-
Stand der Forschung und Technik
-
Nachweismethoden
für das Vorliegen insbesondere pathogener, parasitischer
oder auf andere Art schädlicher Mikroorganismen in Trägermaterialien
sind z. B. in Medizin, Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion
von vielfältigem Interesse. Neben traditionell mikroskopischen
sowie histo- oder zytologischen Methoden hat sich die molekulare
Diagnostik auf der Basis der Polymerase-Kettenreaktion („polymerase
chain reaction”, im folgenden kurz „PCR”)
in vielfältigen Variationen zu einem Standardwerkzeug entsprechender
Nachweise in einer Vielzahl von Anwendungskontexten entwickelt (Viljoen
et al. 2005).
-
In
zahlreichen Anwendungszusammenhängen ist nun nicht lediglich
ein Nachweis über das bloße Vorliegen des z. B.
infizierenden oder verunreinigenden Mikroorganismus notwendig, sondern
darüber hinaus ist es wünschenswert, Informationen über
den physiologischen Zustand des Organismus zu erhalten. Einen eminent
wichtigen Sonderfall stellt hierbei die Unterscheidung der physiologischen
Zustände „lebend” bzw. „lebensfähig” einerseits
und „tot” bzw. „abgestorben” andererseits
dar, welche beispielsweise im Zusammenhang mit Dauerformen, z. B.
Sporen, bildenden Organismen und solchen Verfahren, welche die Abtötung
des Mikroorganismus im Trägermaterial zum Ziel haben, also
z. B. medizinische Behandlungs-, landwirtschaftliche Beiz- oder
technische Sterilisationsverfahren, von besonderer Relevanz ist.
-
Eine
Gruppe PCR-gestützter Nachweismethoden implementiert das
Prinzip einer Unterscheidung zwischen genomischer DNA aus lebenden
und toten Zellen des Mikroorganismus als Ausgangssubstanz („template”)
der diagnostischen PCR-Reaktion. In der Regel wird hierbei DNA aus
abgestorbenen Zellen abgebaut oder inaktiviert, so dass nur aus
der Erbsubstanz lebender Zellen ein PCR-Produkt gebildet wird. Dessen
z. B. gelelektrophoretischer Nachweis belegt diesem Funktionsprinzip
zufolge das Vorliegen zumindest auch lebender Zellen des fraglichen
Mikroorganismus. Diese Gruppe von Nachweismethoden wird paradigmatisch
vertreten durch die sog. „EMA-PCR”, bei der durch
eine Vorbehandlung der zu analysierenden Probe unter Zugabe der
Chemikalie Ethidiummonoazid (EMA) DNA aus abgestorbenen Zellen des Mikroorganismus
fragmentiert und abgebaut wird (Nogva et al. 2003, Rudi
et al. 2005, Soejima et al. 2007). Die
Diskriminierung zwischen DNA aus lebenden und toten Zellen beruht
hierbei auf einer mit dem Verlust der Zellmembranintegrität
verloren gehenden Abschirmung genomischer DNA gegen die DNA-bindende
Wirkung des Ethidiummonoazid.
-
EMA-PCR
und verwandte Methoden finden mittlerweile breite Verwendung in
der Lebensmitteltechnologie (Rueckert et al. 2005)
sowie zur Analyse von Umweltproben (Pisz et al. 2007).
Die Exaktheit der mittels EMA-PCR erhaltenen Ergebnisse wird jedoch
in vielen Fällen z. B. durch Verschiebung von Nachweisgrenzen vermindert
durch die nachgewiesene Beeinträchtigung von Folgeanalysen
durch in Proben verbleibendes EMA (Hein et al. 2006)
sowie durch eine unzureichende Diskriminierung zwischen lebenden
und toten Zellen (Flekna et al. 2007). Zudem ist
EMA-PCR bislang nur zur Analyse von Bakterien eingeführt,
während andere Mikroorganismen, z. B. Pilze oder Protozoa,
von EMA-PCR nicht erfasst werden.
-
Die
nachstehend unter der Bezeichnung „Splice-PCR” beschriebene,
ebenfalls PCR-gestützte Methode macht sich zum Nachweisziel
einer Unterscheidung lebender und toter Zellen eines Mikroorganismus
ein anderes Prinzip zunutze.
-
In
toten Zellen kommen sowohl die DNA-Transkription in RNA als auch
die post-transkriptionelle Modifikation der RNA-Primärtranskripte
zum Erliegen. Durch post-transkriptionelle Modifikation, insbesondere durch
das „Spleißen” von Introns, entstehen
genspezifische Sequenzunterschiede zwischen der die Transkriptionsvorlage
bildenden genomischen DNA-(gDNA-)Sequenz und einer aus der modifizierten
RNA durch Reverse Transkription erzeugten doppelsträngigen
sog. komplementären DNA (cDNA). Diese Zusammenhänge sind
wohlbekannt und Gegenstand des molekulargenetischen Lehrbuchwissens
(siehe z. B. Lewin 1997). Zur Isolation genomischer
DNA sowie der verschiedenen RNAs aus biologischen Proben wie auch
zur in vitro-Synthese von cDNA aus isolierter RNA stehen molekularbiologische
Standardmethoden zur Verfügung (siehe z. B. Sambrook & Russell 2001).
-
Beschreibung der Erfindung
-
Die
vorstehend genannten molekulargenetischen Zusammenhänge
lassen sich nun insofern zur Unterscheidung lebender von toten Zellen
nutzbar machen, als die Parameter einer Polymerase-Kettenreaktion bei
ausreichender genetischer Vorinformation über den Zielorganismus
so gewählt werden können, dass ausgehend von genomischer
DNA einerseits und post-transkriptionell modifizierter RNA bzw.
aus dieser revers transkribierter cDNA andererseits unterschiedliche
Produkte gebildet werden. Insbesondere kann durch geeignete Wahl
der PCR-Primer (in Verbindung mit der Wahl geeigneter weiterer PCR-Parameter
wie Annealing-Temperatur und Elongationszeit) erreicht werden, dass
ausschließlich aus modifizierter RNA oder der zugehörigen
cDNA, nicht aber aus der entsprechenden gDNA oder dem RNA-Primärtranskript
ein DNA-Fragment amplifiziert wird. Hierzu muß mindestens
einer der beiden Primer so entworfen werden, dass seine Sequenz
zur Umgebung einer Spleißstelle der cDNA komplementär
ist. Flankieren z. B. die zu 5'- und 3'-Ende der Primersequenz komplementären
Abschnitte der gDNA dieselbe, im Zuge des RNA-Spleißens
deletierte Struktur, z. B. ein Intron, so wird eine vollständige
Primerbindestelle erst durch post-transkriptionelle Modifikation
gebildet. Bei Verwendung einer ausreichend hohen Annealing-Temperatur
fungiert der entsprechende Primer daher nur an gespleißter
RNA oder aus solcher gebildeter cDNA, nicht aber an gDNA oder dem
RNA-Primärtranskript als Startermolekül einer
durch RNA- bzw. DNA-abhängige DNA-Polymerase vermittelten
Elongationsreaktion. Da genomische DNA sowohl in lebenden als auch
in toten, gespleißte RNA jedoch nur in lebenden Zellen
vorliegt, kann mit Hilfe der beschriebenen Methode das Vorliegen
lebender Zellen nachgewiesen werden. Für die beschriebene
Methode wird daher die Bezeichnung „Splice-PCR” vorgeschlagen.
-
Ein
Sonderfall der vorstehend beschriebenen Methode betrifft den Nachweis
von Dauerformen, z. B. Sporen oder Dauermyzelien, in denen Stoffwechsel
und Proteinbiosynthese nicht oder nur in sehr geringem Umfang stattfinden
und in denen daher keine nachweisbaren Konzentrationen proteinkodierender „messenger-RNA” (mRNA)
vorliegen. Lebens- z. B. keimfähige Dauerformen enthalten
notwendig eine gewisse Menge an Ribosomen, von denen aus die vorübergehend
eingestellte Proteinbiosynthese – auch diejenige ribosomaler
Proteine – wieder aufgenommen werden kann, und können über
die in den Ribosomen vorliegende reife ribosomale RNA (rRNA) nachgewiesen
werden. Eine bevorzugte Zielstruktur im Sinne des oben geschilderten Ansatzes
sind z. B. die in der rRNA niederer Eukaryonten häufigen
sog. selbstspleißenden Gruppe I-Introns.
-
Eine
mögliche Weiterentwicklung der vorstehend beschriebenen
Methode betrifft die Präzisierung der Diagnoseleistung über
die Unterscheidung lebender von toten hinaus.
-
Über
die Durchführung eines Splice-PCR-Ansatzes an solchen Genen,
die für ein Genprodukt bekannter Funktion kodieren, kann
eine feinere Unterscheidung zwischen zwei möglichen physiologischen
Zuständen A und B eines in einer Probe vorliegenden Organismus
erreicht werden. Ist z. B. in einem gegebenen Anwendungskontext
von Interesse, ob ein Organismus nicht lediglich im physiologischen
Zustand A, sondern auch im physiologischen Zustand B vorliegt und
ist weiterhin bekannt, dass Zustand B mit dem Vorliegen eines bestimmten
Proteins notwendig verbunden oder durch dessen Vorliegen charakterisiert
ist, und unterliegt zudem die für dieses Protein kodierende
mRNA bekanntermaßen einer bestimmten post-transkriptionellen
Modifikation, so kann das Vorliegen des physiologischen Zustandes
B in der betreffenden Probe über eine Splice-PCR in Analogie
zum oben Ausgeführten nachgewiesen werden.
-
In
Bezug auf den Stand der Technik ist die hier beschriebene Methode
in ihrer Leistungsfähigkeit insbesondere zur EMA-PCR komplementär.
Umfangreiche post-transkriptionelle Modifikation, insbesondere das Spleißen
von Introns, ist für Eukaryonten charakteristisch, so dass
die Splice-PCR bevorzugt ein von der EMA-PCR nicht erfasstes Spektrum
möglicher Anwendungen abdeckt. Das wachsende Verständnis
post-transkriptioneller Modifikationen auch bei Prokaryonten sowie
das Vorliegen von Gruppe I-Introns in rRNA-Genen zahlreicher Bakterien
machen Splice-PCR auch über den Bereich der Eukaryonten
hinaus anwendbar. Mögliche gewerbliche Anwendungen der
Erfindung bestehen u. a. zur Qualitätssicherung in der
Lebensmittelproduktion sowie zur medizinischen oder phytosanitären
Diagnostik.
-
Ausführungsbeispiel 1:
-
Das
28S rRNA kodierende Gen des Biokontrollstammes VIZR13 des entomopathogenen
Pilzes Beauveria bassiana (Balsamo) Vuillemin enthält – wie
auch zahlreiche andere Stämme der Art (
Wang et
al. 2003) – zwei funktionale, durch 662bp kodierender
Sequenz voneinander getrennte Gruppe I-Introns. Die kodierende Sequenz
in der Umgebung beider Insertionsstellen wurde wie folgt festgestellt,
wobei „*” den Insertionsort des Introns markiert:
-
Auf
der Basis dieser Sequenzkenntnisse wurden in folgender Orientierung
Splice-PCR Primer gegen die unterstrichenen Sequenzbereiche verwendet:
-
Da
die Primersequenzen nahe dem 3'-Ende durch die Insertionsstelle
des Introns unterbrochen werden, ist mit einer Amplifikation der
interintronischen Sequenz nur bei Vorliegen einer Ausgangssubstanz
(„template”) zu rechnen, aus der beide Introns
deletiert wurden, wodurch erst eine zu den Primern komplementäre kontinuierliche
Sequenz im template entsteht. Entsprechend gespleißte RNA
sollte nur in lebenden Zellen vorliegen.
-
Auf
der Basis frischen Myzels des Pilzes sowie zweierlei Sporentypen,
auf Festmedium erzeugten Konidiosporen und in Submerskultur gebildeten
Blastosporen, wurde sowohl vor als auch nach abtötender
Behandlung (Autoklavieren) ein Standard-Isolationsprotokoll für
Gesamt-RNA durchgeführt. Ebenfalls nach Standardverfahren
wurden dann mit Primer spliceR1 eine cDNA-Erststrangsynthese (Reverse
Transkription) und unter Verwendung beider Primer die cDNA-Amplifikation
durchgeführt. Hierbei wurden für die cDNA-Amplifikation
folgende Parameter gewählt: anfängliche Denaturierung
bei 94°C für 2 Minuten, dann 35 Zyklen bestehend
aus 30 Sekunden Denaturierung bei 94°C, 30 Sekunden Annealing
bei 56°C und 60 Sekunden Elongation bei 72°C,
sowie abschließende 5 Minuten Elongation bei 72°C.
Aus allen drei Entwicklungsstufen wurde vor abtötender
Behandlung das erwartete, ca. 700 bp lange PCR-Produkt amplifiziert,
wohingegen aus den abgetöteten Proben kein Produkt erhalten
wurde.
-
Ausführungsbeispiel 2:
-
Das
28S rRNA kodierende Gen des humanpathogenen Gammaproteobakteriums
Coxiella burnetii enthält zwei durch nur 34 bp kodierender
Sequenz getrennte selbstspleißende Gruppe I-Introns (
Raghavan
et al. 2008), deren Insertionsstellen (*) im folgenden
Sequenzkontext liegen:
-
Ausgehend
von diesem Sequenzabschnitt lassen sich zwei verschiedene Splice-PCR-Ansätze
durchführen. Erstens unter Verwendung des antiparallel
orientierten splice-Primers (komplementär zur unterstrichenen
Sequenz)
in Kombination mit einem
stromaufwärts liegenden Gegenprimer, zweitens unter Verwendung
des parallel orientierten splice-Primers (identisch der kursiv gedruckten
Sequenz)
in Kombination mit einem
stromabwärts liegenden Gegenprimer.
-
Der
methodologische Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht
darin, dass im ersten Fall Primer spliceR2 zur cDNA-Erststrangsynthese,
d. h. in Verbindung mit RNA.-abhängiger DNA-Polymerase
eingesetzt wird, während im zweiten Fall die Erststrangsynthese
mit einem gewöhnlichen Primer vorgenommen wird und Primer
spliceF2 zur Zweitstrangsynthese und cDNA-Amplifikation dient. Der
genannte Unterschied ist zum qualitativen Nachweis lebend-tot unerheblich – in
beiden Fällen entsteht aus abgestorbenen Zellen kein Produkt –,
kann aber für quantifizierende Weiterentwicklungen methodologisch
nutzbar gemacht werden.
-
Angeführte Literaturstellen
-
- Flekna G, Stefanic P, Wagner M, Smulders FJ, Mozina
SS, Hein I (2007). Insufficient differentiation of live and dead
Campylobacter jejuni and Listeria monocytogenes cells by ethidium
monoazide (EMA) compromises EMA/real-time PCR. Res Microbiol 158:
405–412.
- Hein I, Flekna G, Wagner M (2006) Possible Errors in
the Interpretation of Ethidium Bromide and PicoGreen DNA Staining
Results from Ethidium Monoazide-Treated DNA. Appl Environm Microbiol
72: 6860–6862.
-
Lewin B (1997) Genes VI. Oxford University Press, Oxford
- Nogva HK, Drømtorp SM, Nissen H, Rudi K (2003).
Ethidium monoazide for DNA-based differentiation of viable and dead
bacteria by 5'-nuclease PCR. Biotechniques 34: 804–813.
- Pisz JM, Lawrence JR, Schafer AN, Siciliano SD (2007).
Differentiation of genes extracted from non-viable versus viable
micro-organisms in environmental samples using ethidium monoazide
bromide. J Microbiol Methods 71: 312–318.
- Raghavan R, Miller SR, Hicks LD, Minnick MF (2007) The
Unusual 23S rRNA Gene of Coxiella burnetii: Two Self-Splicing Group
I Introns Flank a 34-Base-Pair Exon, and One Element Lacks the Canonical
G. J Bacteriol 189: 6572–6579.
- Rudi K, Moen B, Drømtorp SM, Holck AL (2005)
Use of Ethidium Monoazide and PCR in Combination for Quantification
of Viable and Dead Cells in Complex Samples. Appl Environm Microbiol
71: 1018–1024.
- Rueckert A, Ronimus RS, Morgan HW (2005) Rapid differentiation
and enumeration of the total, viable vegetative cell and spore content
of thermophilic bacilli in milk powders with reference to Anoxybacillus
flavithermus. J Appl Microbiol 99: 1246–1255.
-
Sambrook J, Russell DW (2001) Molecular Cloning. A Laboratory
Manual. Cold Spring Harbor Laboratory Press, New York
- Soejima T, Iida K, Qin T, Taniai H, Seki M, Takade A,
Yoshida S (2007). Photoactivated ethidium monoazide directly cleaves
bacterial DNA and is applied to PCR for discrimination of live and
dead bacteria. Microbiol Immunol 51: 763–775.
- Viljoen GJ, Nel LH, Crowther JR (2005) Molecular Diagnostic
PCR Handbook. Springer, Heidelberg.
- Wang C, Li Z, Typas MA, Butt TM (2003) Nuclear large
subunit rDNA group I intron distribution in a population of Beauveria
bassiana strains: phylogenetic implications. Mycol Res 107: 1189–1200.
-
Es folgt ein
Sequenzprotokoll nach WIPO St. 25.
Dieses kann von der
amtlichen Veröffentlichungsplattform des DPMA heruntergeladen
werden.
-
ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
-
Diese Liste
der vom Anmelder aufgeführten Dokumente wurde automatisiert
erzeugt und ist ausschließlich zur besseren Information
des Lesers aufgenommen. Die Liste ist nicht Bestandteil der deutschen
Patent- bzw. Gebrauchsmusteranmeldung. Das DPMA übernimmt
keinerlei Haftung für etwaige Fehler oder Auslassungen.
-
Zitierte Nicht-Patentliteratur
-
- - Viljoen et
al. 2005 [0001]
- - Nogva et al. 2003 [0003]
- - Rudi et al. 2005 [0003]
- - Soejima et al. 2007 [0003]
- - Rueckert et al. 2005 [0004]
- - Pisz et al. 2007 [0004]
- - Hein et al. 2006 [0004]
- - Flekna et al. 2007 [0004]
- - Lewin 1997 [0006]
- - Sambrook & Russell
2001 [0006]
- - Wang et al. 2003 [0012]
- - Raghavan et al. 2008 [0016]