KAPSELN MIT VERZÖGERTER FREISETZUNG DURCH IN DER KAPSEL ENTHALTENDEN POLYPHENOLHALTIGEN PFLANZENEXTRAKT
Die vorliegende Erfindung betrifft Gelatinekapseln mit verzögerter Freisetzung des Kapselinhalts zur Verwendung als orale Darreichungsform für Nahrungserganzungsmittel, Diatetika und Arzneimittel, wobei die Verzögerung der Freisetzung durch einen in der Kapsel enthaltenen Pfianzenextrakt bewirkt wird.
Bei vielen Nahrungsergänzungsmitteln, Diatetika und Arzneimitteln ist es wün- sehenswert, daß der Wirkstoff erst eine bestimmte Zeit nach der Einnahme oder in einem bestimmten Abschnitt des Magen-Darm-Traktes aus der Darreichungsform freigegeben wird. Ziel dieser zeitlich oder örtlich gesteuerten Freisetzung ist es, entweder den Verwender vor den unangenehmen Eigenschaften des Wirkstoffes zu schützen (z.B. schlechter Geschmack, schleimhautreizende Wirkung, unange- nehmes Aufstoßen) oder den Wirkstoff vor der Zerstörung durch den aggressiven Magensaft zu schützen oder eine verbesserte Aufnahme der Wirkstoffe in den Körper durch Freisetzung im Dünndarm zu erzielen.
Diese verzögerte Freisetzung ist insbesondere dann wünschenswert, wenn die zu applizierenden Wirkstoffe Pfian∑enextrakte sind, die bei einem zu schnellen Zerfall der Kapsel einen unangenehmen Geschmack oder Geruch beim Aufstoßen zur Folge haben oder Stoffe enthalten sind, die im Magen abgebaut werden können.
Eine bevorzugte Darreichungsform für diese Nahrungserganzungsmittel, Diatetika und Arzneimittel ist die Kapsel, die mit flüssigen, halbfesten oder festen Stoffen befüllt werden kann und deren Hülle meist aus Gelatine besteht. Besonders geeignet sind Weichgelatinekapseln, weil deren Herstellung, Befüllung und Verschließen in einem Schritt erfolgt, der Kapselinhalt gut gegen Umwelteinflüsse wie Feuchte und Sauerstoff geschützt ist und weil diese Kapseln sehr leicht einzu- nehmen sind.
Ganz allgemein kann die Freisetzung von Stoffen im Magen-Darm-Trakt aus einer Kapsel durch Veränderung des Kapselinhaltes oder durch Veränderung der Kap-
selhülle gesteuert werden. Zum Beispiel beschreibt die EP 0243930 B1 eine in Gelatine eingekapselte Zusammensetzung mit kontrollierter Freisetzung, bestehend aus einer festen Matrix, die aus einer flüssigen Füllung aus einem pflanzlichen Gummi und dem Wirkstoff durch Zusatz von Kationen gebildet wird. Nachtei- lig ist bei dieser Art von Verfahren, daß zusätzliche spezielle Hilfsstoffe zu der Kapselfüllmasse hinzugefügt werden müssen, um eine die Freisetzung kontrollierende Matrix zu erhalten.
Weitaus häufiger werden Zubereitungen und Verfahren eingesetzt, bei denen die Freisetzung durch Veränderung der Kapselhülle erreicht wird, wobei entweder Stoffe zum Kapselhüllenmaterial zugefügt werden oder ein funktioneller Überzug auf die fertige Kapsel aufgebracht wird. Ein Beispiel für die Steuerung der Freisetzung durch Zusätze zum Kapselhüllenmaterial ist die EP 0240581 B1, bei der physiologisch und toxikologisch unbedenkliche Aldehyde mit mindestens 4 Kohlenstoffatomen zum Gelatinesud zugegeben werden und der Sud in an sich bekannter Weise zu Kapseln weiterverarbeitet wird. Ein Nachteil dieses Verfahrens besteht darin, daß zusätzliche Stoffe in die Kapselhülle eingebracht werden müssen, die einen unerwünschten Einfluß auf die Eigenschaften der Kapsel oder die verkapselten Inhaltsstoffe haben können.
Eine spezielle Ausführungsform dieser aldehydgehärteten Gelatinekapseln beschreibt die EP 1091659 B1 , bei der fertige Kapseln mit einer Lösung aus Xylose, Ethanol und Wasser unter Anwendung von Wärme besprüht und anschließend über einen bestimmten Zeitraum wärmebehandelt werden. Dieses Verfahren ist technisch und zeitlich sehr aufwendig, da das eingesetzte Lösungsmittel während des Prozesses praktisch vollständig entfernt werden muß und Ethanol als brennbares organisches Lösungsmittel nur unter speziellen technischen Bedingungen verwendet werden kann.
Eine weitere Möglichkeit, die Freisetzung der Kapseln zu beeinflussen, sind sogenannte Lackier- oder Coating-Verfahren. Hierzu werden Polymere verwendet, die im stark sauren Magensaft unlöslich, im annähernd neutralen Darmsaft (d.h. ab ca. pH 5 - 6) dagegen löslich sind. Bei diesem Verfahren werden geeignete Poly-
mere (z.B. Hydroxypropylmethylcellulosephthalat) gelöst und diese Lösung in einem rotierenden Kessel oder einem Coater auf die Kapseln aufgetragen. Gleichzeitig wird das Lösungsmittel durch große Mengen an erwärmter Luft verdampft und das ausgefallene Polymer bildet auf den Kapseln einen Überzug. Dieses Verfahren ist technisch und zeitlich sehr aufwendig.
Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung besteht somit darin, den Zerfall von Kapseln und die Freisetzung des Kapselinhaltes bei oraler Verabreichung in einer neuen, vereinfachten und sicheren Form zu beeinflussen.
Überraschenderweise wurde gefunden, daß diese Aufgabe durch die Verwendung von polyphenolhaltigen Pflanzenextrakten als Bestandteil der Kapselfüllmasse, d.h. des Kapselinhalts gelöst werden kann. Die Bezeichnung Polyphenole umfasst einfache Phenolcarbonsäuren wie z. B. Gentisinsäure, Protocatechusäure, Gallussäure oder Kaffeesäure, weiterhin Flavone wie z. B. Kampferöl, Quercetin, Myricetin, Isomamnetin, Naringenin, 6-Prenylnaringenin, 8-Prenylnaringenin, Isoxanthohumol und deren Glykoside, Chalkone wie ∑. B. Xanthohumol, Isoflavone wie z. B. Daidzein und Genistein, Anthocyane wie z. B. Pelargonidin, Cyanidin, Malvidin oder Delphinidin, Gerbstoffe wie z. B. Catechin und Epicatechin sowie deren Oligomere und Polymere.
Beispielhaft aber nicht ausschließlich seien folgende Pflanzen genannt, die reich an Polyphenolen sind: Camellia sinensis, Crataegus monogyna, Ginkgo biloba, Humulus lupulus, Hypericum perforatum, Krameria triandra, Potentilla tormantilla, Pterocarpus marsupium, Quercus-Arten, Uncaria gambir, Vaccinium myrtillus, Vitis vinifera.
Diesen Pflanzen ist gemeinsam, daß sie einen hohen Anteil an Polyphenolen enthalten, die mit der Gelatine der Kapselhülle in Wechselwirkung treten können. Dieser an sich seit langem bekannte sogenannte Gerbeffekt ist auf die Fähigkeit der Polyphenole zurückzuführen, mit anderen Molekülen (insbesondere Proteinen) Bindungen einzugehen (ausführlich beschrieben in Hansel, Sticher, Steinegger, Pharmakognosie - Phytopharmazie, Springer Verlag Heidelberg, 1999, Seite
877). Gelatine ist ein solches natürliches Protein oder Polypeptid, das durch hydrolytischen Abbau von Kollagen gewonnen wird.
Mit der vorliegenden Erfindung werden nun erstmalig polyphenolhaltige Pfianzen- extrakte eingesetzt, um die Freisetzung von Wirkstoffen aus Gelatinekapseln gezielt zu beeinflussen, wobei diese Art der Zerfallsverzögerung bei allen Kapselmaterialien eingesetzt werden kann, die in der beschriebenen Weise eine Wechselwirkung mit Polyphenolen zeigen. Ein weiterer Vorteil dieser Zubereitungen besteht darin, daß der verwendete Pflanzenextrakt gleichzeitig einen der zu appli- zierenden Wirkstoffe darstellt, d.h. es müssen keine zusätzlichen Zusatzstoffe wie z.B. Überzugs-, Härtungs- oder Verdickungsmittel zugefügt werden, um die verzögerte Freisetzung zu erreichen.
Da Pflanzenextrakte meist in pulverförmiger Form vorliegen und aufgrund der schlechten Dosierbarkeit nicht direkt abfüllbar sind, werden die Extrakte vor der Abfüllung in die Kapseln mit lipophilen, mit Wasser nicht-mischbaren flüssigen Trägerstoffen, wie z.B. Pflanzenölen gemischt. Diese fließfähige Mischung ist zur Abfüllung in Kapseln gut geeignet. Gegebenenfalls werden weitere Stoffe wie z.B. partiell oder vollständig hydrierte Pflanzenöle, Bienenwachs, Lecithin, Neutralöl, Hartfett und hochdisperses Siliciumdioxid zur Kapselfüllmasse hinzugefügt, um die Konsistenz der Mischung einzustellen und eine Entmischung von flüssigem Träger und festem Pflanzenextrakt zu verhindern. Um die Auflösung des aus der Kapsel freigesetzten Kapselinhaltes zu beschleunigen können auch amphiphile, oberflächenaktive Substanzen und Emuigatoren wie z.B. Sorbitanmonooleat zugefügt werden.
Die Extrakte können nach an sich bekannten Herstellungsverfahren in variabler Zusammensetzung mit Lösungsmitteln wie z. B. Wasser, Methanol, Ethanol, 2- Propanol, Aceton, etc. und deren Gemischen, bei Temperaturen von Raumtemp. bis 100 °C unter gelinder bis heftiger Durchmischung oder durch Perkolation innerhalb von 10 Min. bis 24 Std. unter Normaldruck oder erhöhtem Druck erhalten werden. Zur Anreicherung von wirksamkeitsrelevanten Komponenten können weitere Konzentrierungsschritte durchgeführt werden wie z. B. flüssig-
flüssig-Verteilung mit z. B. 1-Butanol/Wasser oder Ethylacetat/Wasser, Adsorption-Desorption an Ionenaustauscher, LH20, HP20 und andere Harze oder chromatographische Abtrennungen über RP18, Kieselgel, etc.. Die Weiterverarbeitung zu Trockenextrakten erfolgt nach an sich bekannten Verfahren durch Abziehen des Lösungsmittels bei erhöhter Temperatur und/oder reduziertem Druck.
Eine besonders bevorzugte Ausführungsform der zerfallsverzögerten Kapseln ist die Kombination aus einem polyphenolhaltigen Pflanzenextrakt und einem Öl mit einem hohen Gehalt an omega-3-Fettsäuren, insbesondere Periilasamenöl, Nachtkerzensamenöl, Johannisbeerkernöl, Fischöl, Borretschöl oder Leinöl, weil sowohl die polyphenolhaltigen Pflanzenextrakte als auch die genannten pflanzlichen Öle chronisch-entzündliche oder immunologische Erkrankungen sowie Fettstoffwechselstörungen günstig beeinflussen.
Bevorzugt sind Gelatinekapseln, die eine der nachfolgenden Kombinationen enthalten: Extrakt aus Vitis vinifera (Traubenkernβjctrakt, d.h. Extrakt aus Kernen der roten und/oder weißen Weintrauben) und Periilasamenöl, Extrakt aus Vitis vinifera (Rotweinextrakt, d.h. Extrakt aus roten Weintrauben) und Periilasamenöl, Extrakt aus Potentilla tormentilla und Leinöl, Extrakt aus Crataegus monogyna und Leinöl, Extrakt aus Camellia sinensis und Borretschöl, Extrakt aus Ginkgo biloba und Borretschöl, Extrakt aus Krameria triandra und Nachtkerzensamenöl, Extrakt aus Vaccinium myrtillus und Nachtkerzensamenöl, Extrakt aus Hypericum perforatum und Fischöl, Extrakt aus Humulus lupulus und Fischöl, Extrakt aus Uncaria gambir und Johannisbeerkernöl, Extrakt aus Quercus und Johannisbeerkernöl, Extrakt aus Pterocarpus marsupium und Periilasamenöl, Extrakt aus Camellia sinensis und Periilasamenöl, sowie Extrakt aus Vaccinium myrtillus und Periilasamenöl.
Die Verzögerung der Wirkstofffreisetzung ist erfindungsgemäß unabhängig davon, ob es sich bei den Gelatinekapseln um Hart- oder Weichgelatinekapseln handelt, da sich diese lediglich im Weichmacher- und Wassergehalt unterscheiden.
Beispiel 1 :
Periilasamenöl (75 Teile) wird mit Hartfett (12 Teile) gemischt und unter Rühren auf 40 °C erwärmt. Hochdisperses Siliciumdioxid (5 Teile) und Traubenkemextrakt (8 Teile) werden zu der flüssigen Phase hinzugefügt und unter Rühren verteilt. Je 0,6 g der erhaltenen Suspension werden in eine Gelatinekapsel abgefüllt. Die verschlossenen Kapseln werden bei erhöhter Temperatur gelagert.
Die Traubenkemextrakt enthaltenden Kapseln zeigen bei der Zerfallsprüfung in künstlichem Magensaft eine verlängerte Zerfallszeit verglichen mit den Kapseln, die keinen Traubenkemextrakt enthalten.
Beispiel 2:
Periilasamenöl (69 Teile) wird mit Hartfett (11 Teile) gemischt und unter Rühren auf 40 °C erwärmt. Hochdisperses Siliciumdioxid (5 Teile) und Rotweinextrakt (15 Teile) werden zu der flüssigen Phase hinzugefügt und unter Rühren verteilt. Je 0,65 g der erhaltenen Suspension werden in eine Gelatinekapsel abgefüllt. Die verschlossenen Kapseln werden bei erhöhter Temperatur gelagert.
Die Rotweinextrakt enthaltenden Kapseln zeigen bei der Zerfallsprüfung in künstlichem Magensaft eine verlängerte Zerfallszeit verglichen mit den Kapseln, die keinen Rotweinextrakt enthalten.
Beispiel 3:
Nachstehend sind die Ergebnisse zur Beeinflussung der Zerfallszeit von Weichgelatinekapseln durch Verkapselung von polyphenolhaltigen Pflanzenextrakten und Lagerung bei unterschiedlichen Bedingungen zusammengefaßt.
Tabellen 1 und 2:
Zunahme der Zerfallszeit von Weichgelatinekapseln gemäß Beispiel 2 bei Lagerung unter verschiedenen Bedingungen (Prüfung der Zerfallszeit gemäß dem Europäischen Arzneibuch an 6 Kapseln in künstlichem Magensaft, 0,1 N HCI; Zerfallszeit vor der Lagerung = 4 min).
Der Ausgangswert für die Kapselöffnungs∑eit vor der Inkubation bei erhöhter Temperatur/Feuchte lag bei 4 min. Ohne den Zusatz des polyphenolhaltigen Pflanzenextraktes bleibt die Zerfallszeit auch bei Lagerung unverändert, durch den Zusatz des Pflanzenextraktes und die Lagerung wird die Zerfallszeit der Kapseln verlängert. Die Lagerung in Abwesenheit von Wasserdampf führt zu einer stärkeren Verlängerung der Zerfallszeit. Durch den Zusatz des polyphenolhaltigen Pflanzenextraktes und die Lagerung unter definierten Bedingungen kann die Zerfallszeit von Weichgelatinekapseln somit gezielt beeinflußt werden, wie an zwei Kapselchargen, die zwei verschiedene Chargen des Rotweinextraktes enthalten, gezeigt wurde.