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Die Erfindung betrifft ein Notausstiegssystem für Schienenfahrzeuge gemäß den Oberbegriffen der Ansprüche 1 und 2. Sie betrifft insbesondere Untergrundbahnzüge, bei denen ein Evakuieren der Passagiere über die seitlichen Türen nicht möglich ist. Bei einem Nothalt im Untergrundbereich oder in Tunnelstrecken muss das Evakuieren der Passagiere daher über Notausstiegstüren erfolgen, welche an den Stirnseiten der Schienenfahrzeuge angeordnet sind. Mit dem Öffnen der Notausstiegstüren müssen sofort Fluchtstege oder Fluchttreppen in eine Position gebracht werden, in der die Passagiere zügig und sicher den Gleiskörper erreichen und sich vom Schienenfahrzeug entfernen können. Dazu sind Notausstiegssysteme bekannt, bei denen an der Oberseite der Türöffnung eine nach oben schwenkbare Notausstiegstür angeordnet ist, während sich im Bodenbereich der Türöffnung eine nach unten ausschwenkbare, gefaltete Fluchtrampe oder Fluchttreppe befindet.
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Bei Schienenfahrzeugen, bei denen sich das Sichtfenster des Führerstandes im Bereich der Notausstiegstür befindet, müssen aufwändige technische Maßnahmen ergriffen werden, um während des Fahrbetriebes eine ungehinderte Sicht aus dem Führerstand zu gewährleisten und im Evakuierungsfall schnell einen Evakuierungssteg oder eine Evakuierungstreppe zur Verfügung zu stellen. Aus der
WO 2011/ 004 331 A1 ist dazu eine Lösung bekannt, bei der eine im Sichtbereich des Führerstandes angeordnete Notausstiegstür mit Sichtfenster nach oben öffnend angeordnet ist. Der zweiteilig gefaltet und nach unten ausschwenkbare Evakuierungssteg weist eine faltrolloartig zusammenschiebbare Bodenmatte auf, wodurch im normalen Fahrbetrieb die Sicht aus dem Führerstand gewährleistet ist. Da die Länge des ausgeschwenkten Evakuierungssteges in etwa dem Doppelten der Höhe der Notausstiegstür entspricht, werden beide Stegteile jeweils durch zwei biegeschlaffe Gurte gehalten. Zum Ausfahren der Bodenmatte sind weiterhin rollengeführte Seilzüge notwendig. Die Verwendung von Haltegurten und Seilzügen erfordert einen hohen baulichen Aufwand zur Gewährleistung der Funktionssicherheit.
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Eine ähnliche Lösung wird in der
EP 0 776 808 B1 beschrieben. Auch hier kommt ein faltbarer aus einer Textilbahn bestehender Bodenbelag zum Einsatz, wodurch im eingeklappten Zustand der Tür die Sicht aus dem Führerstand möglich ist. Da bei den vorgenannten Lösungen die Notausstiegstür und der Evakuierungssteg jeweils zwei getrennt bewegbare Baugruppen sind, kann das Gewicht des Evakuierungssteges, in Verbindung mit dem eingesetzten textilen Bodenbelag, relativ gering gehalten werden, so dass ein Führen und Halten mittels Gurten möglich ist. Die Verwendung von Seil- und Gurtsystemen ist hinsichtlich der Funktionssicherheit und Definiertheit der Aus- und Einklappvorgänge oft nicht zufriedenstellend.
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Aus baulichen Gründen sowie dem Fluchtwegverlauf entsprechend ist es auch üblich, die Notausstiegstüren horizontal mittig an den Stirnseiten der Schienenfahrzeuge anzuordnen sowie zum sicheren Überbrücken des Höhenunterschiedes zwischen Wagenboden und Gleis mit Stufen versehene Fluchttreppen einzusetzen. Außerdem ist es üblich, die Notausstiegstür und die Fluchttreppe als eine nach unten schwenkbare Baugruppe auszubilden.
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Gegenstand der
GB 2 267 109 A ist eine derartige Lösung, wobei die Länge der Fluchttreppe dabei nur der Höhe der Notausstiegstür entspricht und der Ausschwenkvorgang ebenfalls durch Seilzugsysteme geführt wird. Um im Fahrbetrieb die Sicht durch das Fenster der Notausstiegstür zu gewährleisten, wird die Treppe aus zwei Stufenabschnitten gebildet, welche bei geschlossener Notausstiegstür so verschachtelt ineinander geschoben sind, dass eine freie Sicht durch das Sichtfenster der Notausstiegstür möglich ist.
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In der
GB 2 274 092 A wird eine ähnlich der vorstehend genannten Lösung aufgebaute Notausstiegstür beschrieben, bei welcher das im geschlossenen Zustand der Notausstiegstür unter dem Sichtfenster geschachtelt angeordnete untere Treppenteil um eine Drehachse in seine Einsatzstellung schwenkbar ist. Auch bei dieser Lösung entspricht die nutzbare Treppenlänge nur in etwa der Höhe der Tür. Die Halterung und Steuerung des selbsttätigen Ausschwenkens erfolgt dabei auch über Seilzüge.
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Bei einer Gattung von Untergrundbahnzügen ist der Führerstand und somit das frontseitige Sichtfenster seitlich neben der mittig angeordneten Notausstiegstür angeordnet. Mit dieser Bauweise können Fluchttreppen realisiert werden, welche eine Treppenlänge in etwa entsprechend der doppelten Türhöhe aufweisen. Technisch umso aufwendiger gestalten sich dabei jedoch die Maßnahmen zum Gewährleisten der Stabilität und eines schnellen und sicheren Ausfahrens des Notausstiegssystems. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt des vorwiegend selbsttätigen Ausfahrens der gattungsgemäßen Notausstiegssysteme ist die nach dem Stand der Technik übliche Verwendung von Seilzügen und Haltebändern nicht zufriedenstellend. Auch sind bei den bekannten Lösungen mit nach unten ausschwenkender Notausstiegstür und daran angeordneten Treppen die nutzbaren Treppenlängen zu gering.
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Aus der
CN 103 693 055 A und der
US 2012 / 0 279 417 A1 sind Notausstiegssysteme bekannt, bei denen aus einer Fahrzeugfront mehrteilig ausgebildete Laufstege um eine an der Unterseite einer Türöffnung verlaufende horizontale Drehachse ausschwenkbar sind. Die Laufstege sind dabei über aus Zugstäben gebildete Knickhebel und Dämpfungszylinder am Gestell der Fahrzeugfront angelenkt.
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Es ist daher Aufgabe der Erfindung, eine Lösung für ein Notausstiegssystem für die Anordnung an den Stirnseiten von Schienenfahrzeugen zu schaffen, bei denen das Sichtfenster des Führerstandes neben der nach unten ausschwenkbar ausgebildeten Notausstiegstür angeordnet ist, wobei an der Innenseite der Notausstiegstür eine zweiteilige ausklappbare Treppe oder ein zweiteiliger ausklappbarer Laufsteg angeordnet ist, welche nach dem Ausklappen eine Länge aufweisen, die deutlich größer als die Höhe der Türöffnung ist. Das Ausschwenken der Notausstiegstür soll in Verbindung mit dem Ausklappen der Treppe oder des Laufsteges nach einem Entriegelungsvorgang selbsttätig und schwerkraftbetrieben erfolgen, wobei der gedämpft gesteuerte Ausschwenkvorgang ohne rollengeführte mehrtrumige Seilzugsysteme und Haltegurte realisiert werden soll.
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Diese Aufgabe wird durch ein Notausstiegssystem mit den Merkmalen der Patentansprüche 1 oder 2 gelöst. Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind in den Unteransprüchen angegeben.
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Gemäß der Erfindung nach Patentanspruch 1 wird die Aufhängung, Dämpfung und Steuerung der Bewegungsabläufe nur durch zwei am Schienenfahrzeug und der ersten Treppe angelenkten und aus jeweils zwei Zugstangen bestehenden Knickhebeln im Zusammenwirken mit am Schienenfahrzeug angelenkten Dämpfungszylindern realisiert. Nach dem Entriegeln und während dem selbsttätigen, gedämpften Ausschwenken der Notausstiegstür in ihre Endlage löst eine der unteren Zugstangen eine weitere Verrieglungsvorrichtung, welche dann den federkraftbetriebenen Antrieb zum Ausklappen der zweiten Treppe freigibt. Gegenüber Lösungen mit frei verlaufenden und mehrfach über Rollen geführten Seil- oder Gurtabschnitten besteht ein wesentlicher Vorteil der erfindungsgemäßen Lösung darin, dass durch die Verwendung eines Knickhebelsystems ein Höchstmaß an Funktionssicherheit erreicht wird, da die Ein- und Ausklappvorgänge immer genau definiert ablaufen. Somit sind wiederholbare Ausklappvorgänge, zum Beispiel zu Übungs- und Wartungszwecken, problemlos möglich, ohne dass beim Einschwenken diverse Zugmittel geordnet oder ausgerichtet werden müssen. Durch das wagenseitig an der ersten Treppe im ausgeklappten Zustand befindliche horizontale Podest wird eine darunterliegende Fahrzeugkupplung überbrückt, welche bei vollständig ausgeklappter Notausstiegstür teilweise in einen dafür vorgesehenen Hohlraum eintauchen kann.
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Bei Schienenfahrzeugen, mit einer entsprechend geringeren Höhe zwischen der Notausstiegstür und dem Gleiskörper, ist eine Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Notausstiegsystems gemäß Patentanspruch 2 auch ohne Treppenstufen, mit zwei jeweils zwischen Stegwangen ausgebildeten Laufstegen möglich.
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Ein Ausführungsbeispiel der Erfindung ist in den Figuren dargestellt und wird im Folgenden anhand einer Treppenvariante näher beschrieben.
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Es zeigen:
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1 ein eingeklapptes Notausstiegssystem
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2 eine Phase des Ausklappvorgangs nach dem Entriegeln der Notausstiegstür
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3 eine Phase des Ausklappvorgangs vor dem Entriegeln der zweiten Treppe
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4 eine Phase des Ausklappvorgangs nach dem Entriegeln der zweiten Treppe
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5 ein vollständig ausgeklapptes Notausstiegssystem
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An der Fahrzeugfront 1 eines Schienenfahrzeuges ist an einer Türöffnung als Teil der Fahrzeugkarosserie die Notausstiegstür 2 angeordnet. Die Notausstiegstür 2 ist dabei um eine im Bereich der unteren Türzarge verlaufenden horizontalen Drehachse nach außen und unten verschwenkbar. Im geschlossenen Zustand wird die Notausstiegstür 2 mittels der im Bereich der oberen Türzarge angeordneten Verriegelungseinrichtung 5 in der Schließstellung arretiert. Dazu ragt das an der Innenseite der Notausstiegstür 2 befindliche Verriegelungselement 19 in die Verriegelungseinrichtung 5 (1). An der fahrzeugnahen Innenseite der Notausstiegstür 2 ist die sich von einem Podest 22 aus erstreckende und aus Treppenwangen 20 und dazwischen befindlichen Treppenstufen gebildete erste Treppe 7 angeordnet. Am fahrzeugfernen Ende der Treppe 7 ist jeweils auf den Oberseiten der Treppenwangen 20 die aus Treppenwangen 21 und Treppenstufen bestehende zweite Treppe 8 mittels Drehgelenken so gekoppelt, dass die Treppen 7 und 8 parallel aneinander geklappt werden können.
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Die jeweils beidseitig entlang der Treppenwangen 20 und 21 doppelt befindlichen Bauteile werden im Folgenden bezogen auf die Seitenansichten immer nur einmal genannt.
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Unterhalb der Verrieglung 5 ist am Fahrzeuggestell der Zugstab 3 drehgelenkig befestigt. Das andere Ende des Zugstabes 3 ist mit dem freien Ende des an der Treppenwange 20 der Treppe 7 drehgelenkig befestigten Zugstabes 4 verbunden. Zusammen bildet ein Zugstab 3 und 4 jeweils einen Knickhebel 24. Die Kolbenstangen der am Fahrzeuggestell schwenkbar angelenkten Dämpfungszylinder 6 sind gelenkig mit dem Zugstab 3 verbunden. Im geschlossen Zustand der Notausstiegstür 2 liegt die an einem Winkelhebel 14 angeordnete Andruckrolle 18 durch die Druckfeder 13 über das Druckfederbein 25 kraftbeaufschlagt an einer Seite an dem Podest 22 der Treppe 7 an.
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Von der Treppenwange 20 verläuft unter Zwischenschaltung der Zugfeder 12 das Antriebsseil 15 über den Außenumfang des von der Unterseite der Treppenwange 21 abragenden Umlenkringes 10 zu einem Befestigungspunkt an der Unterseite der Treppenwange 21. Der Innenumfang des Umlenkringes 10 weist eine Verzahnung auf, in welche das Drehdämpfungsritzel 11 einer nicht näher dargestellten, an der Treppe 7 befindlichen Drehdämpfungseinrichtung eingreift. Dies kann zum Beispiel eine hydraulisch betriebene Drehdämpfungseinrichtung sein.
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An der Treppenwange 21 befindet sich ein Verriegelungselement 23, welches in der an der Treppenwange 20 befindlichen federkraftbeaufschlagten Verriegelungseinrichtung 17 arretiert ist (2, 3). In der in 3 dargestellten Bewegungsphase befindet sich der Zugstab 4 in einer Position, in welcher er am Auslöseelement der Verrieglungseinrichtung 17 anliegt.
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Zum Überbrücken einer unter der Türöffnung abragenden Fahrzeugkupplung ist an der Treppe 7 fahrzeugseitig ein starr an der Treppe 7 angeordnetes abgewinkeltes Podest 22 ausgebildet, welches im ausgeschwenkten Zustand der Notausstiegstür die Fahrzeugkupplung horizontal überragt, und unter welcher sich ein Raum zum teilweisen Aufnehmen der Fahrzeugkupplung befindet. Dieser Raum ist bei eingeschwenkter Notausstiegstür 2 durch die als Teil der Fahrzeugkarosserie ausgestaltete Kupplungsklappe 16 verschlossen.
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Im Evakuierungsfall wird die Verriegelung 5 durch eine Betätigungseinrichtung an der Notausstiegstür 2 oder eine Fernsteuerung aus dem Führerstand entriegelt. Das kraftbeaufschlagte Druckfederbein 25 bewirkt über die Andruckrolle 18, dass die Notausstiegstür 2 aus der Fahrzeugfront 1 des Schienenfahrzeuges heraus nach unten schwenkt. Nach Durchfahren des oberen Totpunktes erfolgt der Schwenkvorgang dann schwerkraftbedingt selbsttätig. Die Schwenkbewegung wird dabei durch die auf die Zugstäbe 3 wirkenden Dämpfungszylinder 6 entsprechend gebremst. Kurz vor dem Erreichen der gestreckten Endlage der Zugstäbe 3 und 4 löst der Zugstab 4 die Verriegelungseinrichtung 17 aus, so dass die unter Spannung der Zugfedern 12 stehenden Antriebsseile 15 die Treppe 8 aus der immer noch zur Treppe 7 parallelen Lage herausschwenken, bis die Treppen 7 und 8 fluchten und nun belastbar sind. Dabei wird die Ausklappgeschwindigkeit über das Drehdämpfungsritzel 11 einer Drehdämpfungseinrichtung gesteuert.
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Mit Beginn des Ausschwenkens der Notausstiegstür 2 erfolgt zwangsgesteuert ein Einschwenken der Kupplungsklappe 16, wodurch der unter dem Podest 22 befindliche Raum zum teilweisen Eintauchen einer nicht dargestellten Fahrzeugkupplung freigegeben wird.
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In einer nicht dargestellten und nicht näher beschriebenen Ausführungsform ist das ansonsten baugleiche Notausstiegssystem statt mit zwei Treppen mit zwei ebenen Laufstegen ausgebildet. Bei einer entsprechenden Höhe zwischen Notausstiegstür und Gleiskörper kann auf diese Weise eine stufenfreie Lösung realisiert werden.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Fahrzeugfront
- 2
- Notausstiegstür
- 3
- Zugstäbe
- 4
- Zugstäbe
- 5
- Verrieglungseinrichtung
- 6
- Dämpfungszylinder
- 7
- Treppe
- 8
- Treppe
- 10
- Umlenkringe
- 11
- Drehdämpfungsritzel
- 12
- Zugfedern
- 13
- Druckfeder
- 14
- Winkelhebel
- 15
- Antriebsseile
- 16
- Kupplungsklappe
- 17
- Verriegelungseinrichtung
- 18
- Andruckrolle
- 19
- Verriegelungselement
- 20
- Treppenwangen
- 21
- Treppenwangen
- 22
- Podest
- 23
- Verriegelungselement
- 24
- Knickhebel
- 25
- Druckfederbein