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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Ermittlung zumindest eines Radumfangs eines Kraftfahrzeugs mittels Raddrehzahlsensoren, Satellitennavigation und Gierrate.
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Für automatisierte Parksysteme ist die genaue Abschätzung der aktuellen Fahrzeugposition ein entscheidender Faktor. Die geschätzte Fahrzeugposition wird benötigt, um das Fahrzeug auf einer geplanten Trajektorie in Richtung der finalen Parkposition zu bewegen. Die Fahrzeugposition wird ermittelt mit Hilfe der Impulse der Raddrehzahlsensoren, welche mit dem ABS-Bremssystem verbunden sind. Diese geben eine Information über den aktuellen Radrotationswinkel an. Bei bekanntem Radumfang kann daraus die longitudinale Bewegung des Fahrzeugs bestimmt werden. Bekannte Verfahren verwenden die von einem GPS-Signal bereitgestellte Geschwindigkeitsinformation gemeinsam mit den Radgeschwindigkeiten, um eine Abschätzung des Radumfangs vorzunehmen.
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Ohne eine Anpassung des Radumfangswerts während des Betriebs gibt es eine große Unsicherheit dieser Größe. Wenn die Reifen von Winterreifen auf Sommerreifen gewechselt werden, kann es zu einer Veränderung von 3 % im Reifenumfang kommen. Dabei handelt es sich um einen sehr großen Fehler im Vergleich zu den Anforderungen von modernen automatischen Parksystem.
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Wird für die Reifenumfangsabschätzung die GPS-Geschwindigkeit und die Radgeschwindigkeiten verwendet, so ist die Genauigkeit dieser Abschätzung nicht ausreichend, da die GPS-Geschwindigkeit im niedrigen Geschwindigkeitsbereich, wie bei Parkmanövern, nicht hoch genug ist. Bei hohen Geschwindigkeiten wird das GPS-Signal wesentlich genauer, jedoch ist dann der tatsächliche Reifenumfang aufgrund von Temperatureffekten größer. Für die Verwendung bei automatisierten Parkmanövern wird der Reifenumfang bei niedrigen Geschwindigkeiten benötigt.
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Es ist demnach Aufgabe der vorliegenden Erfindung ein Verfahren anzugeben, welches eine genaue Bestimmung des Reifenumfangs bei niedrigen Geschwindigkeiten ermöglicht.
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Die Aufgabe wird gelöst durch die Verwendung eines Kalmanfilters mit einem Zustandsvektor und einem Messvektor, wobei der Zustandsvektor zurückgelegte Strecken eines linken Fahrzeugrades und eines rechten Fahrzeugrades sowie die Reifenumfänge des linken Fahrzeugrades und des rechten Fahrzeugrades umfasst, und der Messvektor Messwerte von Raddrehzahlsensoren an dem linken Fahrzeugrad und dem rechten Fahrzeugrad, der Satellitennavigation und der Gierrate umfasst, wobei der Kalmanfilter in einem Updateschritt den Zustandsvektor mittels des Messvektors aktualisiert. Durch Verwendung des Kalmanfilters werden insbesondere Messgenauigkeiten vorteilhaft bei der Bestimmung des Reifenumfangs mit beachtet.
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Das Verfahren schätzt insbesondere die Reifenumfänge der beiden Hinterräder ab. Insbesondere handelt es sich dabei um nicht angetriebene Räder. Die Winkelveränderung und die Anzahl der Umdrehungen der Räder wird durch die Raddrehzahlsensoren bestimmt, welche jeweils einen Tick ausgeben, sobald ein vorbestimmter Winkel überschritten wurde. Die tatsächliche zurückgelegte Distanz des Fahrzeugs wird durch ein Satellitennavigationssystem wie beispielsweise GPS, Galileo, GLONASS oder ähnliche bestimmt. Anstelle von GPS kann entsprechend nachfolgend auch jeweils eines der anderen Systeme genutzt werden.
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Die tatsächliche zurückgelegte Distanz ΔS zwischen zwei Empfangenen GPS-Daten wird durch Berechnung des Unterschieds zwischen zwei aufeinanderfolgenden GPS-Positionen bestimmt. Geteilt durch die tatsächliche Anzahl Ticks in diesem Zeitraum im Verhältnis zu den gesamten Ticks pro Umdrehung ergibt den effektiven Radumfang.
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Die Winkelverschiebung des Rades ergibt sich aus:
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Wodurch man erhält:
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Erfindungsgemäß ist der Kalman Filter derart ausgebildet, dass dieser einen Zustandsvektor umfasst, welcher die zurückgelegten Strecken und die Radumfänge der zwei Räder beinhaltet.
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Um den Zustand der Reifenumfänge zu lernen und anzupassen werden Messungen der Winkelverschiebungen der linken Δθ
RL und rechten Räder Δθ
RR verwendet, die jeweils von einem Raddrehzahlsensor gemessen werden. Zusätzlich wird der gemessene Fahrzeugversatz durch den GPS-Sensor ΔS
GPS und die Veränderungen im Gierwinkel Δψ beziehungsweise der Ausrichtung verwendet. Somit ergibt sich der Messvektor:
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In einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung verwendet der Kalmanfilter ein konstantes Prädiktionsmodell. Damit ergibt sich die Zustandsübergangsmatrix A als eine Einheitsmatrix:
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Das Prädiktionsupdate des linearen Kalman-Filters ist gegeben durch:
Prädiktionszustand | |
Prädiktionskovarianz (Fehlerfortpflanzung) | Pk|k-1 = APk-1|k-1AT + Qk |
mit der geschätzten Zustandskovarianz P und der Prozessrauschenkovarianz Q
k
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Das Messungsupdate des erweiterten Kalman-Filters ist gegeben durch:
Kalman Gain | | (1) |
Messungsprädiktion | | (2) |
Innovation/Residual | | (3) |
Aktualisierter Zustand | | (4) |
Aktualisierte Kovarianz | | (5) |
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Dabei ist H die Jacobi-Matrix des Messmodells, welche eine Linearisierung des nichtlinearen Messmodells h(*) darstellt.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung umfasst der Messvektor als Messwerte der Raddrehzahlsensoren die Winkelverschiebung des linken und rechten Fahrzeugrades. Dies ermöglicht eines besonders einfache Implementierung.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird der Messwert der Gierrate aus einem Gierratensensor, den Raddrehzahlsensoren und/oder der Satellitennavigation bestimmt. Es kann sich dabei insbesondere um eine kalibrierte Gierrate handeln. Ein Algorithmus zur Kalibrierung der Gierrate kann sich direkt in dem Filter befinden und das GPS nutzen. Alternativ kann die Gierrate auch als extern kalibriert angenommen werden. Die Bestimmung mittels Gierratensensor ist dabei bevorzugt. Dieser ist in modernen Kraftfahrzeugen zur Umsetzung von Stabilitätsassistenten wie ESP oder assistierenden bzw. selbstfahrenden Fahrfunktionen meist vorhanden.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung umfasst der Messwert der Satellitennavigation Positionsdaten und/oder Längeninformationen. Es werden daher gerade keine Geschwindigkeitsdaten verwendet. Dies verbessert die Genauigkeit der Abschätzung. Die Berechnung der zurückgelegten Strecke zwischen zwei GPS-Positionen lässt sich wie folgt durchführen:
- GPS-Messungen liefern im Wesentlichen eine geographische Breite und Länge in Kugelkoordinaten. Zur Berechnung der Entfernung wird als erstes der zentrale Winkel Δσ zwischen den beiden Positionen berechnet.
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Dabei ist λ und Φ die geographische Breite und Länge. Die Entfernung lässt sich damit einfach bestimmen zu
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Eine Annahme der Erde als Kugel würde dabei zu nicht akzeptablen Fehlern führen. Entsprechend wird ein Ellipsoidmodell für die Erde genutzt. Damit ergibt sich der Radius der Erde zu:
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Dabei sind a und b die äquatorialen und polaren Radii der Erde. Mit den Werten a= 6378137m und b= 6356752.314m. Die Verwendung der Satellitennavigationspositionen verbessert die Genauigkeit insbesondere bei niedrigen Geschwindigkeiten.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung umfasst der Kalmanfilter ein Messmodell, welches eine Umrechnung zwischen den Größen des Messvektors und des Zustandsvektors angibt. Damit können demnach die vorhergesagten Messungen für die vorhergesagten Zuständen berechnet werden. Dies sind insbesondere die folgenden Umrechnungsvorschriften:
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Dabei ist l
TW die Fahrzeugspurweite. Somit ergibt sich das Messmodell h(*):
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Eine Linearisierung dieses Modells mittels Taylor Entwicklung und partiellen Differentiation ergibt die Jacobi-Matrix H
k:
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung führt der Kalmanfilter den Updateschritt nur durch, wenn neue Messdaten der Satellitennavigation vorliegen und/oder die Räder des Fahrzeugs zumindest eine volle Umdrehung durchgeführt haben. Somit wird die Genauigkeit verbessert, da unerwünschte Anfangs und Zwischenfehler vermieden werden.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung werden die Reifenumfänge des linken und des rechten Fahrzeugrades aus dem Zustandsvektor nur ausgegeben, wenn der Kalmanfilter auf stabile Werte konvergiert ist. Somit wird vermieden, dass fehlerhafte beziehungsweise noch sehr ungenaue Werte der Reifenumfänge bereits für eine Positionsbestimmung verwendet werden.
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In einer besonders bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird angenommen, dass der Kalmanfilter auf stabile Werte konvergiert ist, wenn der Gradient, oder ein über einen vorbestimmten Zeitraum akkumulierter Gradient, der Reifenumfänge unterhalb eines Schwellwerts liegt.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird dem Kalmanfilter eine Messrauschenkovarianzmatrix zugeführt, welche Standardabweichungen für die Messwerte des Messvektors umfasst. Die kann wie nachfolgend ausgebildet sein:
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In einer besonders bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird die Standardabweichung für die Satellitennavigation auf einen Wert zwischen 0,3 m und 30 m, insbesondere 1m festgesetzt, die Standardabweichung für die Gierrate auf 0,005 bis 0,02, insbesondere 0,01 ° festgesetzt, und die Standardabweichung für die Raddrehzahlsensoren wird basierend auf der Winkelgeschwindigkeit des jeweiligen Rades und eines Skalierungsfaktors bestimmt. Die Messrauschenkovarianzmatrix wird dann zu:
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In einer besonders bevorzugten Ausführungsform der Erfindung umfasst der Skalierungsfaktor eine Abweichung in der Latenzzeit der Satellitennavigation und eine Updatezeit der Raddrehzahlsensoren. Damit ergibt sich der Skalierungsfaktor α insbesondere zu
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Bei einer Updatezeit der Raddrehzahlsensorsignale von 20 ms kann β beispielsweise bei 0,02 gewählt werden und als eine typische Updatezeit des GPS-Signals kann 1,0 Sekunde angenommen werden.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung werden die Messwerte der Raddrehzahlsensoren und der Gierrate einem Ringspeicher zugeführt, wobei die Messdaten um die Latenzzeit der Satellitennavigation versetzt dem Kalmanfilter zugeführt werden. Aufgrund der langsamen Updatezeit des GPS-Signals und insbesondere dessen Latenz, wird durch den Ringspeicher eine vorteilhafte Synchronisation zwischen den verschiedenen Messdaten vorgenommen.
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In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird eine Plausibilisierung der ermittelten Reifenumfänge durch Berechnung mittels eines mathematischen Modells durchgeführt. Es wird demnach eine zweite Ermittlung ohne Kalmanfilter durchgeführt. Die Berechnung kann insbesondere durch folgende Gleichungen durchgeführt werden:
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Die Aufgabe wird außerdem gelöst durch ein Steuergerät für ein Kraftfahrzeug, welches dazu eingerichtet ist, eines der vorstehend beschriebenen Verfahren durchzuführen.
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Weitere Merkmale, Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten der Erfindung ergeben sich auch durch die nachfolgende Beschreibung von Ausführungsbeispielen und der Zeichnungen. Dabei gehören alle beschriebenen und/oder bildlich dargestellten Merkmale sowohl einzeln als auch in beliebiger Kombination zum Gegenstand der Erfindung, auch unabhängig von ihrer Zusammenfassung in den Ansprüchen oder deren Rückbezügen.
- 1 zeigt schematisch das erfindungsgemäße Verfahren,
- 2 zeigt ein Diagramm bei der Durchführung des Verfahrens,
- 3 zeigt ein weiteres Diagramm bei der Durchführung des Verfahrens;
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1 zeigt den erfindungsgemäß verwendeten Kalmanfilter 1, welcher den Zustandsvektor 2
umfasst. Dem Kalmanfilter wird der Messvektor 3
zugeführt, welcher die Messdaten eines Radrehzahlsensors 4 eines linken Rades, eines Radrehzahlsensors 5 eines rechten Rades, eines Gierratensensors 6 und eines GPS-Sensors umfasst.
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Der Kalmanfilter 1 ist ausgebildet Prädiktionsschritte und Updateschritte auszuführen. Dazu wird der nachfolgende Algorithmus abgearbeitet.
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In der Funktion „LearnCircumference“ zum Lernen des Reifenumfangs wird zuerst die Matrix Q aufgebaut, welche Werte des Prozessrauschens umfasst. Dann wird der Kalmanfilterprädiktionsschritt, wie dem Fachmann bekannt, mit der Matrix Q und der Zustandsübergangsmatrix A aufgerufen. Nach einer Überprüfung, ob ein neues GPS-Signal vorliegt, und die sich daraus ergebende Bewegung plausibel ist, und wenn sich die Räder zumindest eine volle Umdrehung gedreht haben, wird die Jakobimatrix H aus den aktuellen Werten berechnet.
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Zur Bestimmung der Messungskovarianzmatrix R wird der folgende Algorithmus aufgerufen:
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Zuerst wird mit Hilfe des Zeitstempels, welcher Teil des GPS Signals ist, die Abweichung der GPS Updaterate von der erwarteten 1,0 Sekunde berechnet. Weiter wird die Ungenauigkeit im Radwinkel basierend auf dem Jitter in der Radnachricht bestimmt. Das Rauschen für die GPS-Position und den Gierrate wird auf einen vorbestimmten wert gesetzt. Aus diesen Werten wird die Matrix R zusammengesetzt.
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Zurück in Algorithmus 1 wird nun aus den Messdaten der Messvektor z gebildet. Nun kann der dem Fachmann bekannte Kalmanfilterupdateschritt durchgeführt werden mit den Eingabewerten, h, H, Z, R .
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Danach werden die Messwerte, welche zur Synchronisation aufakkumuliert wurden wieder zurückgesetzt. Zuletzt wird noch die Änderungsrate der Radumfänge für die Nachfilterung berechnet. Diese wird durch folgenden Algorithmus umgesetzt:
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Wenn die bisher zurückgelegte Distanz kleiner als ein Grenzwert ist, und die Fahrzeuggeschwindigkeit größer als ein entsprechender Schwellwert ist, werden die Gradienten der gelernten Radumfänge akkumuliert. Außerdem wird die zurückgelegte Strecke basierend auf den GPS-Daten akkumuliert.
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Ist die zurückgelegte Distanz hingegen größer als der Schwellwert und die Fahrzeuggeschwindigkeit größer als der Schwellwert, wird der Radumfang ausgegeben, wenn die akkumulierten Gradienten kleiner als eine Grenze sind. Anschließend werden die akkumulierten Werte zurückgesetzt.
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2 zeigt nun beispielhaft einen zeitlichen Verlauf einiger wichtiger Größen während des Lernens des Radumfangs mit dem erfindungsgemäßen Verfahren. Zu Beginn hat der Radumfang 10 einen Wert von ungefähr 2,06m und schwankt am Anfang der Lernverfahrens stark um diesen Wert. Bereits nach kurzer Zeit läuft der Radumfang jedoch in etwa asymptotisch auf einen Endwert zu. Die Schwankungen des Radumfangs 10 zeigen sich insbesondere in dessen Gradienten 11, der im Laufe des Verfahrens immer kleiner wird. Das Ausgabesignal 8 verändert sich nur, sobald der Gradient einen Schwellwert unterschreitet.
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In 3 sind die Radumfänge 10 noch mal detaillierter dargestellt als Radumfang 10a des rechten Fahrzeugrades und Radumfang 10b des linken Fahrzeugrades. Zum Vergleich ist noch der sehr genau anzunehmende Radumfang 12 aus der „ground truth“ Geschwindigkeit angegeben. Es zeigt sich, dass der geschätzte Radumfang sehr schnell auf den tatsächlichen Wert konvergiert.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Kalmanfilter
- 2
- Zustandsvektor
- 3
- Messvektor
- 4
- Raddrehzahlsignal links
- 5
- Raddrehzahlsignal rechts
- 6
- Gierratensensorsignal
- 7
- Satellitennavigationssignal
- 8
- Ausgabesignal
- 10
- Radumfang
- 11
- Gradient des Radumfangs
- 12
- Radumfang aus „ground truth“