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Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren zum selbsttätigen Lenken eines Fahrzeugs bei einem mindestens teilweisen Ausfall des Lenksystems.
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Stand der Technik
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Bekannt sind Lenksysteme in Fahrzeugen, die zur Erzeugung eines unterstützenden Servomoments einen elektrischen Servomotor aufweisen, der mit dem Lenkgetriebe gekoppelt ist. Bei einem Ausfall des elektrischen Servomotors bleibt der mechanische Durchgriff zwischen dem Lenkrad und den lenkbaren Rädern bestehen. Ein derartiges Lenksystem wird beispielsweise in der
DE 100 32 120 A1 beschrieben.
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Mittels dieser Lenksysteme können auch autonome Fahrfunktionen realisiert werden, indem sensorisch das Fahrzeugumfeld überwacht und eine Solltrajektorie ermittelt wird und ein oder mehrere elektrische Servomotoren in der Weise angesteuert werden, dass das Fahrzeug selbsttätig der Solltrajektorie folgt.
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Offenbarung der Erfindung
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Das erfindungsgemäße Verfahren bezieht sich auf einen Fahrzustand, bei dem das Fahrzeug selbsttätig gelenkt wird, indem ein oder mehrere Lenkaktuatoren im Fahrzeug zum Einstellen der lenkbaren Fahrzeugräder angesteuert werden. Hierfür wird insbesondere mithilfe einer Umfeldsensorik das Fahrzeugumfeld überwacht, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der über ein Navigationssystem zu ermittelnden Fahrzeugposition, und auf der Grundlage der sensorisch ermittelten Umfelddaten eine gegebenenfalls fortlaufend aktualisierte Solltrajektorie ermittelt, entlang der sich das Fahrzeug durch eine entsprechende Ansteuerung mindestens eines Lenkaktuators bewegen soll. Bei den Lenkaktuatoren handelt es sich vorzugsweise um elektrische Servomotoren.
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Es können automatisierte oder hochautomatisierte Fahrfunktionen realisiert werden, bei denen der Fahrer von der Fahr- und Lenkaufgabe teilweise oder vollständig entbunden ist.
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Das erfindungsgemäße Verfahren kann aber auch in einem konventionellen Lenkzustand Anwendung finden, bei dem die Lenkbewegung des Fahrzeugs vom Fahrer über eine Betätigung des Lenkrades vorgegeben wird, gegebenenfalls mit einem unterstützenden Servomoment vom Lenkaktuator.
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Erfindungsgemäß wird für den Fall, dass mindestens eine, gegebenenfalls mehrere oder alle Lenkkomponente des Lenksystems teilweise oder vollständig ausgefallen sind, zur Realisierung einer Notlenkfunktion an mindestens zwei Rädern einer Achse oder mehrerer Achsen des Fahrzeugs eine Momentendifferenz erzeugt. Über die Momentendifferenz ist es möglich, dass das Fahrzeug selbsttätig und ohne Betätigung des Lenksystems gelenkt wird. Dies ermöglicht es beispielsweise, das Fahrzeug in Notsituationen aus einer Gefahrenzone herauszubewegen und hierdurch das Unfallrisiko für das Fahrzeug sowie für außen stehende Personen oder für Drittfahrzeuge zu mindern. Die Momentendifferenz an den mindestens zwei Rädern einer Achse des Fahrzeugs wird unabhängig von den Komponenten des Lenksystems erzeugt und hängt somit nicht von der Funktionstüchtigkeit des Lenksystems ab.
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Die Notlenkfunktion erlaubt zumindest ein kurzzeitiges Lenken des Fahrzeugs bei einem teilweisen oder vollständigen Ausfall des Lenksystems. Hierbei können Lenkwinkel realisiert werden, die gegebenenfalls bis in den gleichen Winkelbereich wie bei ordnungsgemäßem Lenksystem reichen oder zumindest eine Winkelauslenkung bis 60°, bis 45° oder bis 30° in beide Richtungen gegenüber der Fahrzeuglängsachse ermöglichen.
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Die Momentendifferenz wird zwischen mindestens zwei Rädern einer Achse des Fahrzeugs erzeugt. Es kann grundsätzlich ausreichend sein, dass beispielsweise nur an einem einzigen Fahrzeugrad ein Bremsmoment oder ein Antriebsmoment aufgebracht wird, wodurch bereits eine Momentendifferenz zwischen diesem Rad und den weiteren Fahrzeugrädern besteht. Es werden beispielsweise ein, zwei oder drei Fahrzeugräder angetrieben und/oder gebremst, wohingegen die verbleibenden Fahrzeugräder ohne Momenteneinfluss bleiben. Des Weiteren ist es auch möglich, an mindestens zwei Fahrzeugrädern ein antreibendes oder ein bremsendes Moment aufzubringen, das sich jedoch absolut in der Höhe und/oder im Vorzeichen unterscheidet. Beispielsweise kann an einem Fahrzeugrad ein antreibendes Moment und am gegenüberliegenden Fahrzeugrad der gleichen Achse ein bremsendes Moment erzeugt werden. Des Weiteren ist es möglich, zur Realisierung der Notlenkfunktion ausschließlich antreibende Momente oder ausschließlich Bremsmomente oder eine Kombination von Antriebs- und Bremsmomenten auf mindestens zwei Räder einer Achse des Fahrzeuges aufzubringen.
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In einer weiteren vorteilhaften Ausführung ändert sich während der Durchführung der Notlenkfunktion die Höhe der aufgebrachten Momente und/oder die Momentenverteilung auf die Fahrzeugräder. Hierdurch ist es möglich, dass das Fahrzeug während der Notlenkfunktion einer gewünschten Solltrajektorie folgt und hierbei gegebenenfalls entlang einer gekrümmten Solltrajektorie oder einer Solltrajektorie mit einem Krümmungswechsel fährt.
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Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausführung, die sich auf ein Fahrzeug mit elektromotorischem Antrieb bezieht, wobei entweder ausschließlich ein elektromotorischer Antrieb oder ein Hybridmotor mit einer Kombination aus elektromotorischem Antrieb und Verbrennungsmotor vorgesehen ist, werden an mindestens zwei Fahrzeugrädern unterschiedlich hohe Antriebsmomente über eine Betätigung der elektromotorischen Antriebe erzeugt.
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Gemäß einer weiteren zweckmäßigen Ausführung werden unterschiedlich hohe Antriebsmomente an mindestens zwei Fahrzeugrädern der gleichen Achse über einen Torque-Vectoring-Steller erzeugt, der eine aktive Antriebsmomentverteilung zwischen den Rädern einer gemeinsamen Achse ermöglicht. Als Antriebsmotor kommt in diesem Fall sowohl ein Verbrennungsmotor als auch ein elektromotorischer Antrieb in Betracht.
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Die Momentendifferenz kann gegebenenfalls auch über eine selbsttätige Betätigung des Bremssystems und das Erzeugen unterschiedlicher hoher Bremsmomente an mindestens zwei verschiedenen Fahrzeugrädern einer Achse erzeugt werden. Bei dem Bremssystem handelt es sich insbesondere um die hydraulische Fahrzeugbremse, gegebenenfalls auch um ein trockenes Bremssystem, wobei unterschiedlich hohe Bremsmomente über Stellsysteme und Aktuatoren im Bremssystem erzeugt werden können, insbesondere durch eine Ansteuerung von Einlass- und Auslassventilen sowie von Bremsaktuatoren wie beispielsweise einer Hydraulikpumpe oder bei trockenen Bremssystemen einem Elektromotor, die bzw. der gegebenenfalls Bestandteil eines Fahrerassistenzsystems wie zum Beispiel ein elektrisches Stabilitätsprogramm (ESP) sein kann.
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Gemäß noch einer weiteren zweckmäßigen Ausführung wird während der Durchführung der Notlenkfunktion zeitgleich oder zeitversetzt zum selbsttätigen Lenken durch Aufbringen von Momentendifferenzen das Fahrzeug auch selbsttätig abgebremst, insbesondere bis zum Stillstand des Fahrzeugs. Hierbei kann es zweckmäßig sein, aus Stabilitätsgründen die selbsttätige Lenkfunktion und die selbsttätige Bremsfunktion in der Weise aufeinander abzustimmen, dass ein instabiler Fahrzustand vermieden wird.
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Die Verfahrensschritte laufen in einem Regel- bzw. Steuergerät ab, das für die zentrale Fahrzeugbewegungsregelung und das Degradierungskonzept verantwortlich sein kann oder Bestandteil eines Fahrerassistenzsystems im Fahrzeug sein kann. Das zentrale Fahrzeugbewegungsregelungssystem bzw. das Fahrerassistenzsystem weisen ein Momentendifferenzeinstellsystem auf, bei dem es sich entweder um die Fahrzeugbremse, insbesondere die hydraulische oder trockene Fahrzeugbremse handelt, und/oder um einen oder mehrere Antriebsmotoren, beispielsweise einen oder mehrere elektrische Antriebsmotoren zum Antrieb eines oder mehrerer Fahrzeugräder und/oder einen Verbrennungsmotor.
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Weitere Vorteile und zweckmäßige Ausführungen sind den weiteren Ansprüchen, der Figurenbeschreibung und den Zeichnungen zu entnehmen. Es zeigen:
- 1 eine schematische Darstellung eines Lenksystems eines Fahrzeugs mit einem elektrischen Servomotor,
- 2 ein Ablaufschema mit Verfahrensschritten zur Realisierung einer Notlenkfunktion.
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Das in 1 dargestellte Lenksystem 1 in einem Fahrzeug umfasst ein Lenkrad 2, eine Lenkspindel bzw. -welle 3, ein Lenkgehäuse 4 mit einem darin aufgenommenen Lenkgetriebe und ein Lenkgestänge mit einer Lenkzahnstange 5, über die eine Lenkbewegung auf die lenkbaren Räder 6 des Fahrzeugs übertragen wird. Der Fahrer gibt über das Lenkrad 2, mit dem die Lenkspindel 3 fest verbunden ist, einen Lenkwinkel äL vor, der im Lenkgetriebe im Lenkgehäuse 4 auf die Lenkzahnstange 5 des Lenkgestänges übertragen wird, woraufhin sich an den lenkbaren Rädern 6 ein Radlenkwinkel δV einstellt.
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Zur Unterstützung des vom Fahrer aufgebrachten Handmoments dient ein elektrischer Servomotor 7, über den ein Servomoment in das Lenkgetriebe im Lenkgehäuse 4 eingespeist werden kann. Anstelle eines elektrischen Servomotors kann auch eine hydraulische Unterstützungseinrichtung vorgesehen sein, beispielsweise eine Hydraulikpumpe, die ein hydraulisches Lenksystem speist.
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Das Lenksystem 1 kann auch zur Realisierung einer selbsttätigen Lenkfunktion, beispielsweise im Rahmen eines Fahrerassistenzsystems eingesetzt werden. Der elektrische Servomotor 7 wird von Stellsignalen eines Regel- bzw. Steuergerätes 8 in Abhängigkeit von Sensorsignalen angesteuert, welche Zustands- und Umfeldgrößen umfasst, insbesondere den aktuellen Lenkwinkel, die Fahrzeuggeschwindigkeit und die Fahrzeugbeschleunigung sowie als Umfeldinformation seitliche Fahrbahnbegrenzungen und andere Verkehrsteilnehmer sowie Hindernisse unter Berücksichtigung der aktuellen Fahrzeugposition. Das im elektrischen Servomotor 7 erzeugte Servomoment ist ausreichend groß, um auch ohne Fahrereingriff einen gewünschten Radlenkwinkel δV einzustellen.
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2 zeigt ein Ablaufschema für die Realisierung einer Notlenkfunktion bei einem Ausfall des Lenksystems. Im Verfahrensschritt 10 wird fortlaufend überprüft, ob die verschiedenen Lenkkomponenten im Lenksystem ordnungsgemäß funktionieren oder ob eine oder mehrere Lenkkomponenten ausgefallen sind. Sofern kein Ausfall vorliegt, wird der Nein-Verzweigung („N“) folgend wieder zum Beginn der Abfrage im Schritt 10 zurückgekehrt und die Abfrage in zyklischen Abständen wiederholt. Liegt dagegen ein Ausfall einer Lenkkomponente im Lenksystem vor, die insbesondere ein selbsttätiges Lenken des Fahrzeugs unmöglich macht, wird der Ja-Verzweigung („Y“) folgend zum nächsten Verfahrensschritt 11 fortgefahren und eine Notlenkfunktion eingeleitet.
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Im Verfahrensschritt 11 wird auf der Grundlage der aktuellen Position des Fahrzeugs, die über ein Navigationssystem festgestellt werden kann, sowie von Umfeldinformationen, die über eine entsprechende Umfeldsensorik erfasst werden, und einer Sensorik im Fahrzeug zur Erfassung von Fahrzustandsgrößen eine Solltrajektorie bestimmt, entlang der das Fahrzeug sich mit hoher Sicherheit während der Durchführung der Notlenkfunktion bewegen soll. Hierbei werden maximal mögliche Lenkwinkel berücksichtigt, welche mit der Notlenkfunktion realisiert werden können, sowie die Fahrzeugstabilität. Das Fahrzeug soll am Endpunkt der Solltrajektorie vorteilhafterweise zum Stillstand gelangen.
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Nach dem Festlegen der Solltrajektorie wird im nächsten Verfahrensschritt 12 die Notlenkfunktion durch Aufbringen von Momentendifferenzen an mindestens zwei Rädern mindestens einer Achse des Fahrzeuges durchgeführt. Hierbei kommen sowohl das Aufbringen von Antriebsmomenten an einem oder mehreren Fahrzeugrädern einer Achse als auch das Aufbringen von Bremsmomenten an einem oder mehreren Fahrzeugrädern einer Achse in Betracht, wobei gegebenenfalls an verschiedenen Fahrzeugrädern einer Achse auch gleichzeitig Antriebs- und Bremsmomente erzeugt werden können. Die Verzögerung des Fahrzeugs in den Stillstand ist möglich, indem die Räder mit Bremsmomenten beaufschlagt werden, um das Fahrzeug in den sicheren Endzustand zu verzögern, beispielsweise in einen sicheren Stopp auf dem Standstreifen zu bringen.
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Antriebsmomente können je nach Antriebsart auf unterschiedliche Weise erzeugt werden. Beispielsweise können bei einem elektromotorischen Antrieb die von den Motoren erzeugten Antriebsmomente radindividuell aufgebracht werden, in Fahrzeugen mit elektrischen Zentralantrieben einer Achse gegebenenfalls unter Einsatz eines Torque-Vectoring-Stellers. Auch im Fall eines verbrennungsmotorischen Antriebs im Fahrzeug kann mithilfe eines Torque-Vectoring-Stellers eine Ungleichmomentenverteilung des Antriebsmomentes auf die Räder links und rechts an der gleichen Fahrzeugachse durchgeführt werden.
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Über die radindividuelle Ansteuerung können zusätzlich oder alternativ unterschiedlich hohe Bremsmomente an den verschiedenen Fahrzeugrädern zur Realisierung der Notlenkfunktion erzeugt werden.
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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