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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Steuern eines Kraftfahrzeugs, ein Steuergerät für ein System zum Steuern eines Kraftfahrzeugs, ein System zum Steuern eines Kraftfahrzeugs, ein Computerprogramm zur Durchführung des Verfahrens sowie einen computerlesbaren Datenträger mit einem solchen Computerprogramm.
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Eine der Hauptherausforderungen für Fahrassistenzsysteme, die eine Längsbewegung und eine Querbewegung eines Kraftfahrzeugs teilweise automatisiert steuern, und vor allem für vollständig automatisiert fahrende Kraftfahrzeuge besteht darin, eine konkrete Situation, in der sich das Kraftfahrzeug befindet, zu analysieren und basierend darauf entsprechende sinnvolle Fahrmanöver für das Kraftfahrzeug herzuleiten und auszuwählen.
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Typischerweise werden zunächst mehrere verschiedene Fahrmanöver bestimmt, aus denen dann eines ausgewählt wird, welches zur Steuerung des Kraftfahrzeugs herangezogen wird. Aus dem Stand der Technik bekannte Systeme zur Steuerung von Kraftfahrzeugen sind dabei jedoch nicht in der Lage, die Auswirkungen eines Fahrmanövers auf andere Verkehrsteilnehmer mit in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.
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Aufgabe der Erfindung ist es, ein Verfahren sowie ein System zum Steuern eines Kraftfahrzeugs bereitzustellen, bei dem die Nachteile aus dem Stand der Technik beseitigt sind.
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Die Aufgabe wird erfindungsgemäß gelöst durch ein Verfahren zum Steuern eines Kraftfahrzeugs, das auf einer Straße in einer momentanen Fahrspur fährt, wobei die Straße wenigstens eine weitere Fahrspur aufweist, die zur momentanen Fahrspur des Kraftfahrzeugs benachbart ist. Zunächst werden Fahrmanöverdaten generiert und/oder empfangen, die Informationen über mehrere mögliche, voneinander verschiedene Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs enthalten. Es werden Verkehrsdaten generiert und/oder empfangen, die Informationen über zumindest eine ungestörte prognostizierte Trajektorie wenigstens eines weiteren Verkehrsteilnehmers enthalten, der sich in einer vordefinierten Umgebung des Kraftfahrzeugs befindet, insbesondere Informationen über ungestörte prognostizierte Trajektorien mehrerer weiterer Verkehrsteilnehmer in der Umgebung des Kraftfahrzeugs. Basierend auf den Fahrmanöverdaten und den Verkehrsdaten wird ein Einfluss des wenigstens einen Fahrmanövers auf die Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers bestimmt, insbesondere auf die Trajektorien der mehreren Verkehrsteilnehmer. Basierend auf dem bestimmten Einfluss wird eine charakteristische Größe ermittelt, die den Einfluss des wenigstens einen Fahrmanövers auf den wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmer beschreibt.
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Erfindungsgemäß wird also eine Wechselwirkung zwischen dem Kraftfahrzeug und dem wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmer berücksichtigt, indem ein Einfluss der möglichen Fahrmanöver auf die Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmer ermittelt wird. Um diesen Einfluss messbar bzw. bewertbar zu machen, wird eine charakteristische Größe ermittelt, die abhängig vom jeweiligen Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs und abhängig von einer Abweichung des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers von der prognostizierten Trajektorie einen anderen Wert oder eine andere Gruppe von Werten aufweist.
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Insbesondere wird für jedes mögliche Fahrmanöver eine Simulation der Straßenverkehrssituation durchgeführt, um den Einfluss der verschiedenen möglichen Fahrmanöver auf die Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers zu ermitteln.
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Die ungestörten prognostizierten Trajektorien, die verschiedenen möglichen Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs und/oder dazu korrespondierende Trajektorien des Kraftfahrzeugs sind dabei Inputs für die Simulation. Als Output erzeugt die Simulation angepasste prognostizierte Trajektorien für die weiteren Verkehrsteilnehmer wobei die angepassten prognostizierten Trajektorien die Reaktionen der weiteren Verkehrsteilnehmer auf das entsprechende Fahrmanöver des Kraftfahrzugs enthalten. Zur Ermittlung der charakteristischen Größe wird dementsprechend eine Abweichung der angepassten prognostizierten Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers von der ungestörten prognostizierten Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers berücksichtigt.
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Unter „ungestörte prognostizierte Trajektorie“ ist dabei und im Folgenden diejenige Trajektorie zu verstehen, welcher der wenigstens eine weitere Verkehrsteilnehmer folgen würde, wenn das Kraftfahrzeug mit unveränderter Geschwindigkeit in der momentanen Fahrspur verbleibt.
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Unter „Einfluss“ ist dabei und im Folgenden jegliche Abweichung des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers von seiner ungestörten prognostizierten Trajektorie zu verstehen, beispielsweise eine Änderung der Geschwindigkeit, der Richtung und/oder der Fahrspur.
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Vorzugsweise wird die charakteristische Größe für mehrere der möglichen Fahrmanöver bestimmt, insbesondere für alle. Dadurch ist ein Vergleich der mehreren möglichen Fahrmanöver basierend auf der ermittelten charakteristischen Größe möglich. Anders ausgedrückt können die verschiedenen möglichen Fahrmanöver also basierend auf der jeweils ermittelten charakteristischen Größe bewertet werden.
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Ein Aspekt der Erfindung sieht vor, dass basierend auf der ermittelten charakteristischen Größe eines der mehreren Fahrmanöver ausgewählt und das Kraftfahrzeug gemäß dem ausgewählten Fahrmanöver gesteuert wird, insbesondere wobei das ausgewählte Fahrmanöver ein optimales Fahrmanöver ist. Unter „optimales Fahrmanöver“ ist dabei und im Folgenden zu verstehen, dass die charakteristische Größe, die dem Fahrmanöver entspricht, ein bestimmtes Kriterium erfüllt. Beispielsweise hat die charakteristische Größe einen Wert oder eine Gruppe von Werten, die innerhalb eines vordefinierten Intervalls liegen, insbesondere größer oder kleiner als ein vordefinierter Grenzwert sind. Erfindungsgemäß wird also bei der Auswahl des Fahrmanövers, das zur Steuerung des Kraftfahrzeugs herangezogen wird, die Wechselwirkung des Kraftfahrzeugs mit dem wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmer berücksichtigt.
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Gemäß einer Ausgestaltung der Erfindung umfasst die charakteristische Größe eine Kostenfunktion, die das jeweilige Fahrmanöver und/oder eine Änderung der ungestörten prognostizierten Trajektorie auf einen Kostenfaktor abbildet, insbesondere wobei der Kostenfaktor höher ist, wenn der wenigstens eine weitere Verkehrsteilnehmer abbremsen, die Richtung wechseln und/oder die Spur wechseln muss. Der Kostenfaktor stellt eine leicht zu interpretierende Größe dar, weil ein Fahrmanöver umso günstiger ist, je geringer der Kostenfaktor ist.
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Insbesondere handelt es sich bei der Kostenfunktion um ein Kostenfunktional, das von den jeweiligen Trajektorien des Kraftfahrzeugs und des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers abhängt, vorzugsweise von den Trajektorien aller weiteren Verkehrsteilnehmer in einer vordefinierten Umgebung des Kraftfahrzeugs.
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Vorzugsweise wird die Kostenfunktion minimiert, um das Fahrmanöver auszuwählen. Da der Kostenfaktor, wie bereits erwähnt, umso kleiner ist je günstiger das entsprechende Fahrmanöver ist, kann so auf einfache Art und Weise das optimale Fahrmanöver bestimmt werden.
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Es sei darauf hingewiesen, dass bei einer anderen möglichen Definition der Kostenfunktion, zum Beispiel bei einer mit (-1) multiplizierten Kostenfunktion, die Kostenfunktion maximiert werden muss, um das Fahrmanöver auszuwählen. Jedoch entspricht die oben gewählte Definition der Kostenfunktion (je günstiger das Fahrmanöver ist, desto kleiner ist der entsprechende Kostenfaktor) dem intuitiven Verständnis eines Kostenfaktors.
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Weiter bevorzugt umfasst die Kostenfunktion die kinetischen Energien des Kraftfahrzeugs und des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers. Es hat sich herausgestellt, dass die kinetischen Energien eine besonders geeignete Größe darstellen, um den Einfluss der einzelnen Fahrmanöver und allgemein die Wechselwirkung der jeweiligen Fahrmanöver mit dem wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmer zu beschreiben.
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Insbesondere gehen in die kinetischen Energien des Kraftfahrzeugs und des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers jeweils in Bezug auf die Straße eine longitudinale und eine laterale Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs bzw. des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers ein. Dementsprechend können Spurwechselmanöver mittels der kinetischen Energien abgebildet und berücksichtigt werden.
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Gemäß einer weiteren Ausgestaltung der Erfindung umfasst die Kostenfunktion eine Änderung der kinetischen Energien bzw. der kinetischen Energie des Kraftfahrzeugs und/oder des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers zwischen dem jeweiligen möglichen Fahrmanöver und einer Situation, in der das Kraftfahrzeug mit unveränderter Geschwindigkeit in der momentanen Fahrspur verbleibt. Dementsprechend werden die kinetischen Energien jeweils mit der ungestörten Situation verglichen, in der das Kraftfahrzeug die Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers nicht stört. Diese ungestörte Situation dient also für alle möglichen Fahrmanöver als gemeinsame Referenz.
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Insbesondere wird zur Berechnung der kinetischen Energien von verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern für jede Art von Verkehrsteilnehmer eine andere, normierte Masse verwendet. Unter einer „Art von Verkehrsteilnehmer“ ist dabei und im Folgenden eine Klassifizierung des jeweiligen Verkehrsteilnehmers in eine der folgenden Klassen zu verstehen: Personenkraftwagen, Lastkraftwagen, Kraftrad, Radfahrer und Fußgänger. Natürlich ist auch eine andere Einteilung der Klassen möglich und/oder es können zusätzliche Klassen vorgesehen sein. Durch die Einführung von standardisierten Massen ist die Behandlung von verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern erleichtert und es können auch die voneinander verschiedenen Brems- und Beschleunigungskapazitäten von unterschiedlichen Arten von Verkehrsteilnehmern berücksichtigt werden. Insbesondere haben also PKW, LKW, Krafträder, Radfahrer, Fußgänger usw. voneinander verschiedene standardisierte Massen.
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Ein weiterer Aspekt der Erfindung sieht vor, dass die Kostenfunktion einen Strafterm für erzwungene Spurwechsel des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers umfasst. Durch diesen Strafterm ist berücksichtigt, dass der wenigstens eine weitere Verkehrsteilnehmer im Normalfall seine aktuelle Fahrspur und Geschwindigkeit beibehalten will. Ein erzwungener Wechsel der Fahrspur wird dadurch berücksichtigt, dass der Kostenfaktor durch den Strafterm erhöht wird.
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Zumindest die momentane Fahrspur und/oder die wenigstens eine weitere Fahrspur können bzw. kann in ein Frenet-Serret-Koordinatensystem transformiert werden. In diesem Koordinatensystem ist jede Straße krümmungsfrei, sodass unabhängig von einem tatsächlichen Verlauf der Straße jede Straßenverkehrssituation auf die gleiche Art und Weise behandelt werden kann. Insbesondere werden die oben beschriebenen Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs als Trajektorien in diesem Frenet-Serret-Koordinatensystem behandelt. Ferner wird auch die Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers in diesem Koordinatensystem behandelt.
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Vorzugsweise handelt es sich bei den möglichen Fahrmanövern um optimierte Einzelfahrmanöver. Je nach der Verkehrssituation, in der sich das Kraftfahrzeug befindet, gibt es voneinander verschiedene Klassen von Fahrmanövern. Diese Klassen können sich beispielsweise dadurch unterscheiden, welchen Weg das Kraftfahrzeug genau nimmt. Die optimierten Einzelfahrmanöver sind die optimalen ihrer jeweiligen Klasse, d.h. die Raum-Zeit-Trajektorie, die dem Einzelfahrmanöver entspricht, erfüllt vordefinierte Bedingungen. Insbesondere müssen die Einzelfahrmanöver kollisionsfrei und vom Kraftfahrzeug durchführbar sein. Das Einzelfahrmanöver kann auch noch weitere Bedingungen erfüllen, beispielsweise eine möglichst kurze Zeitdauer aufweisen und/oder keine Beschleunigungen benötigen, die einen vordefinierten Grenzwert übersteigen. Die optimierten Einzelfahrmanöver können dann als Input für die Ermittlung der charakteristischen Größe dienen.
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Gemäß einer weiteren Ausgestaltung der Erfindung erfasst wenigstens ein Sensor zumindest Teile der momentanen Fahrspur und/oder der weiteren Fahrspur, um die Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs zu ermitteln, die Verkehrsdaten zu generieren und/oder um die Trajektorie des wenigstens einen weiteren Verkehrsteilnehmers zu prognostizieren. Der wenigstens eine Sensor erzeugt entsprechende Umgebungsdaten, die dazu verwendet werden, um die Fahrmanöverdaten und/oder die Verkehrsdaten zu generieren.
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Bei dem wenigstens einen Sensor kann es sich um eine Kamera, um einen Radarsensor, um einen Abstandssensor, um einen LIDAR-Sensor und/oder um eine beliebige andere Art von Sensor handeln, die dazu geeignet ist, die Umgebung des Kraftfahrzeugs zu erfassen.
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Alternativ oder zusätzlich kann der wenigstens eine Sensor als Schnittstelle zu einem Leitsystem ausgebildet sein, das wenigstens dem Abschnitt der Straße zugeordnet ist, in dem das Kraftfahrzeug momentan fährt. Dabei ist das Leitsystem dazu ausgebildet, Umgebungsdaten über die Straße und/oder über die weiteren Verkehrsteilnehmer, insbesondere über deren prognostizierte Trajektorien, an das Kraftfahrzeug und/oder an die weiteren Verkehrsteilnehmer zu übermitteln.
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Die Aufgabe wird außerdem erfindungsgemäß gelöst durch ein Steuergerät für ein System zum Steuern eines Kraftfahrzeugs, wobei das Steuergerät dazu ausgebildet ist, ein oben beschriebenes Verfahren durchzuführen. Hinsichtlich der Vorteile und der weiteren möglichen Merkmale des Steuergerätes wird auf die obigen Erläuterungen bezüglich des Verfahrens verwiesen.
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Das Steuergerät kann Teil des Kraftfahrzeugs oder ein Teil eines übergeordneten Systems sein, beispielsweise ein Teil des Leitsystems.
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Die Aufgabe wird ferner erfindungsgemäß gelöst durch ein System zum Steuern eines Kraftfahrzeugs, mit einem oben beschriebenen Steuergerät. Hinsichtlich der Vorteile und der weiteren möglichen Merkmale des Steuergerätes wird auf die obigen Erläuterungen bezüglich des Verfahrens verwiesen.
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Die Aufgabe wird außerdem erfindungsgemäß gelöst durch ein Computerprogramm mit Programmcodemitteln, um die Schritte eines oben beschriebenen Verfahrens durchzuführen, wenn das Computerprogramm auf einem Computer oder einer entsprechenden Recheneinheit ausgeführt wird, insbesondere einer Recheneinheit eines oben beschriebenen Steuergeräts. Hinsichtlich der Vorteile wird auf die obigen Erläuterungen bezüglich des Verfahrens verwiesen.
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Unter „Programmcodemitteln“ sind dabei und im Folgenden computerausführbare Instruktionen in Form von Programmcode und/oder Programmcodemodulen in kompilierter und/oder in unkompilierter Form zu verstehen, die in einer beliebigen Programmiersprache und/oder in Maschinensprache vorliegen können.
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Die Aufgabe wird ferner erfindungsgemäß gelöst durch einen computerlesbaren Datenträger, auf dem ein oben beschriebenes Computerprogramm gespeichert ist. Der Datenträger kann integraler Bestandteil des oben beschriebenen Steuergeräts oder vom Steuergerät separat ausgebildet sein. Der Datenträger weist einen Speicher auf, in dem das Computerprogramm gespeichert ist. Bei dem Speicher handelt es sich um eine beliebige, geeignete Art von Speicher, der beispielsweise auf magnetischer und/oder optischer Datenspeicherung basiert.
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Weitere Vorteile und Eigenschaften der Erfindung ergeben sich aus der nachfolgenden Beschreibung und den beigefügten Zeichnungen, auf die Bezug genommen wird. In diesen zeigen:
- - 1 schematisch eine Straßenverkehrssituation;
- - 2 ein schematisches Blockschaltbild eines erfindungsgemäßen Systems zum Steuern eines Kraftfahrzeugs;
- - 3 ein Ablaufdiagramm der Schritte eines erfindungsgemäßen Verfahrens zum Steuern eines Kraftfahrzeugs; und
- - die 4(a) und 4(b) schematisch eine Straße vor einer Transformation in ein Frenet-Serret-Koordinatensystem bzw. die Straße nach einer Transformation in ein Frenet-Serret-Koordinatensystem.
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In 1 ist schematisch eine Straßenverkehrssituation gezeigt, in der ein Kraftfahrzeug 10 auf einer Straße 12 in einer momentanen Fahrspur 14 fährt. Neben der momentanen Fahrspur 14 verläuft eine erste weitere Fahrspur 16, neben der wiederum eine zweite weitere Fahrspur 18 verläuft.
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Auf der Straße 12 fahren außerdem ein erster weiterer Verkehrsteilnehmer 20 in der momentanen Fahrspur 14 vor dem Kraftfahrzeug 10 sowie ein zweiter weiterer Verkehrsteilnehmer 22 und ein dritter weiterer Verkehrsteilnehmer 24 in der ersten weiteren Fahrspur 16. Im gezeigten Beispiel handelt es sich bei den weiteren Verkehrsteilnehmern 20, 22, 24 um Personenkraftwagen, es könnte sich jedoch auch um Lastkraftwagen, Krafträder oder um beliebige andere Verkehrsteilnehmer handeln.
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Durch die durchgezogenen Linien 26 und die gestrichelte Linien 28 in 1 sind beispielhaft zwei verschiedene Fahrmanöver gezeigt, die das Kraftfahrzeug 10 ausführen kann, um die Fahrspur zu wechseln und den ersten weiteren Verkehrsteilnehmer 20 zu überholen.
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Analog dazu sind durch die durchgezogenen Linien 30 und die gestrichelten Linien 32, die von den weiteren Verkehrsteilnehmern 20, 22, 24 ausgehen, entsprechende Reaktionen der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 auf die Fahrmanöver angedeutet, die dem Kraftfahrzeug 10 das entsprechende Fahrmanöver ermöglichen würden.
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Wie in 2 gezeigt ist, weist das Kraftfahrzeug 10 ein System 34 zum Steuern des Kraftfahrzeugs 10 auf. Das System 34 umfasst mehrere Sensoren 36 und zumindest ein Steuergerät 38.
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Die Sensoren 36 sind vorne, hinten und/oder seitlich am Kraftfahrzeug 10 angeordnet und dazu ausgebildet, jeweils zumindest Teile der Umgebung des Kraftfahrzeugs 10 zu erfassen, entsprechende Umgebungsdaten, insbesondere der gesamten Umgebung, zu generieren und diese an das Steuergerät 38 weiterzuleiten. Genauer gesagt erfassen die Sensoren 36 Informationen zumindest über die momentane Fahrspur 14, die weiteren Fahrspuren 16, 18 und über die weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24.
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Bei den Sensoren 36 handelt es sich jeweils um eine Kamera, um einen Radarsensor, um einen Abstandssensor, um einen LIDAR-Sensor und/oder um eine beliebige andere Art von Sensor, die dazu geeignet ist, die Umgebung des Kraftfahrzeugs 10 zu erfassen.
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Alternativ oder zusätzlich kann zumindest einer der Sensoren 36 als Schnittstelle zu einem Leitsystem ausgebildet sein, das wenigstens dem gezeigten Abschnitt der Straße 12 zugeordnet und dazu ausgebildet ist, Umgebungsdaten über die Straße 12 und/oder über die weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 an das Kraftfahrzeug 10 und/oder an die weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 zu übermitteln. Der eine Sensor 28 kann in diesem Fall als Mobilfunkkommunikationsmodul ausgeführt sein, zum Beispiel zur Kommunikation gemäß dem 5G Standard.
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Allgemein ausgedrückt verarbeitet das Steuergerät 38 die von den Sensoren 36 erhaltenen Umgebungsdaten und steuert das Kraftfahrzeug 10 basierend auf den verarbeiteten Umgebungsdaten wenigstens teilweise automatisiert, insbesondere vollautomatisch. Auf dem Steuergerät 38 ist also ein Fahrassistenzsystem implementiert, das eine Querbewegung und/oder eine Längsbewegung des Kraftfahrzeugs 10 wenigstens teilweise automatisiert steuern kann, insbesondere vollautomatisch.
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Zu diesem Zweck ist das Steuergerät 38 dazu ausgebildet, die im Folgenden anhand der 3 und 4 erläuterten Verfahrensschritte durchzuführen. Genauer gesagt umfasst das Steuergerät 38 einen Datenträger 40 und eine Recheneinheit 42, wobei auf dem Datenträger 40 ein Computerprogramm gespeichert ist, das auf der Recheneinheit 42 ausgeführt wird und das Programmcodemittel umfasst, um die Schritte des im Folgenden erläuterten Verfahrens durchzuführen.
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Zunächst wird die Straße 12, genauer gesagt ein auf den von den Sensoren 28 erhaltenen Umgebungsdaten basierendes Abbild der momentanen Fahrspur 14 und der weiteren Fahrspur 16 in ein Frenet-Serret-Koordinatensystem transformiert (Schritt S1).
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Der Schritt S1 ist in 4 illustriert. 4 (a) zeigt die Straße 12, wie sie tatsächlich verläuft. Im gezeigten Beispiel weist die Straße, in Längsrichtung L gesehen, eine Krümmung nach links auf. Durch eine lokale Koordinatentransformation wird die Straße 12 in das Frenet-Serret-Koordinatensystem transformiert, in dem die Straße 12 keine Krümmung mehr aufweist, wobei das Ergebnis dieser Transformation in 4 (b) gezeigt ist. Wie klar zu erkennen ist, verläuft die Straße 12 in diesem Koordinatensystem gerade und ohne Krümmung entlang der Längsrichtung L. Senkrecht zur Längsrichtung L verläuft die Querrichtung N.
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Nun werden Fahrmanöverdaten vom Steuergerät 38 empfangen und/oder generiert (Schritt S2), wobei die Fahrmanöverdaten Informationen über mehrere mögliche, voneinander verschiedene Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs 10 enthalten. Im behandelten Beispiel enthalten die Fahrmanöverdaten also Informationen über mehrere, insbesondere alle Fahrmanöver, die beinhalten, dass das Kraftfahrzeug den ersten weiteren Verkehrsteilnehmer 20 überholt.
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Unter „möglich“ ist dabei und im Folgenden zu verstehen, dass das entsprechende Fahrmanöver kollisionsfrei und vom Kraftfahrzeug 10 auch durchführbar ist, also dass das Kraftfahrzeug 10 beispielsweise stark genug beschleunigen und/oder bremsen kann, um das Fahrmanöver durchzuführen.
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Die Fahrmanöverdaten beinhalten genauer gesagt die Raum-Zeit-Trajektorien des Kraftfahrzeugs 10 im Frenet-Serret-Koordinatensystem, die den jeweiligen möglichen Fahrmanövern entsprechen.
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Im Allgemeinen umfassen die empfangenen und/oder generierten Fahrmanöver mehr Varianten als die beiden in 1 rein exemplarisch gezeigten Fahrmanöver, vorzugsweise alle möglichen Fahrmanöver für das Kraftfahrzeug 10.
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Die Fahrmanöverdaten können vom Steuergerät 38 basierend auf den von den Sensoren 36 empfangenen Umgebungsdaten generiert werden. Alternativ oder zusätzlich können die Fahrmanöverdaten auch vom Leitsystem erzeugt und an das Kraftfahrzeug 10, genauer gesagt an das Steuergerät 38 weitergeleitet werden.
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Ferner werden Verkehrsdaten vom Steuergerät 38 generiert und/oder empfangen (Schritt S3), die Informationen über prognostizierte Trajektorien der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 enthalten. Bei den prognostizierten Trajektorien handelt es sich um ungestörte Trajektorien, d.h. um solche Trajektorien, denen die weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 folgen würden, wenn keine Störung durch ein Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs 10 erfolgt.
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Die Verkehrsdaten können vom Steuergerät 38 basierend auf den von den Sensoren 36 empfangenen Umgebungsdaten generiert werden. Alternativ oder zusätzlich können die Fahrmanöverdaten auch von den weiteren Verkehrsteilnehmern 20, 22, 24 und/oder vom Leitsystem generiert und an das Kraftfahrzeug 10, genauer gesagt an das Steuergerät 38 weitergeleitet werden.
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In Schritt S3 werden nur diejenigen weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 berücksichtigt, die sich in einer vordefinierten Umgebung des Kraftfahrzeugs 10 befinden. Anders ausgedrückt werden nur diejenigen Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 berücksichtigt, die von zumindest einem der mehreren Fahrmanöver überhaupt beeinflusst werden können oder die Einfluss auf die Auswahl des Fahrmanövers haben können. Beispielsweise werden lediglich diejenigen weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 berücksichtigt, die sich innerhalb der Reichweite der Sensoren 36 befinden.
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Nun wird jeweils der Einfluss der verschiedenen Fahrmanöver auf die Trajektorien der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 basierend auf den Fahrmanöverdaten und den Verkehrsdaten bestimmt (Schritt S4).
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Unter „Einfluss“ ist dabei und im Folgenden jegliche Abweichung des jeweiligen weiteren Verkehrsteilnehmers 20, 22, 24 von der jeweiligen ungestörten prognostizierten Trajektorie zu verstehen, beispielsweise eine Änderung der Geschwindigkeit, der Richtung und/oder der Fahrspur.
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Um den Einfluss der verschiedenen Fahrmanöver auf die Trajektorien der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 zu ermitteln, wird eine Simulation der Straßenverkehrssituation für die verschiedenen möglichen Fahrmanöver durchgeführt.
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Die ungestörten prognostizierten Trajektorien, die verschiedenen möglichen Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs 10 und/oder dazu korrespondierende Trajektorien des Kraftfahrzeugs 10 sind dabei Inputs für die Simulation. Als Output erzeugt die Simulation angepasste prognostizierte Trajektorien für die weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24, wobei die angepassten prognostizierten Trajektorien die Reaktionen der weiteren Verkehrsteilnehmer 20 auf das entsprechende Fahrmanöver des Kraftfahrzugs 10 enthalten.
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Schließlich wird basierend auf dem bestimmten Einfluss der einzelnen Fahrmanövers auf die Trajektorien der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 für jedes der möglichen Fahrmanöver eine charakteristische Größe ermittelt, die den Einfluss des jeweiligen Fahrmanövers beschreibt (Schritt S5).
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Im Allgemeinen handelt es sich bei der charakteristischen Größe um einen Wert einer Variablen oder um die Werte von mehreren Variablen, wobei die Variablen je nach Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs 10 und abhängig von den angepassten prognostizierten Trajektorien einen anderen Wert bzw. andere Werte annimmt bzw. annehmen.
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Im gezeigten Ausführungsbeispiel basiert die charakteristische Größe auf den kinetischen Energien des Kraftfahrzeugs 10 und der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24. Es hat sich herausgestellt, dass die kinetischen Energie besonders geeignete Größen sind, um den Einfluss der einzelnen Fahrmanöver und allgemein die Wechselwirkung der jeweiligen Fahrmanöver mit den weiteren Verkehrsteilnehmern 20, 22, 24 zu beschreiben.
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Bezogen auf das in
1 dargestellte Koordinatensystem ist die kinetische Energie des Kraftfahrzeugs
10 gegeben durch
wobei m
KFZ die Masse des Kraftfahrzeugs
10 ist. Die kinetischen Energien der weiteren Verkehrsteilnehmer
20,
22,
24 ergeben sich analog zu der oben genannten Formel.
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Um die Behandlung von verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern zu erleichtern und auch die voneinander verschiedenen Brems- und Beschleunigungskapazitäten von unterschiedlichen Arten von Verkehrsteilnehmern zu berücksichtigen, wird eine Standardmasse m̂ für jede Art von Verkehrsteilnehmer eingeführt. So haben also insbesondere PKW, LKW, Krafträder, Radfahrer, Fußgänger usw. voneinander verschiedene standardisierte Massen.
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Die entsprechende standardisierte kinetische Energie für den Verkehrsteilnehmer Nummer i ist gegeben durch
wobei i = 0 das Kraftfahrzeug
10 repräsentiert und i = 1, 2, 3 den ersten weiteren Verkehrsteilnehmer
20, den zweiten weiteren Verkehrsteilnehmer
22 bzw. den dritten weiteren Verkehrsteilnehmer
24 repräsentieren.
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Basierend auf den standardisierten kinetischen Energien Ê
i wird eine Kostenfunktion J
I gebildet, welche die Wechselwirkung der einzelnen Fahrmanöver mit den weiteren Verkehrsteilnehmers
20,
22,
24 beschreibt. Die verwendete Kostenfunktion lautet
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Dabei ist Ẽego die normalisierte kinetische Energie des Kraftfahrzeugs 10, während ẼOTP die normalisierte kinetische Energie der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 ist. Genauer gesagt handelt es sich bei JI um ein Kostenfunktional, das von den jeweiligen Trajektorien des Kraftfahrzeugs 10 und der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 abhängt.
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Ferner ist λ ein wählbarer reeller Parameter, der im Intervall von 0 bis 1 liegt und der festlegt, wie die normalisierte kinetische Energie Ẽego des Kraftfahrzeugs 10 und die normalisierte kinetische Energie ẼOTP der weiteren Verkehrsteilnehmer gewichtet werden. Für λ = 1 wird beispielsweise nur das Kraftfahrzeug 10 berücksichtigt, während für λ = 0 nur die weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 berücksichtigt werden. Generell wird für λ > 0,5 das Kraftfahrzeug 10 stärker gewichtet, während für λ < 0,5 die weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 stärker gewichtet werden.
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Die genauen Definitionen von Ẽ
ego und Ẽ
OTP ergeben sich aus den folgenden Gleichungen:
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Dabei ist ni die die Anzahl der Zeitschritte, in die das Fahrmanöver eingeteilt wird. M bezeichnet die Anzahl der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 und ist im betrachteten Beispiel gleich 3. Der Index „prior“ beschreibt die Situation, in der das Kraftfahrzeug 10 mit seiner ursprünglichen Geschwindigkeit auf der momentanen Fahrspur 14 verbleibt. Demgegenüber beschreibt der Index „post“ eines der möglichen Fahrmanöver.
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Alternativ oder zusätzlich kann die Kostenfunktion JI einen Strafterm umfassen, der immer dann einen konstanten Wert für Kostenfunktion JI addiert, wenn ein Spurwechsel eines der weiteren Verkehrsteilnehmer 20, 22, 24 erzwungen wird.
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Um zumindest eines der verschiedenen möglichen Fahrmanöver auszuwählen, wird nun die Kostenfunktion JI minimiert (Schritt S6). Zu diesem Zweck werden die Kostenfunktionen JI für die mehreren verschiedenen möglichen Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs 10 berechnet und miteinander verglichen.
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Zumindest dasjenige Fahrmanöver, für das die Kostenfunktion JI den geringsten Wert annimmt, wird ausgewählt und das Kraftfahrzeug 10 wird gemäß dem ausgewählten Fahrmanöver vom Steuergerät 38 gesteuert (Schritt S7).
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Optional kann zusätzlich ein Kostenfunktional JV erstellt werden, das die Kosten des jeweiligen Fahrmanövers für das Kraftfahrzeug basierend auf einer oder mehreren Bedingungen bewertet. Beispielsweise umfasst das KostenfunktionalJV eine der folgenden Bedingungen: die Beschleunigung in Quer- und/oder Längsrichtung soll einen vordefinierten Wert nicht übersteigen, das Fahrzeug soll eine gewisse Zielgeschwindigkeit erreichen und/oder die Dringlichkeit eines Spurwechsels des Kraftfahrzeugs 10, beispielsweise aufgrund eines Endes der momentanen Fahrspur 14.
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Die beiden Kostenfunktionen J
I und J
V können dann jeweils derart normiert werden, dass sie Werte zwischen 0 und 1 annehmen und in ein gemeinsames Kostenfunktional J
T zusammengefasst werden, das die Gesamtkosten des jeweiligen möglichen Fahrmanövers beschreibt. Das Kostenfunktional J
T hat die folgende Form:
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Dabei sind β1 und β2 Gewichtungsfaktoren und „~“ kennzeichnet die jeweils normierten Kostenfunktionale.
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Analog zum oben beschriebenen Verfahren wird dann das Kostenfunktional JT minimiert, um dasjenige Fahrmanöver auszuwählen, gemäß dem das Kraftfahrzeug 10 gesteuert werden soll.