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Die Erfindung betrifft eine Vorrichtung zur Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs mit einem fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Lenkaktuator für eine erste Achse des Fahrzeugs mit zumindest einem zugeordneten ersten Rad, einem fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Lenkaktuator für eine zweite Achse des Fahrzeugs mit zumindest einem zugeordneten zweiten Rad, einem fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Antriebsaktuator für die erste Achse, einem fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Bremsaktuator, welcher auf die erste oder zweite Achse oder auf das erste oder zweite Rad wirken kann und einem Steuergerät (MC) zur Bestimmung von Stellgrößen zur Ansteuerung der Aktuatoren. Unter Aktuatoren sind die oben beschriebenen zwei Lenkaktuatoren, der oben beschriebene Antriebsaktuator und falls vorhanden ein zweiter Antriebsaktuator für die zweite Achse sowie der oben beschriebene Bremsaktuator und falls vorhanden ein zweiter Bremsaktuator für die andere Achse zu verstehen. Bei dem elektrisch ansteuerbaren Antriebsaktuator kann es sich im einfachsten Fall um einen Elektromotor handeln. Der Bremsaktuator kann als hydraulische Bremseinheit, als elektromechanische Bremseinheit oder als eine Kombination ausgeführt sein.
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Die Erfindung betrifft außerdem ein entsprechendes Verfahren zum Betrieb oder zur Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs und ein solches Fahrzeug.
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In Zukunft sollen fahrerlos fahrende Fahrzeuge, insbesondere im städtischen Raum, eingesetzt werden. Dabei sollen sogenannte Robo-Taxis als Teil der modernen Mobilität helfen, Staus, Unfälle, Luftverschmutzung und Parkplatznot in Städten zu reduzieren oder zu vermeiden.
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Auch soll vermehrt Transportleistung auf fahrerlose Fahrzeuge entfallen. Insbesondere werden Fahrzeugkonzepte für die ersten und letzten Kilometer in Städten und Vorstädten gesucht. Die Robo-Taxis zum Transport von Personen sollen in Zukunft als Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs eine entscheidende Rolle spielen. Die vollautomatisierten Fahrzeuge schaffen die Möglichkeit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln direkt von Tür zu Tür zu reisen. Solche Fahrzeuge können durch eine kombinierte Vorderachs- und Hinterachslenkung eine sehr hohe Manövrierfähigkeit aufweisen. Dabei ist es jedoch entscheidend eine effiziente Bewegungssteuerung zur Ansteuerung dieser beiden Lenkachsen vorzusehen.
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Es ist somit Aufgabe der vorliegenden Erfindung eine verbesserte Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs sowie ein verbessertes Fahrzeug bereitzustellen.
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Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß durch eine Vorrichtung zur Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs gemäß Anspruch 1, ein Verfahren zum Betrieb oder zur Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs gemäß Anspruch 10 und ein Fahrzeug gemäß Anspruch 11 gelöst.
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Erfindungsgemäß umfasst die Vorrichtung zur Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs einen ersten fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Lenkaktuator für eine erste Achse des Fahrzeugs mit zumindest einem zugeordneten ersten Rad, einen zweiten fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Lenkaktuator für eine zweite Achse des Fahrzeugs mit zumindest einem zugeordneten zweiten Rad, der unabhängig von dem ersten Lenkaktuator angesteuert werden kann, einen fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Antriebsaktuator für die erste Achse, einen fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Bremsaktuator, welcher auf die erste oder zweite Achse oder auf das erste oder zweite Rad wirken kann, und ein Steuergerät zur Bestimmung von Stellgrößen zur Ansteuerung der Aktuatoren, wobei dem Steuergerät zumindest eine Soll-Position, ein Soll-Gierwinkel und eine Soll-Beschleunigung des Fahrzeugs als Eingangsdaten zugeführt werden und das Steuergerät aus diesen Eingangsdaten die Stellgrößen zur Ansteuerung der Aktuatoren bestimmt.
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Der Vorteil der erfindungsgemäßen Vorrichtung zur Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs liegt in der Flexibilität, die Orientierung des Fahrzeugs durch den Soll-Gierwinkel vorgeben und steuern zu können. Hiermit kann das Fahrzeug insbesondere in Kurven (z.B. mit Schwimmwinkel Null) oder bei Ausweichmanövern (z.B. mit Gierwinkel Null) besonders platzsparend, d.h. mit geringem Kollisionspotenzial entlang eines Pfades geführt werden.
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Bevorzugt umfasst die Vorrichtung zur Bewegungssteuerung für Fahrzeuge mindestens einen Trajektoriengenerator dem die Eingangsdaten, insbesondere Wegpunkte der Soll-Positionen, die Orientierung in Form des Soll-Gierwinkels, sowie die Soll-Beschleunigung (aW ), als, um ein Weginkrement beabstandete, Stützstellen zugeführt werden. Der Trajektoriengenerator bestimmt aus den Stützstellen die angestrebte Trajektorie mit interpolierten Zwischengrößen und insbesondere den zugehörigen Ableitungen nach dem Weg. Für die Bestimmung der Trajektorie, bestehend aus der ebenen Position und dem Gierwinkel, wird bevorzugt von der Flachheit des kinematischen Teilsystems Gebrauch gemacht.
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Bevorzugt umfasst die Vorrichtung zur Bewegungssteuerung für Fahrzeuge einen fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Bremsaktuator, welcher auf die andere Achse oder auf das andere Rad wirken kann, und/oder einen fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Antriebsaktuator für die zweite Achse. Das Steuergerät ermittelt dann erst eine globale Regelvorgabe, welche einem Verteilungsalgorithmus zugeführt wird, der ebenfalls im Steuergerät implementiert sein kann, und der die globale Regelvorgabe in Stellgrößen zur Ansteuerung der einzelnen Aktuatoren verteilt.
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Die Bewegungssteuerung ist somit hierarchisch aufgebaut mit einem Fahrzeugregler auf der obersten Ebene, der die globale Regelvorgabe als virtuellen Stellvektor zur Erreichung der Regelziele bereitstellt. In der nächsten Ebene koordiniert ein Verteilungsalgorithmus oder Allokationsalgorithmus (engl. Control Allocation) die verschiedenen Aktuatoren, so dass sie zusammen den gewünschten virtuellen Stellvektor erzeugen. Auf der untersten Ebene befinden sich dann die geregelten Aktuatoren für Lenkung, Antrieb und Bremse.
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Der Allokationsalgorithmus erlaubt einen modularen Entwurf, bei dem der Fahrzeugregler ohne detaillierte Kenntnis der verfügbaren Aktuatoren entworfen werden kann.
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Der Fahrzeugregler wird bevorzugt als nichtlineare Vorsteuerung und Regelung mit der Methode der exakten Linearisierung ausgelegt.
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Die Bewegungssteuerung ist bevorzugt derart ausgelegt, dass Singularitäten bei Fahrzeugstillstand vermieden werden.
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Das Fahrzeug hat bevorzugt einen elektrischen Antrieb, eine elektrische Bremse und eine elektrische Lenkung an jeder von zwei Achsen. Es stellt damit ein regelungstechnisch überaktuiertes System dar. Die bevorzugte Bewegungssteuerung nutzt dann den redundanten Satz an Aktuatoren, in dem sie die globale Regelvorgabe optimal auf die verfügbaren Aktuatoren verteilt.
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Damit werden Fahrmanöver möglich, die mit einer herkömmlichen Einachs-Lenkung nicht möglich sind, wie z.B. Spurwechsel oder Parkmanöver ohne Gierbewegung.
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Bevorzugt wird bei dem Verteilungsalgorithmus ein Zustand oder ein aktuelles Stellpotenzial zumindest eines der Aktuatoren berücksichtigt. So können die Eigenschaften der Aktuatoren, wie z.B. Begrenzungen in den Stellgrößen oder Stell-Gradienten oder Wirkungsgrade oder Verschleißeigenschaften, in dem Verteilungsalgorithmus oder Allokationsalgorithmus in Betracht gezogen werden.
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Bevorzugt weisen die fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Antriebsaktuatoren für die erste und die zweite Achse je einen drehzahl- und/oder leistungsabhängigen Wirkungsgrad auf. Durch den Verteilungsalgorithmus wird beim Antreiben und/oder bei einer, durch die elektrisch ansteuerbaren Antriebsaktuatoren durchgeführten, rekuperativen Bremsung eine gesamtwirkungsgradoptimierte Verteilung von Antriebsmoment und/oder Bremsmoment vorgenommen.
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Ein dadurch erzielter Vorteil ist eine verbesserte Energieeffizienz durch eine optimale Momentenverteilung auf die beiden Antriebe. Anhand der Wirkungsgradkennlinien für das Laden und Entladen der Batterie als Funktion der angeforderten Antriebs- bzw. Bremsmomente wird bevorzugt die regenerative Bremsleistung maximiert und die Antriebsleistung minimiert.
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Bevorzugt ist das Steuergerät kaskadierend aufgebaut, insbesondere mit einer kinematischen Steuerung und einer dynamischen Steuerung. Durch definierte Schnittstellen können die verschiedenen Teilbereiche unabhängig voneinander entwickelt und optimiert werden.
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Bevorzugt bestimmt die kinematische Steuerung aus den Eingangsdaten zumindest eine Bahngeschwindigkeit, einen Schwimmwinkel und eine Gierrate.
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Bevorzugt bestimmt die dynamische Steuerung aus zumindest der Bahngeschwindigkeit, dem Schwimmwinkel und der Gierrate die globale Regelvorgabe.
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Bevorzugt umfassen die Stellgrößen zumindest einen Lenkwinkel für die erste Achse oder Rad, einen Lenkwinkel für die zweite Achse oder Rad, ein Motormoment für den Antriebsaktuator für die erste Achse und/oder ein Bremsmoment für eine Achse oder Rad.
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Die Aufgabe wird außerdem gelöst durch ein erfindungsgemäßes Verfahren zum Betrieb oder zur Bewegungssteuerung eines Fahrzeugs, wobei dem Steuergerät eine Soll-Position, ein Soll-Gierwinkel und eine Soll-Beschleunigung des Fahrzeugs als Eingangsdaten zugeführt werden und das Steuergerät aus den Eingangsdaten Stellgrößen zur Ansteuerung eines fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Lenkaktuators für eine erste Achse des Fahrzeugs mit zumindest einem zugeordneten ersten Rad, eines fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Lenkaktuators für eine zweite Achse des Fahrzeugs mit zumindest einem zugeordneten zweiten Rad, eines fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Antriebsaktuators für die erste Achse, und eines fahrerunabhängig elektrisch ansteuerbaren Bremsaktuators, welche auf die erste und/oder die zweite Achse oder auf das erste und/oder das zweite Rad wirken kann, bestimmt.
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Die Aufgabe wird außerdem gelöst durch ein erfindungsgemäßes Fahrzeug mit einer vorstehend beschriebenen Vorrichtung zur Bewegungssteuerung.
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Bevorzugt handelt es sich um ein fahrerlos fahrendes Fahrzeug oder ein Robo-Taxi. Besonders bevorzugt handelt es sich um ein fahrerlos fahrendes Transportfahrzeug.
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Weitere bevorzugte Ausführungsformen der Erfindung ergeben sich aus den Ansprüchen und der nachfolgenden Beschreibung anhand von Figuren.
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Es zeigen:
- 1 eine schematische Darstellung eines erfindungsgemäßen Fahrzeugs mit Bewegungssteuerung,
- 2 eine Darstellung des Einspurmodells zur Auslegung einer erfindungsgemäßen Bewegungssteuerung, ,
- 3 eine Prinzipdarstellung einer kaskadierten Steuerung mit kinematischer (KMC) und dynamischer (DMC) Bewegungssteuerung
- 4 einen Beispieldatensatz für eine Einfahrt in einen Kreis,
- 5 Einfahrt in einen Kreis mit Gierwinkel 0 und Schwimmwinkel 0,
- 6 Koordinatensysteme für die Verfolgung eines Sollpfades,
- 7 beispielsgemäße Abweichungen des geregelten Fahrzeugs von der Sollbahn,
- 8 beispielsgemäße Längs-, Quer- und Gierbeschleunigung im Schwerpunkt des beispielsgemäßen Fahrzeugs,
- 9 eine beispielsgemäße Stellgrößenverteilung ohne Nebenbedingungen mit Pseudoinverse für ein beispielsgemäßes Fahrmanöver, und
- 10 eine beispielsgemäße Stellgrößenverteilung mit Nebenbedingungen für ein beispielsgemäßes Fahrmanöver.
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Insbesondere Robo-Taxis müssen als fahrerlose, autonom fahrende Fahrzeuge im Dauerbetrieb besondere Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Verfügbarkeit und Fehlertoleranz erfüllen. Aus diesem Grund ist die Bewegungssteuerung bevorzugt mehrkanalig und alle Aktuatoren redundant ausgelegt. In 1 ist ein solches Fahrzeug 1 mit einer erfindungsgemäßen Vorrichtung zur Bewegungssteuerung schematisch dargestellt. Das Steuergerät mit implementierter Bewegungssteuerung (Motion Control) MC wirkt auf die redundanten Aktuatoren Lenkung (Steering) S1, S2, Antrieb (Electric Motor) E1, E2 und Reibungsbremsen (Brake) B1, B2. Die erste Achse 2 des Fahrzeugs 1 mit dem ersten zugeordneten Rad 4 wird durch die ersten Aktuatoren für Lenkung S1, Antrieb E1 und Bremse B1 angesteuert. Die zweite Achse 3 des Fahrzeugs 1 mit dem zweiten zugeordneten Rad 5 wird durch die zweiten Aktuatoren für Lenkung S2, Antrieb E2 und Bremse B2 angesteuert.
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Es handelt sich entsprechend um eine Bewegungssteuerung mit Symmetrie in Antrieb und Lenkung.
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Die horizontale Bewegung des Fahrzeugs wird festgelegt durch die aktuell anliegenden Radlenkwinkel und Radmomente, die die horizontalen Reifenkräfte bestimmen, welche in 2 beispielhaft im Einspurmodell dargestellt sind. Das Grundprinzip der Bewegungssteuerung ist die Betrachtung der umgekehrten Wirkrichtung: Ausgehend von einer gewünschten kinematischen Bewegung werden die zugehörigen dynamischen Kräfte und daraus die entsprechenden Radmomente MEf , MBf , MEr , MBr und Radlenkwinkel δf , δr als Stellgrößen bestimmt. Die Auslegung der Bewegungssteuerung geschieht anhand des Einspurmodells aus 2 mit den kinematischen Bewegungsgrößen Position x und y sowie Gierwinkel ψ. Die dynamischen Bewegungsgrößen sind die Fahrzeuggeschwindigkeit v, der Schwimmwinkel β und die Gierrate ω. Die Stellgrößen Lenkwinkel δ sowie Momente von E-Motor und Reibungsbremse erzeugen die Radkräfte FS , FE und FB (Steering, Engine, Brake) jeweils an den Vorder- und Hinterrädern (Index f bzw. r). Die Radkräfte verursachen die Längs- und Querkräfte Fx bzw. Fy angezeigt im Fahrzeugkoordinatensystem. Zusätzlich dargestellt sind die Geschwindigkeiten an den Rädern und im Schwerpunkt sowie die Schräglaufwinkel α.
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Das Einspurmodell nach 2 liegt auch einer Simulation der Regelstrecke zur Validierung der Bewegungssteuerung zugrunde. Hierbei werden nichtlineare Reifenkraftmodelle und Schlupfmodelle, die auch für den Stillstand geeignet sind, verwendet.
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Die Ansteuerung der Aktuatoren gelingt vorteilhaft durch Aufteilen des Regelungssystems in mehrere kaskadierte Ebenen mit eindeutig definierten Schnittstellen untereinander. 3 zeigt eine beispielsgemäße Struktur der Regelung mit den funktionalen Komponenten.
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In 3 ist eine beispielsgemäße kaskadierte kinematische KMC und dynamische DMC Bewegungssteuerung mit Trajektoriengenerator TG, Vorsteueranteilen FF1 und FF2, Zustandsregler FB1 und FB2, Verteilungsalgorithmus CA und Beobachtern Obs sowie Regelstrecke mit Fahrzeug Veh, Sensoren Sen einschließlich Umfeldmessungen yenv und Aktuatoren Act schematisch dargestellt. Die Komponenten der Regelstrecke können von externen Störgrößen zS , zA bzw. z beeinträchtigt werden.
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Die Eingangsgrößen für eine beispielsgemäße Trajektoriengenerierung
TG für eine beispielsgemäße kinematische Bewegungssteuerung
KMC kommen aus der Bewegungsplanung und sind Stützstellen für die Positionen
xW und
yW sowie Gierwinkel
ψW jeweils in äquidistanten Abständen oder Weginkrementen. Zusätzlich wird ein gewünschtes Beschleunigungsprofil
aW aus der vorgelagerten Planung übertragen. Es wird davon ausgegangen, dass alle Größen für eine gewisse Vorausschaulänge N zur Verfügung stehen. Mit dem konstanten Weginkrement Δs können die Geschwindigkeit und die Zeit rekursiv an den Stützstellen berechnet werden als
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Zusätzlich wird die Ableitung nach dem Weg benötigt, die sich ergibt aus
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Die Trajektoriengenerierung
TG berechnet die Sollgrößen an beliebigen Bahnpunkten s durch Interpolation zwischen den Stützstellen. Mit der Interpolationsfunktion
fint erhält man z.B. für den Sollwert
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Splinefunktionen eignen sich besonders als Interpolationsfunktionen, da sie auch die Ableitungen ohne großen Aufwand zur Verfügung stellen. Zur Bestimmung der Tangentialbeschleunigung auf der Sollbahnkurve werden Ableitungen bis zur zweiten Ordnung benötigt, d.h.
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4 zeigt einen Beispieldatensatz für eine Einfahrt in einen Kreis mit einer Vorausschau von 60 m mit Stillstand am Anfang und am Ende. Dargestellt sind die Daten an den Stützstellen im Abstand von 1 m und die interpolierten Größen aus dem Trajektoriengenerator TG.
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Eine flachheitsbasierte Vorsteuerung
FF1 für eine beispielsgemäße kinematische Bewegungssteuerung
KMC basiert auf dem kinematischen Modell der Gleichung (6) . Als Vorsteuergrößen werden die Bahngeschwindigkeit
vd , der Schwimmwinkel
βd und die Gierrate gewählt ω
d.
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Das System (
6) ist flach für die Ausgangsgrößen Position x und y sowie Gierwinkel
ψ. Damit können die Vorsteuergrößen durch den flachen Ausgang und aus den entsprechenden Ableitungen bestimmt werden zu
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Der Gierwinkel ψ kann im Rahmen der Aktuatorbegrenzungen daher im Prinzip beliebig vorgegeben werden.
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Zwei Sonderfälle sind von besonderer Bedeutung. Dies betrifft eine Fahrt einerseits mit Gierwinkel ψ null und andererseits mit Schwimmwinkel β null, welche in
5 dargestellt sind.
5 zeigt eine geregelte Fahrt mit Gierwinkel ψ = 0 (links) und Schwimmwinkel β = 0 (rechts). Das Geschwindigkeitsprofil entspricht dem aus
4, wobei die Geradeausfahrt in den ersten 10 s in den Bildern nicht dargestellt ist. Für den letzteren Fall muss der Gierwinkel
ψ aus den Positionsgrößen x, y in der Form
bestimmt werden. Die Vorsteuerung der Gierrate
ω ergibt sich damit nach Gleichung (7) zu
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Die Zustandsregelung FB1 für eine beispielsgemäße kinematische Bewegungssteuerung KMC soll den Abstand und die Ausrichtung zwischen dem Koordinatensystem im Fahrzeugschwerpunkt b und einem mit dem Sollpfad 6 mitbewegten System f möglichst klein halten, siehe 6.
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6 zeigt Koordinatensysteme für die Verfolgung des Sollpfades (desired path) 6: Inertialsystem i, körperfestes System b und Sollpfadsystem f. Ein Ziel der Zustandsregelung ist die Minimierung des Abstands rb/f und der Ausrichtungsdifferenz eψ= ψ-ψd.
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Die auszuregelnde Abweichung wird beispielsgemäß im Sollpfadsystem angegeben mit den Fehlerkoordinaten
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Die Änderung der Fehlerkoordinaten ergibt sich durch Differenzierung von Gleichung (10) nach der Zeit. Für die Ableitung des Vektors
rb/f werden alle Vektoren im Sollpfadsystem
f dargestellt mit dem Zusammenhang
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In Komponentenform erhält man aus Gleichung (11)
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Ersetzen der kartesischen Koordinaten
vx und
vy der Fahrzeuggeschwindigkeit durch Polarkoordinaten mit Betrag
v und Winkel
β und Zusammenfassung mit dem Orientierungsfehler ergibt das nichtlineare kinematische Fehlerdifferentialgleichungssystem
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Das Gleichungssystem (
13) wird linearisiert um eine Geradeausfahrt auf der Sollbahn
6 mit konstanter Geschwindigkeit
vd0 . Man erhält das nachfolgende lineare zeitinvariante System (
14), für das ein Zustandsregler ausgelegt werden kann.
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Der Entwurf einer linear-quadratischen Regelung (LQR) ergibt Zustandsregler Gleichung (15), die in der Längs- und Querbewegung entkoppelt ist. Die Vorsteuergrößen Gleichung (7) werden wie üblich in dem Fehlersystem Gleichung (14) als Störgrößen interpretiert und durch Aufschaltung kompensiert.
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Die Längsabweichung ex wird nach Gleichung (15) bevorzugt mit einem P-Regler ausgeregelt.
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Noch bessere Ergebnisse erhält man mit einem PI-Regler, der alternativ auch als Zustandsregler für das mit der Tangentialbeschleunigung
ad gestörte Fehlersystem (
16) ausgelegt werden kann.
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Die Reglerausgangsgröße aR muss anschließend integriert werden, um vR zu erhalten. 7 zeigt anhand der Fehlerkoordinaten für die Fahrmanöver aus 5, dass die Abweichungen zur Sollbahn 6 ausreichend gering gehalten werden können. 7 zeigt Abweichungen des beispielsgemäß geregelten Fahrzeugs 1 von der Sollbahn 6 für die beiden Fahrmanöver mit Gierwinkel null und Schwimmwinkel null aus 5.
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Ebenso bevorzugt ist eine Linearisierung von Gleichung (13) um eine beliebige Sollbewegung, die auf ein lineares parameter-variables System führt. Für die Synthese von sog. Linear Parameter Varying (LPV) Systemen stehen z.B. Methoden aus der robusten Regelung zur Verfügung, die auf linearen Matrix-Ungleichungen (Linear Matrix Inequalities, LMI) beruhen.
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Bevorzugt wird eine exakte Linearisierung für eine beispielsgemäße dynamische Bewegungssteuerung DMC durchgeführt.
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Die dynamische Bewegungssteuerung wird ausgelegt mit der Methode der exakten Ein-/Ausgangs-Linearisierung auf der Basis der nichtlinearen eingangsaffinen Standardform
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Für das dynamische Einspurmodell ergibt sich die System- und Ausgangsgleichung (
17) bzw. (
18) mit den folgenden Vektoren und Matrizen zu
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Die Ausgangsgrößen y werden nach der Zeit abgeleitet, so lange bis sich schließlich in der r
i-ten Zeitableitung jeder Ausgangsgröße eine Eingangsgröße auf der rechten Seite der Gleichung explizit auftritt. Die Gesamtzahl der Ableitungen wird vektorieller relativer Grad genannt und muss kleiner oder höchstens gleich der Systemordnung sein, d.h. es muss hier gelten
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Das System (
19) ist mit den Ausgangsgrößen (
20) flach und besitzt den vollen vektoriellen relativen Grad drei, weil alle einzelnen relativen Grade gleich eins sind. Fasst man die Ableitungen der Ausgangsgrößen zusammen im Vektor
v der sog. Pseudosteuergrößen, so lassen sich die eigentlichen Steuergrößen oder globalen Regelvorgaben u
c durch Inversion der sog. Entkopplungsmatrix A(x) bestimmen zu
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Die Elemente der Vektoren und Matrizen ergeben sich mit Hilfe der platzsparenden Schreibweise der Lie-Ableitungen als
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Der vektorielle relative Grad Gleichung (21) sichert zwar die Existenz der inversen Entkopplungsmatrix, jedoch ist aus den Nennern in Gleichung (25) ersichtlich, dass der Stillstand Probleme bereitet. Es werden daher die Zustandsgrößen durch die flachen Ausgangsgrößen ersetzt. Mit Hilfe der Inversion
und durch Ersetzen der Zustandsgrößen ergibt sich eine inverse Entkopplungsmatrix, die auch für v=0 definiert ist und somit Singularitäten vermeidet, als
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Das System ist nach einer Definition proxim steuerbar, d.h. es kann nicht beliebigen vorgegebenen Trajektorien folgen, weil es aus dem Stillstand nicht in alle Richtungen starten kann. Die Pseudosteuergrößen setzen sich für die Trajektorienfolgeregelung zusammen aus den Ableitungen des Referenzverlaufs für die Ausgangsgrößen und einer linearen Rückführung des Regelfehlers e, d.h. es ist
mit den Reglerverstärkungen und dem Regelfehler
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Die globalen Regelgrößen lassen sich aufspalten in einen Anteil der Vorsteuerung und einen Anteil zur asymptotischen Stabilisierung, d.h.
wobei die Vorsteuerung hier entlang der Referenztrajektorie gebildet wird. Die dynamische Bewegungssteuerung
DMC besteht somit aus den beiden Anteilen
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In 8 sind als Reaktion auf die Kräfte die Längs-, Quer- und Gierbeschleunigung im Schwerpunkt des Fahrzeugs für die Fahrmanöver aus 5 dargestellt. Deutlich zu erkennen sind die Unterschiede zwischen beiden Manövern bei der Einfahrt in den Kreis ab ca. 12 s.
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Erfindungsgemäß wird danach eine Verteilung der globalen Regelgrößen durchgeführt (Control Allocation).
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Die Steuerung der dynamischen Bewegung geschieht beispielsgemäß über das Steuergesetz Gleichung (30) mittels mechanischer Kräfte und Momente. In der nachfolgenden Stufe der Bewegungssteuerung werden elektromechanische bzw. elektrohydraulische Aktuatoren eingesetzt, um die Stärke und Richtung der Kräfte gemäß den Vorgaben zu beeinflussen. Für das beispielsgemäße Fahrzeug 1, z.B. ein Robo-Taxi, sind mehr Aktuatoren verbaut, als für die eigentliche Regelungsaufgabe notwendig sind, d.h. das System ist überaktuiert.
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Daher wird ein intelligenter Verteilungsalgorithmus durchgeführt, der aber auch mehrere Vorteile mit sich bringt: Eine Ausnutzung von Redundanz, um Anforderung bzgl. Fehlertoleranz und Rekonfiguration zu erfüllen, ein Ausgleich von Begrenzungen in Amplitude und Stellgeschwindigkeit bei den Aktuatoren und eine Minimierung des Energieverbrauchs oder der Abnutzung von Bauteilen
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Für die Aufteilung der kommandierten Gesamtkräfte
Fx,c und
Fy,c und des Giermoments
Mz,c auf die Radkräfte und letztlich auf die Aktuatoren wird beispielsgemäß folgendes Modell verwendet
mit den Stellgrößen E-Motormoment
ME , Reibungsbremsmoment
MB und Lenkwinkel δ jeweils an Vorder- und Hinterachse sowie den weiteren Matrizen und Vektoren:
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Die Matrix Bu enthält die Fahrzeugparameter Radradius rR und Schräglaufsteifigkeit Cf/r für die vereinfachend als linear angenommenen Reifenkräfte. Die Lenkwinkel in der Transformationsmatrix T sind hier die kommandierten Lenkwinkel aus dem vorhergehenden Rechenschritt. Zur Berechnung des Vektors b muss die kommandierte Geschwindigkeit auf einen Wert ungleich Null beschränkt werden.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform wird eine Stellgrößenverteilung ohne Berücksichtigung von Nebenbedingungen durchgeführt.
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Eine besonders einfache Möglichkeit, die Stellgrößen zu verteilen, ist die Auflösung der Gleichung (33) nach u über die Moore-Penrose Pseudoinverse. Hier wird eine Variante mit der Gewichtung der Stellgrößen über die diagonale Gewichtungsmatrix W
u vorgeschlagen. Die Berechnungsvorschrift für die Stellgrößen hat damit die Form
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Die einzelnen Gewichte in der Gewichtungsmatrix werden vorteilhafterweise während des Betriebs angepasst, um die eingangs erwähnten Vorteile in besonderem Maße auszuschöpfen. Dabei bewirkt eine geringe Gewichtung die Berücksichtigung der entsprechenden Stellgröße und umgekehrt blendet eine hohe Gewichtung sie aus, siehe 9. Ein Nachteil dieser Methode ist es, dass Zwangsbedingungen, wie z.B. Begrenzungen, nicht berücksichtigt werden können.
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9 zeigt die beispielsgemäße Stellgrößenverteilung ohne Nebenbedingungen mit Pseudoinverse für das Fahrmanöver Schwimmwinkel β=0. Ein Umblenden zwischen E-Motoren und Reibungsbremsen bei Verzögerungsanforderungen von Fx,c < 0 wird durch Umschalten der Gewichtungsfaktoren durchgeführt.
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Gemäß einer anderen bevorzugten Ausführungsform wird eine Stellgrößenverteilung mit Berücksichtigung von Nebenbedingungen durchgeführt.
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Die volle Ausnutzung der Vorteile erfolgt über eine on-line Optimierung. Aufgrund eines Kompromisses zwischen Leistungsfähigkeit und Realisierbarkeit wird hier die konvexe quadratische Optimierung mit einer quadratischen Gütefunktion J und ausschließlich linearen Nebenbedingungen gewählt. Die Optimierungsaufgabe lautet:
unter Berücksichtigung der Nebenbedingungen
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Mit dem Einsatz von Schlupfvariablen s (engl.: slack variables) existiert immer eine Lösung unter Einhaltung der Gleichheitsnebenbedingungen. Die Matrix H setzt sich zusammen aus den Gewichtungen der Stellgrößen und Gewichtungen zur Bestrafung der Schlupfvariablen, d.h.
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Die Ungleichheitsnebenbedingungen enthalten Begrenzungen für Amplitude und Stellgeschwindigkeit der jeweiligen Aktoren, wobei mit uk-1 die Stellgrößen aus dem vorherigen Rechenschritt bezeichnet werden. 10 zeigt exemplarisch eine Stellgrößenverteilung mit Nebenbedingungen und eine Rekonfiguration im Fehlerfall. Die Optimierung sorgt für den Einsatz der Reibungsbremsen, wenn die Bremswirkung der E-Motoren durch Amplitudenbegrenzung oder begrenzte negative Stellgeschwindigkeiten zu klein ist.
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10 zeigt die beispielsgemäße Stellgrößenverteilung mit Nebenbedingungen für das Fahrmanöver Gierwinkel ψ= 0. Berücksichtigung von Begrenzungen der E-Motoren (ME,min = -50 Nm, ΔME,min = -50 Nm/s) und Reibungsbremsen (MB,max = 0 Nm) über die Ungleichheitsnebenbedingungen. Rekonfiguration nach Ausfall der Reibungsbremse an der Vorderachse durch Neuverteilung auf die Hinterachse mittels Heraufgewichtung ab dem Fehlerzeitpunkt t=20 s mit Wu2,2 = 1e6.
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Gemäß einer weiteren bevorzugten Ausführungsform wird eine Stellgrößenverteilung mit Berücksichtigung der Energieeffizienz des Antriebs durchgeführt.
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Die Energieeffizienz der Bewegungssteuerung ist zunehmend von Interesse. Für eine optimale Aufteilung der Momente der E-Motoren unter energetischen Gesichtspunkten werden die motorischen und generatorischen Wirkungsgrade η
mot bzw. η
gen eingeführt. Sie sind nichtlinear abhängig vom aktuellen Moment und der Drehzahl des E-Motors und liegen i. d.R nur als Kennfelder vor. Für die Drehzahl wird hier näherungsweise die Raddrehzahl ω
W verwendet. Die Leistungsverluste können dann wie folgt bestimmt werden:
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Das Optimierungsproblem beschränkt sich auf die Bestimmung einer optimalen Momentenverteilung ΔM
E ausgehend von einem Arbeitspunkt M
E0. Die Momente an Vorder- und Hinterachse ergeben sich damit zu
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Das Moment M
E0 bestimmt sich aus der Gesamtanforderung
Fx,c abzüglich der Brems- und Seitenkraftanteile, d.h.
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Für den Verteilungsfaktor W
f wird beispielsgemäß der Wert 0.5 gewählt, d.h. die Gesamtanforderung wird je zur Hälfte auf die Achsen aufgeteilt. Die hochgradig nichtlinearen Verlustleistungsterme aus Gleichung (43) müssen für die quadratische Programmierung im Arbeitspunkt Gleichung (46) linearisiert werden. Man erhält dann für den Motorbetrieb folgendes (die Stellgrößenverteilung mit Berücksichtigung von Nebenbedingungen) ergänzendes Optimierungsproblem:
unter Berücksichtigung der Nebenbedingungen
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Im Generatorbetrieb fließt die Verlustleistung in die Batterie. Damit liegt ein Maximierungsproblem vor, dass aber durch Verwendung der negativen Kostenfunktion wieder in ein Minimierungsproblem umgewandelt werden kann.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Fahrzeug
- 2
- Vorderachse
- 3
- Hinterachse
- 4
- Vorderrad
- 5
- Hinterrad
- 6
- Sollbahn
- MC
- Bewegungssteuerung
- S1
- Lenkung Vorderachse
- S2
- Lenkung Hinterachse
- E1
- Antrieb Vorderachse
- E2
- Antrieb Hinterachse
- B1
- Bremse Vorderachse
- B2
- Bremse Hinterachse
- FBr
- Bremskraft Hinterachse
- FSr
- Lenkkraft Hinterachse
- FEr
- Antriebskraft Hinterachse
- Fxr
- Längskraft Hinterachse
- Fyr
- Querkraft Hinterachse
- vr
- Geschwindigkeit Hinterachse
- αr
- Schräglaufwinkel Hinterachse
- δr
- Lenkwinkel Hinterachse
- ω
- Gierrate Fahrzeugschwerpunkt
- v
- Geschwindigkeit Fahrzeugschwerpunkt
- vx
- Längseschwindigkeit Fahrzeugschwerpunkt
- vy
- Quergeschwindigkeit Fahrzeugschwerpunkt
- β
- Schwimmwinkel
- ψ
- Gierwinkel
- lr
- Abstand Hinterachse Schwerpunkt
- lf
- Abstand Vorderachse Schwerpunkt
- FBf
- Bremskraft Vorderachse
- FSf
- Lenkkraft Vorderachse
- FEf
- Antriebskraft Vorderachse
- Fxf
- Längskraft Vorderachse
- Fyf
- Querkraft Vorderachse
- vf
- Geschwindigkeit Vorderachse
- αf
- Schräglaufwinkel Vorderachse
- δf
- Lenkwinkel Vorderachse
- i
- Inetrialsystem
- b
- Körperfestes System
- f
- Sollpfadsystem
- rb/f
- Abstand b zu f
- rb/I
- Abstand b zu i
- rf/I
- Abstand f zu i
- ex
- Abweichung x Richtung
- ey
- Abweichung y Richtung
- vd
- geplante Geschwindigkeit
- βd
- geplanter Schwimmwinkel
- ψd
- geplanter Gierwinkel
- MEf
- Antriebsmoment Vorderachse
- MBf
- Bremsmoment Vorderachse
- MEr
- Antriebsmoment Hinterachse
- MBr
- Bremsmoment Hinterachse