DE102006004142A1 - Neue therapeutische Indikationen von Koloniestimulierenden Faktoren - Google Patents

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Abstract

Die vorliegende Erfindung betrifft die Verwendung mindestens eines koloniestimulierenden Faktors (englisch: colony stimulating factor, CSF) zur Herstellung von Medikamenten bei der Behandlung oder Prophylaxe von Koma oder Neurotoxizität.

Description

  • Bei den Koloniestimulierenden Faktoren (CSF) handelt es sich um eine Gruppe von regulatorischen Proteinen, die verantwortlich sind für Kontrolle der Proliferation und Differenzierung von hämatopoetischen Zellen wie Granulozyten, Megakaryozyten und Monozyten bzw. Makrophagen. Ohne entsprechende CSFs können diese hämatopoetischen Zellen in Kultur nicht überleben bzw. proliferieren. Die CSFs gehören zu der Gruppe der Zytokine. Zusammen mit Erythropoetin (EPO) und einigen Interleukinen bilden sie die Gruppe der hämatopoetischen Wachstumsfaktoren.
  • Die Gruppe der CSFs umfasst die Faktoren M-CSF (Makrophagen-spezifischer Koloniestimulierender Faktor; auch CSF-1), GM-CSF (Makrophagen/Granulozytenspezifischer Koloniestimulierender Faktor; auch CSF-2), G-CSF (Granulozytenspezifischer Koloniestimulierender Faktor; auch CSF-3) und multi-CSF (multifunktioneller Koloniestimulierender Faktor; auch IL3) entsprechend ihrer Spezifität hinsichtlich der verschiedenen hämatopoetischen Zellen. Die Reinigung und Klonierung der einzelnen CSFs ermöglicht eine molekulare Charakterisierung. Bei den genannten vier CSFs handelt es sich um Glykoproteine, allerdings weisen sie auf der Ebene der Primärstruktur (Aminosäure-Sequenz) keinerlei Homologie auf.
  • M-CSF wird von Monozyten, Granulozyten, Endothelzellen und Fibroblasten produziert. Darüber hinaus sind aber auch aktivierte B- und T-Zellen, sowie eine Reihe von Tumorzelllinien in der Lage, diesen Faktor zu synthetisieren. M-CSF ist ein homodimeres Glykoprotein. Der Zuckeranteil ist für die biologische Aktivität nicht notwendig. Es existieren verschiedene Varianten unterschiedlicher Molekularmassen, die aus alternativem Splicing der RNA hervorgehen.
  • M-CSF fördert die Proliferation und Differenzierung von hämatopoetischen Stammzellen zu Makrophagen, vor allem aber das Wachstum, die Differenzierung und die funktionelle Aktivität von Monozyten. Während humanes M-CSF auch bei Maus- und Ratten-Zellen Aktivität zeigt, ist der murine Faktor bei humanen Zellen inaktiv.
  • G-CSF wird von aktivierten Monozyten, Makrophagen und Neutrophilen, von Stromazellen, Fibroblasten und Endothelzellen, sowie von verschiedenen Tumor-Zelllinien (z.B. humane Blasenkarzinom-Zelllinie) sezerniert. Reifes humanes G-CSF ist ein monomeres Glykoprotein mit 174 Aminosäuren, wobei der Zuckeranteil für die biologische Aktivität nicht notwendig ist. Eine weitere, durch alternatives Splicing der RNA hervorgehende Variante mit 177 Aminosäuren weist eine deutlich reduzierte biologische Aktivität auf.
  • G-CSF fördert die Proliferation und Differenzierung von hämatopoetischen Vorläuferzellen hin zu neutrophilen Granulozyten und aktiviert diese auch. Darüber hinaus wirkt G-CSF auch als Mitogen.
  • Das wichtigste klinische Einsatzgebiet von G-CSF ist die Behandlung von Leukopenie, z.B. als Folge von Chemo- und/oder Strahlentherapie.
  • GM-CSF ist ein monomeres Glykoprotein von 127 Aminosäuren, wobei der Zuckeranteil für die biologische Aktivität nicht notwendig ist. Der GM-CSF-Rezeptor ist nicht nur auf hämatopoetischen Zellen, sondern auch z.B. auf Endothelzellen zu finden.
  • Die Spezifität von GM-CSF ist im Allgemeinen geringer ausgeprägt als z.B. die von G-CSF. So stimuliert GM-CSF die Proliferation und Differenzierung von Neutrophilen-, Eosinophilen- und Monozyten-Linien und aktiviert deren reife Form. In geringen Konzentrationen wirkt der Faktor chemotaktisch auf Eosinophile und Neutrophile. Da GM-CSF von den Zellen produziert wird (T-Lymphozyten, Makrophagen, Endothelzellen und Mastzellen), die an einer inflammatorischen Antwort beteiligt sind, ist davon auszugehen, dass dieser Faktor eine wichtige Rolle als Mediator bei der Inflammation spielt.
  • In Synergie mit EPO fördert GM-CSF auch die Proliferation von Erythroid- und Megakaryozyten-Vorläuferzellen.
  • Klinischen Einsatz findet GM-CSF zur Rekonstitution der Hämatopoese. Vor allem der Einsatz zur Behandlung von Neutropenie, z.B. im Zusammenhang mit Chemo- oder Strahlentherapie, ist von Bedeutung.
  • Multi-CSF wird hauptsächlich von aktivierten T-Zellen aber auch von Keratinozyten, NK-Zellen, Mastzellen, Endothelzellen und Monozyten produziert. Humanes reifes multi-CSF ist ein Glykoprotein von 133 Aminosäuren, wobei der Zuckeranteil für die biologische Aktivität nicht nötig ist.
  • Multi-CSF hat ein sehr breites Spektrum an biologischen Aktivitäten. So unterstützt multi-CSF die Proliferation und Differenzierung von nahezu allen Typen von hämatopoitischen Vorläuferzellen. Als initialer Faktor macht er die hämatopoetischen Stammzellen ansprechbar für später wirkende Faktoren wie EPO und GM-CSF. Die biologischen Aktivitäten von multi-CSF sind speziesspezifisch.
  • Angesichts dieser Förderung von Proliferation, Differenzierung und Aktivierung von Zellen des hämatopoetischen Systems findet der therapeutische Einsatz von CSFs zur Rekonstitution der Hämatopoese statt. Entsprechend wird vor allem rekombinantes G-CSF (z.B. Filgrastim) zur Behandlung von Neutropenie in Folge von Chemo- oder Strahlentherapie therapeutisch eingesetzt.
  • Darüber hinaus werden noch weitere therapeutische Einsatzgebiete für CSFs beschrieben. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang z.B. der Einsatz von CSF zur Behandlung von Infektionen (WO 88/00832) und zur Förderung der Wundheilung (WO 92/14480). Die Beobachtung, dass CSFs auch eine wichtige Rolle bei der Angiogenese (WO 97/14307) und vor allem auch bei der Arteriogenese (WO 99/17798) spielen können, offenbaren die Verwendung dieser Faktoren zur Behandlung von Ischämien wie Herzinfarkt und Schlaganfall, indem die Durchblutung des betroffenen Gewebes wiederhergestellt bzw. verbessert wird.
  • Es wurde auch die Beobachtung gemacht, dass bestimmte CSF-Rezeptoren auch auf Neuronen zu finden sind (DE-A 100 33 219). Entsprechend wurde kürzlich für die Behandlung von fokaler zerebraler Ischämie im Tiermodell für G-CSF eine neuroprotektive und neuroregenerative Wirkung gezeigt [Schabitz et al. Stroke. 34:745 (2003); Schneider et al. J Clin Invest. 115:2083 (2005)].
  • Ein Krankheitszustand, bei dem weiterhin großer Bedarf an geeigneten Medikamenten besteht, ist Koma. Bei Koma handelt es sich um einen schweren Grad der Bewusstseinsstörung, bei der der Patient durch äußere Reize nicht mehr zu wecken ist (Pschyrembel, 259. Aufl., 2002; S. 603–604, S. 882–883, S. 978, S. 1110, S. 1620). Abhängig von der Symptomatik und den Ursachen unterscheidet man unter Anderem folgende Zustände von Koma:
    Apallisches Syndrom (engl. apallic syndrom, persistent vegetative state): Zu den Dezerebrationssyndromen zählendes Krankheitsbild mit Funktionsausfall der Großhirnrinde, meist infolge Anoxie des Gehirns (z.B. nach Schädelhirntrauma, Intoxikation, Schock oder Reanimation) und Störung des aufsteigenden retikulären aktivierenden Systems bei erhaltener Hirnstammfunktion. Der Patient ist wach und hat die Augen geöffnet, zeigt jedoch keine Spontan- und Reaktivbewegungen und auch keine Blickfixierung. Auch erfolgen keine Spontanäußerungen. Spontanatmung und Kreislaufregulation sind dagegen intakt. Bei traumatischer oder infektiöser Ursache ist eine funktionelle Erholung noch nach Monaten möglich, ansonsten nach mehr als drei Monaten unwahrscheinlich. Bei ausbleibender Remission kommt es nach zwei bis fünf Jahren zum Exitus letalis (z.B. infolge von Komplikationen wie Pneumonie, Harnwegsinfektion oder Dekubitus).
  • "Locked-in"-Syndrom: Unfähigkeit, sich bei erhaltenem Bewusstsein sprachlich oder durch Bewegungen spontan verständlich zu machen. Eine Verständigung durch Augenbewegungen ist möglich. Ursache ist eine beidseitige Querschnittläsion des Tractus corticobulbaris und Tractus corticospinalis im Bereich der Pons, z.B. bei Arteria-basilaris-Thrombose. Die Prognose ist infaust.
  • Akinetischer Mutismus: Mutismus (Stummheit) infolge allgemeiner Hemmung der motorischen Fähigkeiten einschließlich Mimik, Gestik und Sprache. Sprechen wie auch Bewegung erfolgen nicht spontan und nach Aufforderung nur verzögert und langsam. Ferner liegt eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus vor. Schmerzreize erhöhen die Vigilanz und ermöglichen begrenzte Kontaktaufnahme. Das Bewusstsein ist voll erhalten, eventuell besteht Amnesie. Akinetischer Mutismus kommt vor z.B. nach Stirnhirnverletzungen, bei Psychosen, Tumor oder Hämangiom nahe dem III. Hirnventrikel oder im Mesencephalon, bei Arteria-basilaris-Thrombose oder bei Enzephalitis.
  • Die Glasgow Komaskala (engl. Glasgow Coma Scale (GCS) erlaubt eine quantitative Einordnung entsprechend der Schwere der Bewusstseinsstörung („leichte Bewusstseinsstörung" (14-15 Punkte); „mittelschwere Bewusstseinsstörung" (13-9) Punkte; „schwere Bewusstseinsstörung" (3-8 Punkte)). Dabei wird die Reaktion des Patienten in drei Bereichen (Augenöffnen, Motorik und Sprache) bewertet und die entsprechend erreichten Punkte addiert.
  • Eine Behandlung von Komapatienten sollte vor allem darauf hinzielen, die Aufwachwahrscheinlichkeit zu erhöhen und die neurologischen Schädigungen, die durch das Verweilen im Zustand des Komas verursacht werden, zu verringern oder rückgängig zu machen. Initiale Studien zeigen eine solche therapeutische Wirkung z.B. für die Behandlung mit Acetyl-L-Carnetin (EP-A 0 498 144). Gegenwärtig ist aber kein handelsübliches Präparat im klinischen Einsatz, das diese therapeutische Anforderung erfüllt.
  • Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften weisen Neuronen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber der Wirkung von toxischen Substanzen auf (Anthony, Montine, Valentine & Graham; Toxicology; Ed. Casarett & Doull; 6th edition, 2001; S. 535–563).
  • So sind Neuronen aufgrund ihres hohen Energiebedarfs in besonderer Weise abhängig von dem aeroben Metabolismus. Selbst kurze Unterbrechungen der Sauerstoff- oder Glukosezufuhr können die Neuronen schädigen. Ein Beispiel hierfür ist die Hypoxie infolge einer Kohlenmonoxidvergiftung, bei der vor allem die dafür besonders empfindlichen Neuronen, wie die in bestimmten Regionen des zerebralen Kortex, geschädigt werden.
  • Eine weitere Ursache für die besondere Empfindlichkeit der Neuronen gegenüber toxischen Substanzen liegt in der typischen Struktur der Neuronen mit ihren langen Ausläufern, den Axonen. Diese Axone, deren Länge das 200.000-fache des Zellkörperdurchmessers ausmachen kann, müssen vom Zellkörper aus versorgt werden. Die Bereitstellung einer Proteinsynthese-Maschinerie für ein solch großes zytoplasmatisches Volumen und der axonale Transport der Syntheseprodukte stellen eine hohe Anforderung an die Neuronen.
  • Der besonderen Empfindlichkeit der Zellen des Nervensystems steht ein besonderer Schutz gegenüber, die Blut-Hirn-Schranke. Im Unterschied zu den Blutgefäßen anderer Organe werden die zerebralen Kapillargefäße von ihren Epithelzellen lückenlos umschlossen („tight junctions"). Zudem bildeten die umliegenden Glia-Zellen eine weitere Barriere für den passiven Transport vieler Substanzen wie auch von Toxinen. Die Substanzen, die die Nervenzellen aus dem Blut benötigen, werden mittels aktiver Transporter durch die Barriere geschleust. Lediglich lipidlösliche Substanzen, und damit auch solche Toxine, können die Blut-Hirn-Schranke passiv penetrieren. Der durch die Blut-Hirn-Schranke vermittelte Schutz hat einige weitere wichtige Einschränkungen. So sind bestimmte Bereiche des Nervensystems, z.B. das zirkumventrikuläre Organ, nicht durch eine Blut-Hirn-Schranke geschützt. Des Weiteren ist die Blut-Hirn-Schranke von Neugeborenen noch nicht vollständig ausgeprägt.
  • In Abhängigkeit von dem Mechanismus der Neurotoxizität unterscheidet man zwischen vier verschiedenen Untergruppen, der Neuronopathie, der Axonopathie, der Myelinopathie und der Transmissions-assozierten Toxizität.
  • Von einer Neuronopathie spricht man, wenn primär eine Schädigung des Neuronenzellkörpers vorliegt. Der Verlust eines Neurons ist irreversibel und umfasst die Degradation aller zytoplasmatischen Ausläufer, wie Dendriten und Axone, sowie die des zugehörigen Myelins. Verschiedene Neurotoxine sind spezifisch für bestimmte neuronale Subpopulationen und können so zu charakteristischen Funktionsausfällen führen. Doxorubicin zum Beispiel, ein Zytostatikum, das sich in den DNA-Doppelstrang einlagert, schädigt vor allem die Neuronen des peripheren Nervensystems (PNS) und andere nicht von der Blut-Hirn-Schranke geschützte Nervenzellen. Das Neurotoxin MPTP (1-Methyl-4-phenyl-1,2,3,6-tetrahydropyridin) dagegen kann aufgrund seines ungeladenen Zustands die Blut-Hirn-Schranke penetrieren. Anschließend wird es enzymatisch zum entsprechenden Pyridiniumion (MPP) oxidiert und via Dopamin-Transportsystem vor allem von den dopaminergen Neuronen der Substantia Nigra aufgenommen. Dort blockiert das MPP die mitrochondriale Zellatmung und führt so zum Absterben dieser Neuronen. Die Symptome dieser Vergiftung entsprechen denen einer irreversiblen Parkinson'schen Erkrankung. Niedrige Dosen an MPTP, durch die keine akuten Symptome ausgelöst werden, können die Prädisposition für Parkinson'sche Erkrankung erhöhen. Weitere Neurotoxine, die über den Mechanismus der Neuronopathie wirken, sind unter anderem einige Schwermetalle (z.B. Blei, Bismuth, Quecksilber und Mangan), einige Antibiotika (z.B. Chloramphenicol und Streptomycin) und Alkohole (z.B. Methanol und Ethanol).
  • Bei den neurotoxischen Erkrankungen, die unter dem Begriff Axonopathie zusammengefasst werden, wird primär das Axon geschädigt. Dabei kommt es im Anschluss an die primäre Schädigung im Allgemeinen in einem mehrstufigen Prozess zu einer Degradation des distalen Endes des Axons während der Zellkörper des Neurons überlebt. Während diese Degradation im zentralen Nervensystem irreversibel ist, können sich die Axonen des peripheren Nervensystems regenerieren. n-Hexan und Kohlenstoffdisulfid sind Beispiele für Neurotoxine, die auf diese Weise wirken. Sie führen zur Quervernetzung der axonalen Neurofilamente, woraufhin es zu einer Anschwellung der Axone und zu einer Beeinträchtigung des Neurofilament-Transports kommt. Im Allgemeinen führt die Axonopathie zu einer peripheren Neuropathie. Die sensorische und motorische Reizweiterleitung wird zunehmend beeinträchtig. Die durch Acrylamid induzierte Axonopathie beginnt dagegen mit der Degeneration des distalen Ende des Axons verbunden mit einer Schädigung des retrograden Transports. Primärer Angriffspunkt einiger weiterer Neurotoxine wie Colchicine und Paclitaxel (Taxol) ist der Mikrotubuli-basierte Transport entlang der Axone. Taxol bindet an den Tubuli und Colchicin mit dem monomeren Tubulin. Sie stören so das dynamische Gleichgewicht von Auf- und Abbau der Mikrotubuli.
  • Unter Myelinopathien werden neurotoxische Erkrankungen zusammengefasst, die auf einer Schädigung des Myelins basieren. Das Myelin, das im zentralen Nervensystem (ZNS) von den Oligodendrozyten und im peripheren Nervensystem (PNS) von den Schwann-Zellen gebildet wird ist notwendig für eine effiziente Reizweiterleitung entlang der Axone. Während die Schwann-Zellen des PNS eine Regeneration des Myelins nach neurotoxischer Schädigung ermöglichen, ist eine Remyelinisierung im ZNS nur sehr begrenzt möglich. Hexachlorophen z.B. bindet fest an Zellmembranen und führt zu einem Verlust des Ionengradienten und schließlich zu Ödemen zwischen den Myelinschichten. Die Symptome einer akuten Hexachlorophen Vergiftung sind angefangen von genereller Schwäche, Irritationen und Krämpfen bis hin zu Koma und Tod.
  • Bei der Neurotransmissions-assoziierten Neurotoxizität wird primär der Prozess der Neurotransmission beeinträchtigt. Die Neurotoxine dieser Unterklasse unterbrechen die Impulsweiterleitung, blockieren oder verstärken die transsynaptische Kommunikation, blockieren die Wiederaufnahme des Neurotransmitters oder interferieren mit dem „second messenger" System. In den meisten Fällen zeigen diese Neurotoxine kurzzeitige und reversible Wechselwirkungen, die nach der akuten Exposition zurückgeht, bzw. denen mit geeigneten Antagonisten entgegengewirkt werden kann. Bei chronischer Exposition kann es jedoch auch zu irreversiblen Langzeitfolgen kommen. Im Folgenden seien exemplarisch einige Neurotoxine dieser Untergruppe genannt.
  • Nikotin z.B. bindet agonistisch an bestimmte cholinerge Rezeptoren. Geringe Dosen an Nikotin führen zu beschleunigtem Herzschlag, erhöhtem Blutdruck und zur Verengung der peripheren Blutgefäße. Bei einer akuten Vergiftung mit Nikotin kommt es zu einer plötzlichen Überstimulierung der nikotinergen Rezeptoren gefolgt von einer Paralyse der Ganglien, die zu Atemstillstand führen kann.
  • Die euphorisierende und suchterzeugende Eigenschaft von Kokain ist auf Änderungen der katecholaminergen Neurotransmission zurückzuführen. Vor allem die dopaminerge Neurotransmission wird durch die Blockierung des „Dopamine reuptake Transporters" verstärkt. Kokainmissbrauch ist mit einem erhöhten Risiko für zerebrovaskuläre Erkrankungen, zerebrale Durchblutungsdefekte und zerebrale Atrophie verbunden. Chronischer Kokain-Konsum ist offenbar assoziiert mit neurodegenerativen Veränderungen im Striatum, wahrscheinlich die Ursache für die neurologischen und psychiatrischen Symptome.
  • Ähnlich wie Kokain wirken auch die Amphetamine auf die katecholaminerge Neurotransmission. In letzter Zeit ist die Neurotoxizität des Amphetamin-Derivats 3,4-Methylendioxymethylamphetamin viel diskutiert (MDMA, „Ecstasy") (R. Mathias, NIDA Notes Vol. 14, No. 4 „Ecstasy damages the brain and impairs memory in humans" (1999)). Diese Droge stimuliert die Ausschüttung von Serotonin und führt zu einem psychedelischen Zustand. Außerdem wird das Bedürfnis nach Essen, Trinken und Schlaf unterdrückt. Die akuten toxischen Wirkungen von MDMA sind unter anderem Übelkeit, Schüttelfrost, Halluzinationen, erhöhte Körpertemperatur, Zittern, Muskelkrämpfe sowie verschwommenes Sehvermögen. Eine Überdosis führt zu hohem Blutdruck, Mattigkeit und Panikattacken, und in schwereren Fällen zu Bewusstlosigkeit, Krämpfen und drastisch erhöhter Körpertemperatur. Als Folge einer Überdosis kann es zu Herzversagen und Hitzschlag kommen. Neben dieser akuten Neurotoxizität ist aber auch von chronischen neurotoxischen Folgen auszugehen. Es gibt Anzeichen dafür, dass die regelmäßige Einnahme von MDMA zu einer Schädigung der Serotonin ausschüttenden Neuronen führt. Damit einher geht eine signifikante Schädigung des Gedächtnisses. Wahrscheinlich kommt es auch zu Störungen anderer Serotonin-abhängiger Hirnfunktionen, wie Stimmung und Schlafzyklus. Tierexperimente legen den Schluss nahe, dass die Schädigung der Neuronen für viele Jahre andauert, womöglich auch permanent ist.
  • Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist die Bereitstellung von neuen wirksamen Medikamenten zur Behandlung von Koma bzw. Neurotoxizität.
  • Gelöst wird diese Aufgabe durch die Verwendung mindestens eines Koloniestimulierenden Faktors zur Herstellung eines Medikamentes für die Behandlung oder Prophylaxe von Koma und/oder Neurotoxizität.
  • Bevorzugt handelt es sich bei diesem CSF um einen Koloniestimulierenden Faktor aus der Gruppe G-CSF, M-CSF und GM-CSF. Besonders bevorzugt wird G-CSF und/oder GM-CSF als therapeutischer Wirkstoff verwendet. Insbesondere werden humane Polypeptide, also humanes G-CSF und/oder GM-CSF in Form rekombinanter Proteine, als therapeutische Wirkstoffe verwendet.
  • Die Erfindung betrifft weiterhin die bevorzugte erfindungsgemäße Verwendung von Koloniestimulierenden Faktoren zur Herstellung eines Medikamentes für die Behandlung der Komazustände Apallisches Syndrom, Locked-in"-Syndrom und Akinetischer Mutismus.
  • Ein weiterer Gegenstand der Erfindung besteht in der Verwendung von Koloniestimulierenden Faktoren zur Herstellung eines Medikamentes für die Behandlung von Neurotransmissions-assoziierter Neurotoxizität. Diese Neurotoxizität kann insbesondere durch Amphetamin oder seine Derivate (insbesondere 3,4-Methylendioxymethylamphetamin) induziert worden sein.
  • Die CSFs können in vielfältiger Form verabreicht werden, umfassend unter anderem Infusions- oder Injektionslösungen, Suspensionen, Tabletten, Pillen, Pulver, Sprays oder Zäpfchen. Die bevorzugte Form hängt ab von der Art der Verabreichung und der therapeutischen Anwendung. Bei der Art der Verabreichung kann es sich unter anderem um orale, subkutane, pulmonare, intranasale, intramuskuläre, rektale, intrazerebrale oder intravenöse Verabreichung handeln. Bevorzugte Art der Verabreichung ist eine intravenöse Injektion bzw. Infusion.
  • Die therapeutisch effektive Dosis der CSFs, die entweder allein oder als Kombination unterschiedlicher CSFs verabreicht werden können, sollte so gewählt sein, dass ein neuroprotektiver Effekt erreicht wird. Die Dosis kann daher insbesondere in einem Bereich zwischen 100 ng und 10 mg/kg Körpergewicht liegen. Die Berücksichtigung von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Ausprägung der neurologischen Störung des Patienten sowie die Wahl des bzw. der verwendeten CSFs können zu individuell bestimmten Dosen führen. Eine weitere Modifikation der Dosis kann sich aus der Art der Verabreichung und der damit einhergehenden Pharmakokinetik und lokalen Verfügbarkeit ergeben. So würde z.B. die Dosis im Falle einer direkten intrazerebralen Injektion niedriger sein. In bestimmten Fällen der Behandlung der hier beschriebenen neurologischen Störungen kann die Verwendung hoher Dosen von CSF (z.B. mehr als 1 mg/kg Körpergewicht) besonders hilfreich sein.
  • Der Beginn der Behandlung ist vorzugsweise innerhalb der ersten Woche nach Auftreten der neurologischen Störung, aber auch ein späterer Behandlungsbeginn ist bei diesen oft chronischen neurologischen Störungen möglich. Zur Behandlung solcher chronischen Formen von neurologischen Störungen kann eine regelmäßige, vorzugsweise tägliche, Dosis an CSF verabreicht werden. Diese kann dann vorzugsweise in einer Rezeptur verabreicht werden, die eine langsame und kontinuierliche Abgabe des Wirkstoffs erlaubt („slow-release Formulation"). Eine solche langsame und kontinuierliche Verabreichung des Wirkstoffs kann auch z.B. durch Infusion oder durch die Verwendung von Mikrodosierpumpen erreicht werden.
  • Die pharmakologischen Präparate mit einem oder mehreren CSFs als Wirkstoff können entsprechend der dem Fachmann bekannten Standardverfahren aus dem Stand der Technik hergestellt werden. Pharmazeutisch akzeptable Träger oder Hilfsstoffe können der Präparation hinzugefügt werden. Die geeignete Form der pharmakologischen Präparation und die Art der Verabreichung können in Abhängigkeit von der zu behandelnden neurologischen Störung, ihrer Ausprägung und anderen relevanten Umständen gewählt werden. Die pharmakologische Präparation kann an eine orale, parenterale oder topikale Verabreichung angepasst werden. Die als Wirkstoff eingesetzten CSFs können auch in Form eines pharmakologisch akzeptablen Salzes eingesetzt werden, z.B. aus Gründen der Stabilität, Löslichkeit oder besseren Kristallisierbarkeit.

Claims (8)

  1. Verwendung mindestens eines Koloniestimulierenden Faktors zur Herstellung eines Medikamentes für die Behandlung oder Prophylaxe von Koma oder Neurotoxizität.
  2. Verwendung nach Anspruch 1, wobei es sich bei dem Koloniestimulierenden Faktor um einen Faktor aus der Gruppe G-CSF, M-CSF und GM-CSF handelt.
  3. Verwendung nach Anspruch 2, wobei es sich bei G-CSF um humanes G-CSF Polypeptid handelt.
  4. Verwendung nach Anspruch 2, wobei es sich bei GM-CSF um humanes GM-CSF Polypeptid handelt.
  5. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 4 zur Behandlung und Prophylaxe von Apallischem Syndrom, Locked-in"-Syndrom und/oder Akinetischem Mutismus.
  6. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 4 zur Behandlung und Prophylaxe von Neurotransmissions-assoziierter Neurotoxizität.
  7. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 4 zur Behandlung und Prophylaxe von Neurotoxizität, die durch Amphetamin oder seine Derivate induziert wurde.
  8. Verwendung nach Anspruch 7, wobei das Amphetaminderivat ein 3,4-Methylendioxymethylamphetamin ist.
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