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Seit
den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ist die zytotoxische Wirkung
von Ribonucleasen (RNasen) bekannt (Ledoux 1955a; b), welche auf dem
enzymatischen Abbau von Ribonucleinsäure (RNA) im Zytosol der Zelle
beruht (Saxena et al. 1991) und den Einsatz in der Tumortherapie
ermöglichen
könnte.
Bisher befindet sich jedoch nur eine RNase – die Onconase aus dem Nördlichen
Leopardfrosch (Rana pipiens) (Ardelt et al. 1991) – in Phase III
der klinischen Tests (Mikulski et al. 2002).
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Onconase
wirkt jedoch reversibel nephrotoxisch (Vasandani et al. 1999) und
ist immunogen (Matousek et al. 2003b), was einen Einsatz als Therapeutikum
problematisch erscheinen lässt.
Im Gegensatz dazu könnten
Säuger-RNasen
neue Ansatzpunkte für
potentielle Krebstherapeutika liefern (Saxena et al. 1991).
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Monomere
Säuger-RNasen
werden jedoch durch die Bindung an den klassenspezifischen zytosolischen
RNase-Inhibitor in ihrer Wirkung gehindert (Lee et al. 1989) bzw.
gelangen nur schlecht in die Zellen (Wu et al. 1995; Monti and D'Alessio 2004), wodurch
ihr Einsatz in der Krebstherapie sehr uneffektiv ist. Durch gentechnische
Modifizierung ist es gelungen, Varianten der RNase aus Rinderpankreas (RNase
A) und aus humanem Pankreas (RNase 1) mit verminderter Affinität zum RNase-Inhibitor und/oder
verbesserter Zellaffinität
bzw. verbessertem intrazellulären
Transport herzustellen (Leland et al. 1998; Bretscher et al. 2000;
Futami et al. 2001; Gaur et al. 2001; Leland et al. 2001; Haigis
et al. 2002; Dickson et al. 2003; Bosch et al. 2004).
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Eine
andere Möglichkeit
stellt die RNase aus Rindersamen (BS-RNase) dar, welche die einzige natürlich vorkommende
dimere RNase ist. Das Dimer existiert in zwei Konformationen: eine
M=M Form, die ausschließlich
durch zwei intermolekulare Disulfidbrücken zusammengehalten wird
und eine swapped M × M
Form, bei der zusätzlich
zu den Disulfidbrücken
die N-terminalen Helices der beiden Untereinheiten ausgetauscht
sind (Piccoli et al. 1992). Durch die dimere Struktur wird die Bindung
des RNase-Inhibitors sterisch unterbunden (Murthy and Sirdeshmukh
1992) und wahrscheinlich die Zellaffinität durch Erhöhung der positiven Nettoladung
verbessert (Monti and D'Alessio
2004), wodurch BS-RNase zytotoxisch wirkt (Kim et al. 1995a, b).
Durch Austausch der zur BS-RNase-Sequenz
korrespondierenden Reste in RNase A und RNase 1 konnten auch diese
in dimere Formen mit vergleichbaren Eigenschaften überführt werden
(Di Donato et al. 1994; Piccoli et al. 1999). Ähnliche Eigenschaften wurden für artifizielle
nicht-kovalent verbundene swapped RNase A-Multimere (Matousek et
al. 2003a), die bei der Lyophilisierung aus Essigsäure entstehen,
oder für
chemisch verknüpfte
RNase A-Dimere (Bartholeyns and Baudhuin 1976) beobachtet. Nachteilig
ist neben den verschiedenen existierenden Zuständen (M=M, M × M bzw.
Dimere, Trimere, Tetramere) vor allem, dass sowohl die über Disulfidbrücken verknüpften Dimere
unter reduzierenden Bedingungen, wie sie im Zytosol bestehen, als
auch die swapped RNasen in ihre Monomere zerfallen, die dann durch den
RNase-Inhibitor gebunden werden können (Murthy et al. 1996).
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Der
Erfindung liegt das Problem zu Grunde, die o. g. Nachteile zu beseitigen
und definierte, auch unter physiologischen, d. h. reduzierenden
Bedingungen stabile, zytotoxische RNase Dimere/Multimere in hohen
Ausbeuten herzustellen.
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Erfindungsgemäß wird das
Problem nach Anspruch 1 dadurch gelöst, dass auf gentechnischem
Weg Ribonuclease(RNase)-Tandemenzyme, bestehend aus zwei oder mehreren
durch einen Peptid-linker kovalent miteinander verbundenen RNase-Einheiten,
erzeugt werden (1), die zytotoxische Wirkung
besitzen und somit potentielle Tumortherapeutika darstellen.
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Auf
Grund sterischer Abschirmung ist die Bindung des zytosolischen RNase-Inhibitorproteins nicht
mehr an beide RNase-Einheiten möglich
bzw. stark eingeschränkt.
Der daraus resultierende Erhalt der enzymatischen Aktivität in der
Zelle führt
somit zu ihrer zytotoxischen Wirkung. Durch die Verknüpfung zweier
kationischer RNase-Einheiten und das Einführen von basischen Aminosäureresten
in die linker-Sequenz wird zusätzlich
die positive Nettoladung erhöht,
was die Aufnahme in die Zelle verbessert. Die beschriebene Verfahrensweise
ermöglicht
die Herstellung definierter RNase-Konstrukte in hohen Ausbeuten
durch rekombinante Proteinexpression.
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Die
Vorteile der RNase-Tandemenzyme lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- 1. Durch die dimere Struktur wird die Bindung
zum RNase-Inhibitor gestört
und die positive Nettoladung erhöht,
was zu einer verbesserten Aufnahme in die Zellen führt. Beides
ist mit einer gesteigerten proliferationshemmenden Wirkung verbunden.
- 2. Im Gegensatz zu anderen RNase-Dimeren besitzen die RNase-Tandemenzyme
auch unter physiologischen, d.h. reduzierenden Bedingungen, wie
sie im Zytosol zu finden sind, eine homogene, stabile Struktur und
stehen nicht mit verschiedenen strukturellen Formen im Gleichgewicht
oder zerfallen in ihre monomeren Einheiten.
- 3. Durch die Variation der linker-Sequenz können die Eigenschaften der
Tandemenzyme hinsichtlich ihrer proliferationshemmenden Wirkung
moduliert werden, ohne die eigentliche katalytisch aktive Struktur
wesentlich zu beeinflussen.
- 4. Die RNase-Tandemenzyme lassen sich leicht und schnell durch
rekombinante Proteinexpression gewinnen, ohne dass weitere Verfahrensschritte
oder chemische Modifizierungen zur Herstellung dimerer Varianten
notwendig sind.
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Konstruktion der Expressionsvektoren
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Die
Herstellung der Plasmide mit dem rnase A-tandem-Gen erfolgte durch
eine zweistufige Polymerasekettenreaktion (PCR) unter Berücksichtigung der
codon usage des Empfängerorganismus
(E. coli). Im 1. Schritt wurden in zwei separaten PCRs ausgehend
von der Nucleotidsequenz des rnase A-Gens im pET26b(+)-Vektor durch
Verwendung der entsprechenden forward-Primer und des T7-Terminator-Primers
bzw. der reverse-Primer und des T7-Promotor-Primers die linker-Sequenzen
am 5'-Ende bzw. am
3'-Ende des rnase-Gens
eingeführt.
Nach Isolation der PCR-Produkte, die im Bereich der linker-Sequenz
zueinander komplementär
sind, bildeten diese das Ausgangsmaterial für den 2. PCR-Schritt. In dieser
Reaktion wurde das tandem-Gen vervollständigt und unter Verwendung
des T7-Terminator- und T7-Promotor-Primers
amplifiziert. Nach Isolation des gewünschten PCR-Produkts aus dem
Agarosegel wurde die DNA mit Hind III und Nde I verdaut und in einem
gleichermaßen
geschnittenen pET26b(+)-Vektor ligiert. Die linker-Sequenz im rnase
A-tandem-Gen konnte anschließend
mittels ortsgerichteter Mutagenese (Stratagene) modifiziert werden.
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Gewinnung der Enzyme in
der Schüttelkultur
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Die
Expression der Enzyme erfolgte im E. coli-Stamm BL21 (DE3) (Stratagene)
in Form von inclusion bodies. Eine Vorkultur wurde in 50 ml Terrific broth
(TB)-Medium, das 50 μg
ml–1 Kanamycin
und 0,4 % (w/v) Glucose enthielt, bei 30°C über Nacht angezogen. 10 ml
Vorkultur wurden in 1 1 TB Medium (mit 0,4 % (w/v) Glucose und 50 μg ml–1 Kanamycin) überführt und
bei 37°C
bei 200 rpm geschüttelt.
Bei Erreichen einer OD600 von 1,8–2 wurden
die Zellen mit 0,7 mM Isopropyl-β-D-galaktosid
(IPTG) induziert. 3–4
Stunden nach Induktion wurden die Zellen durch Zentrifugation für 15 min
bei 6000 × g
geerntet und bis zur Weiterverarbeitung bei –20°C gelagert.
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Zur
Isolierung der inclusion bodies wurden die Zellen in 25 ml Zellaufschlusspuffer
(0,1 M Tris/HCl, 1 mM EDTA, pH 7,0) mit Hilfe eines Ultraturrax
(Janke und Kunkel) resuspendiert und für 30 min bei 4°C mit 1,5
mg ml–1 Lysozym
(Serva) behandelt. Anschließend
erfolgte eine zweimalige Hochdruckhomogenisation mittels Gaulin-Homogenisator
bei 1200 bar und eine Inkubation mit 10 μg ml–1 DNase (La
Roche) und 3 mM MgCl2 bei 25°C für 30 min.
Danach wurden 0,5 Volumeneinheiten einer Triton-Waschlösung (60
mM EDTA, 6 % (v/v) Triton X-100, 1,5 M NaCl, pH 7,0) zugegeben und
der Reaktionsansatz für
30 min auf Eis gelagert. Durch Zentrifugation bei 20000 × g für 20 min
bei 4°C
wurden die inclusion bodies isoliert und zweimal mit 50 ml 0,1 M
Tris/HCl, 20 mM EDTA, pH 7,0, gewaschen (mit jeweils anschließender Zentrifugation
bei 20000 × g
für 20
min bei 4°C).
Die Lagerung der isolierten inclusion bodies erfolgte bei –20°C.
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Zur
Gewinnung der aktiven Enzyme wurden die inclusion bodies in 10 ml
Solubilisierungspuffer (6 M Guanidinhydrochlorid, 100 mM Tris/HCl,
1 mM EDTA, 100 mM Dithiothreitol, pH 8,3) gelöst. Nach einer zweistündigen Inkubation
bei Raumtemperatur wurde der pH-Wert der Lösung mit 1 M HCl auf pH 5,0 eingestellt
und die Lösung
zur Entfernung von Aggregaten 20 min bei 10000 × g zentrifugiert. Das Solubilisat
wurde anschließend
gegen 10120 mM Essigsäure über Nacht
dialysiert.
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Zur
Renaturierung wurde die Proteinlösung unter
Rühren
in den Renaturierungspuffer (0,1 M Tris/HCl, 0,1 M NaCl, 1 mM EDTA,
pH 8,3, 1 mM Glutathion (reduzierte Form), 0,2 mM Glutathion (oxidierte
Form)) eingetropft und 48 h dort belassen. Die Proteinkonzentration
im Renaturierungsansatz betrug 50 μg ml–1.
Danach erfolgte eine Konzentrierung der Proteinlösung und Pufferaustausch (50
mM Tris/HCl, pH 7,5) in einer Ultrafiltrationszelle (Pall Filtron,
3 K Omega Membran).
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Eine
Reinigung der Enzyme bis zur Homogenität in der SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese
erfolgte durch Kationenaustauschchromatographie an einer MonoS-Säule (Pharmacia)
unter Einsatz eines Elutionsgradienten, der durch die Pufferlösungen 50 mM
Tris/HCl, pH 7,5 und 50 mM Tris/HCl, 0,5 M NaCl, pH 7,5, erhalten
wurde.
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Charakterisierung der
RNase-Tandemenzyme
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Im
Ergebnis wurden 10 Tandemvarianten erhalten, die sich hinsichtlich
ihrer linker-Sequenz unterscheiden. Alle Varianten waren gegenüber Hefe-RNA
aktiv, wobei die Aktivität
im Vergleich zu RNase A geringer war (Tabelle 1), und besaßen eine
zu RNase A vergleichbare thermodynamische Stabilität (Tabelle
1). Der Einfluss der Varianten auf die Zellproliferation wurde durch
den Einbau von radioaktiv markiertem Thymidin in neu synthetisierte
DNA von K-562 Zellen untersucht (Dickson et al. 2003). Alle Varianten
wiesen eine im Vergleich zu RNase A deutlich stärkere Inhibierung des Zellwachstums
auf, wobei die Variante mit der größten positiven Ladung in der
linker-Sequenz den größten Effekt
aufwies (2, Tabelle 1). Dies zeigt, dass durch die Verknüpfung zweier
RNase-Einheiten durch einen proteinogenen linker eine Erhöhung der
proliferationshemmenden Wirkung erzielt wird.
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Erläuterung
Bezugszeichen
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1:
Modell eines RNase A-Tandemenzyms.
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2:
Hemmung der Proliferation von K562-Zellen durch ausgewählte RNase-Tandemenzyme.
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Die
Hemmung der Proliferation von K562-Zellen durch die Tandemvarianten
mit den linker-Sequenzen GP
6G
GP
4G
GP
3G
SGRSGRSG
(∎), SGRSG
und
SGSGSG (♦)
wurde durch den Einbau von radioaktiv markiertem Thymidin in die
DNA bestimmt.
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Es
folgt ein Sequenzprotokoll nach WIPO St. 25.
Dieses kann
von der amtlichen Veröffentlichungsplattform
des DPMA heruntergeladen werden.