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Verfahren zur schnellen Gewinnung von ertragreichem Neuland an Meeresküsten
Es ist bekannt, daß an vielen Küsten Meeresströmungen vorhanden sind, bei denen
zu gewissen Zeiten in natürlichen und künstlichen, durch Buhnen oder Lahriungen
hergestellten Buchten viele im Wasser schwebende feinste Ton- oder Kalktonteilchen,
meist mit feinstem Triebsand und Muschelkot vermischt, zur Ablagerung kommen, wobei
Schlick- und Schlicksandbänke gebildet werden, die ihrerseits die Bildung weiterer
Anlandungen unterstützen. Wenn die Anlandungen, Watten genannt, bis über die Höhe
des Niedrigwassers aufgelandet sind, begrünt sich der Schlick durch besondere Familien
von Seegräsern, hauptsächlich dem Queller. Die Vegetation gedeiht hier besonders,
wenn das Watt nicht überflutet ist. Kommt dann infolge der Gezeitenbewegung wieder
frisches sinkstoffhaltiges Meerwasser auf die Watten, so Schlicken diese immer mehr
auf. Beschleunigt wird diese Auflandung durch die immer dichter werdenden Quelleransiedlungen.
Nach so beschleunigter natürlicher Auflandung lohnt es sich für den Menschen, der
Natur durch künstliche Maßnahmen nachzuhelfen. Dies geschieht dadurch, daß man durch
Herstellung zahlreicher kleiner Gräben (Grüppen) die Wattfläche in günstigem Winkel
zum Ufer aufteilt. In den Grüppen, die an ihrem unteren Ende abgedämmt werden und
die daher als Klärgruben wirken, setzen sich die von der Flut herangebrachten Schwebestoffe
ab. Der Neuschlick wird öfters ausgehoben und auf die zwischen den Grüppen liegenden
Flächen gebracht.
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Nachdem durch immer weitere Aufschlickung und Bewuchs das Watt mittelhochwasserfrei
geworden ist, wird es mit einem niedrigen Sommerdeich eingedeicht. Neue Gräserfamilien,
vor allem der Andel, siedeln sich dann auf dem eingedeichten Vorland an. Der Regen
beseitigt dabei das Zuviel der Salze aus dem verfestigten Schlickboden, der Marscherde.
Erst im Laufe weiterer Jahrzehnte erhöht sich das eingedeichte Vorland durch Neuschlickbildung
bei auflaufenden höheren Fluten weiter, bis es durch planmäßige Wiesen- und Weidekultur
und durch die allmähliche Weiteraufschlickung bei einer Höhe von etwa 1/2 m über
gewöhnlichem Hochwasser deichreif geworden sei. Dann wird zur Abwehr weiterer Überschwemmungen
der niedrige Sommerdeich zum spring- und sturmflutsicheren Seedeich ausgebaut, und
das Land zwischen diesem und dem bisherigen Deich, das nun mehr und mehr von nahrhaften
Süßgräsern besiedelt wird, kann in endgültig gesicherte Kultur genommen werden.
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Die Nachteile dieses bisher geübten Landgewinnungsverfahrens beruhenhauptsächlichzn
der langen Zeit, die vergeht, bis das Neuland deichreif geworden ist. Es dauert
meist mehrere Jahrzehnte, unter Umständen, wenn Sturmfluten wieder und wieder die
neugebildeten
Watten und Vorländer aufwühlen und mit sich fortreißen,
auch noch viel länger, bis deichreifes Neuland entstanden ist.
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Hier ist ein zusätzliches Verfahren nötig, das die Landgewinnungsarbeiten
bis zur Deichreife ohne Mehrkosten schneller zum Ziel zu führen gestattet.
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Dort, wo die Küstenströmung mehr kalkige Sinkstoffe mit sich führt,
hat man bisher überhaupt noch kein Mittel gefunden, die Wiederverlandung der Sinkstoffe
in auch nur technisch einwandfreier Weise herbeizuführen.
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Schon lange hat man die Notwendigkeit erkannt, die Neulandbildung
durch künstliche Maßnahmen zu beschleunigen, und es sind bereits viele Vorschläge
hierfür gemacht worden. Diese liefen alle darauf hinaus, durch wasserbautechnische
Maßnahmen, wie sie der Bau riesiger Buhnen und Dämine quer durch das Wattenmeer,
ja sogar quer durch das tiefere Meer, darstellt, große Becken mit ruhigerem Wasser
zu schaffen, in denen das Meerwasser seine wertvollen Sinkstoffe absetzt. Diese
Pläne kranken jedoch alle daran, daß der Zeitgewinn in einem zu ungünstigen Verhältnis
zum Kostenaufwand steht.
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Das neue Verfahren zur Beschleunigung der Anlandungen geht von dein
Gedanken aus, daß man bisher der Natur einerseits durch zwar sehr kostspielige,
jedoch nur langsam und beschränkt wirkende geometrisch-konstruktive Baumittel zu
sehr Zwang angetan, ihr andererseits aber in den mit großem Aufwand geschaffenen
Absetzbecken und Buhnenfeldern zu sehr freien Lauf gelassen hat. Durch die Erfindung
sollen die Nachteile der bisherigen Landgewinnungsverfahren dadurch beseitigt werden,
daß dem tonhaltigen oder kalktonhaltigen Wasser der Küstenströmung zum schnelleren
Setzen der Teilchen ein Fällmittel zugesetzt wird, z. B. Kalk. Fällinittel haben
die Eigenschaft, mit den im Wasser schwebenden Teilchen eine Verbindung, sei sie
nur chemischer oder chemischer und physikalischer Natur, einzugehen. Die entstehende
Verbindung bedingt, wenn nicht ein noch höheres spezifisches Übergewicht der Schwebeteilchen
gegenüber dem Wasser, so doch wenigstens eine erhebliche Volumenvergrößerung. In
jedem Falle wird dadurch ein stark beschleunigtes Setzen der Schwebeteilchen im
Wasser erzielt. Hierdurch. wird die Anlan= Jung naturgemäß sehr beschleunigt. Außerdem
ist infolge des Zeitgewinns die Gefahr des Wiederverlorengehens der neuen Wattflächen
durch Spring- und Sturmfluten herabgemindert. Schließlich ist durch die Zugabe solcher
Fällmittel noch die Möglichkeit einer Melioration des sich absetzenden Schlicks
und mithin einer Kulturverbesserung des Neulandes gegeben. Die Menge des zuzusetzenden
Fällmittels richtet sich außer nach der Art des Fällmittels nach dem beabsichtigten
Zeitgewinn und dein Ton- bzw. Kalkgehalt sowie der Strömungsgeschwindigkeit und
Turbulenz des Wassers der Küstenströmung.
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Es ist bei der Reinigung von Schmutzwässern auf chemisch-mechanischem
Wege schon bekannt, daß man durch Anwendung eines Fällmittels, z. B. Kalk oder Kalkmilch,
die im Wasser befindlichen Schwebestoffe schnell zum Absetzen bringen kann, um reines
Wasser zu gewinnen. Nach der Erfindung sollen dagegen die im Meerwasser vorhandenen
Schwebestoffe schnell niedergeschlagen werden, um die Landgewinnung zu beschleunigen;
hierbei werden also im Gegensatz zu dem bekannten Reinigungsverfahren, bei dem das
Wasser der zu bearbeitende Stoff ist, die im Wasser enthaltenen Schwebestoffe bearbeitet.
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In der kurzen Kenterzeit des Gezeitenstromes kann beim natürlichen
Setzvorgang selbst bei ganz ruhigem Wasser nur ein geringer Teil der Schwebestoffe
sich setzen, wohingegen bei Zusatz einer geringen Menge Fällmittel bei gleich ruhigem
Wasser sich fast alle Schwebestoffe ablagern, so daß von der Ebbeströmung nur wenig
Sinkstoffe mit ins Meer zurückgenommen werden. Fällmittel oder Schlammengen, die
bei unruhigem Wasser während der Kenterzeit nicht oder nicht zur genügend festen
Ablagerung gekommen und daher mit der Ebbeströmung wieder mit ins Meer zurückgeflossen
sind, bedeuten für das Verfahren keinen Stoffverlust; sie strömen vielmehr mit der
nächsten Flut auf die Watten bzw. Vorländer zurück, da das Meer alle Teile, die
spezifisch schwerer sind als das Meerwasser, wiederhergibt.
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Die Zugabe des Fällmittels kann z. B. bei Kalkzugabe im großen etwa
so vorgenommen werden, daß gemahlener Kalk oder Mergel von Schuten o. dgl. aus in
das auflaufende Flutwasser gestreut wird, wozu die geeigneten Zeiten auszuwählen
sind. Im Versuch zeigt sich, daß die Auflösung des Kalkstaubes im Wasser, d: h.
die Herstellung von Kalkmilch vor dem Einschütten, den Setzvorgang noch beschleunigt
bzw. eine Ersparnis an Fällmitteln mit sich bringt. Das kann im großen etwa so bewirkt
werden, daß der Kalkstaub in einen in oder an der Schute angebrachten Behälter geschüttet
wird, in welchen dauernd Wasser gepumpt wird. Aus seitlich oder unten am Kalkmilchbehälter
angebrachten öffnungen strömt dabei die fertige Kalkmilch bei fahrendem Schiff in
das auf die Wattflächen auflaufende Flutwasser.
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Sollte es sich im großen als zweckmäßig erweisen, das Fällmittel unmittelbar
in das
flachere, mit tiefergehenden Prähmen nicht befahrbare Wattenmeer
zu bringen, so wird sich dies durch flachgehende Fahrzeuge bei Kennzeichnung der
Priele ermöglichen lassen. Oft wird es schon genügen, wenn an gewissen Stellen des
Wattenmeeres die Aufschlickung mit Hilfe des Fallverfahrens örtlich beschleunigt
wird. Wirtschaftliche und technische Vorteile verspricht in gewissen Fällen auch
das in. gleicher Weise, aber von Land aus vorzunehmende strich- und haufenweise
Aufbringen des Fallmittels auf die Watten und Vorländer oder auch in der Nähe der
Landabbruchkanten, wobei die Brandungswellen bei der nächsten auflaufenden Flut
selbst die weitere Verteilung besorgen, welche die nachfolgende schnelle, regionale
Bildung des Fallsatzes veranlaßt.
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Die vorbeschriebenen Maßnahmen würden in einfachster Weise und mit
billigsten Mitteln durch Schaffung vieler kleiner Inseln und Barren,-mithin vorzüglicher
Absetzbecken das ermöglichen, was bisher in viel weniger der Verlandung förderlicher
Weise nur durch den Bau von sehr kostspieligen wasserbaulichen Anlagen zu erzielen
war.
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Die weitere Verlandung kann sich nach diesen örtlichen Maßnahmen,
durch die zahlreichen neu entstandenen Absetzbecken begünstigt, viel schneller vollziehen
als bisher.
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Bei in dieser Weise örtlich ungleichmäßiger Anwendung des Fallverfahrens
kann eine schnellere Verdichtung des Neuschlicks dadurch erzielt werden, daß man
die Falldämme so legt, daß sie in mehreren annähernd gleichlaufenden Reihen leicht
geneigt und schräg zu den Tiefenlinien zum Meer hinablaufen. Das sich zurückziehende
Wasser kann dann während der Ebbe langsam und doch reichlich wieder ablaufen und
läßt-einen bis zur nächsten Flut sich gutverdichtenden Fallsatz in Gestalt der erwähnten
Barren zurück. Die günstigste Zeit für die Herstellung solcher Barren, die nach
Vorplanung auszubaken sind, wird dann sein, wenn, nach einer Sturmflut, eine höher
auflaufende Flut viele ton- oder kalktonhaltige Sinkstoffe auf die Wattflächen bringt
und ein ruhigeres, trockenes Wetter herrscht, besonders in der wärmeren Jahreszeit,
in der die Verdichtung des Fallgutes durch eine stärkere Verdunstung begünstigt
wird. Um eine bessere Verdichtung zu erreichen, läßt man zweckmäßig die anzulegenden
Grüppen an ihrem unteren Ende unabgedämmt, so daß sie durch das Eigengewicht des
Schlicks ausgequetschte Wasser bei Ebbezeit leicht wieder in die von selbst entstehenden
Priele und von da nach dem Meere ablaufen kann. Der Schlick trocknet dann besser
aus, lagert sich fester ab und kann den Angriffen der mit der folgenden Flut etwa
auftretenden Wellen besser widerstehen.
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Findet sich. das Fallmittel, z. B. Kalk, in ausreichenden Mengen in
der Nähe, so wird das Verfahren noch verbilligt.
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Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit des neuen Verfahrens muß
bedacht werden, daß hierbei voraussichtlich gegenüber dem bisher üblichen Verfahren
mindestens ein gleich hoher Betrag an wasserbaulichen Arbeiten gespart werden kann,
da viele derselben nicht mehr notwendig oder doch nicht mehr in demselben Maße und
nicht mehr während der gleichen Zeitdauer notwendig sind. Außerdem aber besteht
nach dem treuen Verfahren der entscheidende Vorteil des sehr erheblichen Zeitgewinns
bei der Landgewinnung sowie der mögliche Vorteil der gleichzeitigen Bodenmelioration.
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Voraussichtlich wird sich bei der Anwendung des Fallverfahrens zur
Beschleunigung der Anlandungen die Flora auf den Watten und Vorländern gegenüber
den jetzigen Landgewinnungsverfahren infolge der geringen Fällmittelbeimischung
zum Schlick ändern. Großversuche, beispielsweise mit Kalk- oder Mergelzugabe, lassen
(erwarten, daß durch die weitgehende Sulfatbindung im Neuschlick gleichzeitig auch
der Vorgang des für die Neulandbildung so außerordentlich wichtigen Pflanzenwuchses
und damit auch die Neulandbildung selbst noch mehr beschleunigt wird.