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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur simultanen lateralen Fahrzeugführung durch Fahrer und Assistenzsystem, wobei ein vom Fahrer erzeugtes Lenkmoment und ein von einem Assistenzsystem berechneter Assistenzzielwinkel zur Bestimmung eines resultierenden Solllenkwinkels herangezogen werden und ein Lenkwinkelregler diesen mittels eines EPS-Motormoments realisiert.
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Elektrische Servolenkungen (EPS) werden neben ihrer eigentlichen Funktion zur Lenkkraftunterstützung des Fahrers von modernen Fahrerassistenzsystemen auch zur lateralen Kontrolle des Fahrzeugs eingesetzt. Dadurch können Funktionen wie automatisiertes Einparken (im niedrigen Geschwindigkeitsbereich) aber auch Spurhalteassistenten oder Fahrzeugfolgeregelung (auch bei hohen Fahrzeuggeschwindigkeiten, z. B. Autobahn) oder gar Ausweichassistenten (mit entsprechend hoher Dynamik) ermöglicht werden. Zur Einhaltung einer Fahrzeugtrajektorie (auch Bahnkurve), deren Ermittlung hier nicht Gegenstand ist, werden an die Lenkung entsprechende Stellbefehle, i. A. über Bussignale wie CAN oder Flexray, übermittelt, wobei sich Winkel- oder Momentenschnittstellen etabliert haben. Von der Lenkung wird, ggf. je nach Schnittstelle über weitere zwischengeschaltete Regler, das zur Umsetzung des Stellbefehls erforderliche EPS-Motormoment erzeugt.
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Sowohl das Assistenzsystem als auch der Fahrer agieren als Trajektorien- und somit als Lenkwinkelregler. Beide, Fahrer sowie Assistenzsystem, erzeugen als Stellgröße ein Moment derart, dass der gewünschte Lenkwinkel sich einstellt. Möchte der Fahrer einer anderen Trajektorie folgen als das Assistenzsystem, würde dies ohne geeignete Maßnahmen dazu führen, dass beide Regler gegeneinander regeln und dabei jeweils ihr angefordertes Moment immer weiter erhöhen. Der Motor in einer EPS ist in jedem Fall so stark ausgelegt, dass er Kräfte in die Lenkung einbringen kann, die durch den Fahrer nicht mehr beherrschbar sind. Das Fahrzeug würde der Vorgabe des Assistenzsystems folgen und nicht der des Fahrers.
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Aus Sicherheitsgründen ist aber erforderlich, dass der Fahrer sein Fahrzeug jederzeit beherrschen und dazu den Eingriff durch das Fahrerassistenzsystem ggf. übersteuern kann. Die Rückwirkung des Assistenzsystems auf das Fahrerlenkmoment darf dafür festgelegte Grenzen (z. B. 3Nm) nicht überschreiten. Üblicherweise wird dies dadurch realisiert, dass das Moment aus der Assistenzfunktion, d. h. das Assistenzmoment, dem normalen Lenkfunktionsmoment der Servolenkung überlagert wird und dabei dieses Überlagerungsmoment der Fahrerassistenzfunktion (Assistenzmoment) derart begrenzt wird, dass der Fahrer das Assistenzsystem übersteuern kann. Bekannte Ausführungsformen der Überlagerung sind unten beschrieben.
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Grundsätzlich basieren die beiden folgend beschriebenen bekannten Ausführungsformen auf der Superposition des von der Assistenzfunktion angeforderten Moments, d. h. dem Assistenzmoment, auf bereits vorhandene Signale der eigentlichen Lenkunterstützungsfunktionen einer EPS.
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Bekannt sind Ausführungsformen, das vom Assistenzsystem angeforderte Moment entweder eingangs- oder ausgangsseitig der eigentlichen EPS-Lenkfunktionen zu superpositionieren.
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Im ersten Fall wird das Assistenzmoment dem gemessenen Lenkmoment überlagert. Zur Sicherstellung der Beherrschbarkeit können Lenkmoment und Assistenzmoment bei der Addition unterschiedlich gewichtet werden oder das Assistenzmoment wird vor der Addition begrenzt.
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Im zweiten Fall wird das Assistenzmoment direkt dem Lenkfunktionsmoment überlagert. Auch hier ist eine Gewichtung oder die Begrenzung des Assistenzmoments vor der Addition möglich.
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Im ersten Fall kann die Rückwirkung auf das Fahrerhandmoment genau eingestellt werden, aufgrund des nichtlinearen Verhaltens der EPS-Lenkfunktionen ist aber das EPS-Motormoment und somit die Fahrzeugreaktion von der Fahrsituation, insb. von der Fahrgeschwindigkeit, abhängig. Daher muss in diesem Fall der übergeordnete Winkel- oder Trajektorienregler robust gegenüber dem nichtlinearen Verhalten der Regelstrecke ausgelegt werden und kann dadurch nicht in allen Fahrsituationen die optimale Regelgüte erbringen.
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Im zweiten Fall wird das angeforderte Assistenzmoment direkt dem EPS-Motormoment beaufschlagt. Die Fahrzeugreaktion kann damit genau definiert werden. Die Nichtlinearität der Lenkfunktionen führt in diesem Fall aber dazu, dass dann die Rückwirkung auf das Lenkmoment fahrsituationsabhängig ist, d. h. identische Eingriffe der Assistenzfunktion führen zu unterschiedlich starken Rückwirkungen auf das Fahrerhandmoment. Die Auslegung muss so erfolgen, dass der Fahrer das Fahrzeug für den kritischsten Fall noch beherrschen kann, in allen anderen Fällen wird dann aber die zulässige Sicherheitsgrenze nicht ausgeschöpft, somit die Eingriffsmöglichkeiten des Assistenzsystems nicht voll ausgenutzt.
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Die notwendige Begrenzung des Eingriffsmoments der Fahrerassistenzfunktion bzw. des Assistenzmomentes führt des Weiteren generell dazu, dass nur eingeschränkte Kurvenradien bzw. Dynamiken, also insbesondere Lenkwinkelbeschleunigungen bzw. -geschwindigkeiten, darstellbar sind, sodass die gewünschte Assistenzfunktion ggf. nicht die an sie gestellten Erwartungen erfüllen kann.
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Eine weitere bekannte Ausführungsform ist derart, dass durch einen Schalter zwischen der Fahrzeugführung entweder durch das Assistenzsystem oder durch den Fahrer umgeschaltet wird. Ein kooperatives Verhalten beider parallel ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Damit der Fahrer die Assistenzfunktion bei Bedarf übersteuern kann, wird eine Fahrereingriffs- überwachung durchgeführt, z. B. das Lenkmoment überwacht, sodass bedarfsweise ein Umschaltsignal generiert werden kann.
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Das Assistenzsystem erhält dabei durch eine Umschaltung des Momentenpfades die alleinige Kontrolle über das EPS-Motormoment. Die Beherrschbarkeit wird dadurch gewährleistet, dass ein Fahrereingriff erkannt wird, z. B. durch Beobachtung des Lenkmoments. Bei Überschreitung eines Schwellwerts, ggf. mit zeitlicher Entprellung, erfolgt eine Umschaltung der Kontrolle auf den Fahrer. Das Assistenzsystem wird damit deaktiviert.
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Die Fahrerassistenzfunktion kann bei dieser Ausführung zwar das volle zur Verfügung stehende Motormoment nutzen, der Fahrer hat jedoch keine definierte haptische Rückmeldung über das Lenkmoment, und somit keine Information, wie weit er von der Zieltrajektorie das Assistenzsystems abweicht.
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Die Sicherstellung der Fahrzeugbeherrschbarkeit mittels der Überlagerung mit einem begrenzten Assistenzmoment bringt mehrere Nachteile mit sich. Die EPS-Lenkfunktionen erzeugen ein nichtlineares, von der Fahrsituation und der Parametrierung abhängiges Verhältnis von Fahrerlenkmoment zu EPS-Motormoment. Je nach Wahl der Überlagerungsstelle ist damit nur entweder das durch den Überlagerungseingriff erzeugte Fahrerlenkmoment (relevant für die Beherrschbarkeit) oder aber das EPS-Motormoment definierbar, was relevant für die Fahrzeugreaktion ist, nicht aber beides gleichzeitig.
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Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine entsprechende Vorrichtung anzugeben, welche das volle Motormoment für die Assistenzfunktion bereitstellt, aber einen korrigierenden Fahrereingriff erlaubt und gleichzeitig die durch den Fahrer zu erbringenden Kräfte/Momente definiert und begrenzt.
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Diese Aufgabe wird in Bezug auf das Verfahren erfindungsgemäß dadurch gelöst, dass bei aktivem Assistenzsystem der Lenkwinkelregler alleinige Quelle des EPS-Motormoments ist.
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Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind Gegenstand der Unteransprüche.
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Die Erfindung geht von der Überlegung aus, dass bei einer lateralen Fahrzeugführung, die simultan durch Fahrer und Assistenzsystem erfolgt, die Beherrschbarkeit des Fahrzeuges zu jedem Zeitpunkt zuverlässig erfüllt sein muss.
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Wie nunmehr erkannt wurde, lässt sich diese Anforderung erfüllen, indem eine Fahrereingriffsfunktion den Fahrerwunsch anhand des vom Lenkmomentensensor gemessenen Lenkmoments detektiert und daraus einen vom Fahrer gewünschten Korrekturwinkel bestimmt. Der vom Assistenzsystem angeforderte Lenkwinkel, d. h. der Assistenzzielwinkel, wird um diesen Fahrerkorrekturwinkel geändert. Der Lenkwinkelregler stellt den auf diese Weise modifizierten Lenkwinkel mittels eines geeigneten EPS-Motormoments ein. Die Hoheit des Fahrers über den Fahrzeugkurs ist gewährleistet. Die Realisierung des Assistenzmomentes mit Hilfe des EPS-Motormomentes bedeutet bevorzugt, dass das Assistenzmoment softwaremäßig 1:1 an das EPS-Modul weitergegeben wird. Das Assistenzmoment entspricht damit genau dem EPS-Motormoment.
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Vorteilhafterweise wird aus dem Lenkmoment in einer Fahrereingriffsfunktion ein Fahrerkorrekturwinkel berechnet, der zu dem von dem Assistenzsystem berechneten Assistenzzielwinkel addiert wird, und wobei die Summe dieser Winkel den Solllenkwinkel darstellt und eine Eingangsgröße für den Lenkwinkelregler ist.
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Der Begriff des Lenkwinkels, also des Assistenzzielwinkels, des Fahrerkorrekturwinkel und des Solllenkwinkel ist dabei breit aufzufassen. Es kann sich dabei um den Lenkwinkel im engeren Sinn des Einspurmodells handeln. In alternativen Ausführungen wird statt auf den Lenkwinkel im engeren Sinn auf eine gleichwertige Größe geregelt, die in einem definierten Zusammenhang zu dem Lenkwinkel steht, beispielsweise die Krümmung und/oder Radwinkel und/oder Zahnstangenposition.
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Beim Aktivieren des Assistenzsystems wird bevorzugt ein EPS-Motormoment initialisiert, welches dem unmittelbar vor Aktivierung vorliegenden EPS-Lenkfunktionsmoment entspricht. Auf diese Weise kann beim Aktivieren der Assistenzfunktion ein stetiger und ruckfreier Momentenverlauf ohne störende Rückwirkung auf das Fahrerhandmoment erreicht werden.
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Beim Deaktivieren - alternativ zu o.g. Verfahren auch beim Aktivieren - des Assistenzsystems wird in einer bevorzugten Ausführungsform graduell vom Assistenzmoment auf das EPS-Lenkfunktionsmoment - bei Aktivieren umgekehrt - übergeblendet. Auf diese Weise kann ein stetiger und ruckfreier Momentenverlauf ohne störende Rückwirkung auf das Fahrerhandlenkmoment erzeugt werden.
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Bevorzugt wird das Lenkmoment mittels eines Lenkmomentsensors gemessen, wobei aus dem gemessenen Lenkmoment durch ein Korrekturverfahren das Fahrerhandmoment, also das vom Fahrer auf die Lenkung unmittelbar übertragene Drehmoment, bestimmt wird.
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Der Momentensensor der Lenkung misst das Drehmoment zwischen dem Abtrieb der Lenksäule (in das Lenkgetriebe) und dem Lenkrad. Bei schnellen Lenkbeschleunigungen übt das Lenkrad durch seine Massenträgheit ein Gegenmoment aus, das ebenfalls vom Sensor gemessen wird, aber nicht vom Fahrer initiiert ist. Das eigentliche Fahrerhandmoment ist also nicht messbar, kann aber durch Kompensationsverfahren annähernd berechnet werden. Neben der Massenträgheit sind weitere im Sensor sichtbare, aber nicht vom Fahrer initiierte Momentenanteile: Reibung, außermittiger Lenkradschwerpunkt.
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Vorteilhafterweise werden dazu in dem Korrekturverfahren aus dem Lenkmoment bzw. dessen Messwert Anteile aus der Lenkradträgheit und anderer den Messwert beeinflussender Faktoren, insbesondere Reibung, herausgerechnet.
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In Bezug auf die Vorrichtung wird die oben genannte Aufgabe erfindungsgemäß gelöst mit Mitteln zur Durchführung des oben beschriebenen Verfahrens.
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Bevorzugt umfassen die Mittel einen Lenkwinkelregler zur Berechnung des Assistenzmomentes und ein Fahrereingriffsmodul zur Berechnung eines Fahrerkorrekturwinkels.
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Vorteilhafterweise umfassen die Mittel ein Steuergerät der Lenkung, in dem das Fahrereingriffsfunktionsmodul und/oder der Lenkwinkelregler hardware- und/oder softwaremäßig implementiert sind.
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Die Vorteile der Erfindung liegen insbesondere darin, dass, da sowohl Fahrer als auch Assistenzsystem denselben Winkelregler nutzen, dessen Ausgang nicht mehr begrenzt werden muss. Das Assistenzsystem kann die volle Kraft und Dynamik des Lenksystems/-motors ausnutzen. Durch die Ausgestaltung und Parametrierung der Fahrereingriffsfunktion kann die haptische Rückmeldung an den Fahrer in Abhängigkeit des Korrekturwinkels gestaltet und definiert werden.
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Die gesamte von einer elektrischen Servolenkung erbringbare Leistung zur Kurshaltung steht durch das Assistenzsystem zur Verfügung, sodass auch hochdynamische Fahrmanöver durch Assistenzsysteme ermöglicht werden. Der Fahrer behält aber bei Eingriffen in die Spurführung die volle Kontrolle über das Fahrzeug und kann das Assistenzsystem übersteuern.
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Ein Ausführungsbeispiel wird anhand einer Zeichnung näher erläutert. Darin zeigt in stark schematisierter Darstellung die einzige Figur ein Diagramm zur Veranschaulichung eines erfindungsgemäßen Verfahrens.
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Zunächst wird der Fall beschrieben, in dem die Assistenzfunktion deaktiviert ist. Das mittels eines Sensors gemessene Lenkmoment ist Eingangsgröße für ein EPS-Modul 2, in dem wenigstens eine EPS-Lenkfunktion realisiert ist. Typischerweise werden weitere Größen wie beispielsweise die Fahrzeuggeschwindigkeit oder der Lenkwinkel als Eingangsgrößen der EPS-Lenkfunktion(en) im EPS-Model 2 berücksichtigt. Die entsprechende EPS-Lenkfunktion berechnet ein EPS-Lenkfunktionsmoment, welches dann als EPS-Motormoment realisiert wird.
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Bei aktivierter Assistenzfunktion erfolgt die Berechnung des EPS-Motormomentes in einer bevorzugten Ausführung des Verfahrens wie folgt.
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In einer lateral eingreifenden Assistenzfunktion eines Assistenzsystems 10 wird ein Assistenzzielwinkel berechnet. In einer Fahrereingriffsfunktion 14 wird aus einem mittels eines Lenkmomentensensors der EPS gemessenen Lenkmomentes ein Fahrerkorrekturwinkel berechnet. Der von der Assistenzfunktion berechnete Assistenzzielwinkel und der von der Fahrereingriffsfunktion 14 berechnete Fahrerkorrekturwinkel werden in einem Additionsschritt 20 zueinander addiert. Der hieraus entstehende Solllenkwinkel dient als Eingangsgröße zu einem Lenkwinkelregler 24. Dieser berechnet das notwendige Assistenzmoment, bei dem sich der gewünschte Lenkwinkel einstellt.
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Ein Schaltmodul 6 leitet im normalen Servolenkungsbetrieb das EPS-Lenkfunktionsmoment dem EPS-Motormoment zu, bei aktivierter Assistenzfunktion wird stattdessen das Assistenzmoment weitergeleitet.
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Wesentlich bei diesem Verfahren ist, dass das Lenkmoment als Korrekturgröße verwendet wird, durch die der von der lateral eingreifenden Assistenzfunktion des Assistenzsystems 10 berechnete bzw. bereitgestellte Assistenzzielwinkelkorrigiert wird. Die Einstellung des EPS-Motormomentes erfolgt ausschließlich über das vom Lenkwinkelregler 24 bereitgestellte Assistenzmoment. Es erfolgt also nicht eine Überlagerung von zwei Momenten, beispielsweise eines als Funktion des Lenkmomentes und ggf. anderer Größen berechnetes Lenkfunktionsmoment und eines Assistenzmomentes.
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Bei dem erfindungsgemäß vorgeschlagenen Verfahren wird das Lenkmoment in der Kette der Berechnungen früher verwendet, es wird bereits zur Modifikation bzw. Korrektur des Solllenkwinkels verwendet. Statt einer Überlagerung von Momenten erfolgt also bereits eine Überlagerung der Winkel. Dem Lenkwinkelregler steht somit eine korrigierte Eingangsgröße zur Verfügung, aus der er das Assistenzmoment berechnen kann. Da nur dieses Assistenzmoment Quelle bzw. Grundlage des EPS-Motormomentes ist, steht dem Lenkwinkelregler der volle Wertebereich für das EPS-Motormoment zur Verfügung.