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Die Erfindung betrifft ein Sitz-Strukturteil und einen Kraftfahrzeug-Sitz mit einem solchen Sitz-Strukturteil.
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Der Trend, im Kraftfahrzeugbau, leichtere, kompaktere und gleichzeitig sicherere Fahrzeuge zu bauen sowie steigende Preise für petrochemisch erzeugte Kunststoff-Materialien, machen den Einsatz neuartiger Sitz-Strukturteile interessant. Sitz-Strukturteile im Sinne der Erfindung sind etwa komplett einteilige Sitzschalen oder einzelne Strukturteile von Sitzflächen, Rückenlehnen, Armauflagen und/oder Beinauflagen. Sitz-Strukturteile bestehen bisher aus Polyamiden, die aus petrochemisch gewonnen Rohstoffen hergestellt werden. Am Markt sind diese Materialien unter verschiedenen Markennamen und mit einer jeweils variierenden Strukturformel bekannt. Zu den bekanntesten und am häufigsten verwendeten Polyamiden zählt hierbei das Polyamid mit dem Kurzzeichen PA 6. Dieses Polyamid entsteht durch Polymerisation von ε-Caprolactam. PA 6 weist eine Dichte von 1,14 g/cm3, eine Wärmeformbeständigkeitstemperatur von 180°C und eine Wasseraufnahme von 3% auf. Das daneben häufig verwendete PA 66 wird ebenfalls petrochemisch hergestellt und hat ähnliche technische Eigenschaften.
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Die vergleichsweise hohe Dichte führt dazu, dass ein Sitz-Strukturteil aus diesen Materialien unnötig schwer ist, während die vergleichsweise niedrige Wärmeformbeständigkeitstemperatur dazu führen kann, dass Brandschutzauflagen nur bedingt erfüllt werden können, da die Wärmeformbeständigkeitstemperatur im Wesentlichen proportional zur Zündtemperatur ist.
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Neben den in Abhängigkeit des Ölpreises steigenden Kosten für die Rohstoffbeschaffung, sind mit der Produktion von Sitz-Strukturteilen aus herkömmlichen Polyamiden hohe CO2-Emissionen verbunden, die bei einer gewöhnlichen Sitzschale für einen Stadtbus bis zu 32 kg pro Stück betragen können.
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Die Verwendung von alternativen Kunststoff-Materialien für Kraftfahrzeug-Strukturbauteile ist etwa aus der
DE 10 2009 008 640 A1 bekannt. Dort wird ein Kunststoffbauteil, insbesondere ein Luftfiltergehäuse, beschrieben, das zumindest teilweise aus einem Biopolyamid, insbesondere aus PA 6.10 oder aus PA 5.10, besteht. Diese Materialien werden als vorteilhaft beschrieben, da sie eine ähnliche Chemikalienbeständigkeit und Temperaturbeständigkeit aufweisen wie das bekannte PA 6, jedoch über eine geringere Wasseraufnahme und Dichte verfügen.
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Ausgehend von diesem Stand der Technik ist es Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein verbessertes Sitz-Strukturteil für einen Kraftfahrzeug-Sitz zu schaffen, das zur Gewichtsreduktion eines Kraftfahrzeug-Sitzes beitragen kann, bei der Herstellung geringere CO2-Emissionen verursacht, die Abhängigkeit von petrochemischen Rohstoffen reduziert und über verbesserte Brandschutzeigenschaften verfügt.
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Diese Aufgabe wird durch ein Sitz-Strukturteil für einen Kraftfahrzeug-Sitz mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst.
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Ferner ergibt sich die Aufgabe, einen Kraftfahrzeug-Sitz zu schaffen, der leichter ist als bekannte Kraftfahrzeug-Sitze und gute Brandschutzeigenschaften aufweist.
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Diese Aufgabe wird durch einen Kraftfahrzeug-Sitz mit den Merkmalen des Anspruchs 6 gelöst.
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Weiterbildungen sind jeweils in den Unteransprüchen ausgeführt.
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Eine erste Ausführungsform bezieht sich auf ein Sitz-Strukturteil für einen Kraftfahrzeug-Sitz, das zumindest teilweise aus einem Biopolymer-Material besteht.
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Ein erfindungsgemäßes Sitz-Strukturteil kann eine einteilige Sitzschale sein, oder es kann sich dabei um einzelne Strukturteile von Sitzflächen, Rückenlehnen, Armauflagen und/oder Beinauflagen handeln. Ein Sitz-Strukturteil bildet in einem Kraftfahrzeug-Sitz den Teil, der zur Bereitstellung der mechanischen Eigenschaften maßgeblich ist. Ein Biopolymer im Sinne der Erfindung soll ein Polymer sein, das zu überwiegenden Teilen, vorzugsweise zu mehr als 50 Gew.-%, aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen wird, beispielsweise mittels Fermentation. Die teilweise oder vollständige Substitution von petrochemisch hergestellten Kunststoffen mit Biopolymeren trägt dazu bei, die CO2-Emissionen bei der Fertigung zu reduzieren und kann in Zukunft die Beschaffungskosten reduzieren, da die Ausgangsstoffe für Biopolymere nachwachsend sind und somit nicht den langfristigen Steigerungen bzw. den volatilen Schwankungen des Ölpreises unterworfen sind. Ferner stellt ein Kraftfahrzeug, das einen Kraftfahrzeug-Sitz mit einem erfindungsgemäßen Sitz-Strukturteil aufweist, einen Imagegewinn für den Kunden dar und bietet aufgrund dessen einen zusätzlichen Kaufanreiz.
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Es existieren Biopolymer-Materialien, deren technische Eigenschaften (z. B. Festigkeit, Zähigkeit, Chemikalienbeständigkeit, thermische Beständigkeit, Wasseraufnahme) die technischen Eigenschaften des bekannten PA 6 übertreffen oder zumindest gleichwertig sind.
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So kann in einer Ausführungsform des Sitz-Strukturteils das Biopolymer-Material ein Polyamid 6.10, Polyamid 5.10 oder Polyamid 4.10 sein.
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PA 6.10, das aus den Grundstoffen Hexamethylendiamin und Sebazinsäure hergestellt wird und zu mehr als 60% auf dem nachwachsenden Rohstoff Sebazinsäure basiert, die aus dem Öl der Rizinuspflanze bzw. der Rizinussamen gewonnen wird, weist im Vergleich zum konventionellen PA 6 oder PA 66 eine um 7,5% reduzierte Dichte von 1,07 g/cm3 und gleichzeitig eine um mehr als die Hälfte reduzierte Wasseraufnahme (gemessen bei 23°C und 50% Raumfeuchtigkeit) von 1,4% auf. Außerdem weist PA 6.10 im Vergleich zum konventionellen PA 6 ein verbessertes Schlagzähigkeitsverhalten nach thermischer Alterung auf. Die weiteren relevanten technischen Eigenschaften, insbesondere Festigkeit und Chemikalienbeständigkeit sind nahezu gleich. Daraus resultieren letztlich eine erhebliche Gewichtseinsparung am Kunststoffbauteil. Weiterhin ist das Biopolyamid PA 6.10 auch durch die Rizinuspflanze als nachwachsendem Rohstoff in ausreichender Menge verfügbar und dabei wirtschaftlich herstellbar, wodurch die CO2-Emissionen bei der Herstellung erheblich verringert werden können.
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Eine nochmalige weitere Verbesserung, insbesondere hinsichtlich der Umweltverträglichkeit eines erfindungsgemäßen Sitz-Strukturteils, wird durch die Verwendung des Biopolyamids PA 5.10 erreicht. Dabei basiert PA 5.10 zu 100% auf den nachwachsenden Rohstoffen Pentamethylendiamin, das durch Fermentation gewonnen wird, und Sebazinsäure, die wiederum aus dem Öl der Rizinuspflanze gewonnen wird. Durch weitere chemische Behandlung wird anschließend das Biopolyamid PA 5.10 erhalten. Im Vergleich zum konventionellen PA 6 weist das Biopolyamid PA 5.10 ebenfalls eine um 7,5% reduzierte Dichte von 1,07 g/cm3 auf und gleichzeitig eine um nahezu die Hälfte reduzierte Wasseraufnahme (gemessen bei 23°C und 50% Raumfeuchtigkeit) von 1,8%. Die weiteren relevanten technischen Eigenschaften hinsichtlich Festigkeit, Zähigkeit, Alterungs- und Chemikalienbeständigkeit sind nahezu gleich.
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Ein weiteres Biopolymer ist das Biopolyamid PA 4.10, das ebenfalls mit einem Anteil von bis zu 70% auf dem nachwachsenden Rohstoff Rizinusöl basiert. Es weist ähnliche technische Eigenschaften auf wie die Biopolyamide PA 6.10 und PA 5.10. Durch seinen hohen Anteil an nachwachsenden Rohstoffen betragen die CO2-Emissionen bei der Fertigung einer Sitzschale für einen Stadtbus unter Verwendung des PA 4.10 nur 8,83 kg, gegenüber 32 kg bei dem bekannten PA 6, was eine signifikante Einsparung darstellt, die beispielsweise bei einem üblichen Stadtbus mit 30 Sitzplätzen 695 kg beträgt. Darüber hinaus kann die Wärmeformbeständigkeitstemperatur des Biopolymers in einem Bereich von 170°C bis 300°C, bevorzugt in einem Bereich von 190°C bis 280°C, liegen.
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Die Biopolymere PA 5.10, PA 6.10 und PA 4.10 weisen strukturbedingt eine höhere Wärmeformbeständigkeitstemperatur auf als das bekannte PA 6. Mit der Wärmeformbeständigkeitstemperatur (auch Heat Deflection Temperature, HDT genannt) soll hier die nach der Norm DIN EN ISO 75 1-3 bestimmbare HDT nach Methode B bezeichnet werden. Eine hohe HDT ist bei einem Sitz-Strukturteil vorteilhaft, da das Sitz-Strukturteil dann auch während starker Erwärmung des Fahrzeug-Innenraums vergleichsweise fest und mechanisch belastbar bleibt, wobei die Temperaturen im Fahrzeug-Innenraum bei starker Einstrahlung bis zu 70°C betragen können. Ferner ist die HDT auch zu der Zündtemperatur proportional, was ein Hinweis darauf ist, dass ein solches Biopolymer günstigere Eigenschaften im Brandfall aufweisen kann.
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Ferner kann das Biopolymer-Material eine Wasseraufnahme in einem Bereich von 1,0% bis 2,5%, bevorzugt in einem Bereich von 1,2 bis 2,3%, aufweisen. Alternativ oder zusätzlich kann die Dichte des Biopolymer-Materials in einem Bereich von 1,00 g/cm3 bis 1,10 g/cm3, bevorzugt in einem Bereich von 1,02 g/cm3 bis 1,08 g/cm3, liegen.
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Die Wasseraufnahme und die Dichte sind gegenüber herkömmlichen Polyamiden unter Beibehaltung anderer wichtiger technischer Eigenschaften, wie Festigkeit, Zähigkeit und Chemikalienbeständigkeit, signifikant reduziert, wodurch ein solches Sitz-Strukturteil bei gleichen mechanischen Eigenschaften deutlich leichter gebaut werden kann und sich dieses auch unter Feuchtigkeitseinfluss weniger ausdehnt als ein Sitz-Strukturteil aus einem herkömmlichen Polyamid.
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Die durch die geringere Dichte des Biopolymer-Materials erreichbare Gewichtseinsparung ist insbesondere interessant, wenn Busse wie Stadtbusse mit neuartigen Energiespeichern ausgestattet werden sollen, beispielsweise Brennstoffzellen und/oder Batterien, da so das Mehrgewicht des Energiespeichers teilweise durch das Mindergewicht der Bestuhlung kompensiert werden kann.
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Eine erste Ausführungsform eines Kraftfahrzeug-Sitzes umfasst zumindest ein erfindungsgemäßes Sitz-Strukturteil. Das Sitz-Strukturteil kann hierbei eine Sitzschale, eine Rückenlehne und/oder eine Armauflage und/oder eine Sitzfläche und/oder eine Beinauflage sein.
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Das Sitz-Strukturteil stellt bei dem erfindungsgemäßen Kraftfahrzeug-Sitz die gewünschte mechanische Stabilität bereit und dient der Aufnahme und Ableitung von Kräften und Momenten. Der Kraftfahrzeug-Sitz kann ferner über das Sitz-Strukturteil mit der Karosserie des Fahrzeugs verbunden werden. Natürlich besteht ein erfindungsgemäßer Kraftfahrzeug-Sitz nicht nur aus einem Sitz-Strukturteil, sondern kann noch weitere Komponenten, wie Polsterungen, textile Decklagen, Sensoren und Aktoren, aufweisen.
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Darüber hinaus kann der Kraftfahrzeug-Sitz eine Polsterung aufweisen, die zur weiteren Verfolgung der ökologischen Zielsetzung bei der Fertigung der Fahrzeugkomponenten zumindest teilweise aus einem Biopolymer-Fasermaterial und/oder aus einem rezyklierten Fasermaterial besteht.
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Es ist hierbei sowohl möglich, dass die Polsterung durch Fasern, etwa Wirr- oder Längsfasern, bereitgestellt wird, oder, dass es sich bei der Polsterung um ein geschäumtes Biopolymer-Material handelt. So kann für den Gesamtsitz ein noch höherer Anteil an nachwachsenden Rohstoffen erreicht werden, was die Umweltbilanz eines solchen Kraftfahrzeug-Sitzes noch weiter verbessert.
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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- DE 102009008640 A1 [0005]
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Zitierte Nicht-Patentliteratur
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- Norm DIN EN ISO 75 1-3 [0018]