Elektrode für Nervengewebe
Die Erfindung betrifft eine Elektrode, insbesondere eine Mikroelektroden-Anordnung (Matrixelektrode) zur Stimulation und/oder Ableitung elektrischer Zellpotenziale, die eine Mehrzahl nebeneinander angeordneter Elektroden aufweist.
Die Ableitung von Signalen aus lebenden Nervenzellen (neuronale Aktivität) ist gängige Aufgabe der heutigen Gehirnforschung. Insbesondere die Gehirne höherer Lebewesen werden oft operativ z. T. großflächig mit Elektroden kontaktiert durch Implantation in das lebende Nervengewebe. Ziele dieser Forschung sind das Verständnis der Gerümfunktion im Allgemeinen und die Entwicklung geeigneter maschineller Schnittstellen zur direkten, „gedanklichen" Steuerung externer Vorrichtungen, wie z.B. künstlicher Gliedmaßen nach einer Amputation.
Um aus einer Vielzahl benachbarter Neurone im Gehirn synchron Signale abzuleiten, ist eine dichte Kontaktierung mit Elektroden notwendig. Üblicherweise benutzt man deshalb so genannte Matrixelektroden, die nach Art eines Nagelbretts aufgebaut sind. Regelmäßig nebeneinander angeordnete, elektrisch leitende Schäfte (Elektroden) von bis zu 5 mm Länge aus z.B. Silizium oder Edelmetall (i. d. R. Platin oder Iridium) befinden sich auf einem isolierenden Trägersubstrat, von dessen Rückseite aus jede Elektrode einzeln elektronisch angesprochen und ausgelesen werden kann. So lassen sich räumliche Signalverteilungen im Gewebe ermitteln. Typischerweise sind die Elektroden überwiegend mit Isolationsmaterial beschichtet, so dass nur die Elektrodenspitzen mit den Neuronen in Kontakt stehen.
Eine wichtige Anforderung dieser Matrixelektroden ist die Rigidität jeder einzelnen Elektrode, damit sie bei der Implantation die Hirnhäute (meist nur die Pia mater) penetrieren können, um im darunter liegenden weicheren Hirngewebe die Ableitungen vorzunehmen. Diese Rigidität ist aber im nachhinein nachteilig, da die mögliche Relativbewegung zwischen Gehirn und Elektrode zur Traumatisierung des Gewebes führt. Die unflexiblen E- lektroden „schneiden" durch das Gewebe und zerstören so entweder die Neuronen oder sie
werden durch die körpereigene Abwehr mit einer elektrisch dichten Glia-Zellschicht umgeben und abgeschirmt. Messbar wird dieser Effekt durch die Abnahme an neuronaler Aktivität, die die jeweilige Elektrode aufzeichnet.
Es ist die Aufgabe der Erfindung, Elektrodenanordnungen, insbesondere eine Matrixelektrode, anzugeben, die zunächst über die zur Penetration der Hirnhaut erforderliche Rigidität verfügen, welche dann nach der Implantation abnimmt, um die Traumatisierung des Gewebes zu verringern.
Die Aufgabe wird gelöst durch eine Elektrode nach Anspruch 1. Die Unteransprüche geben vorteilhafte Ausgestaltungen an.
Die angestrebte Rigiditätsänderung kann in einfachster Weise über den Temperaturwechsel in der Umgebung der Elektrode erfolgen, nachdem diese in das Gewebe eingedrungen sind. Da die Sonden aus leitfähigem und bei 37-40 °C hochelastischem Material bestehen sollen, sollen sie erfindungsgemäß aus Nickel-Titan-Legierungen hergestellt werden. In Frage kommen insbesondere Legierungen der Zusammensetzung NixTiyCu1-x-y und Nix- TiyFe^x.y mit x > 50% und 35 % < y < 45 %, die sich durch biologische Verträglichkeit, gute elektrische Leitfähigkeit und so genannte Superelastizität auszeichnen. Darunter versteht man ein „gummiartiges" Verhalten des Metalls, das sich auch unter extremen Biegungen nicht plastisch verformt, sondern nach Wegnahme der Belastung wieder in seine Ausgangsform zurückkehrt. Vorteilhafterweise sind die Rückstellkräfite dabei nahezu unabhängig vom Ausmaß der Auslenkung. Sehr dünne Drähte eignen sich somit sehr gut als Elektroden für neuronale Ableitungen, da sie bei Relativbewegung der Neuronen gewissermaßen „mitschwimmen" können und bei Verformung nur sehr kleine Kräfte auf das Gewebe ausüben.
Die Herstellung sehr dünner Drähte aus NiTi-Legierung durch thermomechanische Behandlungsverfahren ist Stand der Technik. Insbesondere für Matrixelektroden sind Schaftdicken von 100 μm oder weniger wünschenswert. Solche Durchmesser sind ohne weiteres herstellbar; kommerziell erhältlich sind Drahtdurchmesser bis etwa 25 μm.
Derartige Legierungen sind auch als Formgedächtnismetalle geläufig, denen eine bestimmte Form eingeprägt werden kann, die sie bei Erwärmung wieder annehmen. Dieser Effekt ist für die vorliegende Erfindung aber nicht wesentlich.
Wesentlich ist vielmehr, dass die so genannte diffusionslose Phasenumwandlung zwischen Austenit- und Martensit-Struktur, die den Formgedächtniseffekt ermöglicht, zugleich mit einer ausgeprägten Änderung des Elastizitätsmoduls einhergeht. Der E-Modul bestimmt vor allem die Rigidität dieser Materialien und ist direkt von der Temperatur abhängig. Bei hohen Temperaturen (typisch: um 7o °C, aber sehr variabel) liegen besagte Legierungen vor allem in der Austenit-Phase mit einem E-Modul um 70-80 GPa vor. Bei Abkühlung, z.B. hier bevorzugt unter 40 °C, nimmt das Material seine Martensit-Phase an und der E- Modul wird in etwa halbiert.
Eine erfindungsgemäße Matrixelektrode zur neuronalen Ableitung besteht vorzugsweise aus einem isolierenden Trägersubstrat mit n x m (n, m = 4 bis 10) regelmäßig angeordneten, einzeln ableitbaren NiTi-Elektroden, die beliebig konfiguriert werden können, um die gleiche Matrixelektrode sowohl für die Ableitung von Elektroneurogrammen als auch für die Stimulation einsetzen zu können. Die Länge der Elektroden liegt zwischen 0,5 und 15 mm und der Elektrodendurchmesser unter 100 μm. Der Abstand zwischen den einzelnen Elektroden beträgt zwischen 0,2 und 0,4 mm.
Da die Ableitung üblicherweise nur an den Elektrodenspitzen erfolgen soll, müssen die einzelnen NiTi-Sonden weitgehend isolierend beschichtet sein. Hierzu kommen Beschichtungen mit organischem Isolierlack (z.B. Parylene C) oder anorganischen Oxiden (z.B. Titanoxid, Al2O3) in Frage. Diese sind chemisch inert und eine Schichtdicke von einigen zehn Nanometern ist zur Isolierung völlig ausreichend. Insbesondere schränken derartige Schichten die Flexibilität der Sonden nicht ein, und sie platzen bei deren Verbiegung auch nicht ab. Die Oxid-Beschichtungen können z.B. mittels Chemical Vapour Deposition (CVD), Physical Vapour Deposition (PVD) oder Sol-Gel- Verfahren erzeugt werden.
Die Elektrodenspitzen werden nach der Beschichtung wieder freigeätzt. Grundsätzlich sind NiTi-Legierungen chemisch sehr stabil. Gleichwohl können die Elektrodenspitzen z.B. durch Ätzen mit Flusssäure zusätzlich bearbeitet, insbesondere angespitzt werden (Spitzendurchmesser 1-3 μm ist wünschenswert). Die erfindungsgemäßen NiTi- Elektroden sind auch in der Austenit-Phase noch deutlich weicher als etwa Silizium- Spitzen. Deshalb sollte das Penetrieren der Hirnhaut nach Möglichkeit durch geeignete Behandlung der Elektrodenspitzen unterstützt werden. In einer bevorzugten Ausgestaltung werden die zunächst freigelegten Spitzen noch mit einer Titannitridschicht überzogen. Titannitrid ist ein extrem harter Werkstoff, der vorteilhafterweise auch elektrisch leitet.
Vor dem Einbringen der Schäfte wird die Matrixelektrode erwärmt, um die erhöhte Rigidität der Austenit-Phase zu nutzen. Dabei kann der Umwandlungspunkt durch die genaue Wahl der Legierungs-Zusammensetzung so eingestellt werden, dass bereits eine Erwärmung auf 45-50 °C zu ausreichend steifen Schäften führt. Die erwärmte Elektrode wird in der Abkühlphase an die Neuronen gedrückt, solange die Rigidität noch maximal ist. Im Hirngewebe (neuropil), bei Körpertemperatur, nehmen die Schäfte die flexiblere Marten- sit-Phase an, wodurch sich die Traumatisierung des Gewebes durch Bewegungen verringert.