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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Auswahl von Stahlgüten.
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In der Stahlindustrie existieren mehr als 2000 unterschiedliche Stahlgüten, welche zumindest teilweise verschiedenen Branchen zugeordnet sind. Es wird davon ausgegangen, dass derzeit weit mehr als 100 verschiedene Stahlgüten weltweit zum Einsatz kommen. Die Stahlgüten unterscheiden sich dabei in unterschiedlichsten Materialeigenschaften, welche im Weiteren auch als Prüfkriterien bezeichnet werden. Einhergehend mit der großen Anzahl an verschiedenen Stahlgüten besteht daher das Problem, dass die Produktionsmengen für die einzelnen Stahlgüten nicht so groß sind, so dass erhöhte Kosten bei der Herstellung der Stahlgüte entstehen. Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an die einzusetzende Stahlgüte, beispielsweise im Automobilbereich, müssen diese unterschiedlichen Kriterien von den Stahlgüten eingehalten werden.
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Aus der deutschen Offenlegungsschrift
DE 10 2004 063 388 A1 ist beispielsweise ein Verfahren zur adaptiven Klassifizierung von Werkstücken bekannt, bei dem nach Auswahl von Gütemerkmalen für die Werkstücke eine Vielzahl von Messwerten ermittelt und zu einem Gütemerkmalvektor zusammengefasst werden. Während der Prüfung der Werkstücke passt sich das Verfahren fortlaufend an die ermittelten Kenngrößen an.
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Des Weiteren ist aus der
DE 600 24 495 T2 ein Stahl mit ausgezeichneter Warmschmiedbarkeit und Bearbeitbarkeit bekannt, bei dem Einschlüsse, wie z. B. MnS-Körner, mittels Steuerung der chemischen Stahlzusammensetzung möglichst sphärisch geformt sind.
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Die
DE 602 20 809 T2 beschreibt die Verwendung von austenitischem nichtrostendem Stahl, der durch die Auswahl entsprechender Stahlgüte hergestellt wurde.
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Aus der deutschen Offenlegungsschrift
DE 42 17 007 A1 ist zudem ein Verfahren zur Überwachung und Sicherung der Produktqualität bekannt, wobei im kontinuierlichen Betrieb ein Prüfsignal erzeugt und die Häufigkeitsverteilung der Amplitude des Prüfsignals berechnet wird. Dies bildet schließlich für jeden Bereich ein Merkmal des Prüfsignals, die dann zu Vektoren zusammengefasst werden. Anhand dieser kann die Qualität der Produktionsanlage besser beurteilt werden.
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Schließlich beschreibt die deutsche Patentschrift
DE 34 31 609 C1 ein Verfahren zur Qualitätsklassifikation eines auf dem Prüfstand zu prüfenden Produkts anhand von einfach messbaren Daten, wie z. B. Strom, Spannung, Drehzahl.
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Es ist daher Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Verfahren zur Auswahl von Stahlgüten anzugeben, mit welchem die Anzahl der benötigten Stahlgüten reduziert werden kann, um alle von der Anwendung her notwendigen Kriterien durch die Stahlgüte einzuhalten.
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Gemäß der Lehre der vorliegenden Erfindung wird diese Aufgabe durch ein Verfahren zur Auswahl von Stahlgüten zur Einhaltung spezifischer Prüfkriterien K mit folgenden Schritten, gelöst:
- – Auswahl mindestens eines messbaren Prüfkriteriums K,
- – Durchführung einer Mehrzahl an Messungen des Prüfkriteriums K unter Heranziehung mindestens zweier Stahlgüten i,
- – Bestimmung des Mittelwertes μi des gemessenen Prüfkriteriums K sowie dessen halber Streubreite si je Stahlgüte i, wobei für die halbe Streubreite si gilt: si = 0,5·(max. Messwert – min. Messwert), oder
anstelle der halben Streubreite si die Standardabweichung σi verwendet wird und der Mittelwert μi aus den Erwartungswerten Ei durch Bildung des arithmetischen Mittels für jedes Prüfkriterium bestimmt wird,
- – Vorgabe
eines oberen Grenzwertes Z, oberhalb dessen bei zu maximierendem Prüfkriterium das Prüfkriterium K für die Stahlgüte i erfüllt ist,
oder
eines unteren Grenzwertes Z, unterhalb dessen bei zu minimierendem Prüfkriterium das Prüfkriterium K für die Stahlgüte i erfüllt ist,
- – Bestimmung der Stahlgüte S, für die gilt: (Z – μS) = maximal, wenn Z oberer Grenzwert des Prüfkriteriums K ist, oder (Z – μS) = minimal, wenn Z unterer Grenzwert des Prüfkriteriums K ist,
- – Ermittlung einer Intervallüberlappungskennziffer KI der Stahlgüten i und S für die gilt: KIiS = (μi – si) – (μS + sS), wenn der Wert des Prüfkriterium K maximiert werden soll
oder KIiS = (μS – sS) – (μi + si), wenn der Wert des Prüfkriteriums K minimiert werden soll,
- – Bestimmung des Überlappungskriteriums KBis für das Prüfkriterium K der Stahlgüten i und S für das gilt: KBiS = KIis/μS, wobei der Wert des Überlappungskriteriums KBiS der Stahlgüte i für das Prüfkriterium K zur Auswahl der Stahlgüte i herangezogen wird.
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Die Auswahl einer Stahlgüte gemäß dem erfindungsgemäßen Verfahren berücksichtigt, anders als die üblicherweise vorhandenen Messwerte der Datenblätter, die Streubreite der tatsächlich messbaren Messwerte des spezifischen Prüfkriteriums K, beispielsweise der Zugfestigkeit oder der Rückfederung. Durch eine Mehrzahl an Messungen dieses Prüfkriteriums K werden zunächst die Streubreite si und der Mittelwert μi bestimmt, welche hier herangezogen werden sollen, um eine Überlappungskennziffer, das Überlappungskriterium KBIS zwischen zwei verschiedenen Stahlgüten S und i zu bestimmen. Für die Stahlgüte S, welche das Prüfkriterium am schlechtesten erfüllt, gilt: (Z – μS) = maximal, wenn Z oberer Grenzwert des Prüfkriteriums K ist, oder (Z – μS) = minimal, wenn Z unterer Grenzwert des Prüfkriteriums K ist, wobei bei zu minimierendem Prüfkriterium Z ein unterer Grenzwert ist, unterhalb welchem das Prüfkriterium K erfüllt ist und bei maximierendem Prüfkriterium Z ein oberer Grenzwert ist, oberhalb welchem für eine Stahlgüte i das Prüfkriterium K erfüllt ist. Ein Vergleich mit der Stahlgüte i, welche eine beliebige Stahlgüte ist, wird dadurch erreicht, dass eine Intervallüberlappungskennziffer KIiS ermittelt wird und zwar abhängig davon, ob das jeweilige Prüfkriterium K maximiert werden soll oder minimiert werden soll. Ein typisches, zu maximierendes Prüfkriterium kann in einem Anwendungsfall beispielsweise die Zugfestigkeit sein. Ein typisches zu minimierendes Prüfkriterium kann beispielsweise die Rückfederung nach dem Tiefziehen sein. Je nachdem, ob das Prüfkriterium maximiert oder minimiert werden soll, wird die Intervallüberlappungskennziffer KIiS ermittelt und daraus das Überlappungskriterium KBiS für ein Prüfkriterium K zwei Stahlgüten i und S ermittelt. Wird das Überlappungskriterium KBiS negativ, so überschneiden sich die Intervalle μi +/– si und das Intervall μS +/– sS der beiden Stahlgüten i und S. In diesem Fall wird bezüglich des gewählten Prüfkriteriums die Stahlgüte i verworfen, da ihre Eigenschaften zum großen Teil durch die Stahlgüte S erfüllt werden. Die Anzahl der für eine Anwendung mit einem notwendigen Prüfkriterium K in Frage kommenden Stahlgüten kann damit herabgesetzt werden. Wird das Überlappungskriterium KBiS positiv findet keine Überlappung statt. Das Überlappungskriterium KBiS gibt in diesem Fall ein Maß für den Unterschied der gemessenen Prüfkriterien K der Stahlgüte i im Vergleich zur Stahlgüte S an.
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Gemäß einer ersten Ausgestaltung des Verfahrens wird eine Stahlgüte B ermittelt, welche das Prüfkriterium am besten erfüllt, für diese gilt dann (Z – μB) = minimal, wenn Z oberer Grenzwert des Prüfkriteriums K ist, oder (Z – μB) = maximal, wenn Z unterer Grenzwert des Prüfkriteriums K ist, mit welcher ein quantitativer Rangfolgekoeffizient Rqi für jede Stahlgüte i ermittelbar ist, wobei für den Rangfolgekoeffizienten Rqi gilt: Rqi = 100·KIiS/KIBS.
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Im Falle der Stahlgüte B ergibt sich ein RqB von 100. Alle anderen Stahlgüten weisen geringere Koeffizienten auch negative Koeffizienten auf, so dass eine Rangfolge zwischen den Stahlgüten in Bezug auf das Prüfkriterium und unter Berücksichtigung der Streubreite der jeweiligen Messwerte der Stahlgüten erstellt werden kann.
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Gemäß einer weiteren Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Verfahrens wird als Prüfkriterium K die Streckgrenze Re, die Zugfestigkeit Rm, die Bruchdehnung A, A50, A80, AG, der Verfestigungsexponent n, Stauchweg bei Axialcrash, Intrusion beim Seitencrash, Porendichte bei MAG-Schweißnähten, Qualitätsgrößen bei Kopf- und Scherzugversuchen, wie beispielsweise maximale Kraft Fmax, Probenverlängerung (SFmax bei Fmax), Energieaufnahme (Wmax bis Fmax), Kraft FB (≥ 0,3 Fmax), Weg SFB und Energieaufnahmen WFB bis FB und/oder die Rückfederung nach dem Tiefziehen herangezogen. Dies ist nur eine kleine Auswahl an möglichen Prüfkriterien, welche für die Auswahl der Stahlgüte herangezogen werden kann. Alle Prüfkriterien können auch miteinander kombiniert werden, um ein komplexes Prüfkriterium bereitzustellen.
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Alternativ wird anstelle der Streubreite si die Standardabweichung σi verwendet und der Mittelwert μi aus den Erwartungswerten Ei durch Bildung des arithmetischen Mittels für jedes Prüfkriterium bestimmt. Diese alternative Ausführung des erfindungsgemäßen Verfahrens macht sich zu Nutze, dass die mechanisch, technologischen Kennwerte in der Regel normal verteilt sind und über die Gaußverteilung die Standardabweichung und der Erwartungswert einer jeden, hergestellten Charge einer Stahlgüte i zur Bildung der arithmetischen Mittelwerte herangezogen wird. Hierdurch kann die Genauigkeit der Einhaltung der Prüfkriterien K und damit auch die Auswahl der entsprechenden Stahlgüte weiterverbessert werden.
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Im Weiteren soll die Erfindung anhand von Ausführungsbeispielen näher erläutert werden. Die Tabelle 1 zeigt für die Stahlgüten G1 bis G5 Messwerte eines Prüfkriteriums K1 bzw. die Mittelwerte μ der Messung. Das Prüfkriterium K1 soll minimiert werden. Darüber hinaus sind dargestellt die obere Streugrenze μi + si sowie die untere Streugrenze μi – si. Als unterer Grenzwert Z wird für das Prüfkriterium K1 Z = 95 angenommen. Unterhalb von 95 ist das Prüfkriterium K1 erfüllt. (Z – μ) hat dann den Wert 1 für die Stahlgüte G1 und ist damit maximal. Die Stahlgüte G4 hat einen Wert (Z – μ) von –4, so dass (Z – μ) minimal ist. Entsprechend dem erfindungsgemäßen Verfahren erfüllt die Stahlgüte G4 das Prüfkriterium K damit am wenigstens, Tabelle 1. Das Kriterium K sollte hier minimiert werden. Unter Verwendung der Formel: KIiS = (μS – sS) – (μi + si) wird eine Intervallüberlappungskennziffer für die Stahlgüten i bezogen auf die Stahlgüte G4, welche hier mit einem S gekennzeichnet ist, ermittelt. Darüber hinaus wird die Stahlgüte ermittelt, welche das Prüfkriterium K1 am besten erfüllt. Vorliegend ist das die Stahlgüte G1, hier mit einem B gekennzeichnet. Anhand dieser Stahlgüte wird zusätzlich ein Rangfolgekoeffizient Rqi ermittelt, für den gilt Rqi = 100·KIiS/KIBS.
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Anhand der Tabelle 1 kann man nun erkennen, dass beispielsweise die Stahlgüte G1 den Rang 1 besitzt, obwohl aber die Stahlgüte G2 einen niedrigeren Mittelwert in Bezug auf das Kriterium K1 als die Stahlgüte G5 besitzt, gibt der Rangfolgekoeffizient Rq
i die Stahlgüte G5 als mit dem Rang 2, also als am zweitbesten geeignet, an. Dies hat seine Ursache darin, dass das Überlappungskriterium KI
iS sowie der Rangfolgekoeffizient Rq
i die Streubreite der Messwerte für μ mit berücksichtigen. Die Streubreite der Stahlgüte G5 ist im Verglich zu der Streubreite der Stahlgüte G2 allerdings deutlich geringer. Das erfindungsgemäße Verfahren berücksichtigt also die Streubreite und gibt eine Entscheidungshilfe, welche Stahlgüte verwendet werden kann. In der Tabelle 1 ist lediglich der Wert KI
iS der Stahlgüte G4 (S) negativ, so dass keine der Stahlgüten eine Überlappung mit der Stahlgüte G4 aufweist. Tabelle 1
Stahlgüte | μ (K1) | μi + si | μi – si | KIiS | Rqi | Rang |
G1 (B) | 94 | 95,32 | 92,68 | 3,38 | 100 | 1 |
G2 | 95,5 | 96,82 | 94,18 | 1,88 | 56 | 3 |
G3 | 97 | 98,32 | 95,68 | 0,38 | 11 | 4 |
G4 (S) | 99 | 99,3 | 98,7 | –0,6 | –18 | 5 |
G5 | 96 | 96,66 | 95,34 | 2,04 | 60 | 2 |
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Anders ist dies in dem in Tabelle 2 dargestellten Ausführungsbeispiel. Die Stahlgüten G6 bis G10 wurden hier hinsichtlich eines weiteren Prüfkriteriums K2 vermessen. Das Prüfkriterium K2 soll maximiert werden. Als oberer Grenzwert, ab welchem das Prüfkriterium erfüllt ist, wird Z = 20 herangezogen. Als die Stahlgüte, welche das Prüfkriterium K2 am wenigstens erfüllt, hat sich die Stahlgüte G7 erwiesen. Für sie hat (Z – μ) den Wert 9,3 und ist maximal. Für die Stahlgüte G9 ergibt (Z – μ) einen Wert von –22, also einen minimalen Wert. G9 ist die am besten geeignete Stahllegierung. Daraus wurden die Intervallüberlappungskennziffer KIiS sowie der Rangfolgekoeffizient Rqi ermittelt. Die Intervallüberlappungskennziffer KIiS zeigt deutlich, dass die Stahlgüten G6 und G8 mit der Stahlgüte G7 überlappen, so dass prinzipiell die Stahlgüten G6 oder G8 durch die Stahlgüte G7 in Bezug auf das untersuchte Prüfkriterium K2 ersetzt werden können. Damit kann die Anzahl der möglichen Stahlgüten pro Anwendungsfall effektiv reduziert werden.
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Die positive Überlappungsintervallkennziffer KI
iS der Stahlgüten G9 und G10 zeigt an, dass keine Überlappung mit der Stahlgüte G6 vorhanden ist. Aus dem Rangkoeffizienten Rq
i lässt sich dann leicht ermitteln, dass die Stahlgüte G9 mit 100 am besten geeignet ist und mit abnehmenden Rangfolgekoeffizient Rq
i die Eignung der Stahlgüten abnehmen. Die Stahlgüte G10 zeigt, wie bereits ausgeführt, keine Überlappung in Bezug auf das Prüfkriterium K2 und kann daher im Stahlgütenportfolio verbleiben. Tabelle 2
Stahlgüte | μ (K2) | μi + si | μi – si | KIiS | Rqi | Rang |
G6 | 16,7 | 23,5 | 9,9 | –7,6 | –53 | 4 |
G7 (S) | 10,7 | 17,5 | 3,9 | –13,6 | –95 | 5 |
G8 | 21,38 | 28,18 | 14,58 | –2,92 | –20 | 3 |
G9 (B) | 42 | 52,2 | 31,8 | 14,3 | 100 | 1 |
G10 | 27,7 | 34,5 | 20,9 | 3,4 | 24 | 2 |
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Das Prüfkriterium K1 oder das Prüfkriterium K2 steht für jedes beliebige Prüfkriterium, welches an einer Stahlgüte gemessen oder ermittelt werden kann. Das erfindungsgemäße Verfahren kann insofern dazu genutzt werden, die Anzahl der Stahlgüten, welche ein bestimmtes Prüfkriterium erfüllen sollen, zu reduzieren und gleichzeitig eine Aussage darüber treffen, welche der Stahlgüten am besten geeignet ist. Sie gibt darüber hinaus eine Reihenfolge der Eignung vor.