-
Technisches Gebiet
-
Die Erfindung betrifft ein Applikationssystem zur bukkalen Verabreichung von 17α-Estradiol zur Behandlung von Hitzewallungen bei Frauen mit natürlichen (Klimakterium) oder chirurgisch bedingten (Ovarektomie) Estrogenmangelerscheinungen. Es wird das 17α-Estradiol in einer niedrigen Dosierung zu 300 bis 400 μg gemeinsam mit einem oder mehreren pharmazeutisch annehmbaren Hilfsstoffen/Trägern verwendet.
-
Stand der Technik
-
Die Substitution von Östrogenen bei entsprechenden Mangelerscheinungen (Klimakterium, chirurgisch bedingte Menopause, GnRH-Behandlung) ist ein wohl etabliertes Verfahren mit sehr gutem Therapieerfolg. Hierfür wird eine Vielzahl von pharmakologischen Präparaten eingesetzt, die zumeist 17β-Estradiol und seine Derivate als estrogene Grundkomponente enthalten. Ebenso weit verbreitet sind Präparate, welche die so genannten Stutenharnöstrogene als Estrogenkomponente verwenden. Bei letzteren handelt es sich um ein Gemisch aus einer Vielzahl von Substanzen mit unterschiedlicher estrogener Wirksamkeit, die in der Summe einen vergleichbaren Effekt auf Estrogenmangelsymptome haben, wie das natürliche 17β-Estradiol. Bei Patientinnen mit intaktem Uterus ist es notwendig, eine Gestagenkomponente für mindestens 12 Tage eines 28-tägigen Behandlungszyklus beizufügen, um eine Hypertrophie bzw. Entartung des Endometriums zu verhindern.
-
Die „klassische” Hormonersatztherapie (HRT) ist nach Durchführung einer großen randomisierten, placebo-kontrollierten Studie in den USA an mehr als 16,000 postmenopausalen Patientinnen (Women's Health Initiative – WHI) in die Kritik gekommen (Rossouw JE et al. Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results from the Women's Health Initiative randomized controlled trial. J Am Med Assoc 2002; 288: 321–33). Im Gegensatz zu den vor dieser Studie in vielen Untersuchungen gezeigten positiven Wirkungen vor allem auf das Herz-Kreislauf-System wurde in der WHI-Studie gegenteilige Befunde erzielt. Hinzu kam ein erhöhtes Risiko an Brustkrebs bei der mit Hormonen behandelten Gruppe, was zum vorzeitigen Abbruch der Studie führte. Die Studienergebnisse sind nach der Erstveröffentlichung sorgfältig reanalysiert und zum Teil in ihrer Interpretation revidiert worden (Davey DA. Hormone replacement therapy: time to move on? J Brit Menopause Soc 2006; 12: 75–80). Dennoch hat die WHI-Studie zu einem dramatischen Wandel in der Verordnung von HRT-Präparaten sowie auch zu einer beträchtlichen Verunsicherung der Anwenderinnen geführt. Es gibt deshalb Bestrebungen, die „klassische” Hormonersatztherapie durch neue Behandlungsverfahren zu ersetzen.
-
17α-Estradiol ist das natürlich vorkommende Epimer des 17β-Estradiols und unterscheidet sich lediglich in seiner Stereochemie am Kohlenstoffatom 17. Beim Menschen ist es nur in sehr geringen Konzentrationen nachweisbar und seine physiologische Rolle ist unklar. Im Tierreich, insbesondere im Harn trächtiger Stuten, können deutlich höhere Konzentrationen gefunden werden (Husmann F. Die Wirkungen von 17α-Östrogenen. I. Teil: Grundlagen. horme 2003; 16: 1–8). 17α-Estradiol ist zu etwa 3,7% (Washbum SA et al. Effects of 17α-dihydroequilenin sulfate an atherosclerotic male and female rhesus monkeys. Am J Obstet Gynecol 1996; 175: 341–51) Bestandteil der Stutenharnestrogene und wird in dieser Form seit ca. 50 Jahren zur Behandlung klimakterischer Beschwerden beim Menschen eingesetzt (allerdings im Gemisch mit einer Vielzahl anderer Substanzen mit estrogener Wirkung). Es zeigt am Estrogenrezeptor eine etwa 5-fach schwächere Bindungsaffinität und eine mindestens 200-fach schwächere Wirkung im Transaktivierungs-Assay als 17β-Estradiol und ist deshalb als schwaches Estrogen zu charakterisieren. Gleichzeitig hat es auf Grund seiner chemischen Struktur wie auch das 17β-Estradiol eine Reihe von nicht-genomischen Wirkungen, die für eine Arzneimittelentwicklung in Betracht gezogen wurden.
-
Überraschenderweise hat sich gezeigt, dass 17α-Estradiol als Monosubstanz für die Behandlung von Hitzewallungen sowohl bei post-menopausalen Frauen sowie jüngeren Patientinnen nach Entfernung beider Ovarien geeignet ist. Dieses Ergebnis war nach dem Stand der Wissenschaft nicht nahe liegend, da 17α-Estradiol, wie ausgeführt, ein schwaches Estrogen ist und nur eine geringe Bindungskapazität am Estrogenrezeptor besitzt.
-
Das europäische Patent
EP 1 032 398 B1 ist auf die Behandlung post-klimakterischer Frauen unter Verwendung niedrigster Estrogendosen, wie beispielsweise weniger als 0,5 mg gerichtet. Die Behandlung von Hitzewallungen ist dabei aufgeführt.
-
Das europäische Patent
EP 1 539 184 B1 offenbart eine Estrogentherapie, enthaltend unterschiedliche Dosierungen in verschiedenen Phasen.
-
Mit der
WO 2006/048261 A2 wird eine feste orale Dosierungsform offenbart, enthaltend einen Betrag, der therapeutisch equivalent zu 0,01–0,5 mg Estradiolhemihydrat ist. Es wird nicht die explizite Dosis an 17α-Estradiol offenbart, welche therapeutisch äquivalent der Dosis von Estradiolhemihydrat ist.
-
Die
WO 2007/119151 A1 offenbart die Minderung von menopausalen Symptomen bei weiblichen Patientinnen, wie Hitzewallungen, mit einer täglichen Estradioldosis von 0,25–0,42 mg.
-
H. Kuhl beschreibt in Climacteric 2005; 8 (Suppl I) die Pharmakokinetik und die Pharmakodynamik von natürlichen, synthetischen Estrogenen und Gestagenen, welche sowohl zur Kontrazeption als auch zur Hormonersatztherapie verwendet werden. Eine definierte Dosierung mit einer bestimmten Indikation ist für 17α-Estradiol nicht aufgezeigt.
-
M. Vogel et al offenbart in American Journal of Obstetrics & Gynecology; Mosby, St. Louis; MO, US, Bd. 60, Nr. 1, 1950, S. 168–173 Alpha-Estradiol bukkal in Tablettenform, enthaltend 0,1 oder 0,25 mg Hormon, in einem Polyethylenglycol Wachs zur Behandlung von Hysterectomie oder Beschwerden in der Menopause. Es ist bekannt, dass in den 50iger Jahren hinsichtlich Estrdaiol eine Änderung der Nomenklatur vollzogen wurde. Das davor als Alpha-Estradiol benannte Estrogen ist als 17β-Estradiol nach neuer Nomenklatur zu charakterisieren.
-
Aus
WO 00/42955 A1 ist eine bukkale Dosierungseinhait bekannt, bestehend aus Steroiden, nämlich ein Androgen, ein Gestagen und ein Estrogen, die in Kombination zur Behandlung der Menopause oder nach chirurgischen Eingriffen angewendet werden. Als Estrogen wird Estradiol, explizit 17β-Estradiol aufgezeigt. Von einer ,reinen' Estrogen-Therapie nimmt das Dokument Abstand.
-
Darstellung der Erfindung
-
Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung lag darin, eine Möglichkeit zur Therapie von Hitzewallungen bei Frauen mit natürlichen oder chirurgisch bedingten Estrogenmangelerscheinungen zu finden. Das im entsprechenden Applikationsregime enthaltende Steroidhormon sollte niedrig dosiert sein, mit einer hohen Bioverfügbarkeit freigesetzt werden und der maximale Blutspiegel (= maximale Konzentration) innerhalb von höchstens einer Stunde erreicht werden. Die der vorliegenden Erfindung zugrunde liegende Aufgabe wurde durch die Bereitstellung eines Applikationssystem zur bukkalen Verabreichung von 17α-Estradiol zur Behandlung von Hitzewallungen bei Frauen mit natürlichen (Klimakterium) oder chirurgisch bedingten (Ovarektomie) Estrogenmangelerscheinungen gelöst. Es wird dabei das 17α-Estradiol in einer niedrigen Dosierung zu 300 bis 400 μg gemeinsam mit einem oder mehreren pharmazeutisch annehmbaren Hilfsstoffen/Trägern verwendet.
-
Es wird die Anwendung von 17α-Estradiol in niedriger Dosierung, d. h. weniger als 500 μg für die Behandlung von (ausschließlich) vasomotorischen Symptomen (Hitzewallungen, Schweißausbrüchen) beansprucht. Der Mechanismus der günstigen Beeinflussung von Hitzewallungen wird dabei nicht über die klassische genomische Wirkung und auch nicht über antioxidative Mechanismen vermittelt wird, sondern über Catcholestrogene (Metabolite des Estradiols), die im ZNS den Catecholaminabbau stabilisieren (über Catechol-O-methyl transferase [COMT]) und somit einer Verstellung der Korperkerntemperatur entgegenwirken. Auch ist bekannt, dass 17α-Estradiol einen außerordentlich hohen First-Pass-Metabolismus in der Leber besitzt, so dass man in erster Linie davon ausgehen muss, bei oraler Applikation relativ hohe Dosen (mind. 2 mg) verabreichen zu müssen. Die Erfindung beansprucht überraschenderweise eine bukkale Applikationsform auf der Grundlage einer bioadhäsiven Tablette. Diese bioadhäsive Tablette ermöglicht eine Absorption des Wirkstoffs bereits in der Mundhöhle mit einer dadurch erhöhten Bioverfügbarkeit und Vermeidung des hepatischen First-Pass-Effekts, d. h., in der vorliegenden Patentanmeldung führt dies mittels 17α-Estradiol in niedriger Dosierung zur Behandlung von Hitzewallungen. Es kann auf einen Gestagenzusatz verzichtet werden, so dass möglicherweise keine unerwünschten Wirkungen an der Brust auftreten.
-
Ausführungsbeispiele
-
Beispiel 1
-
Es werden 0,3 mg 17α-Estradiol-Tabletten mit folgender Zusammensetzung hergestellt:
Wirkstoffschicht [mg] | Klebeschicht [mg] |
17α-Estradiol | 0,3 | Mannitol | 17,4 |
Mannitol | 75,291 | Cellactose | 34,82 |
Cellactose | 50,209 | Carmellose-Natrium | 10,18 |
Carmellose-Natrium | 1,08 | Eisenoxid rot | 0,05 |
Magnesiumstearat | 1,7 | Magnesiumstearat | 0,65 |
Talkum | 5,07 | Talkum | 1,9 |
Natriumcarboxymethylstärke | 1,35 | | |
-
Alle Substanzen werden in geeigneter Weise gemischt und granuliert, nach Abschluss des Granulationsprozesses erfolgt die Tablettierung.
-
Beispiel 2
-
Weiterhin werden 0,4 mg 17α-Estradiol-Tabletten mit folgender Zusammensetzung hergestellt;
Wirkstoffschicht [mg] | Klebeschicht [mg] |
17α-Estradiol | 0,4 | Mannitol | 17,4 |
Mannitol | 75,191 | Cellactose | 34,82 |
Cellactose | 50,209 | Carmellose-Natrium | 10,18 |
Carmellose-Natrium | 1,08 | Eisenoxid rot | 0,05 |
Magnesiumstearat | 1,7 | Magnesiumstearat | 0,65 |
Talkum | 5,07 | Talkum | 1,9 |
Natriumcarboxymethylstärke | 1,35 | | |
-
Alle Substanzen werden in geeigneter Weise gemischt und granuliert, nach Abschluss des Granulationsprozesses erfolgt die Tablettierung.
-
Untersuchungen zur Wirksamkeit
-
Darstellung der Abbildungen – Pharmakokinetik
-
Die Erfindung wird unter Bezugnahme auf die beigefügte Abbildung in Verbindung mit Tabelle 1 genauer beschrieben.
-
Tabelle 1 zeigt die Daten der Konzentration an Estradiol in pg/ml über die Freisetzungsdauer in Stunden = h auf
| 0,3 mg 17α-Estradiol | 0,4 mg 17α-Estradiol |
Zeit [h] | Konzentration C [pg/ml] | Konzentration C [pg/ml] |
1 | 280 | 315 |
2 | 122 | 134 |
3 | 63 | 64 |
4 | 42 | 46 |
6 | 22 | 27 |
8 | 16 | 20 |
12 | 10 | 15 |
18 | 6 | 9 |
24 | 5 | 7 |
-
In ist der Plasmaspiegelverlauf von 17α-Estradiol (gemessen mit GCMS) über die Zeit dargestellt, d. h. es wird die Konzentration des Estradiols in Abhängigkeit von der Zeit nach Gabe von 0,3 mg und 0,4 mg 17α-Estradiol Bukkal-Tabletten bei weiblichen Probanden (n = 6) aufgezeigt.
-
Das bukkale Applikationssystem löst sich in der Mundhöhle vorzugsweise in einem Zeitraum von weniger als 180 min, besonders bevorzugt in einem Zeitraum von weniger als 120 min auf. Das aus dem Applikationssystem direkt in den Blutkreislauf eintretende 17α-Estradiol führt zu einem schnellen Anstieg der Konzentration des 17α-Estradiols im Blut. Dabei wird ein Maximum der Konzentration vom 17α-Estradiol im Blut vorzugsweise in einem Zeitraum von weniger als 60 min – besonders bevorzugt in einem Zeitraum zwischen 30 und 60 min – nach Applikation erreicht. Charakteristisch für das erfindungsgemäße Applikationssystem ist die hohe Bioverfügbarkeit des 17α-Estradiol und die Aufnahme des Wirkstoffs bereits in der Mundhöhle, so dass ein First-Pass-Effekt vermieden und hohe Plasmaspiegel erzielt werden. Es kann mit dem bukkalen Applikationssystem eine Bioverfügbarkeit von mindestens 80% erreicht werden. In einer besonders bevorzugten Ausführungsform wird das 17α-Estradiol mit eine Bioverfügbarkeit von 70 bis 90% freigesetzt.
-
Klinische Untersuchung
-
In einer doppelblinden, randomisierten klinischen Studie im Crossover-Design wurden 20 postmenopausale oder ovarektomierte Frauen über 8 Wochen entweder mit 0,4 mg 17α-Estradiol in Form einer Bukkal-Tablette oder Placebo behandelt. Hitzewallungen wurden vor Beginn der Behandlung und an einem der letzten 3 Tage der Behandlungswoche 4 registriert. Dies erfolgte nach subjektiven Kriterien (Anzahl und Stärke der Ereignisse) unter Verwendung von Patiententagebüchern sowie objektiv durch kontinuierliche Messung der Hauttemperatur. Darüber hinaus wurde die Verträglichkeit der Behandlungsregimes durch Abfrage von unerwünschten Ereignissen und standardisierter Laboruntersuchungen ermittelt. Außerdem erfolgte die Messung der Endometriumsdicke durch transvaginale Ultraschalluntersuchungen.
-
Die Gabe von 17α-Estradiol führte zu einer raschen Reduktion der Zahl und Intensität der Hitzewallungen in der Verum-Gruppe, während in der Placebo-Gruppe nur eine moderate Beeinflussung festzustellen war. Vor Beginn der Behandlung betrug die Anzahl der Hitzewallungen pro 24 h 11.9 ± 2.1 in der Verum-Gruppe und 12.3 ± 1.9 in der Placebogruppe. Nach 4-wöchiger Behandlung ergaben sich Werte von 3.1 ± 1.8 in der Verum-Gruppe und 7.7 ± 4.1 in der Placebo-Gruppe. Diese auf der Grundlage der Patiententagebücher ermittelten Werte zeigten eine gute Korrelation zu den objektiv gemessenen Veränderungen der Hauttemperatur. Der mittlere Anstieg während einer durch die Patientinnen als schwer beurteilten Hitzewallungen betrug im Mittel 2.3 ± 1.4°C. Die durch transvaginalen Ultraschall gemessene Endometriumsdicke war in beiden Gruppen nicht signifikant verändert. Das Nebenwirkungsprofil war vergleichbar für beide Untersuchungsgruppen.