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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Bestimmung des Fließverhaltens eines Halbzeug-Zuschnitts aus einem Faserverbundwerkstoff bei der Herstellung eines Bauteils im Fließpressverfahren und insbesondere ein Verfahren für ein anisotropes Halbzeug.
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Faserverbundwerkstoffe bestehen im Allgemeinen aus zwei Hauptkomponenten: einer bettenden Matrix sowie verstärkenden Fasern. Durch die Verstärkung der Kunststoffmatrix durch (Kurz oder Lang-) Fasern können dabei herausragende mechanische Eigenschaften erzielt werden. Während Metalle ein isotropes Verformungsverhalten aufweisen, ist das Verhalten von Faserverbundwerkstoffen anisotrop, d.h. sie verformen sich nicht in alle Raumrichtungen gleich. Faserverbundwerkstoffe zeigen üblicherweise quer zur Faserrichtung eine größere Verformbarkeit als in Faserlängsrichtung.
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Für die Herstellung dünnwandiger, schalenförmiger, geometrisch komplexer, z.B. verrippter, Bauteile aus Faserverbundwerkstoffen wird häufig das Fließpressen (Compression molding) verwendet. Dabei wird eine Faser-Matrix-Masse (Halbzeug) in einem geheizten Presswerkzeug verformt und in Folge von Druck und Temperatur zum „Fließen“ gebracht. Während dem Pressvorgang werden die Fasern von der Matrix transportiert und richten sich vorwiegend in Fließrichtung des Matrixmaterials aus. Die Menge an Fasern, d.h. der Faservolumengehalt (FVG), und die Anfangsorientierung der Fasern im Halbzeug, die sogenannte Vorzugsorientierung, beeinflussen das Fließverhalten dabei enorm.
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Im Fließpressverfahren häufig eingesetzte Halbzeuge sind sogenannte SMC-Halbzeuge (Sheet Molding Compounds). Hierbei handelt es sich in der Regel um flächige Meterware, wobei die Verstärkungsfasern eine zufällige Orientierung haben und mit einer Duromermatrix getränkt sind. Das SMC-Halbzeug wird vor dem Verpressen, je nach Größe und Geometrie, in seiner Kontur beschnitten und als Zuschnitt in das Werkzeug gelegt. Durch das Schließen der Presse und die erhöhte Temperatur im Werkzeug sinkt die Viskosität und das Material beginnt durch den aufgebrachten Druck zu fließen und verteilt sich im gesamten Werkzeug.
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Für die Anwendung der Fließpresstechnologie zur Herstellung von Strukturbauteilen im Fahrzeugbau werden als wesentliche Maßnahme die Erhöhung des Faservolumengehalts und der Faserlänge durchgeführt. Ab einer kritischen Obergrenze des FVG lässt sich kein isotropes Halbzeug mehr herstellen, sondern im Halbzeug liegt eine Vorzugsorientierung vor. Diese Vorzugsorientierung bedingt Probleme im Fließprozess, wie z.B. eine unzureichende Bauteilfüllung oder fehlerhafte Füllung von Rippenstrukturen.
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Es ist daher Aufgabe der vorliegenden Erfindung ein Verfahren anzugeben, mit dem die Bauteilherstellung im Fließpressverfahren verbessert werden kann.
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Gelöst wird die Aufgabe durch ein Verfahren nach Patentanspruch 1. Weitere vorteilhafte Ausgestaltungen ergeben sich aus den Unteransprüchen und der nachfolgenden Beschreibung.
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Es wird ein Verfahren angegeben, mit dem das Fließverhalten eines Halbzeug-Zuschnitts bei der Herstellung eines Bauteils im Fließpressverfahren bestimmt werden kann. Das Verfahren umfasst die Schritte:
- a) Bereitstellen einer Probe aus einem Halbzeug,
- b) Pressen der Probe, Ermitteln von materialspezifischen Fließspannungskennwerten anhand des Fließfrontverlaufs der Probe und der Kraft-Wege Verläufe beim Pressen und Bestimmen einer Gleichung für einen Zusammenhang der Fließspannungen im Halbzeug unter Verwendung der ermittelten materialspezifischen Fließspannungskennwerte und des quadratischen Hill'schen Plastizitätsgesetzes,
- c) Verwenden der Gleichung zur Simulationsberechnung des Fließverhaltens eines Zuschnitts aus dem Halbzeug während eines Pressvorgangs und
- d) Ausgeben und/oder Auswerten der durch die Simulationsberechnung erhaltenen Daten.
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Der Erfindung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass bisherige Ansätze zur Beschreibung des Fließverhaltens eine vorhandene Anisotropie des Halbzeugs nicht ausreichend berücksichtigen. Gerade SMC-Halbzeuge weisen teilweise eine hohe Kompressibilität auf und können im Gegensatz zu bisherigen Annahmen als sehr weiche Festkörper und nicht als Flüssigkeiten modelliert werden, da ihre mechanische Antwort der eines druckbelasteten weichen Metalls ähnelt. Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren lässt sich das Fließverhalten auch und gerade von anistropen Fließpressmassen besser vorhersagen und es können Maßnahmen abgeleitet werden, wie die Bauteilherstellung verbessert und insbesondere auch komplexe Werkzeugkavitäten gezielt füllbar sind.
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Das Halbzeug, aus dem die Probe und der Zuschnitt gefertigt werden, liegt vorzugsweise als plattenförmige oder bandförmige Fließpressmasse vor, z.B. als SMC-Halbzeug. Das Halbzeug ist ein Faserverbundmaterial, das ein Matrixmaterial enthält, in das Fasern eingebettet sind. Das Matrixmaterial ist beispielsweise ein ungehärtetes Reaktionsharz, vorzugsweise ein Duroplast, es kann jedoch ebenso ein thermoplastisches Matrixmaterial verwendet werden.
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Die Fasern können beliebiger Art sein, z.B. Glas-, Aramid, Kohlenstoff-, Basaltfasern, es können auch Naturfasern zum Einsatz kommen. Die Faserlänge beträgt vorzugsweise 20 bis 50 mm. Das Halbzeug kann mehrere übereinandergelegte Faserschichten enthalten, die durch das Matrixmaterial miteinander verbunden sind.
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Die Probe umfasst einen Abschnitt vorgegebener Größe des Halbzeugs. Für die Probe wird das gleiche Halbzeug verwendet, aus dem auch der Zuschnitt und im weiteren Verlauf das Bauteil hergestellt werden soll. Die Probe kann z.B. durch Zuschneiden aus dem Halbzeug herausgetrennt werden und z.B. einen quadratische, rechtwinklige oder runde Form aufweisen.
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Zur Beschreibung des Fließverhaltens des Halbzeugs greift die Erfindung auf das quadratische Hill'sche Plastizitätsgesetz zurück (Gl. 1).
wobei die Konstanten F, G, H, L, M und N materialspezifische Konstanten sind, die durch Materialversuche in verschiedenen Orientierungen bestimmt werden. Die Konstanten sind bestimmt als
Wobei jedes σ̅
ij der gemessene Wert der Fließspannung ist, wenn σ̅
ij als die einzige Spannungskomponente aufgebracht wird (die anderen Spannungskomponenten sind Null). σ
0 ist die benutzerdefinierte Referenz-Fließspannung spezifiziert für die Definition der Metallplastizität, R
11, R
22, R
33, R
12, R
13 und R
23 sind anisotrope Fließspannungsverhältnisse und
Die sechs Fließspannungsverhältnisse sind daher wie nachfolgend definiert (in der Reihenfolge, in der sie bereitgestellt werden müssen):
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Dieser Ansatz wurde von Hill zur Berechnung des anisotropen plastischen Fließens von Metallen verwendet. Erfindungsgemäß wird der Ansatz nun jedoch genutzt, um das Fließverhalten von anisotropen Fließpressmassen und insbesondere von SMC-Werkstoffen zu beschreiben. Der Erfinder hat erkannt, dass anisotrope Werkstoffe unter Druckbelastung in ihrem Fließverhalten druckbelasteten weichen Metallen ähneln.
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Zur experimentellen Bestimmung der Konstanten F bis N wird in Schritt b) die Probe verpresst. Dies kann vorzugsweise zwischen zwei parallelen Platten erfolgen, z.B. den runden Platten eines offenen Pressrheometers. Zwischen den beiden parallelen Platten wird das Material der Probe zusammengedrückt und fließt entlang des vorhandenen Hohlraums. Aufgrund der anisotropen Beschaffenheit des Halbzeugs fließt das Material vornehmlich in eine Richtung quer zur Faserausrichtung, die entstehende Fließfront spiegelt u.a. die Faserausrichtung und die im Material wirkenden Fließspannungen wider. Durch Auswertung der bei dem Pressvorgang entstehenden Fließkontur und der notwendigen Kraft bei definierter Schließdistanz werden nun materialspezifische Fließspannungskennwerte bestimmt.
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Vorzugsweise werden die materialspezifischen Fließspannungskennwerte in einer Ausgestaltung der Erfindung in einem iterativen Verfahrensschritt bestimmt, in dem anhand des Hill'schen Plastizitätsgesetzes Fließfrontverläufen der Probe simuliert werden und die für die Konstanten F bis N eingesetzten Werte in ihren Grenzen solange angepasst werden, bis die simulierten Fließfrontverläufe und die Kraft-Weg-Kurven mit den tatsächlich an der Probe gemessenen Fließfrontverläufen ausreichend übereinstimmen. Die so ermittelten Konstanten F* bis N* geben die materialspezifische Fließspannungskennwerte an, welche in Gleichung 1 eingesetzt und als resultierende Gleichung 2 im weiteren Verfahren für das betrachtete Halbzeug weiterverwendet wird.
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In Schritt c) wird die erhaltene materialspezifische Gleichung in einer Simulationsberechnung verwendet, um das Fließverhaltens eines Zuschnitts aus der Fließpressmasse während eines Pressvorgangs zu simulieren.
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In einer Ausgestaltung wird die Simulation als Finite-Elemente-Methode durchgeführt, wobei der Zuschnitt in eine Anzahl von Teilkörpern aufgeteilt wird und für jeden Teilkörper das Fließverhalten bestimmt wird. Im Berechnungsverfahren der Erfindung wird weiterhin angenommen, dass die Fließpressmasse bzw. das Halbzeug ab einer bestimmten Spannung zu fließen beginnt (Fließbedingung nach Mises). Diese Spannungen im Material entstehen durch den Druck vom Presswerkzeug, welcher gleichmäßig von oben und unten auf den Werkstoff aufgebracht wird. Aus dem aufgebrachten Druck und den entstehenden Spannungen im Material kann über die Fließspannungen nun das Verformungsverhalten berechnet werden.
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Die bei der Simulation erhaltenen Daten können z.B. als Datensätze oder in visualisierter Form ausgegeben werden. Sie können z.B. ausgewertet werden, um den Fließfrontverlauf vorherzubestimmen, den ein anisotropes Halbzeug bei der realen Bauteileherstellung aufweisen wird.
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Vorteilhafter Weise werden die durch die Simulationsberechnung erhaltenen Daten in einer Weiterbildung der Erfindung verwendet, um die Form eines Halbzeugzuschnitts und/oder die Ausrichtung des Halbzeugzuschnitts im Presswerkzeug zu optimieren.
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Das beschriebene Verfahren erlaubt eine bessere Vorhersage des Formfüllverhaltens beim Fließpressprozess. Es sind aussagekräftige Simulationen auch bei höheren Faservolumengehalten möglich, bei denen herkömmliche Berechnungsverfahren keine zuverlässigen Ergebnisse lieferten. Das Verfahren lässt sich mit geringem experimentellem Aufwand ausführen und ermöglicht die Einsparung von Material- und Personalkosten. Zudem lässt sich das Verfahren für beliebige anisotrope, weiche Festkörper anpassen und ermöglicht es, auch das Füllverhalten komplexer Formen z.B. von Rippenstrukturen, realitätsnah abzubilden.
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Die oben beschriebenen Eigenschaften, Merkmale und Vorteile dieser Erfindung sowie die Art und Weise, wie diese erreicht werden, werden klarer und deutlicher verständlich anhand der Zeichnung und im Zusammenhang mit der folgenden Beschreibung der Ausführungsbeispiele. Sofern in dieser Anmeldung der Begriff „kann“ verwendet wird, handelt es sich sowohl um die technische Möglichkeit als auch um die tatsächliche technische Umsetzung.
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Im Folgenden werden Ausführungsbeispiele an Hand der beiliegenden Zeichnungen erläutert. Darin zeigen:
- 1 ein Ablaufdiagramm zur Veranschaulichung der Schritte des erfindungsgemäßen Verfahrens und
- 2 beispielhafte Fließfronten einer Probe im Pressversuch zur Ermittlung der Kennwerte.
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1 zeigt anhand eines Ablaufdiagramms, welche Schritte bei dem erfindungsgemäßen Verfahren zur Bestimmung des Fließverhaltens eines Zuschnitts aus einem Fließpressmassen-Halbzeug verwendet werden.
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Zunächst wird in Schritt A eine Probe des zu verarbeitenden Halbzeugs bereitgestellt, z.B. aus dem Halbzeug ausgeschnitten. In Schritt B wird die Probe zwischen zwei im Wesentlichen parallelen Platten verpresst, z.B. zwischen den runden Platten eines Pressrheometers. Hierbei wird die Dicke der Probe reduziert und die Probe beginnt zu fließen, wodurch ihre äußere Kontur ungehindert in die Kavität zwischen den Platten hineinwandert, was auch als Fließfront bezeichnet wird. Um die Fließfront zu verschiedenen Zeitpunkten des Pressvorgangs zu erfassen, wird das obere Werkzeug bei verschiedenen Plattenabständen gestoppt. Somit ergeben sich sogenannte Short Shots. Durch genaue optische Erfassung jedes Short Shots und digitale Überlagerung der Bilder können die Fließfronten in Form von Konturlinien dargestellt werden.
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2 zeigt exemplarisch eine Probe 1 sowie die zugehörigen Fließfronten 2, 3 und 4 bei drei verschiedenen Plattenabständen. Vor Beginn des Pressvorgangs hat die Probe 1 einen im Wesentlichen quadratische Form mit einer Seitenlänge von beispielsweise 10 cm und einer Dicke von beispielsweise 25 mm. Das verwendete SMC-Material hat prozessbedingt eine vorzugsweise Hauptfaserausrichtung parallel zur x-Achse, wodurch sich deshalb ein vorwiegendes Fließen der Pressmasse in y-Richtung ergibt. Die dargestellten Fließfronten 2 bis 4 veranschaulichen, wie das Material der Probe 1 während des Schließens des Platten in die Kavität hineinfließt. Fließfront 2 wird erreicht, wenn die Platten einen Abstand von 5 mm aufweisen, Fließfront 3 bei einem Plattenabstand von 4 mm und Fließfront 4 bei einem Plattenabstand von 3 mm.
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Anhand der erfassten Fließfronten 2 bis 4 bei verschiedenen Plattenabständen werden Fließspannungskennwerte ermittelt, die materialspezifisch für das jeweilige Halbzeug sind. Ausgehend von der Überlegung, dass das Fließverhalten der Probe durch das Hill'sche Plastizitätsgesetz abbildbar ist, werden die Konstanten F, G, H, L, M und N in Gleichung 1 durch ein iteratives Verfahren bestimmt. Genauer gesagt werden die Konstanten F bis N im Hill'schen Plastizitätsgesetz so lange iterativ angepasst, bis Konstanten F* bis N* gefunden sind, mit denen die mit Gleichung 1 vorhergesagten Fließfronten und die Kraft-Wege Verläufe die experimentell gemessenen Fließfronten und Kraft-Wege-Verläufe ausreichend nachbilden.
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In Schritt B werden so sechs materialspezifische Konstanten F* bis N* ermittelt, die für das Fließverhalten und die Fließspannungen des untersuchten Halbzeugs spezifisch sind. Die erhaltene Gleichung 2 kann im weiteren Verfahren zur Beschreibung des Fließverhaltens beliebiger Zuschnitte aus dem experimentell untersuchten Halbzeug verwendet werden.
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In Schritt C wird nun eine Simulationsberechnung durchgeführt, wobei Gleichung 2 mit den experimentell ermittelten Konstanten F* bis N* verwendet wird um das Fließverhalten eines Zuschnitts in einem Presswerkzeug zu simulieren. Die Simulationsberechnung kann für beliebige Zuschnittsformen des Halbzeugs und beliebige Werkzeugkavitäten durchgeführt werden. Die Simulationsberechnung kann z.B. als dem Fachmann grundsätzlich bekannte Finite-Elemente-Methode durchgeführt werden, wobei zur Beschreibung des Fließverhaltens die erfindungsgemäße Gleichung verwendet wird.
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Die gewonnenen Daten werden in Schritt D ausgewertet und ausgegeben. Beispielsweise kann die simulierte Fließfront eines Zuschnitts bzw. der Füllgrad in einem Presswerkzeug visuell dargestellt werden.
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In einem nachfolgenden Schritt E kann anhand der ausgewerteten Daten eine Optimierung der Zuschnittsform des Halbzeugs und/oder der Ausrichtung des Halbzeugs im Presswerkzeug vorgenommen werden. Die optimierten Annahmen können durch erneute Simulation in Schritt D überprüft werden.
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Das beschrieben Verfahren ist unabhängig vom verwendeten Polymer und kann sowohl für duroplastische als auch für thermoplastische Matrixsysteme verwendet werden.
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Die Ausführungsbeispiele sind nicht maßstabsgetreu und nicht beschränkend. Abwandlungen im Rahmen des fachmännischen Handelns sind möglich.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Probe
- 2 bis 4
- Fließfronten
- A bis E
- Verfahrensschritte