Verfahren zur graphischen Aufzeichnung der Gesamtheit aller Tagbogen eines Standortes und Instrument zur Durchführung des Verfahrens
Für einen gegebenen Standort im Gelände ist die bei Abwesenheit von Bewölkung mögliche Zeit des Sonnenauf- und -unterganges und damit die sog.
Tagbogenlänge beliebiger Tage zu bestimmen. Aus dieser Bestimmung soll zudem auf möglichst einfache Weise die maximal mögliche Sonnenscheindauer für beliebige Zeitabschnitte (z. B. Dekaden, Monate, Kalenderjahr) abgeleitet werden können.
Diese von der geographischen Position (Länge, Breite) des Standortes und vom Horizontverlauf abhängigen Besonnungsverhältnisse interessieren die Forschung in verschiedener Hinsicht. Für die Klimatologie und Strahlungsforschung bedeutet die mögliche Sonnenscheindauer ein wesentliches Klimaelement, dem die tatsächliche, wetterbedingte Sonnenscheindauer gegenübergestellt wird. Die Hydrologie benötigt Unterlagen über die mögliche Sonnenscheindauer zur Erforschung der Beziehungen zwischen Klima und Wasserhaushalt, denn Verdunstung und Schneeschmelze sind mit der Besonnung verknüpft.
Besondere Bedeutung hat das Problem für die Bio klimatologie, indem der mögliche Strahlungsgenuss für Pflanze, Tier und Mensch ein wichtiger Lebensfaktor darstellt. In dieser Hinsicht bietet die Tagbogenmessung ein allgemeines praktisches Interesse.
Man wird sich immer weniger damit begnügen, einen Kurort, eine Wohnlage, einen Bauplatz oder land- wirtschaftliches Gelände allgemein als mehr oder weniger sonnig zu bezeichnen. Vielmehr wird ein genauer Ausdruck für die möglichen Sonnenstunden angestrebt, der die objektive Bewertung einer Lage wesentlich erleichtert.
Die Tagbogenmessung ist an sich bekannt. Es bestehen hiezu folgende Verfahren: a) Einmessen der Schnittpunkte der für bestimmte
Daten errechneten Sonnenbahnen mit der Hori zontlinie mittels gewöhnlicher oder spezieller
Theodolite, und daraus Berechnung der Tag bogenlängen für die betreffenden Daten. b) Nachführen des Fadenkreuzes eines fixen Fern rohres längs der Horizontlinie mittels eines be weglichen Spiegels, wobei mit der Spiegelbewe gung der Horizontalverlauf in stereographischer
Projektion auf einem ebenen Diagrammpapier aufgezeichnet wird.
Aus der Zeitteilung des Dia gramms lässt sich die Sonnenauf- und -untergang- zeit ablesen. c) Nachzeichnen des auf einer glatten transparen ten Halbkugel gespiegelten Horizontverlaufes als Zentralprojektion auf einer darunterliegenden
Ebene und Ausmessen mit Hilfe eines Rasters.
Diesen Verfahren haften von Fall zu Fall verschiedene Nachteile an, wie z. B. umfangreiche Aufzeichnungs- und Auswertearbeit (a), Notwendigkeit verschiedener Diagrammpapiere für verschiedene geographische Positionen (b, c), fehlende Möglichkeit, Sonnenscheinsummen direkt zu ermitteln (a, b, c).
Die mit der Tagbogenmessung verbundenen Umtriebe haben daher die Aufnahme von Besonnungskarten grösserer Gebiete bisher sehr erschwert.
Das erfindungsgemässe Verfahren zur Lösung des eingangs genannten Problems ist dadurch gekennzeichnet, dass der Visierstrahl einer optischen Visiervorrichtung durch zwei Drehbewegungen, nämlich eine Drehung parallel zur Ebene des Erdäquators und eine Drehung senkrecht dazu, längs der Horizontlinie des Standortes nachgeführt wird, wobei die Bewegungen selbsttätig auf eine Schreibvorrichtung übertragen und als Diagramm aufgezeichnet werden. Das Diagrammraster besteht zweckmässig aus einem rechtwinkligen Koordinatensystem und enthält in der Abszissenrichtung die Tageszeit (wahre Sonnen zeit) in linearer Skala und in der Ordinatenrichtung die Tage des Jahres, das heisst die Datumskala ebenfalls in linearem Massstab.
Somit erscheinen im Diagramm die einzelnen Tagbogen als Gerade. Deren Schnittpunkte mit der aufgezeichneten Horizontlinie ergeben direkt ablesbar die Zeiten des Sonnenauf- und -unterganges für die zugehörigen Daten. Fig. 1 zeigt schematisch ein derartiges Tagbogendiagramm. Der dem Datum N zugeordnete Tagbogen ist kräftig ausgezogen.
Das nachfolgend beschriebene, als Tagbogenschreiber bezeichnete Ausführungsinstrument, an Hand dessen das Verfahren erläutert wird, ist ein Beispiel einer möglichen Realisierung des Instruments.
Es besteht aus einem Theodoliten mit vier Hauptkreisen (bzw. -achsen), deren Bezeichnung und Funktion die folgende ist (Fig. 2, schematisch): - Grundkreis (G) mit Niveauschrauben, Libelle und
Arretiervorrichtung. Er dient der Horizontal justierung und Azimutorientierung des Instru mentes.
- Breitenkreisquadrant (B). Er liegt auf der beweg lichen Seite des Grundkreises und ist arretierbar.
Seine Achse verläuft bei justiertem Grundkreis horizontal und in Richtung West-Ost. Mit seiner
Hilfe wird die geographische Breite des Standortes eingestellt, das heisst, die Achse des Stunden kreises (S) wird parallel zur Erdachse gerichtet.
- Stundenkreis (S). Er ist auf der beweglichen Seite des Breitenkreises senkrecht zu diesem angebracht und ist mit einem Schneckenantrieb versehen (M).
Er dient zur Nachführung eines Fernrohres in paralleler Richtung zur scheinbaren Sonnenbahn.
Auf der fixen Seite des Stundenkreises sitzt koaxial zur Stundenachse eine Registriertrommel (R).
- Deklinationskreis (D). Er befindet sich auf der beweglichen Seite des Stundenkreises und trägt auf einem Kurbelzapfen (A) drehbar das Fernrohr (F), das aus praktischen Gründen ein abgewinkel tes Okular besitzt. Ein weiterer Punkt des Fern rohres ruht auf einer mit dem Stundenkreis fest verbundenen Gleitschiene, die als Leitkurve (L) ausgebildet ist. Diese Leitkurve kann auch am
Fernrohr oder am D eklinationskreis angebracht sein. Der Deklinationskreis gestattet die Hebung und Senkung des Fernrohres im Deklinations bereich der Sonne von + 23 50 mittels eines
Schneckenantriebes (Q).
Stundenkreis und Deklinationskreis bestimmen die Lage von anvisierten Horizontpunkten, ausgedrückt in Stunden- und Deklinationswerten der Sonne. Durch die zwei manuell zu betätigenden Schneckenantriebe wird das Fadenkreuz des Fernrohres der Horizontlinie nachgeführt. Dabei wird die Bewegung über eine Schreibschiene (K )und einen Schreibschlitten (P) auf einen Schreibstift übertragen und auf der Registriertrommel aufgezeichnet. Da Stundenkreis und Trommel die gleiche Achse besitzen, folgt eine direkte, lineare Übertragung der Stundenwerte. Die Deklinationsbewegung wird an der Peripherie des Deklinationskreises abgenommen und durch einen Kabelzug in eine translatorische Bewegung des Schreibstiftes übergeführt. Dieser bewegt sich dabei längs einer Mantellinie der Trommel.
Die Kopplung zwischen der Bewegung des Deklinationskreises und des Schreibstiftes kann auch auf anderen Mechanismen, z. B. auf einer Zahnstange oder einer Friktionsstange, beruhen; wesentlich ist eine bestimmte, bei dieser Übertragung zu erfüllende geometrische Beziehung zwischen der Fernrohrdeklination und der Ordinatenbewegung des Schreibstiftes. Diese Beziehung muss mit der naturgegebenen Funktion zwischen Sonnendeklination und Datum in Übereinstimmung gebracht werden, damit auf dem Diagrammstreifen eine lineare Datumskala (Ordinatenskala) erzielt wird.
Dies sei nachfolgend erläutert:
Die Sonnendeklination 6 ist in bezug auf das Datum bzw. die fortlaufende Tageszahl d (vom Datum einer Tag- und Nachtgleiche an gerechnet) in grober Näherung eine Sinusfunktion: sin (2 = 8,,,sin (2d/365) wobei 6,,, = 23,450 (Amplitude der Deklination).
Eine angenäherte Wiedergabe dieser Funktion wird auf mechanischem Weg mit der in Fig. 3 skizzierten Anordnung erreicht, wenn sich der Punkt A bei konstant gehaltener Strecke AC im Bereich EG bzw. EH bewegt und der Punkt C längs der Geraden CE gleitet.
Es bedeuten: r = Radius des Kreises (D), entspricht dem Dekli nationskreis, s = Strecke CA parallel zur Fernrohrachse, z = Bogenlänge auf dem Deklinationskreis, ent sprechend der Deklination 8, a = zu 8 gehöriger Drehwinkel des Deklinations kreises.
Durch eine Abwicklung wird der Bogen z als gleich lange Strecke auf den Zylinder (R) (entspr. Registriertrommel) übertragen.
Das Verhältnis rls sei durch die Bedingung rls = sin in festgelegt.
Gesucht ist die Beziehung zwischen z und b. Man findet: sin S = (ris) sin a, oder mit a = zlr und ris = sin b (2) sind b = sin bI1l i sin (als)
Soweit als sin 8 durch den Winkel 8 ersetzt werden darf - das heisst für kleine Deklinationswerte -, stimmen die Funktionen (1) und (2) überein, so dass für diesen Fall die Länge des Bogens z ein lineares Mass für die Tageszahl d darstellt. Für grössere Deklinationswerte wird die Angleichung mittels der Leitkurve gefunden.
Auf diesem Grundprinzip beruht die Ubertra- gung der Deklinationsbewegung auf den Schreibstift.
Abgesehen von der Korrektur, die sich aus der Diskrepanz zwischen sin 8 und < 3 ergibt, ist noch eine weitere Korrekturmassnahme nötig, da Gleichung (1) die wirkliche Sonnendeklination nur ungenau wiedergibt. Das Sommerhalbjahr zählt von der Frühlings Tagundnachtgleiche (21. März) bis zur Herbst-Tagundnachtgleiche (23. September) 186 Tage, ist also um 7 Tage länger als das Winterhalbjahr mit 179 Tagen. Dieser Asymmetrie der wirklichen Deklinationsfunktion wird dadurch Rechnung getragen, dass der Deklinationskreis im oberen Quadranten über den Kulminationspunkt G hinaus bis G' gedreht wird, während der untere Quadrant eine entsprechende Verkürzung erfährt. Der kleine Bogen GG' bzw. HH' misst l, 730 und entspricht auf der Datumskala 3,5 Tagen.
Verbleibende Abweichungen zwischen der wirklichen Funktion und Gleichung (1) sowie die Differenz zwischen Gleichung (1) und (2) werden durch die erwähnte Leitkurve gesamthaft korrigiert.
Ihre Form wird wie folgt ermittelt:
Für eine Anzahl von Tagen (z-Werten) werden nach Gleichung (2) die unkorrigierten Fernrohrdeklinationen berechnet. Deren Differenz d gegen die richtigen, dem Astronomischen Jahrbuch zu entnehmenden Deklinationszahlen lassen sich gemäss Gleichung (3) in Ordinatenwerte der Leitkurve, bezogen auf die Basisrichtung CE, umrechnen.
(3) h = (d s)jcos < 3 (1 = Winkeldifferenz im Bogenmass)
Die zugehörigen Abszissenwerte betragen: (4) x = r [cotg 6,,, - cos Bisin sin l, + cos (z I r)]
Der Nullpunkt von x ist durch die Auflagerstelle bei maximaler Deklination ( < 3 = 8,,,) bestimmt. Für positive und negative Deklinationen erhält man zunächst zwei verschiedene Leitkurven. Die Korrekturen erweisen sich indessen als klein, und noch kleiner sind die Differenzen der beiden Leitkurven.
Es lässt sich daher eine für positive und negative Deklinationen brauchbare gemittelte Leitkurve festlegen. Die dabei verbleibenden Deklinationsfehler betragen maximal + 5', was rund einem Sechstel Sonnendurchmesser entspricht.
Die wirkliche Deklinationsfunktion ist zeitlich nicht unveränderlich. Da die Dauer der Eigendrehung der Erde und diejenige des Sonnenumlaufs in keinem rationalen Verhältnis zueinander stehen, verschieben sich die Äquinoktialpunkte von Jahr zu Jahr. Durch Einschieben des Schaltjahres werden sie periodisch wieder in den gleichen Datumbereich gerückt. Bei der Tagbogenmessung wird man im allgemeinen diese Verschiebung nicht berücksichtigen, sondern die Besonnungsverhältnisse auf ein Standardjahr, z. B. ein mittleres zwischen zwei Schaltjahren liegendes Jahr beziehen.
Das beschriebene Tagbogeninstrument ist daher für ein solches Standardjahr gerechnet worden. Es ist aber durchaus möglich, durch eine Verschiebung des Schreibstiftes und eine Spezialeichung der Datumskala die Tagbogen für irgendein individuelles Jahr zu untersuchen.
Das Instrument wird mit Hilfe des Geländes oder der Sonne nach Süden orientiert. Die Südmarke auf dem Stundenkreis entspricht 1200h wahrer Sonnenzeit für den betreffenden Standort. Im allgemeinen wird man die Zeitangaben aber in bürgerlicher Regionalzeit, z. B. mitteleuropäischer Zeit, vorziehen.
Die Umrechnung von wahrer Ortszeit (WOZ) in mitteleuropäische Zeit (MEZ) lautet: MEZ = WOZ + 1 h - /2, - ZG = östliche Länge des Standortes
ZG = Zeitgleichung
Die durch die geographische Länge bedingte Zeitkorrektur (im Fall der MEZ 1 h - e) wird vor der Aufnahme durch eine Verschiebung des Diagrammpapiers vorgenommen. Hierzu ist die in Frage kommende Regionalzeitmarke auf der Trommel mit dem Wert der geographischen Länge auf der Diagrammskala zur Deckung zu bringen. Solche Marken sind für die gebräuchliche Regionalzeitrechnung vorgesehen.
Die astronomische Zeitgleichung, eine auf der Unregelmässigkeit des Sonnenumlaufes beruhende Korrektur, ändert mit dem Datum und ist bei der Ablesung der Sonnenauf- und -untergangszeit von Fall zu Fall zu berücksichtigen. Alle nachträglichen Korrekturen erübrigen sich, wenn ein vorgedrucktes Diagrammpapier (evtl. zweifarbig) verwendet wird, dessen Ordinatenlinien entsprechend dem Verlauf der Zeitgleichung gekrümmt sind. Fig. 4 zeigt den Ausschnitt eines Diagrammrasters, das alle Korrekturelemente enthält. Die ausgezogenen Linien korrespondieren mit der linken Datumskala (Frühlingshalbjahr), die gestrichelten Linien mit der Skala rechts (Herbsthalbjahr). Eine feinere Unterteilung der Datum- und Zeitlinien ist in der Figur weggelassen. Am unteren Rand ist eine auf 9" östliche Länge eingestellte Regionalzeitmarke sichtbar.
Die Südmarke zeigt für dieses Beispiel eine Zeitverschiebung von etwa 24 Minuten an, bezogen auf den 22. Dezember.
Die Vorteile des beschriebenen Verfahrens und der damit erzielte Fortschritt können wie folgt umschrieben werden: - Beim Messvorgang am Standort sind praktisch keine Zahlenablesungen und Aufzeichnungen vor zunehmen, was eine wesentliche Zeitersparnis be deutet.
- Das mit der Fernrohrbewegung selbsttätig auf gezeichnete Diagramm bedarf einer minimalen
Bearbeitung, um zu den gewünschten Grössen zu gelangen, indem die Zeiten des Sonnenauf- und -unterganges direkt ablesbar sind, die Tagbogen längen mittels eines Massstabes direkt als gerade
Strecken gemessen werden können, und die Sum menwerte der möglichen Sonnenscheindauer sich für beliebige Zeitabschnitte rasch mittels einer einfachen Planimetrierung gewinnen lassen.
- Das Verfahren kann mit ein und demselben In strument und mit dem gleichen Diagrammpapier in allen geographischen Breiten und Längen an gewendet werden.