die Dezentraleinheit ist vorzugsweise als intelligenter Stecker ausgeführt, d. h. die elektronischen Bauteile der Dezentraleinheit sind in einen Stecker integriert. Dieser Stecker enthält also gerade diejenigen elektronischen Bauteile, die zur Ansteuerung der Ventile sowie zur Registrierung der Signale des Raddrehzahlsensors bzw. Radgeschwindigkeitssensors notwendig sind. Die im intelligenten Stecker verarbeiteten elektronischen Bauteile sind weiterhin für eine Kommunikation mit externen elektronischen Einrichtungen ausgelegt. Wenn die Dezentraleinheit als intelligenter Stecker ausgeführt ist, kann sie beispielsweise über ein an dem Stecker angeschlossenes Signalkabel mit der Zentraleinheit verbunden werden.
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Vorteilhafterweise ist in der Zentraleinheit ein ABS-Algorithmus implementiert, wobei die Zentraleinheit derart konfiguriert ist, dass sie die Signale der Dezentraleinheit auswertet und ihr abhängig von den ausgewerteten Signalen Signale zur Ansteuerung der Ventile übermittelt. Beispielsweise kann die Dezentraleinheit derart konfiguriert sein, dass sie aus den Signalen des Raddrehzahlsensors die Geschwindigkeit des Kraftrades ermittelt. Diese Information wird dann an die Zentraleinheit weitergeleitet. Die Zentraleinheit bestimmt vorzugsweise aus den Werten der Radgeschwindigkeit zusätzliche Größen, beispielsweise die Beschleunigung bzw. die Verzögerung des Rades. In Abhängigkeit von diesen Angaben sowie gegebenenfalls dem aktuellen und/oder vergangenen Bremsdrücken im Bremskreis gibt die Zentraleinheit der Dezentraleinheit Befehle zur Ansteuerung der Ventile (des NO-Ventils und des NC-Ventils). Diese Befehle werden beispielsweise von der Dezentraleinheit in elektrische Signale, z. B. Spannungspegel, umgewandelt, die an die Ventile weitergegeben werden und zu ihrer Öffnung oder Schließung führen.
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Bevorzugterweise dient die Dezentraleinheit also im Wesentlichen bzw. ausschließlich der Ansteuerung der hydraulischen Komponenten des Bremssystems sowie der Erfassung der Signale des Raddrehzahlsensors. Die Dezentraleinheit umfasst also gewissermaßen Hardwaretreiber bzw. Schnittstellen für die Ventile und den Raddrehzahlsensor. Dabei können rudimentäre Rechenoperationen, wie beispielsweise die oben erwähnte berechnende Geschwindigkeit des Kraftrades, vorgesehen sein. Die wesentliche Intelligenz des Systems, also die Antiblockiersystemroutinen, die hardware- und/oder softwaremäßig implementiert sein können, ist in diesem Fall ausschließlich in der Zentraleinheit implementiert. Diese Abstraktion der Aufgabenbereiche der Neben- und der Zentraleinheit erlaubt beispielsweise die Integration der Zentraleinheit in eine bereits vorhandene elektronische Kontroll- und Steuereinrichtung.
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Falls in einem Kraftrad, das mit einem erfindungsgemäßen Bremssystem ausgestattet ist, zu einem späteren Zeitpunkt die Ventile oder der Radgeschwindigkeitssensor ausgetauscht werden sollen, muss gegebenenfalls nur die Dezentraleinheit ausgewechselt werden, welche die Schnittstellen zu diesen Komponenten zur Verfügung stellt. Auf diese Weise muss nicht immer die gesamte Elektronik des Bremssystems ausgetauscht werden, wenn sich einzelnen Komponenten verändern.
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Das bisher angegebene hydraulische Bremssystem ist vorteilhafterweise als pumpenloses Bremssystem ausgestaltet bzw. enthält ein pumpenloses ABS-Subsystem. Durch den Verzicht auf eine Rückförderpumpe lässt sich ein derartiges Bremssystem in extrem kompakter Bauweise in einem Motorrad realisieren. Nachteilig an einem solchen System ist jedoch, dass es erschöpfend ist, d. h. dass bei einem längeren Bremsvorgang, in dem immer wieder Bremsflüssigkeit aus der Bremsleitung in den Niederdruckspeicher geführt wird, zu einem gewissen Zeitpunkt das mit dem Hauptbremszylinder verbundene Reservoir für Bremsflüssigkeit erschöpft sein kann. In dem beschriebenen pumpenlosen ABS-System kann die Bremsflüssigkeit erst zurück in die Bremsleitung bzw. den Bremskreis fließen und für einen weiteren Bremsvorgang zur Verfügung stehen, wenn vorher die Bremse gelöst wurde.
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Diese Problematik kann durch ein hydraulisches Bremssystem in einer vorteilhaften Ausführungsform beseitigt werden, wobei in der Umgehungsleitung eine Rückförderpumpe vorgesehen ist zur Rückförderung der im Niederdruckspeicher und der Umgehungsleitung vorhandenen Flüssigkeit in den Hauptbremszylinder und die Bremsleitung.
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In Bezug auf das Kraftrad wird die oben genannte Aufgabe erfindungsgemäß gelöst durch ein dem Vorderrad zugeordneten hydraulisches Bremssystem der oben genannten Art. Da Motorräder überwiegend über das Vorderrad gebremst werden, ist diese Konfiguration für die meisten Anforderungen ausreichend.
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Es ist aber auch denkbar, bei einem Kraftrad sowohl Vorderrad als auch Hinterrad mit jeweils einem erfindungsgemäßen hydraulischen Bremssystem auszustatten. Jedes der beiden Bremssysteme umfasst dabei ein NO-Ventil, ein NC-Ventil, einen Niederdruckspeicher und einen Radgeschwindigkeitssensor sowie eine Dezentraleinheit. Vorteilhafterweise ist die Zentraleinheit der beiden Bremssysteme identisch, so dass für beide Bremssysteme nur eine Zentraleinheit Verwendung finden muss. Vorzugsweise ist diese Zentraleinheit signalseitig mit beiden Dezentraleinheiten verbunden, so dass ein in der Zentraleinheit implementierter ABS-Algorithmus Geschwindigkeitsinformationen beider Räder zur Verfügung hat und entsprechend die Ansteuerung der Ventile vornehmen kann.
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In Bezug auf das Verfahren zum Betreiben eines hydraulischen Bremssystems wird die oben genannte erfindungsgemäß gelöst mit einem Bremssystem mit einer Bremsbetätigungseinrichtung und einem Hauptbremszylinder, der durch eine Bremsleitung mit einer Bremse für ein Rad des Kraftrades verbunden ist, und mit einer hydraulischen Kontrolleinheit, umfassend ein in die Bremsleitung geschaltetes NO-Ventil und eine das NO-Ventil umgehende Umgehungsleitung mit einem NC-Ventil und einem Niederdruckspeicher, und mit einer elektronischen Zentraleinheit, mit einem Raddrehzahlsensor, und mit einer elektronischen Dezentraleinheit, die signalseitig mit dem NO-Ventil, dem NC-Ventil, dem Radgeschwindigkeitssensor und der elektronischen Zentraleinheit verbunden ist, wobei die Zentraleinheit die Signale der elektronischen Dezentraleinheit auswertet und ihr abhängig von den ausgewerteten Signalen Signale zur Ansteuerung der Ventile übermittelt.
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Die Vorteile der Erfindung bestehen insbesondere darin, dass durch eine Dezentraleinheit mit der Aufgabe der Komponentenansteuerung sowohl eine bauliche als auch eine logische Trennung von weiteren Bauteilen, insbesondere einer zentralen elektronischen Zentraleinheit gegeben ist. Bei der Verwendung eines erfindungsgemäßen Bremssystems in einem Kraftrad können die Dezentraleinheit und die Zentraleinheit an anderen Stellen des Gehäuses untergebracht werden, was in Hinblick auf das Packaging eine optimierte Verstauung dieser Bauteile ermöglicht. Durch eine Abstraktion der Ansteuerung der hydraulischen Komponenten von dem eigentlichen ABS-Algorithmus ist ein Austausch von hydraulischen Komponenten und Dezentraleinheit möglich, ohne dass die Zentraleinheit ersetzt werden muss.
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Ein Ausführungsbeispiel der Erfindung wird anhand einer Zeichnung näher erläutert. Darin zeigen in stark schematisierter Darstellung:
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1 ein Schaltbild eines hydraulischen Bremssystems mit einer Zentraleinheit und einer Dezentraleinheit in einer bevorzugten Ausführungsform,
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2 ein funktionelles Blockdiagramm der Dezentraleinheit des Bremssystems aus 1,
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3 ein funktionelles Blockdiagramm der Zentraleinheit des hydraulischen Bremssystems aus 1, und
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4 ein Kraftrad mit einem hydraulischen Bremssystem nach 1 bis 3.
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Gleiche Teile sind in allen Figuren mit denselben Bezugszeichen versehen.
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Das hydraulische Bremssystem 2 gemäß 1 umfasst einen Hauptbremszylinder 6 mit einem daran angeschlossenen Reservoir 10 für Bremsflüssigkeit. Über eine mit dem Hauptbremszylinder 6 wirkverbundene Bremsbetätigungseinrichtung 14 lässt sich Bremsflüssigkeit aus dem Hauptbremszylinder 6 in eine Bremsleitung 18 befördern, wodurch Bremsdruck in einer Bremse 22 (gezeigt ist hier im Wesentlichen der Bremssattel) aufgebaut wird. Im gezeigten Ausführungsbeispiel dient die Bremse 22 zur Abbremsung bzw. Verzögerung eines Vorderrades 26 eines Kraftrads. Die Bremsbetätigungseinrichtung 14 ist als Handbremshebel ausgestaltet.
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Das Bremssystem 2 ist für eine Bremsdruckregulierung durch ein Antiblockiersystem ausgelegt. Dazu umfasst es ein NO-Ventil 30 (NO: normally open, d. h. das Ventil steht im Normalzustand offen bzw. ist auf Durchlass geschaltet, d. h. stromlos bzw. spannungslos offen) sowie eine das NO-Ventil 30 hydraulisch umgehende Umgehungsleitung 34: Die Umgehungsleitung 34 zweigt zwischen Hauptbremszylinder 6 und NO-Ventil 30 am Verzweigungspunkt 36 von der Bremsleitung 18 ab und ist mit dieser Bremsleitung 18 wieder verbunden zwischen dem NO-Ventil 30 und der Bremse 22 am Verzweigungspunkt 37. In die Umgehungsleitung 34 ist ausgehend von dem Verzweigungspunkt 37 zwischen NO-Ventil 30 und Bremse 22 ein NC-Ventil geschaltet (NC: normally closed, d. h. das Ventil ist im Normalzustand geschlossen bzw. sperrt, d. h. stromlos bzw. spannungslos geschlossen). Weiter entlang der Umgehungsleitung ist ein Niederdruckspeicher 42 vorgesehen, der mit Bremsflüssigkeit, die aus der Bremsleitung 18 abgeleitet wird, gefüllt werden kann. Weiterhin ist in der Umgehungsleitung 34 zwischen Niederdruckspeicher 42 und dem Verzweigungspunkt 36 ein Sperrventil 46 geschaltet. Dieses Sperrventil 46, das beispielsweise als Rückschlagventil ausgestaltet sein kann, verhindert, dass (insbesondere bei Betätigung der Bremsbetätigungseinrichtung 14) Bremsflüssigkeit aus der Bremsleitung 18 über die Verbindung der Umgehungsleitung 34 mit der Bremsleitung 18 zwischen Hauptbremszylinder 6 und NO-Ventil 30 am Verzweigungspunkt 36 in die Umgehungsleitung 34 und den Niederdruckspeicher 42 gelangen kann. So wird sichergestellt, dass Bremsflüssigkeit in die Umgehungsleitung 34 und weiter in den Niederdruckspeicher 42 nur dann gelangt, wenn das NC-Ventil 38 geöffnet wird.
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Das hydraulische Bremssystem 2 umfasst weiterhin einen Raddrehzahlsensor 50. Der Raddrehzahlsensor 50 kann als passiver induktiver Sensor (Induktivgeber) oder als aktiver Sensor, der mit einer vorgegebenen Spannung versorgt wird, realisiert sein.
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Die Ventile 30, 38, der Niederdruckspeicher 42 und das Sperrventil 46 sind Bestandteile einer hydraulischen Kontrolleinheit 54. Dies wird in 1 dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie von einem Kasten umrahmt sind.
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In dem Fall, dass während eines Bremsvorgangs das Vorderrad 26 blockiert, was u. a. mit Hilfe des Raddrehzahlsensors 50 festgestellt wird, wird das NO-Ventil 30 geschlossen, so dass sich kein weiterer bzw. zusätzlicher Druck in der Bremsleitung 18 und damit in der Bremse 22 aufbauen kann. Kurz danach bzw. gleichzeitig (je nach Bedarf) wird das normalerweise geschlossene NC-Ventil 38 geöffnet. Durch das geöffnete NC-Ventil 38 fließt nun Bremsflüssigkeit aus der Bremsleitung 18 in den Niederdruckspeicher 42. Auf diese Weise wird der Bremsdruck in der Bremse 22 bzw. der Druck, der sich zwischen NO-Ventil 30 und Bremse 22 aufgebaut hat, vermindert. Je nach Situation des Bremsvorgangs und Zustand des Kraftrades können diese Ventile nun sukzessive auf- und zugesperrt werden, um je nach Bedarf bzw. wiederholt Bremsdruck in der Bremse 22 auf- und wieder abzubauen.
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Das in 1 dargestellte Bremssystem ist als pumpenloses ABS ausgelegt. Erfolgt das Schließen und Öffnen des NO-Ventils 30 während eines starken Bremsvorgangs oft und wiederholt bei gleichzeitiger Umleitung der Bremsflüssigkeit aus der Bremsleitung 18 in die Umgehungsleitung 34, ist der Vorrat der Bremsflüssigkeit im Reservoir 10 bzw. der mögliche Druckaufbau in der Bremse 22 zu einem gewissen Zeitpunkt erschöpft. Erst wenn die Bremsbetätigungseinrichtung 14 losgelassen wird, kann aus der Umgehungsleitung 34 bzw. aus dem Niederdruckspeicher 42 Bremsflüssigkeit in die Bremsleitung bzw. den eigentlichen Bremskreis 18 zurück fließen.
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In alternativer Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Bremssystems 2 ist eine Rückförderpumpe 58 (gestrichelt in 1 dargestellt) in die Umgehungsleitung 34 geschaltet. Durch diese Pumpe kann auch während eines Bremsvorganges Bremsflüssigkeit aus der Umgehungsleitung in den eigentlichen Bremskreis rückgefördert werden, die dann wieder für den Druckaufbau in der Bremse 22 zur Verfügung steht.
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Zur Ansteuerung der Ventile 30, 38 sowie zur Registrierung und Verarbeitung der Signale des Radgeschwindigkeitssensors bzw. Raddrehzahlsensors 50 ist eine elektronische Dezentraleinheit 60 vorgesehen. Die Dezentraleinheit 60 ist im vorliegenden Ausführungsbeispiel in die hydraulische Kontrolleinheit baulich integriert bzw. als intelligenter Stecker ausgeführt. Die signalseitige Verbindung der Dezentraleinheit 60 mit den Ventilen 30, 38 ist durch Pfeile 64 angedeutet. Dies gilt auch für die signalseitige Verbindung von Raddrehzahlsensor 50 und Dezentraleinheit 60, durch die eine Erfassung der vom Raddrehzahlsensor 50 übermittelten Daten erfolgt. Die Dezentraleinheit 60 ist im Wesentlichen mit der Ansteuerung der Ventile 30, 38 und der Erfassung und (Vor-)Verarbeitung der übermittelten Daten des Raddrehzahlsensors 50 zu der Kraftradgeschwindigkeit befasst. Aufgrund ihres limitierten und spezialisierten Aufgabenbereiches kann sie extrem kompakt gebaut werden. Im vorliegenden Fall ist sie an die Spulen der Ventile angespritzt. Die Dezentraleinheit 60 kann mit der hydraulischen Kontrolleinheit 54 lösbar oder fest verbunden sein. Sie kann auch an diese angeschraubt und über einen magnetischen Ventilstecker mit ihr verbunden sein.
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Der eigentliche ABS-Algorithmus ist im vorliegenden Fall in einer Zentraleinheit 80 implementiert. Die Zentraleinheit 80 ist signalseitig mit der Dezentraleinheit 60 über hier nicht dargestellte, durch Pfeile 64 angedeutete Signalleitungen verbunden. Während eines ABS-gesteuerten Bremsvorganges übermittelt die Dezentraleinheit 60 der Zentraleinheit 80 alle notwendigen Informationen, die diese zur Vollführung des ABS-Bremsmanövers benötigt. Dazu gehört die aus den Daten des Raddrehzahlsensors 50 ermittelte Geschwindigkeit des Kraftrades. Die Zentraleinheit 80 wiederum ermittelt die benötigten Bremsdrücke bzw. den benötigten Auf- und Abbau von Bremsdruck im Bremssystem 2 und übermittelt der Dezentraleinheit 60 entsprechende Befehle zur Ansteuerung der Ventile 30, 38. Die Dezentraleinheit 60 abstrahiert gewissermaßen die Zentraleinheit 80 von den eigentlichen hardwaremäßigen bzw. hydraulischen Komponenten des Bremssystems.
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Beispielsweise kann die gesamte hydraulische Kontrolleinheit 54 ausgetauscht werden, ohne dass die Zentraleinheit 80 ersetzt werden muss. In dem Fall, dass eine Rückförderpumpe 58 vorgesehen ist, wird diese vorteilhafterweise ebenfalls von der Dezentraleinheit 60 angesteuert. Eine Ansteuerung der Rückförderpumpe 58 kann aber auch über die Zentraleinheit 80 erfolgen. Die Rückförderpumpe 58 kann baulich getrennt von den übrigen Komponenten der hydraulischen Kontrolleinheit 54 untergebracht sein.
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Der Aufbau der elektronischen Dezentraleinheit 60 ist funktionell in 2 dargestellt. Die Dezentraleinheit 60 umfasst eine Energiezufuhr 100 bzw. Spannungsversorung (Anschluss an das Bordnetz des Kraftrades) sowie ein zugeordnetes Energiemodul 104. Das Energiemodul 104 überwacht den Zustand des Bordnetzes bzw. die zur Verfügung stehenden Größen wie Strom und Spannung und stabilisiert darüber hinaus die über die Energiezufuhr 100 zugeführte Spannung. Die Dezentraleinheit 60 bzw. ihr Energiemodul 104 stellt auch die Spannungsversorgung für die Komponenten der hydraulischen Kontrolleinheit 54, beispielsweise die Ventile 30, 38, bereit.
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Signalseitig mit dem Energiemodul 104 verbunden ist ein Hauptmodul 108, das verschiedene Aufgaben inne hat. Einerseits dient es der Kommunikation mit der Zentraleinheit 80 über die Signalleitungen 114. Andererseits dient es der Kontrolle bzw. Ansteuerung der Ventile 30, 38 über Signalleitungen 112. Darüber hinaus berechnet es aus den Daten des Raddrehzahlsensors 50 die Geschwindigkeit des Rades. Weiterhin enthält es ein lokales Failsafe (dieses ist standardmäßig ausgeführt), welches interne, in der Dezentraleinheit 60, oder in mit ihr verbundenen Komponenten auftretende Fehler diagnostiziert. Beispielsweise wird eine Fehlfunktion der Ventile 30, 38 oder des Raddrehzahlsensors 50 diagnostiziert. Das lokale Failsafe dient der Überwachung der unterschiedlichen Komponenten (Ventile 30, 38, Raddrehzahlsensor 50, gegebenenfalls Rückförderpumpe 58 und zusätzliche elektronische Sensoren) und veranlasst eine Stilllegung der hydraulischen Kontrolleinheit 54 und/oder der Dezentraleinheit 60 bei jeweiliger Fehlfunktion. Die Art und Weise der Rückfallebene bei Fehlfunktion wird von der Gesamt-Sicherheitsauslegung des Systems bestimmt (FMEA – Failure Mode and Effects Analysis bzw. Fehler-Möglichkeits- und Einflussanalyse oder kurz Auswirkungsanalyse).
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Die Informationen des Raddrehzahlsensors 50 werden dem Hauptmodul 108 über eine Raddrehzahlsensorschnittstelle 116 zur Verfügung gestellt. Die Dezentraleinheit 60 umfasst weiterhin einen standardmäßig ausgeführten Watchdog 118. Von dem Watchdog 118 führt eine Signalleitung 115 zur Zentraleinheit 80. Die Dezentraleinheit 60 funktioniert ferner als zentraler Schalter. Die Zentraleinheit 80 kann die Dezentraleinheit 60 auch aufgrund von übergeordneten Überwachungen abschalten, bzw. auch einschalten.
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Die Dezentraleinheit 60 ist vorteilhafterweise zu einer Auslagerung hardwarenaher bzw. gerätespezifischer Treiber/Schnittstellen für die Ventile 30, 38 und den Raddrehzahlsensor 50 ausgelegt. Die von der Zentraleinheit 80 übermittelten Befehle werden in der Dezentraleinheit 60 gewissermaßen in elektrische, hardwarenahe Signale umgewandelt. Gleichermaßen werden die Daten des Raddrehzahlsensors 50 vorteilhafterweise in der Dezentraleinheit 60 zu der Geschwindigkeit des Kraftrades aufbereitet. Durch diese Maßnahmen ist eine Abstraktion der Zentraleinheit 80 von low-level bzw. hardwarenahen Steuerungs- bzw. Erfassungsaktivitäten gewährleistet.
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Die einzelnen Module der elektronischen Zentraleinheit 80 sind in 3 dargestellt. Die Zentraleinheit 80 umfasst als wesentliches Modul ein ABS-Modul 122, das über die Signalleitungen 114 mit dem Hauptmodul 108 der Dezentraleinheit 60 verbunden ist. Über die Signalleitungen 114 erhält das ABS-Modul alle notwendigen Angaben für den ABS-Algorithmus. Über die Signalleitung 115 ist der Watchdog 118 der Dezentraleinheit 60 mit einem ABS-Falesafe-Modul 126 der Zentraleinheit 80 verbunden. Die Zentraleinheit 80 enthält so beispielsweise auch Informationen über den Zustand des Bordnetzes. Die Zentraleinheit 80 umfasst noch eine Reihe weiterer Funktionen, die in 3 nicht dargestellt sind. Dazu gehört beispielsweise ein Diagnosemodul, das kontinuierlich oder in permanenten Abständen den Zustand bzw. die Funktionalität der Zentraleinheit 80 bestimmt.
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Die Zentraleinheit 80 wertet Daten, welche sie über die Signalleitungen 114 erhält aus und bestimmt dadurch Befehle, die sie der Dezentraleinheit 60 über die Signalleitungen 114 zur Ansteuerung der Ventile übermittelt. Beispielsweise kann sie aus den zu verschiedenen Zeitpunkten von der Dezentraleinheit 60 übermittelten Radgeschwindigkeiten die Verzögerung bzw. Beschleunigung des Vorderrades 26 bestimmen.
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Für die Dezentraleinheit 60 und die Zentraleinheit 60 können elektronische Standardkomponenten wie beispielsweise Mikroprozessoren oder Mikrocontroller verwendet werden. Der Watchdog 118 ist als Taktgeber ausgestaltet. Er umfasst vorzugsweise einen Frequenzgenerator, da bei fehlender Frequenz der Mikrocontroller bzw. μComputer abschaltet.
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Die einzelnen Module können hardwaremäßig realisiert sein oder als Programmodule eines Universalrechners implementiert sein.
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4 zeigt schematisch ein erfindungsgemäßes Kraftrad bzw. Motorrad 140. Im Bereich der Aufhängung des Vorderrades sind die Bremse 22 und die hydraulische Kontrolleinheit 54 mit der in ihre integrierten Dezentraleinheit 60 angeordnet. Die Zentraleinheit 80 wiederum ist unter dem Tank verbaut. Sie ist durch Signalleitungen 112 mit der Dezentraleinheit 60 signalseitig verbunden. Durch das funktionelle und bauliche Design des erfindungsgemäßen Bremssystems 2 kann die Zentraleinheit 80 an ganz anderer Stelle untergebracht werden als die elektronische Kontrolleinheit 54 oder die Dezentraleinheit 60. Je nach Bedarf kann die Zentraleinheit 80 auch unter dem Sitz, in der Nähe des Motorblocks oder an einer anderen Stelle, die ein effizientes Packaging ermöglicht, angebracht werden.
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Bezugszeichenliste
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- 2
- Bremssystem
- 6
- Hauptbremszylinder
- 10
- Reservoir
- 14
- Bremsbetätigungseinrichtung
- 18
- Bremsleitung
- 22
- Bremse
- 26
- Vorderrad
- 30
- NO-Ventil
- 34
- Umgehungsleitung
- 36, 37
- Verzweigungspunkt
- 38
- NC-Ventil
- 42
- Niederdruckspeicher
- 46
- Sperrventil
- 50
- Raddrehzahlsensor
- 54
- hydraulische Kontrolleinheit
- 58
- Rückförderpumpe
- 60
- elektronische Dezentraleinheit
- 64
- Pfeil
- 80
- elektronische Zentraleinheit
- 100
- Energiezufuhr
- 104
- Energiemodul
- 108
- Hauptmodul
- 112, 114, 115
- Signalleitung
- 116
- Raddrehzahlsensor-Schnittstelle
- 118
- Watchdog
- 122
- ABS-Modul
- 126
- ABS-Failsafe-Modul
- 140
- Motorrad