Die
Erfindung betrifft einen modularen, kryogenen Feststoffraketentreibsatz
mit Brennelementen aus verschiedenen Treibstoffkomponenten, beispielsweise
Brennstoffe, Oxydatoren, energiesteigernde Zusätze, Binder Additive etc.,
für alle
herkömmlichen
und sonstigen Anwendungen von Feststoffraketen, wobei der Treibsatz
mindestens teilweise fragmentiert ist, d.h. dass mindestens eine
der Komponente nicht in der herkömmlichen
innigen Mischung mit den anderen Komponenten, sondern in Form eines
oder mehrerer makroskopischer Brennelemente mit beliebiger zweckentsprechender
geoemetrischer Gestaltung vorliegt.
Damit
betrifft die Erfindung das technische Gebiet der Raketenantriebe
und darin Herstellung, Aufbau, Zündung
und Verbrennung, sowie die Herstellung, den Aufbau und die sichere
Lagerung von kryogenen, modularen Feststofftreibsätzen. Als
Feststofftreibsatz wird in diesem Zusammenhang der in einer bestimmten
geometrischen Form (welche die zeitliche Entwicklung der Abbrandrate
und damit jene des Triebwerkschubes bestimmt) vorliegende, einfache
oder zusammengesetzte Treibstoffblock einschließlich eventueller Ein- oder
Anbauten verstanden, die aus mechanischen Gründen, als Dichtungen, als Abbrandinhibitoren
oder aus anderen Gründen
angebracht und meistens beim Abbrand verbraucht werden.
Stand
der Technik bei festen Raketentreibstoffen sind Treibsätze aus
Doppelbasis- oder Komposittreibstoffen oder aus Kombinationen beider. Doppelbasistreibstoffe
bestehen aus verschiedenen organischen Nitroverbindungen (z.B. Nitrozellulose und
Nitroglyzerin), Komposits aus Salzen sauerstoffreicher, anorganischer
Säuren
als Oxydator und brennbaren Kunststoffen als Brennstoff (z.B. Ammoniumperchlorat
mit Polybutadien). Zur Energiesteigerung können Metallpulver beigemengt
werden (z.B. Aluminium). Andere Additive werden zur Beeinflussung
des Abbrandverhaltens, der chemischen Stabilität oder der mechanischen Eigenschaften
zugesetzt. Die Komponenten werden in ausgeklügelten Verfahren gemischt,
geformt und ausgehärtet.
In allen Fällen
sind die entstehenden festen Treibstoffblöcke entweder völlig homogen
oder abgesehen von einer gewissen Körnung quasihomogen (in Form
von Oxydatorpartikeln, die im Binder eingebettet sind). Eine Ausnahme
von dieser Homogenität
bilden Treibstoffe, bei welchen die Metalladditive zur Beeinflussung
der Abbrandgeschwindigkeit in Form von Drähten in den eigentlichen Treibstoff
eingebettet sind.
Diese
homogenen oder quasihomogenen Treibstoffe werden hier als „Monergole" (Einkomponentensysteme)
bezeichnet, sofern man jeden Treibstoffbestandteil, der einen eigenen
Lagerraum (Tank oder Brennkammer) braucht als eine separate Komponente
zählt.
In allen Fällen
sind die festen Monergoltreibstoffblöcke nach dem Stand der Technik
außerdem
in einem definierten Temperaturbereich lagerfähig, der die normale Umgebungstemperatur (z.B.
30 bis +80 Grad Celsius) enthält,
ohne zu schmelzen oder sich kurzfristig anderweitig zu verändern. Falls
der Treibsatz Bereiche mit unterschiedlicher Zusammensetzung und
daher unterschiedlicher Abbrandgeschwindigkeit enthält (z.B.
in so genannten „Dual
Propellant Grains")
ist jeder dieser Bereiche ein vollständiger Festtreibstoff. Es handelt
sich also nicht um einen fragmentierten Treibstoff, sondern um zwei
zusammengesetzte Treibstoffe. Alle vorgenannten Treibstoffe werden
nachfolgend als „konventionelle
Treibstoffe" bezeichnet,
unbeschadet der Tatsache, dass diese auch sehr exotische Komponenten
enthalten können.
Konventionelle Feststoffantriebe haben nieder- bis mittelenergetische spezifische
Impulse („IsP", ein Maß für die raketentechnische
Qualität
der Treibstoffe in der Einheit Sekunden) meist weit unter 300 Sekunden.
(Zum Stand der Technik siehe z.B. ALAIN DAVENAS, Ed.: „Solid Rocket
Propulsion Technology",
Pergamon Press Oxford, Buch 1993).
Kryogene
Festkörper
werden bisher experimentell nur in Hybridantrieben und in Flüssigkeitsantrieben
untersucht. Fester Wasserstoff wurde experimentell als Slurry-Wasserstoff
(mit bis zu 50% Festwasserstoffgehalt) in einem Flüssigkeitstriebwerk
getestet (s. 33rd AIAA/ASME/SAE/ASEE Joint Propulsion Conference
and Exhibit, Washington State Convention and Trade Center, Seattle,
WA July 6-9, 1997, AIAA-96-2688). Am USAF-Phillips Lab 8Edwards9
läuft seit
1994 Vertragsforschung an kryogenen Hybriden (diergolen Raketenantrieben
mit einer festen und einer flüssigen
Komponente). Publiziert wurden Arbeiten an Hybriden mit gefrorenen Kohlenwasserstoffen
(s. C.LARSON, USAF-Phillips Lab, 33rd A/AA/ASME/SAE/ASEE Joint Propulsion Conference
and Exhibit, Washington State Convention and Trade Center, Seattle,
WA July 6-9, 1997-96-3076).
Beim
Stand der Technik bei Flüssigkeitsantrieben
ist zwischen lagerfähigen
und kryogenen Treibstoffen zu unterscheiden. Es gibt monergole (z.B.
Hydrazinkatalysetriebwerke) und diergole Flüssigkeitsantriebe (letztere
mit Brennstoff und Oxydator in zwei getrennten Tanks). Alle Flüssigkeitsantriebe brauchen
ein geeignetes Fördersystem.
Wegen der damit verbundenen Vielzahl von Subsystemen erreichen sie
nicht die hohe Betriebszuverlässigkeit
der Feststoffantriebe. Lagerfähige
Flüssigkeitsantriebe (z.B.
Distickstofftetroxyd mit verschiedenen Hydrazintreibstoffen) haben
mittelenergetische spezifische Impulse von 300 bis etwa 330 Sekunden.
Kryogene können
hochenergetisch sein. Die Spitzenleistung liegt bei der Kombination
Flüssigwasserstoff/Flüssigsauerstoff
mit 391 sek (alle Angaben beim Standardentspannungsverhältnis 68:1).
Semikryogene Kombinationen (z.B. Flüssigsauerstoff mit Benzin) sind
mittelenergetisch. Das Gros der Flüssigkeitsantriebe wird bei
Brennkammerdrücken
von 60 bis 100 bar betrieben. Das Triebwerk des US Space Shuttle und
einige russische Triebwerke erreichen 200 bar und auch etwa mehr.
Außerdem sind
aus der
US 3 137 127
A kryogene, modulare als Innen- und Stirnbrenner fungierende
Treibsätze
bekannt, die durch geeignete Abdeckungen voneinander chemisch isoliert
sind. Die Brennelemente können
insbesondere die Form von Scheiben haben, deren äußere Fläche sich der Kontur der Raketenbrennkammer
anpasst, während
innen ein oder mehrere Bohrungen mit zweckentsprechend geformter
Querschnittsfläche
vorhanden sein können,
die durch Aneinanderreihung einen oder mehrere Brennkanäle mit konstanter
oder variabler Querschnittfläche
bilden.
Der
Abbrand modularer, nicht monergoler Treibstoffelemente ist grundsätzlich ein
diffuser Grenzschichtabbrand und als solcher vom Zustrom von Reaktanden
abhängig.
Wenn dieser nicht durch eine kräftige
Strömung,
sondern nur durch Konvektion erfolgt, ist die Reaktion unregelmäßig und
schleppend, wenn sie überhaupt
erfolgt. Dies ist bei Innenbrennern immer für das oberste (düsenabgewandte) Element,
bei Stirnbrennern ab einer gewissen minimalen Querschnittsfläche der
Elemente gegeben. Konvektion stellt somit keine für den Abbrand
in geschlossenen Brennkammern geeignete Basis dar, so dass die kryogenen,
modularen Treibsätze
nach
US 3 137 127 A nicht
zum Einsatz geeignet sind.
In
die praktische Anwendung haben deshalb nur konventionelle, lagerfähige Monergolfeststoffe Eingang
gefunden. Modulare Treibstoffe wurden weder mit lagerfähigen noch
mit kryogenen Komponenten realisiert. Abgesehen davon, dass sich
viele der aussichtreichsten Treibstoffkomponenten zu giftig oder
zu korrosiv erwiesen, liegt dies vor allem an dem gegenüber konventionellen
monergolen Treibsätzen sehr
unbefriedigenden Abbrandverhalten der meisten der oben beschriebenen
unkonventionellen Treibsätze.
Der
Erfindung liegen daher folgende Probleme zugrunde, die alle auf
die Realisierbarkeit bei kryogenen, modularen Feststoffantrieben
hinauslaufen:
- – konventionelle Treibsätze erfordern
die Verarbeitung großer
Mengen von Materialien, die grundsätzlich explosiv sind. Die Verarbeitung
ist daher gefährlich
und teuer.
- – konventionelle
Treibsätze
erfordern zur Verbesserung ihrer Langzeitlagerfähigkeit bestimmte Additive,
unterliegen aber dennoch irreversiblen chemischen Alterungsprozessen.
- – konventionelle
Treibsätze
lassen sich in ihrem Isp (Energieinhalt) nur durch teure und gefährliche
Treibstoffkomponenten steigern, aber selbst damit sind die Leistungen
mittelenergetischer/hochenergetischer Flüssigkeitsantriebe bei Weitem
nicht zu erreichen.
- – die
Treibstoffkombinationen mit den höchsten bekannten spezifischen
Impulsen erfordern Metallverbrennung und so genannte chemische Wasserstoffaufheizung.
Diese Triergole sind in Flüssigkeitsantrieben
nicht zu realisieren. Tribidantriebe, d.h. Hybride mit metallisiertem
Brennstoffkorn, welches durch Oxydatoreinspritzung verbrannt wird,
während
zusätzlich
Wasserstoff eingespritzt wird, sind komplex und schlecht zu kontrollieren.
Gleiches gilt für
hoch metallgefüllte konventionelle
Festtreibstoffe mit Wasserstoffeinspritzung (so genannte Quasihybride).
- – Konventionelle
Treibsätze,
soweit sie Ammonimiumperchlorat und/oder Aluminium enthalten, belasten
mit ihren Abgaben die Umwelt sehr stark.
Der
vorliegenden Erfindung liegt deshalb die Aufgabe zugrunde, modulare,
kryogene Feststoffraketentreibsätze
der eingangs genannten Art derart zu verbessern, dass ein gleichmäßiger, stabiler
und vollständige
Abbrand erreicht wird und alle oder einige der zuvor beschriebenen
Probleme besser gelöst werden.
Diese
Aufgabe wird durch modulare kryogene Feststoffraketentreibsätze der
genannten Art mit den Merkmalen des Anspruches 1 gelöst.
Vorteilhafte
Ausgestaltungen sind den Unteransprüchen entnehmbar.
Durch
die Anwendung fragmentierter Treibstoffdomänen mit Zündfackel- bzw. Gasgenerator-Eigenschaften
entsteht als völlig
neues Konzept ein aus Brennelementen mit unterschiedlichen Funktionen
modular aufgebauter Treibsatz, der aus Treibstoffkombinationen aufgebaut
sein kann, welche die Leistungen klassischer Festtreibsätze weit
in den Schatten stellen. Zwischen den Moduln werden völlig neue
interne Wechselwirkungen möglich.
Mittels
der speziellen Brennelemente, welche heiße Reaktionsgase (eine Flamme
oder Zündfackel)
generieren, mit denen die Oberfläche
des fragmentierten Teils des Treibsatzes bestrichen wird, kann die
Verbrennung aufrechterhalten werden.
Je
nach Kombination der im Hauptanspruch genannten Merkmale mit den
in den Unteransprüchen
genannten vorteilhaften Ausgestaltungen der Erfindung lässt sich
die Situation bei allen oder einigen der aufgezeigten Probleme drastisch
verbessern. Die Erfindung erlaubt, dass Brennstoffe und Oxydatoren
aus einer weiten Palette ausgewählt
und getrennt zu Brennelementen geformt werden, die zusammengesetzt
die gewünschte
Treibstoffgeometrie ergeben. Der dazu erforderliche feste Aggregatzustand
wird nötigenfalls
durch entsprechende Kühlung hergestellt
und beibehalten. Die Bezeichnung fragmentierter Treibsatz bezieht
sich also vor allem auf die Trennung der Hauptkomponenten (Brennstoff und
Oxydator).
Durch
die Wahl der Absolutgröße der Brennelemente
wird der makroskopische Mischungsgrad (meßbar und definierbar z.B. als
durchschnittlicher Abstand der Schwerpunkte der verschiedenen Brennelemente)
bestimmt. Diese Wahl beeinflusst die durchschnittliche Abbrandgeschwindigkeit
des Treibsatzes, welche damit bei konstanter Globalzusammensetzung
variabel gestaltet werden kann.
Kleinere
Brennelemente führen
zu höherer Regressionsgeschwindigkeit.
Dies ist ein Freiheitsgrad, welchen konventionelle Treibsätze nicht
haben. Zusammensetzung, Anordnung, Form und Abmessungen der Brennelemente
beeinflussen darüber
hinaus das Zünd-
und Abbrandverhalten. Im Allgemeinen ist zu erwarten, dass modulare
Treibsätze
hier ohne sonstige Maßnahmen
ein ungünstigeres
Verhalten als monergole haben.
Durch
die Wahl der relativen Größenverhältnisse
der Brennelemente wird das globale Mischungsverhältnis von Oxydator und Brennstoff
bestimmt. Damit werden Hochleistungstreibstoffkombinationen möglich, die
mit anderen Technologien nicht realisierbar waren. Kryofeststoffantriebe
teilen mit den konventionellen die einfache Art der Metallverbrennung.
Wenn man Brennstoffpulver in flüssigen Sauerstoff
aufschlämmt,
die Mischung in Form eines Brenstoffelementes einfriert und in einem
Kryofeststofftriebwerk mit entsprechend gewähltem Oxydator einsetzt, erhält man Antriebe,
deren massen- und/oder volumenspezifische Impulse im Bereich der besten
Flüssigkeitsantriebe
oder sogar erhebelich darüber
liegen.
Die
erfindungsgemäßen modularen,
kryogenen Treibsätze
werden mit lagerfähigen
und kryogenen Feststoffen (oder nur mit letzteren) aus getrennten
Oxydator- und Brennstoff-Brennelementen
aufgebaut.
Durch
diese Anordnung wird erreicht, dass Brennstoff und Oxydator (abgesehen
von der gemeinsamen Berührungsfläche) in
einer Größenskala voneinander
getrennt sein können,
die deutlich über jener
der konventionellen quasi-homogenen Mischung von Oxydator mit Brennstoff
bzw. Binder liegt.
Durch
Isolationsschichten zwischen den Brennelementen wird bei lagerfähigen Kombinationen
die Alterungsgeschwindigkeit drastisch herabgesetzt und bei kryogenen
Kombinationen lassen sich sehr reaktive Treibstoffe zusammenbringen
(z.B. solche, die im flüssigen
Zustand hypergol, d.h. selbstzündend
wären).
Zusammen mit der Senkung der allgemeinen Reaktivität bei tiefen
Temperaturen ist dadurch der Einsatz sehr empfindlicher Monergole möglich.
Mit
der Erfindung lassen sich folgende Vorteile erzielen:
- – die
erfindungsgemäßen Treibsätze vereinfachen
die Produktion von Feststofftreibsätzen erheblich. Viele gefährliche
Prozeduren werden vermieden, Serienfertigung bietet sich an. Erhebliche Kostenreduktionen
können
erwartet werden;
- – die
erfindungsgemäßen Treibsätze vermeiden die
großen
Phasengrenzflächen
konventioneller Treibsätze.
Bei warm lagerfähigen
Treibstoffen ist dadurch eine drastische Steigerung der Langzeitlagerfähigkeit
möglich,
zudem können
die Brennelemente nötigenfalls
durch Isolierfolien von einander getrennt werden. Kryogene Festtreibstoffe sind
wegen der tiefen Temperaturen von sich weniger reaktiv als warme.
- – die
erfindungsgemäßen Treibsätze erlauben
es, jede beliebige Treibstoffkombination als monergolen Feststoffantrieb
zu realisieren. Dies reicht von lagerfähigen oder kryogenen Flüssigkeitsmonergol-
und Diergolantrieben über
Hybrid- und Quasihybridantriebe, Suspensions-(Slurry) Antriebe und
Tribride bis zu allen Arten von Triergolen. Es sind daher drastische
Steigerungen des Isp nicht nur gegenüber konventionellen Festtreibstoffen,
sondern sogar gegenüber
den Flüssigkeitsantrieben
zu erwarten [s. dazu LO R.E., DFVLR-Stuttgart: „Chemische Wasserstoffaufheizung
durch tribride Verbrennung",
Chemie-Ingenieur-Technik (1967) 39, Heft 15, S. 923-927; LO, R.E.:
Technical Feasibility of Chemical Propulsion System with very high
performance, Proceedings of the XVIIIth Astronautical Congress,
Belgrad, 25.-29.9.1967, pp 121-132; LO, R.E. DFVLR-Lampoldshausen: „Theoretische
des Raketentreibstoffsystems Fe2, O2/LIH, Al/H2 und
einfacher Teilsysteme",
DLR-Mitt. 69-21 (Dezember 1969); LO, R.E., DFVLR-Lampoldshausen: „Chemische
Wasserstoffaufheizung durch Verbrennung von Aluminium mit Sauerstoff
oder FLOX", DLR-Mitt.
70-03 (Februar 1970); LO, R.E., DFVLR-Lampoldshausen: „Quasihybride
Raketenantriebe",
Raumfahrtforschung, Heft 4, April 1970];
- – die
erfindungsgemäßen Treibsätze erlauben durch
geeignete Treibstoffauswahl, Festtreibsätze mit bestmöglicher
Umweltfreundlichkeit zu realisieren (z.B. Festwasserstoff/Festsauerstoff).