-
Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren zur Schätzung des Reibwerts zwischen Reifen und Straße in einem Fahrzeug mit einem als Elektromotor ausgebildeten Antriebsmotor.
-
Stand der Technik
-
Bekannt sind Schätzverfahren zur Ermittlung des Reibwerts zwischen Reifen und Straße in Fahrzeugen, die auf mathematischen Modellen sowie Messwerten einer fahrzeugeigenen Sensorik basieren. Insbesondere in Fahrdynamikkontrollsystemen wie elektronische Stabilitätsprogramme (ESP), Antiblockiersysteme (ABS) oder Traktionskontrollsysteme (TCS) kann die übertragbare Kraft zwischen Fahrzeug und Straße nur indirekt und mit einer verhältnismäßig großen Unsicherheit ermittelt werden. Der Reibwert als Verhältnis von Längskraft zu Normalkraft kann im Antriebsfall aus Antriebskräften oder im Bremsfall aus Bremskräften auf der Basis von Sensorinformationen und mathematischen Modellen ermittelt werden.
-
Offenbarung der Erfindung
-
Mithilfe des erfindungsgemäßen Verfahrens ist eine Schätzung des Reibwerts zwischen Reifen und Straße in einem Fahrzeug mit einem als Elektromotor ausgebildeten Antriebsmotor mit hoher Genauigkeit möglich. Der Reibwertschätzung liegt das Motormoment des Antriebsmotors zugrunde, wobei die Schätzung des Reibwerts sowohl im Fall eines Motorantriebsmoments des Elektromotors als Motormoment als auch im Fall eines Motorbremsmoments des Elektromotors als Motormoment durchgeführt werden kann.
-
Das Schätzverfahren zur Bestimmung des Reibwerts basiert auf dem Drallsatz, der für ein Rad aufgestellt wird, auf das der Elektromotor antreibend oder bremsend wirkt. Hierbei wird aus Sensordaten die Radlängsbeschleunigung ermittelt und im Drallsatz gemeinsam mit dem aktuellen Motormoment des Elektromotors verarbeitet, woraus man die Radlängskraft am betreffenden Fahrzeugrad erhält, die zwischen dem Reifen des Fahrzeugrads und der Straße aktuell wirksam ist. Unter Berücksichtigung der an sich bekannten Radnormalkraft kann daraufhin der aktuelle Reibwert aus dem Verhältnis von Radlängskraft zu Radnormalkraft berechnet werden.
-
Bei dem Verfahren wird das Motormoment des Elektromotors für die Schätzung des Reibwertes zugrunde gelegt. Das Motormoment des Elektromotors kann aus dem aktuellen Motorstrom des Elektromotors ermittelt werden. Zwischen dem Motorstrom und dem Motormoment besteht ein bekannter Zusammenhang, so dass bei Kenntnis des Motorstroms auch das Motormoment ermittelt werden kann. In der Regel besteht ein linearer Zusammenhang zwischen dem Motorstrom und dem Motormoment.
-
Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass zum einen mit einer nur geringen Anzahl an Sensorinformationen der aktuelle Reibwert bestimmt werden kann. Es ist lediglich erforderlich, die Radlängsbeschleunigung aus Sensorinformationen zu bestimmen, insbesondere aus sensorisch ermittelten Raddrehzahlen. Die Radnormalkraft kann entweder aus einem statischen Modell aus der Fahrzeugmasse und der Schwerpunktlage bestimmt werden oder aus einem dynamischen Modell unter Berücksichtigung des Nickwinkels und/oder des Wankwinkels, die ebenfalls aus Sensorinformationen bestimmt oder hergeleitet werden. Ein weiterer Vorteil des erfindungsgemäßen Verfahrens liegt in der hohen Genauigkeit, mit der der aktuelle Motorstrom und damit auch das aktuell wirkende Motormoment in Antriebs- oder Bremsrichtung ermittelt werden kann. Dementsprechend liegt auch der daraus ermittelte Reibwert mit hoher Genauigkeit vor.
-
Vorteilhaft ist es außerdem, dass die Informationen über den der Motorstrom und das Motormoment mit hoher Dynamik vorliegen. Die Dynamik im Hinblick auf die Berechnung des Reibwerts kann an die Dynamik der Ermittlung des Motorstroms gekoppelt werden. Typischerweise liegt der Motorstrom mit einer Abtastrate von maximal wenigen Millisekunden vor, was es ermöglicht, auch das Motormoment und damit auch den Reibwert mit einer entsprechenden Abtast- oder Zeitrate zu ermitteln. In bevorzugter Ausführung liegt die Abtastrate bei maximal 2 ms, gegebenenfalls bei 0.5 ms. Die Längskraftberechnung weist eine schnellere Dynamik auf als die Raddynamik.
-
Gemäß einer vorteilhaften Ausführung wird der aktuelle Reibwert fortlaufend bestimmt, woraus sich eine Reibwertkurve ergibt, welche weiteren Auswertungen zugrunde gelegt werden kann. Es ist insbesondere möglich, bei einer hinreichend großen Anzahl an Reibwertdaten das Reibwertmaximum zu bestimmen. Hierbei kann der Radschlupf aus dem Verhältnis der Differenz von Fahrzeuggeschwindigkeit und Radlängsgeschwindigkeit zur Fahrzeuggeschwindigkeit ermittelt werden und auf numerischem Wege das Reibwertmaximum aus der µ-Schlupf-Kurve bestimmt werden. Hierbei kann das Differential dµ/dλ = 0 auf numerischem Wege gemäß delta µ/ delta λ = 0 angenähert werden. Mit der Kenntnis des Reibwertmaximums ist eine genaue Ansteuerung von Fahrerassistenzsystemen, insbesondere von Fahrdynamikkontrollsystemen im Fahrzeug möglich. Es können Dynamik- oder Sicherheitsreserven zwischen dem aktuellen Reibwert und dem Reibwertmaximum bestimmt und je nach Anforderung ausgeschöpft oder zumindest angenähert werden.
-
Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausführung kann das Verfahren zur Reibwertschätzung sowohl bei Vorwärtsfahrt als auch bei Rückwärtsfahrt des Fahrzeugs durchgeführt werden. Da außerdem, gemäß weiterer vorteilhafter Ausführung, sowohl beim Bremsen als auch beim Beschleunigen eine Durchführung des Verfahrens in Betracht kommt, ist eine Reibwertschätzung in allen Fahrsituationen des Fahrzeugs möglich.
-
In einer vorteilhaften Weiterbildung wird aus der Position des Fahrzeugs auf der Straße und der Reibwertermittlung eine Reibwertkarte mit örtlicher Zuordnung der Reibwerte erstellt. Die Reibwartkarte kann mit hoher Auflösung erstellt werden, beispielsweise mit einer zentimetergenauen Auflösung.
-
Gemäß noch einer weiteren vorteilhaften Ausführung handelt es sich bei dem Elektromotor um einen EC-Motor (elektronisch kommutierter Motor). Hierbei kommen sowohl permanenterregte Synchronmotoren mit Permanentmagneten am Rotor als auch fremderregte Synchronmotoren mit Spulenwicklungen am Rotor, die über Kommutierungseinrichtungen bestromt werden, in Betracht.
-
Grundsätzlich eignet sich das Verfahren aber bei allen Arten von Elektromotoren, insbesondere auch bei Asynchronmotoren.
-
Das Verfahren wird vorteilhafterweise in einem Steuergerät im Fahrzeug durchgeführt. Bei dem Steuergerät kann es sich um das Steuergerät des Elektromotors handeln. Im Prinzip kommt aber auch eine Anwendung des Verfahrens auf einem weiteren Steuergerät in Betracht, beispielsweise in einem ESP-Steuergerät, das mit dem Steuergerät des Elektromotors kommuniziert, in welchem die Höhe des aktuellen Motorstroms bekannt ist.
-
Die Erfindung bezieht sich außerdem auf ein Fahrerassistenzsystem, insbesondere ein Fahrdynamikregelsystem im Fahrzeug, wobei das Fahrerassistenzsystem mit einem Steuergerät ausgestattet ist, in welchem das Verfahren durchgeführt wird. Es handelt sich beispielsweise um ein ESP-Steuergerät oder um das Steuergerät des Elektromotors, der als Antriebsmotor verwendet wird.
-
Die Erfindung bezieht sich schließlich auf ein Fahrzeug mit einem vorbeschriebenen Fahrerassistenzsystem.
-
Die Erfindung bezieht sich außerdem auf ein Computerprogrammprodukt mit einem Programmcode, der dazu ausgelegt ist, die vorbeschriebenen Verfahrensschritte auszuführen. Das Computerprogrammprodukt läuft in einem vorbeschriebenen Steuergerät ab.
-
Das Fahrzeug, das mit einem entsprechenden Fahrerassistenzsystem mit einem Steuergerät zur Durchführung des Verfahrens ausgestattet ist, kann einen oder mehrere Elektromotoren als Antriebsmotoren aufweisen. Beispielsweise kann das Fahrzeug einen Achsantrieb aufweisen, bei dem ein gemeinsamer Elektromotor die beiden Räder einer Achse, ein Getriebe und ein Differential antreibt. In einer alternativen Ausführung ist es auch möglich, einen Radantrieb im Fahrzeug vorzusehen, bei dem die gegenüberliegenden Fahrzeugräder einer Achse von jeweils einem Elektromotor angetrieben werden, gegebenenfalls über jeweils ein Getriebe.
-
Weitere Vorteile und zweckmäßige Ausführungen sind den weiteren Ansprüchen, der Figurenbeschreibung und den Zeichnungen zu entnehmen. Es zeigen:
- 1 in schematischer Darstellung ein Fahrzeug mit Achsantrieb, wobei der Antriebsmotor als Elektromotor ausgebildet ist, der über ein Getriebe und ein Differential die beiden Räder einer Achse antreibt,
- 2 in schematischer Darstellung ein Fahrzeug mit einem Einzelradantrieb, bei dem die beiden gegenüberliegenden Räder einer Achse von jeweils einem Elektromotor über ein Getriebe angetrieben werden.
-
In den Figuren sind gleiche Bauteile mit gleichen Bezugszeichen versehen.
-
In 1 ist ein Fahrzeug 1 dargestellt, beispielsweise ein Kraftfahrzeug, dessen Antrieb über einen Elektromotor 2 erfolgt, welcher über ein Getriebe und ein Differential 3 die Räder 4 und 5 an der Hinterachse antreibt. Der Elektromotor 2, welcher insbesondere als EC-Motor ausgeführt ist, ist mit einem Steuergerät 6 versehen, über den der Elektromotor 2 angesteuert wird.
-
Bei dem Fahrzeug 1 kann der Reibwert zwischen dem Reifen an einem elektromotorisch angetriebenen Rad 4 oder 5 unter Verwendung des aktuellen Motorstroms IM des Elektromotors 2 ermittelt werden.
-
Das aktuelle, vom Elektromotor
2 im Antriebsfall oder im Brems- bzw. Rekuperationsfall erzeugte Motormoment M
M hängt linear vom aktuellen Motorstrom IM unter Berücksichtigung der Getriebeübersetzung i
G des Getriebes
3 ab:
wobei Const einen konstanten Umrechnungsfaktor bezeichnet.
-
Aus dem Drallsatz, angewandt auf das angetriebene Fahrzeugrad
4 oder
5, ergibt sich die Radlängskraft F
x an dem betreffenden Fahrzeugrad
4 oder
5:
wobei
- Fx
- die Radlängskraft
- ΣMR
- die Summe der Radmomente
- aR
- die Radbeschleunigung
- r
- der Raddurchmesser
- J
- das Radträgheitsmoment
bedeuten.
-
In die Summe der Radmomente ΣMR fließt das aktuelle Motormoment MM des Elektromotors 2 ein, außerdem kann ΣMR zusätzlich zu dem Motormoment MM auch weitere am Rad wirkende Momente enthalten, insbesondere Bremsmomente.
-
Die Radbeschleunigung aR wird aus Signalen eines Drehzahlsensors 7, 8 an dem Fahrzeugrad 4 bzw. 5 ermittelt.
-
Aus dem Verhältnis der Radlängskraft F
x zur Radnormalkraft F
z kann der aktuell wirkende Reibwert µ zwischen dem Reifen des Rades
4 oder
5 und der Straße gemäß
ermittelt werden. Die Radnormalkraft F
z kann aus der Fahrzeugmasse und der Schwerpunktslage im Fahrzeug ermittelt werden.
-
Der Motorstrom IM steht im Steuergerät 6 in einem Zeitraster von üblicherweise maximal 2 ms, gegebenenfalls 0.5 ms zur Verfügung. Entsprechend kann auch der Reibwert µ fortlaufend in diesem Zeitraster ermittelt werden. Daraus ergibt sich eine Reibwertkurve, die als Funktion des Radschlupfes λ dargestellt und zur Feststellung des Reibwertmaximums herangezogen werden kann. Der Motorstrom und somit die Radlängskraft liegen in einer Dynamik vor, die höher ist als die Dynamik des Rades. Somit kann bei einer einmaligen Überschlupfsituation am Rad die Reibwertkennlinie aufgenommen werden.
-
Der Radschlupf λ bestimmt sich aus dem Verhältnis der Differenz von Fahrzeuggeschwindigkeit V
veh und Radlängsgeschwindigkeit v
x zur Fahrzeuggeschwindigkeit V
veh:
wobei die Fahrzeuggeschwindigkeit V
veh beispielsweise aus einer GPS-gestützten Messung (Global Positioning System) oder aus einem Fahrdynamikregelsystem und die Radlängsgeschwindigkeit V
x aus den Sensordaten des Drehzahlsensors gewonnen werden.
-
Das Reibwertmaximum µ
max unter den aktuellen Straßen- und Umweltbedingungen liegt vor, wenn die Bedingung
erfüllt ist, die auf numerischem Wege ermittelt werden kann, indem das Differenzial durch eine entsprechende Differenz ersetzt wird:
Auf Softwareebene kann das Reibwertmaximum bestimmt werden, indem durch fortlaufende Ermittlung von Reibwerten eine Reibwertkurve aufgestellt wird. Das Reibwertmaximum liegt vor, wenn dµ/dλ, kleiner als null wird.
-
Der aktuelle Reibwert µ kann in einem Fahrerassistenzsystem, insbesondere einem Fahrdynamikregelsystem verarbeitet werden. Gleiches gilt für das Reibwertmaximum µmax, soweit dieses zur Verfügung steht.
-
In 2 ist eine Ausführungsvariante dargestellt, bei der die beiden Hinterräder 4 und 5 des Fahrzeugs 1 über einen elektromotorischen Einzelradantrieb verfügen. Es sind zwei Elektromotoren 2 vorhanden, denen jeweils ein Steuergerät 6 und ein Getriebe 3 zugeordnet ist. Ein Differential im Getriebe 3 ist im Einzelradantrieb nicht erforderlich. Die Drehzahl jedes Fahrzeugrads 4, 5 kann über einen Drehzahlsensor 7 bzw. 8 ermittelt werden, wobei gegebenenfalls auf derartige Drehzahlsensoren auch verzichtet werden kann und stattdessen die Raddrehzahl unter Berücksichtigung der Getriebeübersetzung aus den Motordrehzahlen der Elektromotoren 2 ermittelt wird, welche aus Motordrehzahlsensoren bekannt sind.
-
Bei den Elektromotoren 2, die in den Ausführungsbeispielen gemäß 1 und 2 dargestellt sind, handelt es sich vorzugsweise um EC-Motoren mit Permanenterregung oder Fremderregung.
-
Das vorbeschriebene Verfahren zur Ermittlung des Reibwerts µ wird vorteilhafterweise in den Steuergeräten 6 durchgeführt. Hierzu werden den Steuergeräten 6 zusätzliche Informationen zugeführt, die für die Reibwerteermittlung erforderlich sind, beispielsweise zu Bremsmomenten, welche an den Fahrzeugrädern 4 bzw. 5 aktuell wirksam sind, zur Fahrzeugmasse, zur Schwerpunktlage im Fahrzeug und zur Fahrzeuggeschwindigkeit Vveh.
-
Der Reibwert µ kann gegebenenfalls auch in einem anderen Steuergerät ermittelt werden, wobei in diesem Fall Informationen von dem Steuergerät 6 auf das weitere Steuergerät übertragen werden, insbesondere der aktuelle Motorstrom oder gegebenenfalls das bereits aus dem Motorstrom ermittelte Motormoment.