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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Betreiben einer elektronischen Parkbremse mit ABS-Funktion eines Fahrzeugs.
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Moderne Fahrzeuge weisen vielfach eine elektrische Parkbremse (auch EPB genannt) auf, bei der eine elektrische betätigte Zuspannung der Radbremsen an der Hinterachse des Fahrzeugs erfolgt. Die Ansteuerung der Parkbremse kann hierbei in einem vorhandenen Steuergerät zur Schlupf- und/oder Fahrdynamikregelung der Betriebsbremse, wie bspw. einem Fahrdynamik-System (ESC) integriert sein.
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Ein Fahrzeug 10 mit einer solchen in einem ESC-System integrierten elektronischen Parkbremse zeigt 1. Eine elektrische Parkbremse 1 besteht aus Parkbremsaktuatoren 5.1 und 5.2 an den Bremsscheiben eines linken Hinterrades RL und eines rechten Hinterrades RR zur Erzeugung einer zum sicheren Halten des Fahrzeugs 10 erforderlichen Kraft und einem EPB-Steuergerät, welches die Funktionssoftware der elektrischen Parkbremse, die Ansteuerung der Parkbremsaktuatoren und die zugehörige Hardware beinhaltet. Mittels eines Parkbremsbedienelementes 4 kann die Parkbremse von einem Fahrer aktiviert werden.
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Anstelle eines eigenständigen EPB-Steuergerätes wird gemäß 1 ein solches Steuergerät in ein ESC-Steuergerät des Fahrdynamik-Systems des Fahrzeugs 10 integriert. Um eine lieferantenunabhängige Kombination von ESC-System und EPB-System zu ermöglichen, müssen die Schnittstellen zwischen dem EPB-System und dem ESC-System definiert werden.
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Eine Aufteilung zwischen Lieferanten erfolgt gemäß 1 derart, dass zum einen eine Steuereinheit (PBC) 3 zusammen mit den Parkbremsaktuatoren 5.1 und 5.2 und zugehörigen Parkbremssatteln einen ersten EPB-Systemanteil und ein zweiter EPB-Systemanteil beinhaltet die EPB-Leistungselektronik, die notwendige Peripherie und steuert die vom Fahrer erlebbaren Funktionen an und wird als Host-Steuergerät 2 bezeichnet.
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Vom Verband der Automobilindustrie (VDA) wurde eine Empfehlung zur Integration der Ansteuerung für sattelintegrierte Parkbremsaktuatoren in ein ESC-Steuergerät eines anderen Herstellers erstellt (VDA-Empfehlung 305–100). Hierzu werden Schnittstellen zwischen der Steuereinheit 3 und dem Host-Steuergerät 2 definiert, über die ein Programmcode eines Zulieferers im Host-Steuergerät 2 integriert und bedient werden kann. Eine solche Schnittstelle zeigt 2, über die genormte Umgebungsdaten, insbesondere Radgeschwindigkeitsinformationen der Vorderräder FL und FR sowie der Hinterräder RL und RR über eine Datenleitung L dem Steuergerät 3 zur Verfügung gestellt werden. Gemäß der oben genannten VDA-Empfehlung 305–100 umfassen diese Umgebungsdaten die gemessenen Radgeschwindigkeiten jeweils der beiden Vorderräder VR und VL sowie jeweils der beiden Hinterräder RL und RR des Fahrzeugs 10 sowie weitere Messdaten (vgl. VDA-Empfehlung 305–100, Schnittstellenbeschreibung 3.2.5.1.).
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Die Steuereinheit 3 zur Steuerung der Parkbremsaktuatoren 5.1 und 5.2 enthält auch eine Rückfallebenen-Funktion (actuator dynamic brake function), nachfolgend ADBF-Funktion genannt, wenn die Pumpe der Hauptbremsanlage ausgefallen ist. Der Fahrer kann so über ein Parkbremsbedienelement 4 eine Bremsung mit den Parkbremsaktuatoren 2.1 und 2.2 an der Hinterachse des Fahrzeugs 10 auslösen, die auch eine ABS-Funktionalität umfasst.
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Bei dieser ADBF-Funktion wird zur Durchführung einer ABS-Bremsung eine Referenzgeschwindigkeit vABS,ref des Fahrzeugs 10 berechnet, die sich auf die freilaufende Vorderräder FL und FR bezieht. Wird nun die Vorderachse bspw. durch ein zusätzliches Modul des ESC-Systems hydraulisch mit einer ABS-Funktion gebremst und gleichzeitig die Hinterachse über die Parkbremse gebremst, befindet sich die von dem Steuergerät 3 berechnete Referenzgeschwindigkeit vABS,ref sehr weit im Schlupf und ist daher zu niedrig berechnet. Infolgedessen werden die Parkbremsaktuatoren 5.1 und 5.2 zu spät angesteuert und es entstehen tiefe Schlupfeinläufe an der Hinterachse des Fahrzeugs 10, wie dies bspw. in dem Zeit-Geschwindigkeits-Diagramm nach 3 dargestellt ist, die den Verlauf der aktuellen Radgeschwindigkeiten vRL,akt und vRR,akt der Hinterräder und den Verlauf der Referenzgeschwindigkeit vABS,ref zeigt. Durch diese tiefen Schlupfeinläufe an der Hinterachse wird das Fahrzeug wesentlich instabiler.
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Die Aufgabe der Erfindung besteht darin, ein Verfahren zum Betreiben einer elektronischen Parkbremse mit ABS-Funktion eines Fahrzeugs anzugeben, bei welchem im Falle einer ABS-Bremsung sowohl an der Vorderachse als auch gleichzeitig an der Hinterachse eines Fahrzeugs keine unbeabsichtigten großen Schlupfeinläufe entstehen.
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Diese Aufgabe wird gelöst durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1.
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Bei diesem Verfahren zum Betreiben einer elektronischen Parkbremse mit ABS-Funktion eines Fahrzeugs mit einer Steuereinheit zur Ansteuerung von Aktuatoren der Parkbremse und einem ein Schnittstellenmodul aufweisenden Host-Steuergerät eines elektronischen Fahrerassistenzsystems, bei dem die Steuereinheit von dem Schnittstellenmodul Radgeschwindigkeitsinformationen der Fahrzeugräder des Fahrzeugs empfängt und bei einer ABS-Bremsung der Vorderrädern und einer gleichzeitigen ABS-Bremsung der Hinterräder eine Manipulation der Radgeschwindigkeit wenigstens eines Hinterrades gemäß folgender Beziehung durchgeführt wird: vR,m = vR,akt + vR,grad·F, wobei vR,m die von der Steuereinheit empfangene manipulierte Radgeschwindigkeit des wenigstens einen Hinterrades, vR,akt die aktuelle Radgeschwindigkeit des wenigstens einen Hinterrades, vR,grad der Gradient der aktuellen Radgeschwindigkeit vR,akt und F ein in Abhängigkeit des Gradienten vR,grad bestimmter numerischer Korrekturfaktor ist.
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Mit diesem erfindungsgemäßen Verfahren werden die Radgeschwindigkeiten der Hinterräder angepasst, so dass diese angepasste Radgeschwindigkeit der eigentlichen Radgeschwindigkeit vorauseilt, mit der Folge, dass die Steuereinheit der Parkbremsaktuatoren einen größeren Schlupf ermittelt und damit früher reagiert. Durch diese Anpassung der Radgeschwindigkeit können keine ungewollten großen Schlupfeinläufe entstehen, wodurch ein ruhigeres und stabileres Verhalten des Fahrzeugs erreicht wird.
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Nach einer vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung wird der Gradient vR,grad der aktuellen Radgeschwindigkeit vR,akt nach folgender Beziehung ermittelt: vR,grad,i = vR,akt,i – vR,akt,i-1, wobei i der aktuelle Rechenzyklus (Loop) und i – 1 der vorherige Rechenzyklus ist. Für die Berechnung des Gradienten ist damit nur eine kurze Zeitdauer erforderlich.
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Eine weitere vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung sieht vor, dass als Korrekturfaktor F ein Wert zwischen 2 und 4 gewählt wird. Vorzugsweise wird als Korrekturfaktor F ein Wert von 2 verwendet, wenn der Gradient vR,grad der aktuellen Radgeschwindigkeit vR,akt Positiv ist. Im anderen Fall, wenn der Gradient vR,grad der aktuellen Radgeschwindigkeit vR,akt negativ ist, wird als Korrekturfaktor F ein Wert von 4 verwendet wird.
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Schließlich wird nach einer letzten vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung mittels des Host-Steuergerätes aus den aktuellen Radgeschwindigkeiten der Vorderräder und der Hinterräder eine Referenzgeschwindigkeit vref1 des Fahrzeugs ermittelt wird und diese Referenzgeschwindigkeit vref1 als Radgeschwindigkeit der Vorderräder von dem Schnittstellenmodul an die Steuereinheit zur Durchführung der ABS-Funktion übermittelt.
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Damit wird in der Steuereinheit eine genauere Referenzgeschwindigkeit des Fahrzeugs berechnet.
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Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren kann die definierte VDA-Schnittstelle zur Übermittlung der Umgebungsdaten (vgl. VDA-Empfehlung 305–100, Schnittstellenbeschreibung 3.2.5.1.) unverändert genutzt werden.
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Das erfindungsgemäße Verfahren wird nachfolgend anhand eines Ausführungsbeispiels unter Bezugnahme auf die beigefügten Figuren beschrieben. Es zeigen:
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1 eine schematische Darstellung eines Fahrzeugs mit einer elektrischen Parkbremse,
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2 ein Blockschaltbild einer Steuereinheit 3 einer elektrischen Parkbremse 1 nach 1 mit einer Schnittstelle eines Host-Steuergerätes 2,
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3 ein Zeit-Geschwindigkeits-Diagramm mit einer Darstellung der Geschwindigkeitsverläufe von Hinterrädern eines Fahrzeugs sowie zugehöriger Referenzgeschwindigkeit während einer ABS-Bremsung,
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4 ein Blockschaltbild einer Steuereinheit der elektrischen Parkbremse 1 nach 1 mit einer Schnittstelle eines Host-Steuergerätes 2 sowie einer Manipulationsschnittstelle zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens,
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5 ein Zeit-Geschwindigkeits-Diagramm zur Erläuterung des erfindungsgemäßen Verfahrens, und
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6 ein Zeit-Geschwindigkeits-Diagramm mit einer Darstellung der Verläufe der mittels des erfindungsgemäßen Verfahrens angepassten Radgeschwindigkeiten von Hinterrädern eines Fahrzeugs sowie der zugehörigen Referenzgeschwindigkeit während einer ABS-Bremsung der Hinterräder.
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Da die 1 und 2 bereits in der Einleitung ausführlich beschrieben sind, wird nachfolgend bei Bedarf lediglich auf diese Figuren referenziert.
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Wie im Zusammenhang mit den 1 und 2 beschrieben, enthält die Steuereinheit 3 zur Steuerung der Parkbremsaktuatoren 5.1 und 5.2 einer elektrischen Parkbremse 1 (vgl. 1) eine ADBF-Funktion als Rückfallebenen-Funktion, wenn die Pumpe der Hauptbremsanlage des Fahrzeugs 10 ausgefallen ist. Der Fahrer kann so über das Parkbremsbedienelement 4 eine Bremsung mit den Parkbremsaktuatoren 5.1 und 5.2 an der Hinterachse 5 des Fahrzeugs 10 auslösen, die auch eine ABS-Funktionalität umfasst.
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Um zu verhindern dass bei einer ABS-Bremsung der Vorderräder FL und FR und gleichzeitig der Hinterräder RL und RR tiefe Schlupfeinläufe an der Hinterachse des Fahrzeugs 10 (vgl. 1) entstehen, wie dies ebenso in der Beschreibungseinleitung im Zusammenhang mit 3 dargestellt ist, werden die von der Schnittstelle 2.1 des Host-Steuergerätes 2 bereitgestellten Radgeschwindigkeiten vRL und VRR der Hinterräder RL und RR als manipulierte Radgeschwindigkeiten vRL,m und vRR,m der Steuereinheit 3 übermittelt.
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Hierzu werden die von der Schnittstelle 2.1 des Host-Steuergerätes 2 zur Übermittlung an die Steuereinheit 3 bereitgestellten Radgeschwindigkeiten vRL und vRR des linken und rechten Hinterrades RL und RR gemäß 4 mit einer Manipulationsschnittstelle 2.2 entsprechend der folgenden Beziehung manipuliert, bevor diese von der Steuereinheit 3 über eine Datenleitung L empfangen werden: vRL,m = vRL,akt + vRL,grad·F für das linke Hinterrad RL, und vRR,m = vRR,akt + vRR,grad·F für das rechte Hinterrad RR, wobei vRL,m bzw. vRR,m die von der Steuereinheit 3 empfangene manipulierte Radgeschwindigkeit des linken Hinterrades RL bzw. des rechten Hinterrades RR, vRL,akt bzw. vRR,akt die aktuelle Radgeschwindigkeit des linken Hinterrades RL bzw. des rechten Hinterrades RR, vRL,grad bzw. vRR,grad der Gradient der aktuellen Radgeschwindigkeit vRL,akt bzw. vRR,akt und F ein in Abhängigkeit des Gradienten bestimmter numerischer Korrekturfaktor ist.
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Der jeweilige Gradient vRL,grad und vRR,grad wird in aufeinanderfolgenden Rechenzyklen (Loop) gemäß folgender Beziehung bestimmt: vRL,grad,i = vRL,akt,i – vRL,akt,i-1 für das linke Hinterrad RL, und vRR,grad,i = vRR,akt,i – vRR,akt,i-1 für das rechte Hinterrad RR, wobei i der aktuelle Rechenzyklus (Loop) und i – 1 der vorherige Rechenzyklus ist.
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Der numerische Korrekturfaktor F wird in Abhängigkeit des Vorzeichens der Gradienten vRL,grad und vRR,grad bestimmt, welcher die Stärke des Schlupfeinlaufes darstellt. Ist der Gradient negativ wird die aktuelle Radgeschwindigkeit vRL,akt oder vRR,akt nach unten korrigiert, im anderen Fall, wenn der Gradient positiv ist, nach oben. Die Korrektur wird bei negativem Gradienten mit einem Korrekturfaktor von bspw. F = 4 und bei positiven Gradienten, bspw. mit einem Korrekturfaktor von F = 2 durchgeführt.
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Ferner werden von der Schnittstelle 2.1 nicht die gemessenen, d. h. nicht die aktuellen Radgeschwindigkeiten vVL,akt und vVR,akt der Vorderräder FL und FR an die Steuereinheit 3 übermittelt, sondern die im Rahmen der ABS-Funktion des Host-Steuergerätes 2 berechnete Referenzgeschwindigkeit vref1 aus den aktuellen Radgeschwindigkeiten von allen vier Fahrzeugrädern FL, FR, RL und RR. Damit wird diese Referenzgeschwindigkeit vref1 als Radgeschwindigkeit der Vorderräder FL und FR von der Steuereinheit 3 übernommen, da diese bereits sehr nahe an der wahren Fahrzeuggeschwindigkeit liegt. Diese Referenzgeschwindigkeit vref1 wird zur Durchführung der ABS-Funktion für die Hinterräder RL und RR als Referenzgeschwindigkeit vref2 verwendet.
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Die entsprechenden Verläufe der tatsächlichen, d. h. der aktuellen Radgeschwindigkeit vRR,akt des rechten Hinterrades RR, die zugehörige manipulierte Radgeschwindigkeit vRR,m sowie die von der Steuereinheit 3 berechnete ABS-Referenzgeschwindigkeit vref2 zeigt 5. Hieraus ist das „Voreilen” der manipulierten Radgeschwindigkeit vRR,m Gegenüber der tatsächlichen Radgeschwindigkeit vRR,akt zu erkennen. So nimmt bspw. zum Zeitpunkt t1 die manipulierte Radgeschwindigkeit vRR,m bereits ab, während die tatsächliche Radgeschwindigkeit vRR,akt erst kurz danach abnimmt. Im Zeitpunkt t2 ist es umgekehrt, ab diesem Zeitpunkt t2 nimmt die manipulierte Radgeschwindigkeit vRR,m zu, während die tatsächliche Radgeschwindigkeit vRR,akt erst kurz danach wieder zunimmt. Dies führt dazu, dass die Steuereinheit 3 einen größeren Schlupf ermittelt, als dies tatsächlich der Fall ist. Dadurch erfolgt eine frühere Reaktion der ABS-Funktion und es entstehen auf Asphalt keine ungewollten großen Schlupfeinläufe der Radgeschwindigkeiten vRR,akt und vRL,akt, wie dies aus Figur ersichtlich ist.
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Das erfindungsgemäße Verfahren eignet sich zur Realisierung einer Rückfallebene im automatisierten Fahren, wenn die Vorderachse eines Fahrzeugs mittels eines separaten ABS-Moduls ABS-gebremst und die Hinterachse mittels einer elektrischen Parkbremse ABS-gebremst wird.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- elektrische Parkbremse
- 2
- Host-Steuergerät des Fahrzeugs 10
- 2.1
- Schnittstelle des Host-Steuergerätes 2
- 2.2
- Manipulationsschnittstelle des Host-Steuergerätes 2
- 3
- Steuereinheit der elektrischen Parkbremse 1
- 4
- Parkbremsbedienelement
- 5.1
- Parkbremsaktuator
- 5.2
- Parkbremsaktuator
- 10
- Fahrzeug