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Technisches Anwendungsgebiet
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Die
vorliegende Erfindung betrifft eine Vorrichtung zur Diagnose und/oder
Therapie von Funktionsstörungen
der Halswirbelsäule
(HWS), insbesondere nach HWS-Beschleunigungsverletzungen.
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Die
HWS-Beschleunigungsverletzung ist eine der häufigsten Verletzungen unserer
Zeit. In der überwiegenden
Mehrzahl der Gesundheitssysteme verursacht sie immense Kosten. Keine
andere Erkrankung oder Unfallverletzung bedingt eine ähnliche
sozialpolitische und wirtschaftliche Belastung. Die Problematik
von HWS-Beschleunigungsverletzungen,
den sog. Schleudertraumen, liegt in der diagnostischen Unsicherheit
und der daraus resultierenden fehlenden Therapiestrategie. Die bildgebende
Diagnostik kann lediglich strukturelle Schäden darstellen. Diese sind
jedoch selten und betragen nur 3%–5% der in der Praxis auftretenden
Fälle. Bei
den restlichen 95%–97%
der Patienten können
keine Schäden
dargestellt werden, obwohl Symptome wie Schmerzen, Bewegungseinschränkung, Schwindel
oder auch vegetative Symptome beklagt werden. Die Behandlung von
HWS-Beschleunigungsverletzungen
besteht in der Regel aus physiotherapeutischen Maßnahmen.
Die Effektivität
der Maßnahmen
wird jedoch kontrovers diskutiert. Trotz Therapie werden Raten zwischen 14%
und 56% chronischer Schmerzverläufe
beschrieben. Hierbei ist zu bedenken, dass 90% der Kosten durch den
Anteil der chronischen Verläufe
bedingt werden. Wichtigstes Ziel ist es deshalb, die Heilungsverläufe zu verkürzen und
die Anzahl chronischer Verläufe
zu minimieren.
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Zur
Diagnose von Verletzungen der Halswirbelsäule sind bildgebende Verfahren,
wie Kernspin- oder Röntgenverfahren,
bekannt. Diese Verfahren erlauben jedoch bei Schleudertraumen keine
eindeutigen Diagnosen, die sich mit den Beschwerden des Patienten
korrelieren lassen.
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Neuere
Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen muskulären Störungen,
die mit elektromyografischen Methoden erfasst werden können, und
funktionellen Beschwerden. Durch Einsatz elektromyografischer (EMG)
Messverfahren lassen sich daher bessere Diagnoseergebnisse bei HWS-Beschleunigungsverletzungen
erzielen als mit bildgebenden Verfahren. Dies ermöglicht auch
eine Kopplung und Steuerung der Therapie von Schleudertraumen durch
EMG-Feedback.
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EMG-Feedback
gehört
zur Gruppe der Bio-Feedback-Therapien,
die eine aktive Schulung der koordinativen Fähigkeiten eines Patienten ermöglichen.
Unter Bio-Feedback-Therapien
versteht man Maßnahmen, die
durch Parameter beeinflusst werden, die sich an veränderlichen
Körperfunktionen
messen lassen. Solche Funktionen können z.B. die Herzfrequenz,
der Blutdruck, die Gliedmaßen-Temperatur,
elektrische Potentialverschiebungen (EEG, EKG) oder, wie im vorliegenden
Fall, muskuläre
Potentiale (EMG) sein. In den klassischen Bio-Feedback-Therapien
werden autonome Funktionen zunächst
mittels Sensoren bzw. Klebe elektroden abgeleitet und durch einen
geeigneten Feedback-Mechanismus optisch oder akustisch wahrnehmbar
gemacht. Gerade das EMG-Feedback zeigt hierbei eine besonders gute
Wirkung bei verschiedenen Schmerzzuständen, hauptsächlich Kopf-
und Rückenschmerzen,
bei Schlafstörungen
und bei ängstlichen
Verspannungen.
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Die
WO 99/06981 A1 beschreibt ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zur
Behandlung von Patienten mit Angstzuständen unter Einsatz eines Virtual-Reality(VR)-Systems.
Die Vorrichtung umfasst hierbei eine am Kopf des Patienten fixierbare
Einrichtung, die mit einem Trackingsystem zur Erfassung der momentanen
Bewegung und Position des Kopfes des Patienten mechanisch verbunden
ist, sowie einen Video-Bildschirm, auf dem eine die Angstzustände des
Patienten hervorrufende Szene dargestellt wird, bspw. über ein
HMD (Head Mounted Display). Ein Computer steuert die Darstellung
der Szene in Abhängigkeit
von mit dem Trackingsystem erfassten Daten der Kopfbewegung. In
einer weiteren Ausbildung dieser Vorrichtung sind zusätzlich Sensoren
zur Erfassung der Angstintensität
des Patienten, wie bspw. Puls- oder Hautwiderstandssensoren, vorgesehen.
Der Computer steuert die dargestellte Szene in Abhängigkeit
von den erfassten Daten, um einen therapeutischen Erfolg herbeizuführen.
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Weiterhin
ist aus M. Steffin: Virtual reality therapy of multiple sclerosis
and spinal cord injury: design considerations for a haptic-visual
interface; in: G. Riva (ed); Virtual Reality in Neuro-Psycho-Physiology 1997; 185–208 ein
System für
eine VR-Therapie
von Patienten mit Multipler Sklerose und Wirbelsäulenverletzungen beschrieben.
Bei diesem System wird die Position eines vom Patienten ins Auge
gefassten Zielobjektes über eine
entsprechende Sensorik erfasst und der Arm des Patienten über ein
Kraft-Rückkopplungssystem
innerhalb eines Zielkorridors zum Greifen des Objektes gehalten.
Das Zielobjekt sowie die aktuelle Bewegungsbahn des Armes des Patienten
können
diesem hierbei auch über
ein HMD virtuell dargestellt werden. Durch eine gleichzeitige EMG-Rückkopplung
einer Vielzahl von beteiligten Muskeln können diese Muskeln zusätzlich gezielt
elektrisch stimuliert werden.
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Die
beiden letztgenannten Veröffentlichungen
befassen sich jedoch nicht mit Systemen, mit denen Funktionsstörungen der
Halswirbelsäule
diagnostiziert oder therapiert werden können.
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Die
US 5482051 A beschreibt
ein EMG-VR-System zur interaktiven Modellierung eines virtuellen
Gegenstandes, insbesondere mit der Hand, bei der eine von der Modellierung
abhängige
Gegenkraft auf die Hand ausgeübt
wird. Hierzu werden EMG-Sensoren an der Hand des Probanden angebracht,
die Handbewegungen registrieren. Die erfassten Handbewegungen werden
von einem Rechenprozessor verarbeitet und in eine Veränderung
eines über
ein Head Mounted Display dargestellten virtuellen Objektes umgesetzt.
Auf Basis der mit der Hand durchgeführten Modellierung wird wiederum über eine
Kraft-Rückkopplungseinheit
ein Gegendruck auf die Hand ausgeübt. Der Proband kann auf diese
Weise ein virtuelles Objekt modellieren, das ihm auf dem Display
dargestellt wird, und die entsprechende Gegenkraft bei der Modellierung "fühlen". Auf diese Weise lässt sich bspw. das "Fühlen" von entsprechend behinderten Personen
trainieren oder wiederherstellen.
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Diese
Druckschrift betrifft somit ein vollkommen anderes Anwendungsgebiet
als das der vorliegenden Erfindung. Weder die Diagnose noch die
Therapie von Funktionsstörungen
der Halswirbelsäule
können
mit dieser Druckschrift in Verbindung gebracht werden.
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Die
DE 19713947 C2 befasst
sich mit einem EMG-Biofeedback-Gerät für Entspannungstraining.
Das Feedback wird hierbei eingesetzt, um den Probanden bestimmte
biologische Körperfunktionen
bewusst zu machen und die Einflussnahme auf diese Körperfunktionen
beizubringen. Die EMG-Signale werden hierzu in akustische Rückmeldesignale
mit in Abhängigkeit
vom EMG-Potential änderbarer
Frequenz umgewandelt, die vom Patienten wahrnehmbar sind. Es wird
auch ein Einsatz dieses Entspannungstrainings für muskuläre Verspannungen angeführt, die
auf eine HWS-Verletzung zurückgehen.
Die mit der Technik dieser Druckschrift durchgeführte Therapie setzt allerdings
auf die Wirkung von Entspannungsübungen,
vergleichbar einem autogenen Training, und liefert somit keine Lösung für eine verbesserte
Diagnose von Verletzungen der Halswirbelsäule.
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Die
Aufgabe der vorliegenden Erfindung besteht darin, eine Vorrichtung
zur verbesserten Diagnose und/oder Therapie von Funktionsstörungen der
Halswirbelsäule,
insbesondere nach HWS-Beschleunigungsverletzungen anzugeben. Unter
Funktionsstörungen
werden hierbei Bewegungsein schränkungen
sowie belastungs- oder positionsabhängige Schmerzen verstanden.
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Die
Aufgabe wird mit der Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 gelöst. Vorteilhafte
Ausgestaltungen der Vorrichtung lassen sich den Unteransprüchen oder
der nachfolgenden Beschreibung und den Ausführungsbeispielen entnehmen.
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Die
vorliegende Vorrichtung zur Diagnose und/oder Therapie von Funktionsstörungen der
Halswirbelsäule,
insbesondere nach HWS-Beschleunigungsverletzungen, weist eine am
Kopf eines Patienten fixierbare Einrichtung zur Einschränkung des
Blickfeldes des Patienten sowie ein, vorzugsweise mit der Einrichtung
zur Einschränkung
des Blickfeldes mechanisch verbundenes, Trackingsystem zur Erfassung
einer momentanen Position und Orientierung des Kopfes des Patienten
auf. Weiterhin umfasst die Vorrichtung eine Bilddarstellungseinrichtung
zur Darstellung von Bildern oder Szenen für den Patienten sowie eine
mit der Bilddarstellungseinrichtung verbundene Steuereinrichtung
zur Erzeugung eines optischen Signals, das sich in den dargestellten
Bildern oder Szenen auf einer vorgebbaren Bewegungsbahn und mit
einer konstanten oder variierenden Geschwindigkeit bewegt. Die Einschränkung des
Blickfeldes durch die am Kopf des Patienten fixierbare Einrichtung
sowie die Bewegung des optischen Signals sind hierbei so aufeinander
abgestimmt, dass der Patient dem optischen Signal nur durch Bewegung
des Kopfes folgen kann. Die Vorrichtung umfasst weiterhin ein mit
der Steuereinrichtung verbundenes EMG-Messsystem für die Erfassung der muskulären Aktivität der Halsmuskulatur,
insbesondere des Musculus semispinalis capitis, des Patienten während der
Erzeugung und Bewegung des optischen Signals sowie eine Ausgabeschnittstelle
zur Ausgabe erfasster Daten des Trackingsystems und des EMG-Messsystems.
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Bei
der vorliegenden Vorrichtung handelt es sich um ein Virtual Reality
(VR) und EMG-Feedback gestütztes
System, das sowohl zur Diagnose als auch zur Therapie von Bewegungsdefiziten
der Halswirbelsäule eingesetzt
werden kann. Durch die Kombination von Techniken aus dem Bereich
der virtuellen Realität
mit dem Trackingsystem und dem EMG-Messsystem lässt sich die diagnostische
Sicherheit bei derartigen Defiziten erhöhen. Durch die Verbesserung
der diagnostischen Sicherheit können
beispielsweise gutachterliche Probleme gelöst und eine zielgerichtetere
konservative Therapie unter Berücksichtigung
koordinativer Fehlfunktionen durchgeführt werden. Hierdurch wird
eine Verkürzung
der Heilungszeiten und eine Minimierung der Chronifizierungsrate
von Patienten mit derartigen Defiziten, insbesondere mit HWS-Schleudertrauma,
ermöglicht.
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Über die
Steuereinrichtung werden Bewegungsbahnen zumindest eines optischen
Signals auf der Bilddarstellungseinrichtung vorgegeben, die eine
definierte Bewegung der Halswirbelsäule des Patienten bedingen,
wenn er diesen optischen Signalen folgt. Hierbei werden Bewegungsdefizite
durch Vergleich der mit dem Trackingsystem erfassten Ist- und dem
durch die Bewegung des optischen Signals vorgegebenen Soll-Werten
der Halswirbelsäulenbewegung
erkannt. Durch die gleichzeitige Messung der muskulären Aktivität der Halsmuskulatur,
insbesondere des Musculus semispinalis capitis, können funktionelle
Störungen
der Muskulatur festgestellt werden. Auf diese Weise lässt sich
eine exaktere Diagnose bei derartigen Defiziten stellen, als dies
mit den bisher eingesetzten Verfahren möglich ist. Neben der Vorgabe
der Kopfbewegungsbahn des Patienten hat die dargestellte Szene die
Aufgabe, die Aufmerksamkeit des Patienten von Schmerzen und Funktionseinschränkung abzulenken,
um die Diagnose möglichst
unabhängig
von der psychischen Verfassung des Patienten stellen zu können.
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Vorzugsweise
umfasst das vorliegende System eine Auswerteeinheit, die die mit
dem Trackingsystem und dem EMG-Messsystem erfassten Daten nach einem
vorgegebenen Algorithmus automatisch auswertet und eine Information
darüber
liefert, ob bei dem Patienten eine Funktionsstörung der Halswirbelsäule vorliegt. Der
Auswertealgorithmus basiert auf der Erkenntnis, dass die EMG-Amplitude bei einer
Dehnung des Muskels bei einem gesunden Patienten abfällt, während sie
bei einem Patienten mit einer Funktionsstörung ansteigt. Auf Basis dieses
Unterschieds kann die Auswerteeinheit eine automatische Auswertung
der Daten und Klassifizierung des Patienten vornehmen.
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Die
am Kopf des Patienten fixierbare Einrichtung zur Einschränkung des
Blickfeldes ist vorzugsweise zusammen mit der Bilddarstellungseinrichtung
als sog. Head Mounted Display (HMD) ausgebildet. Die Einschränkung des
Blickfeldes kann dabei beispielsweise auch durch Sichtblenden oder
entsprechend rohrförmig ausgebildete
Komponenten realisiert werden. Das vorzugsweise direkt mit dieser
Einrichtung bzw. dem HMD mechanisch verbundene Trackingsystem kann
bspw. als elektromagnetisches Trackingsystem ausgebildet sein. Dem
Fachmann stehen hierbei zahlreiche kommerziell erhältliche
Trackingsysteme zur Verfügung,
die auch nach anderen physikalischen Prinzipien arbeiten können.
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Neben
der Ausgestaltung als HMD kann die Bilddarstellungseinrichtung selbstverständlich auch unabhängig von
der am Kopf des Patienten fixierbaren Einrichtung, bspw. als entfernt
angeordnete Projektionsleinwand ausgebildet sein. Die Steuereinrichtung,
die bspw. durch einen Computer realisiert sein kann, dient der Erzeugung
der Bewegungsbahnen und Geschwindigkeiten des optischen Signals
auf der Bilddarstellungseinrichtung. Dieses optische Signal kann
bspw. einen Lichtfleck oder ein sonstiges Bildobjekt darstellen,
das vom Patienten verfolgt werden soll. Das Blickfeld des Patienten
ist hierbei durch die am Kopf fixierte Einrichtung derart eingeschränkt, dass
er zur Verfolgung dieses optischen Signals den Kopf bewegen muss.
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In
einer vorteilhaften Ausführungsform
der vorliegenden Vorrichtung weist die Steuereinrichtung eine Feedback-Einheit
auf, über
die die vorgegebene Bewegungsbahn, in der Regel eine wiederkehrende,
geradlinige horizontale oder vertikale Bewegung des Signals mit
einer bestimmten vertikalen bzw. horizontalen Auslenkung bzw. Amplitude,
und/oder die Bewegungsgeschwindigkeiten des optischen Signals in
Abhängigkeit von
den durch das EMG-Messsystem erfassten Daten beeinflusst werden.
Diese Feedback-Steuerung ermöglicht
eine verbesserte Therapie des Patienten. Zur therapeutischen Anwendung
kann bspw. der Bewegungsraum der optischen Bewegungsvorgaben durch
das optische Signal in der dem Patienten dargestellten virtuellen
Welt schrittweise vergrößert werden.
In einem weiteren Schritt kann auch die Geschwindigkeit der Bewegungsbahn
und damit der resultierenden Kopfbewegung des Patienten stufenweise
erhöht
werden. Das Bewegungstracking durch das Trackingsystem wird mit
den gemessenen EMG-Werten synchronisiert. Durch die EMG-Feedback-Steuerung
der VR-Szene wird verhindert, dass ein Patient überbeansprucht wird. Sobald EMG-Werte
gemessen werden, die auf Schmerzen hindeuten, wird die Geschwindigkeit
oder die Amplitude der Bewegung des optischen Signals vermindert.
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Durch
den zusätzlichen
Einsatz einer Einrichtung zur Erzeugung von Gegenkräften zur
Kopfbewegung kann die Therapie nochmals verbessert werden. Durch
Einsatz dieser Einrichtung, die mit der Steuereinrichtung verbunden
ist, können
leichte Gegenkräfte
zur Kopfbewegung des Patienten definiert werden. Diese Gegenkräfte werden
ebenfalls mit der EMG-Messung synchronisiert. Die Gegenkräfte können schrittweise
erhöht werden,
um auf diese Weise die Nackenmuskulatur sensibel zu trainieren.
Bei Schmerzen oder Überbeanspruchung
des Patienten, die durch die EMG-Messung erfasst werden, wird die
Gegenkraft durch die Feedback-Komponente
der Steuereinrichtung sofort reduziert oder abgeschaltet.
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Die
Steuereinrichtung der vorliegenden Vorrichtung ist vorzugsweise
so ausgestaltet, dass sie unterschiedliche Steuermodule oder Steuerprogramme
aufnehmen kann, durch die unterschiedliche Bewegungsbahnen und Geschwindigkeiten
des optischen Signals vorgegeben werden. Auf diese Weise kann durch
geeigneten Einsatz der Steuermodule ein jeweils dem Patientenzustand
entsprechendes Programm zur Steuerung der optischen Signale aufgerufen
werden.
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Kurze Beschreibung der
Zeichnungen
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Die
vorliegende Vorrichtung und das zugehörige Verfahren werden nachfolgend
anhand von Ausführungsbeispielen
in Verbindung mit den Zeichnungen nochmals kurz erläutert. Hierbei
zeigen:
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1 ein
Prinzipbild, das die Verbindung der einzelnen Komponenten gemäß einer
Ausführungsform der
vorliegenden Vorrichtung aufzeigt;
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2 eine
Ansicht einer Ausführungsform
der vorliegenden Vorrichtung im Einsatz; und
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3 beispielhafte
Messkurven, die den Verlauf des EMG-Signals und die zugehörige Bewegung
des Kopfes eines Patienten zeigen.
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Wege zur Ausführung der
Erfindung
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1 zeigt
eine Prinzipdarstellung der vorliegenden Vorrichtung, aus der die
einzelnen Komponenten gemäß einer
Ausführungsform
der Vorrichtung ersichtlich sind. Die Vorrichtung setzt sich aus
der am Kopf des Patienten fixierbaren Einrichtung 2 zur
Einschränkung
des Blickfeldes des Patienten, einem Trackingsystem 3,
mit dem die Bewegungen des Kopfes des Patienten, insbesondere dessen
Position und Orientierung, in Echtzeit erfasst werden und einem
Bildschirm 4 zur Darstellung einer virtuellen Szene zusammen.
Der Bildschirm 4 ist im vorliegenden Beispiel zusammen
mit der Einrichtung zur Einschränkung
des Blickfeldes als Head Mounted Display 9 ausgebildet,
an dem Sensoren des Trackingsystemes 3 befestigt sind.
Die mit dem Trackingsystem 3 erfassten Bewegungs- und Orientierungsdaten
werden einer Steuereinrichtung 5 zugeführt, die den Bildschirm 4 des
Head Mounted Display 9 ansteuert, um die vorgebbare Bewegung
des optischen Signales zu erzeugen.
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Die
Bewegungen der Halswirbelsäule
des Patienten in allen drei Bewegungsachsen (Flexion/Extension,
axiale Rotation, Seitflexion) werden zeitgleich zu der Erfassung
mit dem Trackingsystem 3 mit einem fine-wire EMG des Musculus
semispinalis capitis aufgezeichnet. Durch das HMD 9 wird
der Patient in die virtuelle Szene versetzt. Er verfolgt mit seinem
Blick die Bewegungsbahnen des durch die Steuereinrichtung 5 erzeugten
optischen Signals in der VR-Szene. Das Blickfeld des HMD 9 ist
so stark eingeschränkt,
dass die Bewegungsbahnen des optischen Signals nicht durch Augenfolgebewegungen
sondern ausschließlich
durch Kopfbewegungen verfolgt werden können. Das Trackingsystem 3,
das mit dem HMD 9 mechanisch verbunden ist, erfasst die
Kopfposition und Kopforientierung mit hoher Frequenz von bspw. 1000
Hz. Das EMG des Musculus semispinalis capitis wird zeitgleich mit
der gleichen Frequenz von 1000 Hz aufgenommen. Durch die in der
Steuereinrichtung 5 enthaltene Feedback-Einheit 7 werden
die vom EMG-Messsystem 6 erhaltenen
Daten auf Vorliegen von bestimmten, auf die Entstehung von Schmerz
hinweisenden Charakteristiken überprüft und bei
Auftreten dieser Charakteristiken die Bewegungsbahn und/oder Geschwindigkeit
des optischen Signals beeinflusst. Dies kann durch eine Berechnung
der Geschwindigkeit und Bahn des optischen Signals in Echtzeit erfolgen.
Durch dieses EMG-Feedback wird eine Überbeanspruchung des Patienten vermieden
und eine im Wesentlichen schmerzfreie Diagnose oder Therapie ermöglicht.
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Um
eine möglichst
exakte Auswertbarkeit der erfassten Daten sowie eine zuverlässige Funktion
des EMG-Feedback zu gewährleisten,
sollten das Bewegungstracking und die Messung mit dem EMG-Messsystem 6 synchron
mit der gleichen Frequenz erfolgen. Bewegungstracking mit einer
Frequenz von ca. 1000 Hz kann bspw. mit Hilfe des haptischen Displays "PHANToM" der Firma Sensable
Devices erfolgen, das mit dem HMD 9 fest verbunden wird.
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Zur
therapeutischen Anwendung kann die vorliegende Vorrichtung zusätzlich mit
einem Kraftrückkopplungssystem 8 verbunden
werden, mit dem der Bewegung des Kopfes des Patienten ein dosierbarer
Widerstand entgegengesetzt werden kann. 2 zeigt
eine derartige Ausgestaltung der vorliegenden Vorrichtung im Einsatz.
Der Patient 1 trägt
das HMD 9, das über
den Rechner 5 zur Darstellung der VR-Szene sowie des optischen
Signals angesteuert wird. Das EMG-Messsystem 6 ist am Hals
des Patienten 1 angebracht und überträgt die gemessenen Daten, ebenso
wie ein in dieser Darstellung nicht erkennbares Trackingsystem am HMD 9,
an den als Steuereinrichtung dienenden Rechner 5. Das HMD 9 ist
weiterhin mechanisch mit dem Arm eines Kraftrückkopplungssystems 8 verbunden,
das ebenfalls über
den Rechner 5 angesteuert wird. Dieses Kraftrückkopplungssystem
kann der Bewegung des Kopfes des Patienten 1 in allen Freiheitsgraden
der Halswirbelsäule
einen dosierbaren Widerstand entgegensetzen. Der dosierbare Widerstand
wird in Echtzeit auf Grundlage des EMG- Feedbacks berechnet, um genau die Kopfbewegungen
physiotherapeutisch anzusprechen, bei denen in der vorherigen Diagnose
ein Schmerz aufgetreten ist. Dazu wird vom System ein Therapieplan
berechnet, der vom therapierenden Arzt geprüft und überarbeitet werden kann. Grundlage
für den
Therapieplan sind die Ergebnisse des Diagnosesystems. Die Therapie
wird zusätzlich
maßgeblich
durch intratherapeutisch aufgezeichnete EMG-Messwerte beeinflusst.
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Dem
Therapieplan entsprechend wird die vorliegende Vorrichtung gestartet.
Zeitgleich mit der Therapie wird das EMG des Patienten 1 aufgezeichnet
und mit dem Tracking sowie der Kraftrückkopplung synchronisiert.
Werden im EMG psychotherapeutisch unzumutbare Schmerzen erkannt,
wird die Gegenkraft sofort reduziert oder abgeschaltet. Auch die
Dosierung der Gegenkräfte
wird daher in Abhängigkeit
von den gemessenen EMG-Werten
definiert.
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Als
konkretes Anwendungsbeispiel soll ein Patient betrachtet werden,
der sich nach einem Autounfall über
Schmerzen beklagt und zur Diagnose in der Klinik untersucht werden
soll. Dazu wird er mittels des HMD 9 der vorliegenden Vorrichtung
in eine computergenerierte, virtuelle Szene versetzt, in der ihm
ein digitales Stadtmodell gezeigt wird. Diese digitale Stadt ist
allerdings nicht beleuchtet, sondern umgibt ihn in Dunkelheit. Allerdings
wird die virtuelle Stadt partiell durch einen Scheinwerferstrahl,
dem von der Steuereinrichtung 5 erzeugten optischen Signal,
ausgeleuchtet, der langsam über
die Mauern der Gebäude
wandert. Der Patient kann also die virtuelle Stadt erkundschaften,
indem er dem Strahl des Scheinwerfers folgt. Da das HMD 9 nur ein
sehr eingeschränktes
Blickfeld liefert, muss er dem Lichtstrahl durch Kopfbewegungen
folgen. Gleichzeitig wird von diesem Patienten ein EMG des Musculus
semispinalis capitis mit der zur Vorrichtung gehörenden EMG-Messeinrichtung 6 aufgenommen.
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Bei
einer Flexion von 12,5°,
einer axialen Rotation von 7,4° und
einer Seitflexion von 1,3° bemerkt
er einen leichten Schmerz. Der Scheinwerferstrahl verlangsamt sich,
wandert auf eine axiale Rotation von 15° zurück, um sich erneut den 17° zu nähern. Wiederum
stellt sich der leichte Schmerz ein, der aufgrund der Messwerte
des EMG-Messsystems 6 von der Steuereinrichtung 5 erkannt
wird. Die zugehörigen
Daten der Kopforientierung werden über das Trackingsystem 3 erhalten.
Dieses Szenario wird mehrmals modifiziert und wiederholt, so dass
schließlich
sehr genaue Daten über
das Bewegungsdefizit des Patienten vorliegen.
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Einen
Tag nach der Diagnose benutzt dieser Patient die vorliegende Vorrichtung
als Therapiesystem. Dazu sollen seine Halsmuskeln physiotherapeutisch
trainiert werden. Vom Therapiesystem wurde ein Vorschlag für einen
Therapieplan ausgegeben. Dieser wurde vom Arzt untersucht, modifiziert
oder bestätigt.
Im Therapieplan werden folgende therapeutische Parameter festgelegt:
- – Dauer
der Therapieeinheit
- – Skalierung
der Gegenkräfte
- – Festlegung
der Kopfbewegungen, d.h. der Bewegungsbahn und -Geschwindigkeiten
des optischen Signals
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Nach
dem Starten der Therapie wandert der Lichtstrahl langsam so durch
die virtuelle Szene, die dem Patienten wiederum über das HMD 9 vermittelt
wird, dass eine Kopfbewegung des Patienten resultiert, bei der die
diagnostischen Erkenntnisse berücksichtigt
sind und die verletzten Strukturen leicht beansprucht werden. Die
Gegenkräfte
zur Kopfbewegung werden durch das angeschlossene Kraftrückkopplungssystem (Force-Feedback-System) generiert
und auf das HMD übertragen.
Somit werden die Halsmuskeln trainiert, was zur Therapie der Verletzung
und zur Reduzierung der Schmerzen beitragen soll. Bei der therapeutischen Anwendung
werden Synchronbewegungen des Kopfes, EMG-Werte und ausgegebene
Kräfte
registriert. Über die
EMG-Werte wird die Therapie durch Beeinflussung der Bewegungsbahnen
sowie der Kräfte
gesteuert. Der Verlauf der Therapie wird durch Ausgabe der registrierten
Parameter sehr genau dokumentiert. Ein Therapieerfolg bzw. eine
Stagnation in der Physiotherapie kann somit sofort erkannt und dargestellt
werden.
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Im
Folgenden wird anhand der 3 ein Beispiel
für einen
Auswertealgorithmus erläutert,
mit dem die erfassten Daten automatisch von einer Auswerteeinheit
des vorliegenden Systems ausgewertet werden können.
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Der
Patient führt
auf einem Stuhl sitzend eine maximale Drehbewegung des Kopfes nach
rechts und nach links, sowie eine maximale Kopfbeuge- und Kopfstreck bewegung
aus. Dabei werden der Bewegungsausschlag und die elektrische Aktivität des Semispinalismuskels
mit dem EMG-Messsystem gemessen und aufgezeichnet. Das erhaltene
EMG-Rohsignal wird dann gleichgerichtet, normiert und mit Faktor 20 geglättet. Nach
diesen Schritten werden die in den 3a bis 3d dargestellten Kurven erhalten. Hierbei
beschreibt die Kurve E in den 3a und 3b die Bewegung des Kopfes bei Flexion/Extension
und in den 3c und 3d die Bewegung
des Kopfes bei Rotation. Die Kurven A bis D zeigen die dabei auftretenden
elektrischen Potentiale des linken und rechten M. semispinalis capitis.
Jede Seite wird einmal oberflächlich
und einmal intramuskulär (Fadenelektroden)
gemessen.
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Die
elektrischen Potentiale der Patienten (3b und 3d) und der Probanden (3a und 3c) unterscheiden sich bei beiden Bewegungen
deutlich von einander. Um diesen Unterschied zu definieren, wurden
in Vorstudien durch eine Diskriminanzanalyse vier Parameter bestimmt,
die das EMG-Signal bestmöglich
beschreiben. Diese Parameter sind:
- x1
- = Bewegungsamplitude
bei Rechtsrotation zum Zeitpunkt, an dem die EMG Amplitude des intramuskulären Signals
10% der maximalen Amplitude beträgt;
- x2
- = Bewegungsamplitude
bei Linksrotation zum Zeitpunkt, an dem die EMG Amplitude des intramuskulären Signals
10% der maximalen Amplitude beträgt;
- x3
- = EMG Amplitude des
intramuskulären
Signals bei maximaler Flexion rechts; und
- x4
- = EMG Amplitude des
intramuskulären
Signals bei maximaler Flexion links.
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Die
Werte für
diese Parameter werden von der Auswerteeinheit aus den Messungen
bestimmt und in folgende Entscheidungsregel eingesetzt:
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Wird
ein Wert größer Null
erhalten, so liegt keine Funktionsstörung der Halswirbelsäule vor.
Ist der berechnete Wert kleiner Null, so wird eine Funktionsstörung angenommen.
Die Auswerteeinheit kann somit automatisch bei jeder Messung die
vorliegende Auswertung und Berechnung durchführen und eine entsprechende
Klassifizierung bzw. Diagnose ausgeben.
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Das
Verfahren zeigt in der Crossvalidierung sowie in einem zweiten unabhängigen Personenkollektiv eine
90% korrekte Klassifizierung der Personen. Dies ist nicht einmal
annähernd
durch ein anderes diagnostisches Verfahren möglich.
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Mit
der erfindungsgemäßen Vorrichtung
sowie dem zugehörigen
Verfahren werden koordinative Fehlfunktionen der Muskulatur als
Schmerzursache nachgewiesen. Hierbei werden elektromyographische
Methoden mit Methoden der virtuellen Realität verknüpft. Die Steuerung der Kopfbewegung
und Techniken der virtuellen Realität ermöglicht eine Erhöhung der
diagnostischen Sicherheit des Verfahrens. Durch die ebenfalls einsetz bare
EMG-Feedback-Komponente wird ein Rückkopplungsmechanismus geschaffen,
der die Sicherheit des Patienten in der diagnostischen Sitzung sowie
in einer ebenfalls möglichen
Therapie gewährleistet. Mit
der vorliegenden Vorrichtung werden neue Möglichkeiten in der Physiotherapie
zur Behandlung von HWS-Beschleunigungsverletzungen
eröffnet.
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- 1
- Patient
- 2
- Einrichtung
zur Einschränkung
des Blickfeldes
- 3
- Trackingsystem
- 4
- Bilderzeugungseinrichtung
- 5
- Steuereinrichtung
- 6
- EMG-Messsystem
- 7
- Feedback-Einheit
- 8
- Kraft-Rückkopplungssystem
- 9
- Head
Mounted Display
- 10
- EMG
Amplitude bei maximaler Flexion
- 11
- Bewegungsamplitude
zum Zeitpunkt,
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- an
dem die EMG Amplitude 10%
-
- der
maximalen Amplitude beträgt
- 12
- EMG
Amplitude ist 10% der maximalen
-
- EMG
Amplitude
- A
- Oberflächenelektrode
EMG rechts
- B
- Oberflächenelektrode
EMG links
- C
- Fadenelektrode
EMG rechts
- D
- Fadenelektrode
EMG links
- E
- Bewegungskurve
des Kopfes