Verfahren und Vorrichtung zur Erfassung rheologischer
Materialeigenschaften
Beschreibung
Die Erfindung betrifft Verfahren zur Erfassung rheologischer Materialeigenschaften, insbesondere zur Messung rheologischer Parameter, z. B. der Viskosität, flüssiger, fließfähiger oder elastischer Materialien und zur Klassifizierung des dynamischen Verhaltens der Materialien auf der Grundlage der gemessenen Parameter, und Vorrichtungen zur Implementierung der Verfahren .
Bei der Bewegung flüssiger oder fließfähiger Materialien (im folgenden generell als Flüssigkeiten bezeichnet) treten mikroskopische Wechselwirkungen der Flüssigkeitsteilchen auf, die sich als innerer Widerstand oder innere Reibung auf das makroskopische Verhalten (Zähigkeit) auswirken und z. B. die Beweglichkeit, Fließfähigkeit, Handhabbarkeit und dgl . der Flüssigkeit beeinflussen.
Das makroskopische Verhalten einer bewegten Flüssigkeit wird insbesondere durch die Viskosität η quantifiziert, die gemäß Gleichung (1) mit der Kraft F in Beziehung steht, die man aufbringen muß, um zwei parallele Platten (Flüssigkeitsschichten) der Fläche A und des Abstands d mit der Schergeschwindigkeit v gegeneinander zu bewegen: F/A = η • v/d bzw. : F ~ ηv = ηx (1)
Bei genügend geringen Scherraten v/d ist η eine Materialkonstante. In diesem Fall spricht man von Newtonischer Viskosität oder Newtonischen Flüssigkeiten. Es ist bekannt, daß bei Überschreitung einer gewissen Scherrate die Kraft F nicht mehr proportional zur Schergeschwindigkeit v wächst. In diesem Fall sog. nicht-Newtonischer Viskosität oder nicht-Newtonischer Flüssigkeiten gibt es Scherverdickungen oder Scherverdünnungen, bei denen jeweils entsprechend eine Vergrößerung oder
Verkleinerung der erforderlichen Scherkräfte bei Steigerung der Geschwindigkeit auftritt.
Die Beschreibung des Übergangs vom linearen Fall Newtonischer Viskosität zum nichtlinearen Fall nicht-Newtonischer Viskosität und die Charakterisierung des nichtlinearen Zustands besitzt eine große technische Bedeutung, da Scherverdickungen oder Scherverdunnungen (Scherverflussigungen) bei allen praktisch relevanten Scherraten bei technischen Vorgangen wie z. B. Pumpen, Spritzgießen, Extrudieren, Ruhren o. dgl . oder auch in hydraulischen Systemen wie Viskokupplungen vorkommen.
Es ist allgemein bekannt, daß die Viskosität mit verschiedenen Meßanordnungen wie z. B. Kapillarviskosimeter, Fallkorper- viskosimeter, Schwmgungsviskosimeter usw. erfaßbar ist. Die Messung des nichtlinearen Zustands ist jedoch bisher sehr aufwendig oder nur beschrankt möglich. Die Aufnahme der Geschwin- digkeitsabhangigkeit der Viskosität ist mit den bekannten Anordnungen nicht oder nur unter hohem Zeitaufwand und mit geringer Genauigkeit möglich. Es sind auch keine Echtzeit- Viskositatsmessungen für technologische Ablaufe verfugbar.
Ein weiteres Problem bei der Handhabung von stromenden Flüssigkeiten betrifft die Erfassung der Orts-Zeit-Funktionen zur Ermittlung von Geschwindigkeiten oder Beschleunigungen. Dies ist zwar prinzipiell möglich, ergibt jedoch wegen der starken Rauschempfindlichkeit der gemessenen Rohdaten bei praktischen Anwendungen bisher keine verwertbaren Ergebnisse. Die genannten Probleme der bekannten Meßverfahren betreffen nicht nur die Viskosität, sondern auch damit in Zusammenhang stehende Materialparameter wie z. B. Relaxationszeiten im nichtlinearen Zustand oder die Energiedissipation durch innere Reibung .
Aus der Publikation von D.R. Gamota et al . m "J. Rheol.", Band 37, 1993, S. 919 ff., ist eine Analyse viskoelastischen Verhaltens ausschließlich von elektrorheologischen Materialien unter Verwendung einer Fourier-Analyse von Shear-Response- Signalen nach harmonischer Anregung des Materials bekannt. Es
wird das viskoelastische Verhalten in Abhängigkeit von der Amplitude einer äußeren Hochspannung beschrieben.
Die Aufgabe der Erfindung ist es, verbesserte Verfahren zur Erfassung rheologischer Materialeigenschaften, wie z. B. der Viskosität, flussiger oder fließfahiger Materialien anzugeben, die insbesondere eine schnelle und genaue Messung im linearen und/ oder nichtlinearen Zustand des untersuchten Materials erlauben. Es ist ferner d e Aufgabe der Erfindung, Vorrichtungen zur Implementierung der Verfahren anzugeben.
Diese Aufgabe wird durch ein Verfahren und eine Vorrichtung mit den Merkmalen der Gegenstande von Patentanspruch 1 bzw. 13 gelost. Vorteilhafte Ausfuhrungsformen ergeben sich aus den abhangigen Ansprüchen.
Der Erfindung liegt die Idee zugrunde, bei einer an sich bekannten Verfahrensweise zur Viskositatsmessung (z. B. mit einem Schwmgungsviskosimeter) nach einer harmonischen Anregung des zu untersuchenden Materials von einer direkten Auswertung eines Meßsignals, das die Materialreaktion auf die Anregung charakterisiert, abzugehen und statt dessen das Meßsignal durch Erfassung seiner Zeitabhangigkeit und Fourier- Transformation im Frequenzraum auszuwerten. Die Erfinder haben erstmalig festgestellt, daß bei einer herkömmlichen Viskositätsmessung, die eigentlich nur für Materialien im linearen oder Newtonischen Zustand vorgesehen ist, beim Übergang in den Frequenzraum weitergehende Informationen über rheologische Materialeigenschaften, insbesondere auch im nichtlinearen oder nicht-Newtonischen Zustand, zuganglich werden.
Rheologische Materialeigenschaften sind alle Eigenschaften, die die innere Reibung und somit das Fließ- oder Stromungsverhalten des untersuchten Materials und deren Abhängigkeit von der Schergeschwindigkeit, der Temperatur, dem Druck und dgl .
charakterisieren. Eine harmonischen Anregung umfaßt jede Form der Anregung mechanischer Schwingungen der Massenelemente eines untersuchten Materials entsprechend einer harmonischen Zeitfunktion. Diese ist vorzugsweise als Sinusfunktion darstellbar, kann aber auch eine Überlagerung einer Mehrzahl von Sinusfunktionen beinhalten. Die harmonische Anregung wird vorzugsweise durch einen mechanischen Schwinger gebildet, der Teil z.B. eines herkömmlichen Schwingungsviskosimeters ist. Das Meßsignal, das die Materialreaktion auf die Anregung charakterisiert, ist im Fall eines Schwingungsviskosimeters beispielsweise eine vom mechanischen Schwinger im Material aufgebrachte Kraft (oder Drehmoment) oder andernfalls auch eine vom Material übertragene Druckkraft.
Die gemessene Kraftgröße kann eine makroskopische Kraft oder eine Meßgröße sein, die für den lokalen Streß oder die lokal wirkende Kraft im Material charakteristisch ist. Eine lokale Kraftgröße läßt sich beispielsweise auf der Grundlage der sogenannten "Stress-optical-relation" durch eine optische Messung ermitteln. Es ist beispielsweise möglich, während der mechanischen Anregung des Materials die Intensität der optischen Doppelbrechung im Material in Abhängigkeit von der Zeit zu ermitteln. Da entsprechend der "Stress-optical-relation" die optische Doppelbrechung mit der lokalen Kraft in einem linearen Zusammenhang steht, kann erfindungsgemäß die Auswertung der Zeitabhängigkeit der Intensität der optischen Doppelbrechung analog zur Auswertung makroskopischer Kraftgrößen verlaufen.
Erfindungsgemäß wird durch die Fourier-Transformation der Zeitabhängigkeit des Meßsignals ein Scherspektrum gebildet, aus dem die Parameter einer Taylorentwicklung der Viskosität, ein lineares oder nichtlineares Verhalten des Materials, ein Zustand der Scherverdickung, nichtlineare Relaxationszeiten im Material, nach einer Fourier-Rücktransformation Orts-Zeit-
Funktionen, Geschwindigkeiten und/oder Beschleunigungen der Massenelemente strömender Flüssigkeiten, und/oder sog. "Memory"-Effekte im Material erfaßt werden.
Eine erfindungsgemäße Vorrichtung enthält eine Meßanordnung (z. B. ein Schwingungs- oder Rotationsviskosimeter) zur Messung der Zeitfunktion eines charakteristischen rheologischen Parameters, eine Transformationsanordnung zur Fourier- Transformation der Zeitfunktion in den Fourier-Raum und/oder zur entsprechenden Rücktransformation und eine Steuer- und Anzeigeeinheit, die zur Einstellung der Betriebsparameter der Meßanordnung und zur Datenübernahme von der Transformationsanordnung eingerichtet ist. Die Meßanordnung kann Teil eines Regelkreises zur Erfassung des beginnenden Übergangs des Materials zum nichtlinearen Verhalten oder zu einer Scherverdickung sein.
Falls eine optische Messung (Intensität der Doppelbrechung) erfolgt, so wird die Meßanordnung entsprechend durch Bereitstellung transparenter Anregungselemente modifiziert. So können beispielsweise die Begrenzungsplatten am zu untersuchungenden Material, mit denen Anregungskräfte auf das Material übertragen werden sollen, aus Glas hergestellt sein. Die optische Messung besitzt gerätetechnische Vorteile in Bezug auf die Messung der Zeitabhängigkeit der im Material wirkenden Kräfte .
Die erfindungsgemäß vorgesehene Fourier-Analyse erlaubt die Ermittlung der nichtlinearen Terme der Taylorentwicklung der Viskosität in Bezug auf die Geschwindigkeit oder die Frequenz aus den Intensitäten der höheren Harmonischen der Fourier- Spektren. Ferner werden Kriterien für nichtlineares Verhalten der untersuchten Flüssigkeiten angegeben.
Ein besonderer Vorteil der Erfindung ist bei rheologischen Untersuchungen gegeben, die an Materialien mit hoher Nichtlinea- rität selbst bei geringsten Scherraten durchgeführt werden. Es gibt beispielsweise Polymere, die unmittelbar nach der Ver- streckung sofort eine Verscherung zeigen. Die Relaxationszeiten der Moleküle im Polymer sind so groß, daß sie mit technisch praktikablen niedrigen Scherraten nicht mehr erfaßbar sind. Das Material geht unmittelbar in den nichtlinearen Zustand über (z.B. Scherverdünnung) . Um dennoch auch bei diesen Materialien die Scherrate zu ermitteln, bei der das nichtlineare Verhalten einsetzt, werden erfindungsgemäß die Intensitäten der Obertöne (höherfrequente Bestandteile im fouriertransformierten Scherspektrum) für verschiedene Frequenzen und Amplituden ermittelt. Es wurde festgestellt, daß beispielsweise die Intensität des der dreifachen Grundfrequenz entsprechenden Obertons exponentiell mit der Amplitude der Materialanregung zunimmt. Dementsprechend kann bei Aufnahme der Abhängigkeit der Obertonintensität von der Amplitude der Anregung auf Anregungsbedingungen (Scherrate, Amplitude) rückgeschlossen werden, bei denen das Auftreten des dritten Obertons einsetzt (sogenannter "Onsef'-Punkt) . Die Scherrate des "On- set"-Punktes wird durch Rückextrapolation aus der Frequenz- und Amplitudenabhängigkeit der Obertöne ermittelt. Die Bestimmung des Übergangsbereiches zwischen linearem und nichtlinearem Verhalten wird somit erfindungsgemäß erstmalig auch bei solchen Proben möglich, bei denen die Beobachtung linearen Verhaltens mit technisch praktikabeln Scherraten nur schwer oder nicht möglich ist.
Erfindungsgemäße Verfahren und Vorrichtungen besitzen die folgenden Vorteile.
Es ist erstmalig eine vollständige Charakterisierung eines nichtlinearen Verhaltens (z. B. Scherverdickungen oder Scherverflüssigungen) im Fourierraum möglich, wobei sowohl die
Amplituden als auch die Phasen höherer harmonischer Beiträge erfaßt werden. Es sind Relaxationszeiten in Nicht-Gleich- gewichts-Zuständen charakterisierbar. Es lassen sich die Scherdaten rauschfrei rekonstruieren und somit das Geschwin- digkeits- oder Beschleunigungsverhalten des untersuchten Materials analytisch berechnen. Mit einem Scherzyklus lassen sich beliebig viele Scherraten erfassen (sog. "Multiplex"-Vorteil) , da in einer harmonischen Anregung immer eine Vielzahl von Schergeschwindigkeiten enthalten sind. Es ergibt sich eine hohe Meßgeschwindigkeit, die eine Echtzeit-Viskositätsmessung im nichtlinearen Zustand ermöglicht. Es lassen sich "Memory"- Effekte messen, die im Fourier-Spektrum als Intensitäten bei geradzahligen Vielfachen der Anregungsfrequenz erkennbar sind.
Die erfindungsgemäß untersuchten Materialien umfassen alle flüssigen oder fließfähigen Materialien, insbesondere flüssige Lösungen, Polymerlösungen, Dispergate, Emulsionen, Schmelzen oder fließfähige Kunststoffe. Die erfindungsgemäß untersuchten Materialien können auch gas- oder dampfförmige Materialien oder elastische Festkörper (z.B. gummiartige Materialien) umfassen .
Ausführungsformen und weitere Vorteile der Erfindung werden unter Bezugnahme auf die beiliegenden Zeichnungen beschrieben. Es zeigen:
Fig. 1: eine Kurvendarstellung zur Illustration eines Fourier-Amplitudenspektru s; und
Fig. 2: eine Blockdarstellung einer Ausführungsform einer erfindungsgemäßen Vorrichtung.
Die folgende Erläuterung bezieht sich beispielhaft auf die Erfassung der Viskosität über eine Scherkraftmessung mit einem Rotationsviskosimeter . Die Erfindung ist jedoch darauf nicht
beschränkt, sondern mit allen Anordnungen anwendbar, die für eine harmonische Anregung eines untersuchten Materials und die Aufnahme eines für die Flüssigkeitsbewegung charakteristischen Responsesignals in Reaktion auf die Anregung eingerichtet sind. Die Erfindung ist ferner nicht auf die Messung der Viskosität beschränkt, sondern auch auf damit in Zusammenhang stehende Materialparameter wie z. B. Relaxationszeiten im nichtlinearen Zustand oder die Energiedissipation durch innere Reibung anwendbar.
Zunächst wird die mathematische Grundlage für das erfindungsgemäße Verfahren beschrieben. Die klassische rheologische Beschreibung der Bewegung eines Massenelements (Ort-Zeit- Abhängigkeit) erfolgt durch die Differentialgleichung (2) :
mx + ηx + kx = A0 exp (iωt) (2) mit der Lösung:
x = BQ exp (iωt + δ) (3)
Bei harmonischer Anregung einer Flüssigkeit mit der Frequenz ω (rechter Teil von Gleichung (2)) ergibt sich somit eine harmonische Responsefunktion derselben Frequenz ω, jedoch mit einer charakteristischen Phasenverschiebung δ, die das Verhältnis von gespeicherter (k) zu dissipierter (η) Energie beschreibt .
Im nicht-Newtonischen Fall gilt η = η (v) mit der Symmetrierelation η (v) = η (-v) = η (|v|). Dies basiert auf der Idee, daß eine Geschwindigkeitsumkehr auch eine Kraftumkehr bedeutet, die Viskosität also in erster Näherung nur vom Betrag der Geschwindigkeit abhängig ist. Die Viskosität läßt sich in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit in eine Taylorreihe ent-
wickeln. Die Entwicklung kann sich auf die Frequenz der Anregung oder auf die Geschwindigkeit beziehen. Die Erfindung ist nicht auf die hier genannte geschwindigkeitsbezogene Taylorentwicklung beschränkt. Es ist alternativ auch eine zeitbezogene Tayloerentwicklung oder anwendungsabhängig auch jede andere analytische Form zur Darstellung des Viskosität verwendbar. Falls beispielsweise materialabhängig für die Viskosität gilt, daß sie proportional zum reziproken Wert des Geschwindigkeitsbetrages ist, so können die folgenden Betrachtungen analog mit der jeweiligen analytischen Form einer derartigen Proportionalität durchgeführt werden. Im folgenden wird eine Taylorentwicklung in Bezug auf v = 0 betrachtet (die Faktoren ηg, a, b, ... können komplex sein) .
η = η0 + a |v| + b |v|2 + ... (4)
Nach harmonischer Anregung gemäß x = AQ exp (iωι_t) bzw. v = x = icθ]_ AQ exp (iωι_t) (5) ist der Absolutwert der Geschwindigkeit durch Fourier-Analyse gemäß Gleichung (6) darstellbar:
v| = |x| = I iωι_ AQ exp (iα>ι_t; cos 2ω, ,t.. cos 4ω,t cos 6ωxt \
2/π - 4/π ( 1 + i— + ... )
3 15 35 v a' + b1 cos (2ωι_t) + c' cos (4ωι_t) + ... (6;
Somit werden bei der Anregung höhere Harmonische der Grundfrequenz ω^ erzeugt. Wegen der Abhängigkeit vom Absolutwert der Schergeschwindigkeit v enthält Gleichung (6) nur gerade Harmonische der Grundfrequenz ωι_. Aus den Gleichungen (1), (4) und (6) ergibt sich:
F ~ ιωι_AQ (ηo+a I l +t> I v| 2+... ) exp (ιω^t)
F ~ (ηo+a | v| +b| v| +... ) exp (ιωι_t)
F ~ {ηo+a [a'+b'cos (2ωι_t) +c'cos (4ωιt) +... ] + b[a'+b'cos (2ωι_t) +c'cos (4ω t) +.. ] 2.. } exp(ιωι_t) (7)
Gleichung (7) ergibt nach Umformung und komplexer Schreibweise der cos-Funktion:
F ~ a' 'exp (ιωι_t) +b ' ' exp (ι3ω_t) +c ' 'exp (ι5ωι_t) + ... (8)
Die Scherkraft F ist ein Beispiel für einen Meßparameter, der erfmdungsgemaß mit einem Viskosimeter nach harmonischer Anregung mit der maximalen Amplitude AQ m Abhängigkeit von der
Zeit gemessen und erfaßt wird. Andere Beispiele wie insbesondere die optische Doppelbrechung als Meßparameter sind oben angegeben .
Zur Ermittlung rheologischer Eigenschaften des untersuchten Materials wird nun die Zeitfunktion F(t) einer Fourier-Analyse unterzogen, wobei das Amplituden- und/oder das Phasenspektrum der Fouπer-Transformierten ermittelt bzw. die folgenden Datenumformungen betrachtet werden. Einzelheiten der Abtastung der Zeitfunktion und der Ermittlung der Fourier- Transformierten werden hier nicht angegeben, da dies den bekannten Algorithmen folgt, wie sie beispielsweise in "FFT- Anwendungen" von E. 0. Bπgham (Oldenbourg München 1997) beschrieben sind.
(a) Bestimmung der Parameter ηg, a, b, ...
Die Amplituden-Fouπer-Analyse (Gleichung (8)) der Zeitfunktion F(t) liefert ein sogenanntes Scherspektrum mit Maxima bei α>]_, 3ω]_, 5ωι_, ... etc.. Die Intensitäten der Maxima stehen
unter Berücksichtigung der Gleichungen (7, 8) mit den linearen und nichtlinearen Parametern ηg, a, b etc. der Viskosität entsprechend der Entwicklung (4) in Beziehung.
Die weitere Auswertung umfaßt somit zunächst die Berechnung der Absolutwerte ηg, a, b, ... als Funktion der Geschwindigkeit v aus der Amplitude Ag und der Grundfrequenz ω^ aus den Gleichungen (4) bis (8) .
(b) Erfassung des Übergangs zwischen einem Newtonischen zu einem nicht-Newtonischen Zustand.
Zur Charakterisierung des Übergangs zwischen einem Newtonischen zu einem nicht-Newtonischen Zustand werden nur die ersten zwei Terme der Taylorentwicklung gemäß Gleichung (4) betrachtet. Die Differentialgleichung (2) lautet dann
Ag exp (iωt) = mx + η0 + x + kx + a|x|x (9)
mit einem linearen Anteil, der für sich die o. a. Lösung (3) hätte, und einem nichtlinearen Anteil (a|x|x), der eine Abweichung von der Lösung (3) verursacht. Der Grad der Abweichung, insbesondere beim Übergang vom Newtonischem zum nicht- Newtonischen Zustand, hängt somit entscheidend vom Nichtlinea- ritäts-Parameter a ab, der dem zweiten Term in der Taylorentwicklung (4) entspricht.
Zur Charakterisierung des Verhaltens einer Flüssigkeit wird somit erfindungsgemäß die Schergeschwindigkeits- oder Scherratenabhängigkeit des Parameters a zum Beispiel durch Variation der Anregungs- oder Grundfrequenz erfaßt und ggf. mit vorbestimmten Grenzwerten verglichen.
Fig. 1 zeigt die Kurvendarstellung eines simulierten Spektrums mit Scherverdünnung, bei dem eine Reduzierung der Viskosität auf 30% des Newtonischen Wertes angenommen wird (Annahme der Viskosität und der Entwicklungsparameter als reale, nichtkomplexe Größen) . Es zeigt sich, daß das Spektrum selbst bei Abbruch der Taylorentwicklung (4) nach dem linearen Term höhere Harmonische enthält (Innenbild mit verändertem Maßstab) . Dies ist ein besonders vorteilhaftes Ergebnis der mit der Erfindung genutzten Symmetrierelation der Geschwindigkeitsabhängigkeit. Die Zeitabhängigkeit des Betrags eines sinusförmigen Geschwindigkeitsverlaufes besitzt an den Minima Spitzenbereiche, die entscheidend zur Ausbildung höherer Komponenten im Scherspektrum beitragen.
(c) Erfassung nichtlinearen Verhaltens
Zur Charakterisierung des Grenzfalls des nicht-Newtonischen Zustands mit extremer Scherverdünnung werden die folgenden Betrachtungen angestellt. Extreme Scherverdünnung bedeutet, daß gemäß (10) oberhalb einer kritischen Geschwindigkeit vc die
Viskosität verschwindet:
η = ηg für v < vc bzw. η = 0 für v > vc (10)
Die Scherkraft kann dann als Stufenfunktion angegeben werden , deren Fourier-Entwicklung gemäß (11) darstellbar ist:
F ~ [exp (iωι_t) +l/3exp (i3ω]_t) +l/5exp (i5ωι_t) + ... ] (11)
Auf dieser Grundlage wird erfindungsgemäß ein Kriterium zur Abgrenzung zwischen Newtonischem und nicht-Newtonischem Verhalten auf der Grundlage der Intensitätsverhältnisse in einem Fourier-Spektrum der Scherkraft festgelegt und durch Vergleich eines Meßergebnisses mit dem Abgrenzungskriterium eine Zuord-
nung einer zu untersuchenden Flüssigkeit zu einer der Verhaltensweisen realisiert.
Ein Abgrenzungskriterium ergibt sich beispielsweise aus dem Amplitudenverhältnis (oder Verhältnis der Intensitäten I) der niedrigsten zwei Frequenzen I (3ω]_ ) /I (ωι_) = 1/3 oder aus der
Einhüllenden der Entwicklungskoeffizienten gemäß I (ω) ~l/ω oder aus den Amplitudenverhältnissen bei mehr als den zwei niedrigsten Frequenzen.
Alternativ ist die Erfassung nichtlinearen Verhaltens durch Vergleich der Meßergebnisse mit Simulationsdaten möglich. Aus den Intensitätsverhältnissen im Fourier-Spektrum der Scherkraft wird eine Peakhöhenverteilung ermittelt und mit Simulationsdaten eines Modell- oder eines Bezugsmaterials verglichen. Die Simulationsdaten umfassen eine entsprechende Peakhöhenverteilung, die unter bestimmten Simulationsparametern bzw. unter bestimmten Meßparametern aufgenommen worden ist. Die Wahl der zur Ermittlung der Peakhöhenverteilung berücksichtigten Frequenz- und/oder Phasenkomponenten des Fourier-Spektrums ist anwendungsabhängig.
(d) Erfassung der Scherverdickung
Das Intensitätsverhältnis V = I(3ω)/I(ω) als Funktion der Grundfrequenz ω verhält sich wie folgt. Bei niedrigen Schergradienten (lineares Verhalten) ist das Verhältnis gleich Null. Bei sehr hohen Schergradienten, bei denen die Kopplung zwischen den Oberflächen stark ist, wird die Scherkraft gemäß den Gleichungen (2, 3) einfach durch den konstanten Term gegeben. Die Abhängigkeit V(ω) erreicht im Amplituden- Scherspektrum gemäß Gleichung (9) ein Maximum, wo die Störung und Nichtlinearität maximal sind. Das Einsetzen des nichtlinearen Verhaltens kann aber bereits vor Erreichen des Maximums
festgestellt werden, so z.B. wenn für die Intensität des ersten Obertons I (3α>ι) > 0 gilt. Sobald der Oberton entsprechend 3ωχ im Spektrum erscheint, wird das nichtlineare Verhalten des untersuchten Materials erfaßt.
Erfindungsgemäß wird somit die Abhängigkeit V(ω) aufgenommen, um das rheologische Verhalten einer Flüssigkeit zu charakterisieren. Aus Vmax kann dann die Scherverdickung ermittelt werden. Zur weiteren Charakterisierung des rheologischen Verhaltens wird die Abhängigkeit V(ω) für verschiedene Amplituden der harmonischen Anregung des untersuchten Materials aufgenommen.
(e) Erfassung von Relaxationsvorgängen
Auf molekularer Ebene ist der Übergang vom linearen zum nichtlinearen Verhalten so zu verstehen, daß ein Molekül (z. B. Polymer) bei Ausübung einer Scherkraft mit einer genügend hohen Scherrate oder -geschwindigkeit nicht mehr Zeit hat, um seine (Basis-) Konformation des unbelasteten Zustands einzunehmen, so daß sich die Wechselwirkung mit den benachbarten Molekülen nicht mehr linear mit der Scherrate ändert. Die Molekülform ist dann selbst geschwindigkeitsabhängig. Die mittlere Zeit zur Einnahme der Basiskonformation bei linearem Verhalten wird als lineare Relaxationszeit τ bezeichnet. Sie ist beispielsweise bei Polymeren stark massenabhängig (τ ~ M2 oder sogar τ ~ M^) .
Erfindungsgemäß werden nun durch die Erfassung des nichtlinearen Zustands die nichtlinearen Relaxationszeiten in Abhängigkeit von der Scherrate (oder Grundfrequenz) in verschiedenen Nicht-Gleichgewichts-Zuständen erfaßt .
(f) Fouπer-Rucktransformation
Zur Ermittlung von Geschwindigkeiten oder Beschleunigungen der Massenelemente strömender Flüssigkeiten aus Orts-Zeit- Funktionen wird erfindungsgemaß die Tatsache ausgenutzt, daß die Fourier-Transformation eine reversible Transformation ist.
Das diskrete Fourier-Spektrum der digital erfaßten Zeitfunktion S(t) des gemessenen Meßparameters S wird zur Bildung komplexer Zeitdaten rucktransformiert, aus denen sowohl da e Amplituden als auch die Phasen samtlicher Harmonischer ermittelbar sind. Damit wird das ursprungliche Zeitsignal vollständig gemäß :
S(t) =Σ Ancos(nωιt + φn) (12) n rekonstruiert .
Aus S(t) lassen sich mit hoher Genauigkeit und Geschwindigkeit für jeden Punkt wahrend eines Scherzyklus die Geschwindigkeiten und/oder Beschleunigungen ermitteln, so daß sich für praktische Anwendungen das Geschwmdigkeits- und/oder Beschleunigungsverhalten einer Substanz in einem technischen System vorhersagen laßt.
(g) Erfassung von "Memory"-Effekten im untersuchten Material
Samtliche Schergradienten erscheinen wahrend eines vollen Scherzyklus zweifach. Die obigen Ableitungen erfolgten unter der Annahme einer Unabhängigkeit der Viskosität von der Geschwindigkeitsrichtung und führten zum Beitragen ungerader Vielfacher der Grundfrequenz im Fourier-Spektrum. Wenn nun auch gerade Vielfache der Grundfrequenz im Fourier-Spektrum auftreten, so bedeutet dies eine Richtungsabhangigkeit der Viskosität .
Erfmdungsgemaß wird somit das Fourier-Spektrum darauf geprüft, ob geradzahlige Vielfache der Grundfrequenz enthalten sind. Das Auftreten geradzahliger Vielfacher und ihre Intensitäten erlauben eine Aussage über "Memory"-Effekte, die die Viskosität in Abhängigkeit davon charakterisieren, ob die Scherspannung gerade aufgebaut oder freigegeben wird.
Die oben erläuterten Verfahrensweisen (a) bis (g) sind erfin- dungsgemaß jeweils temperaturabhangig durchfuhrbar.
Eine erfmdungsgemaße Vorrichtung enthalt gemäß Fig. 2 eine Meßanordnung 10 zur Messung der Zeitfunktion eines charakteristischen rheologischen Parameters, eine Transformationsanord- nung 20 zur Fourier-Transformation der Zeitfunktion in den Fourier-Raum bzw. zur entsprechenden Rucktransformation und eine Steuer- und Anzeigeeinheit 30, die zur Einstellung der Betriebsparameter der Meßanordnung 10 und zur Datenubernahme von der Transformationsanordnung 20 eingerichtet ist. Die Meßanordnung 10 ist beispielsweise ein temperierbares Schwm- gungs- oder Rotationsviskosimeter oder ein anderes Meßgerat, das zur Aufbringung einer harmonischen Anregung auf eine zu untersuchende Flüssigkeit und zur Erfassung eines Response- signals eingerichtet ist. Die Steuer- und Anzeigeeinheit 30 und die Transformationsanordnung 20 können als gemeinsame Einheit z. B. in einem Personalcomputer aufgebaut sein.
Die Erfindung ist bei allen technischen Vorgangen anwendbar, bei denen die rheologischen Eigenschaften einer Flüssigkeit von Interesse sind. Es können beispielsweise Stromungsvorgange in Ungleichgewichten wie z. B. beim Extrudieren, Spritzgießen, Ruhren, Pumpen, Schichtgießen von Polymeren, Losungen, Emulsionen o. dgl . charakterisiert werden.
Da die Erfindung ein empfindliches Mittel zur Erkennung des Übergangs vom linearen zum nichtlinearen Verhalten einer strömenden Flüssigkeit darstellt, werden von der Erfindung auch Überwachungssysteme umfaßt, die zur Realisierung der erfindungsgemäßen Verfahrensweisen eingerichtet sind. Um unnötige Energieverluste beim Transport einer Flüssigkeit zu vermeiden, kann beispielsweise vorgesehen sein, eine Vorrichtung gemäß Fig. 2 an ein System anzuschließen, in dem Flüssigkeiten bewegt werden. Sobald die Steuer- und Anzeigeeinheit den beginnenden Übergang zum nichtlinearen Verhalten oder zu einer Scherverdickung erfaßt, wird ein Signal an ein Antriebsund/oder Temperierungssystem gegeben,, um die Flüssigkeitsbewegung entsprechend zu beeinflussen. Die Vorrichtung gemäß Fig. 2 ist in diesem Fall Teil eines Regelkreises.