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Diese Erfindung betrifft ein System und ein Verfahren zur Schätzung der Quergeschwindigkeit eines Landfahrzeugs unabhängig von Reifenparametern oder Reifenmodellen.
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Die Quergeschwindigkeit wird für verschiedene Fahrdynamikmessungen verwendet, wie z.B. die Überprüfung der Stabilität des Fahrzeugs, die Ermittlung des Lenkgefühls, die Schätzung des Schwimmwinkels oder die Abstimmung der Querdynamik. Einer der wichtigsten Anwendungsbereiche ist das ESC/ESP-Tuning. Weil die Sensoren im Fahrzeug alleine nicht in der Lage sind, die Quergeschwindigkeit hinreichend genau abzuleiten, wird ein gutes Modell zur Schätzung der Quergeschwindigkeit benötigt, welches von den Fahrzeugsensoren gestützt wird.
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Es gibt hierzu eine Vielzahl von Vorschlägen im Stand der Technik. Einige der bekannten Methoden der Quergeschwindigkeitsschätzung nutzen die direkte Integration des Gradienten der Quergeschwindigkeit, der aus den Sensordaten des Querbeschleunigungssensors und des Gierratensensors sowie dem Längsgeschwindigkeitswert ermittelt wird. Diese Lösung ist jedoch nicht effektiv, da bei der Integration der Drift der Sensorwerte nicht mit einem Filter vollständig kompensiert werden kann.
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In
DE 11 2009 000 955 T5 ist eine Sensordriftgrößen-Schätzeinrichtung offenbart, das die Sensordrift unabhängig von dem Zustand der Fahrzeugbewegung abschätzt. Sie benutzt ein Auswerteverfahren für Sensordaten eines Fahrzeugs, um eine Quergeschwindigkeit aus einer Umrechnung von mehreren Sensordaten des Fahrzeugs unter Berücksichtigung einer Kurvensteifigkeit von Rädern zu ermitteln.
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Die am häufigsten verwendeten Ansätze umfassen die Nutzung empirischer Reifenmodelle, um die Schräglaufsteifigkeit zu berechnen und die Quergeschwindigkeit abzuleiten. Dies ist jedoch aufgrund der Abhängigkeit von Reifenparametern problematisch und somit kein robuster Ansatz.
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DE 10 2008 021 715 A1 beschreibt ein System zum Schätzen von Fahrzeugzuständen für eine Überschlagsvermeidung. Das System gleicht Daten von Beschleunigungs- und Geschwindigkeitssensoren ab und kompensiert diese mittels einer Beobachtungseinrichtung eines erweiterten Kalman-Filters. In das Modell gehen auch Frontlenkungswinkel und Quersteifigkeit der Vorderreifen und Hinterreifen ein.
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Eine andere Methode zur Quergeschwindigkeitsberechnung verwendet einen kinematischen Ansatz mit Gierratensensor, Achslenkwinkelwert und Radschräglaufwinkel. Das Hauptproblem bei diesem Ansatz ist jedoch, dass ein geeignetes Reifenmodell verwendet werden muss, um den Radschräglaufwinkel zu berechnen. Dieses Modell muss dann im Hinblick auf mehrere Reifentypen optimiert werden. Daher ist diese Methode ebenfalls keine robuste Lösung.
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Aus
DE 60 2004 006 049 T2 ist ein integriertes Erfassungssystem für Kraftfahrzeuge bekannt, das ein Fahrzeugsensorsystem umfasst und ein Kraftfahrzeug in Reaktion auf ein vom Sensorsystem erfasstes dynamisches Verhalten steuert. Das Sensor-Array des Kraftfahrzeugs vergleicht Werte mehrerer Geschwindigkeits- und Beschleunigungssensoren, um ihre Werte gegenseitig zu verifizieren und errechnet aus einem tiefpassgefilterten Quergeschwindigkeitssignal, einem Wankwinkelsignal, einem Nickwinkelsignal, einem Giergeschwindigkeitssignal und einem Lenkwinkelsignal ein Referenzgeschwindigkeitssignal, aus der ein dynamisches Steuersignal erzeugt wird.
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Ein weiterer in der Literatur vorgeschlagener Ansatz für die Quergeschwindigkeitsberechnung erfordert die Verwendung eines Fahrzeug-Einspurmodells/Zweispurmodells, um dann durch den Ausgleich die auf das Fahrzeug wirkenden Kräfte in x- und y-Richtung zu berechnen. Darauf basierend können die Radkräfte berechnet, mit diesen Radkräften ein Reifenmodell abhängig vom Radschräglaufwinkel bestimmt und damit die Quergeschwindigkeit ermittelt werden. Dieses Verfahren ist jedoch rechenintensiv und sehr parameterabhängig. Darüber hinaus muss das Verhältnis zwischen der Längskraft und der Querkraft der Reifen bekannt sein, was auch vom Reibwert der Oberfläche abhängig ist.
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Die Hauptnachteile der oben genannten Verfahren bestehen darin, dass sie alle von Parametern abhängig sind, die mit dem Reifentyp des Fahrzeugs variieren. Es wäre wünschenswert, die Quergeschwindigkeit des Fahrzeugs lediglich auf Basis von Daten von Radgeschwindigkeitssensoren, Querbeschleunigungssensor, Drehratensensor und der Fahrzeuglängsgeschwindigkeit zu berechnen.
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Vor diesem Hintergrund wird ein System zur Schätzung der Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs mit den Merkmalen des Anspruchs 1 vorgestellt. Ausführungsformen ergeben sich aus den abhängigen Ansprüchen und der Beschreibung.
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Außerdem wird ein Verfahren zur Schätzung der Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs mit den Merkmalen des Anspruchs 9 vorgestellt. Ausführungsformen ergeben sich aus den abhängigen Ansprüchen und der Beschreibung.
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Die Erfindung ist anhand von Ausführungsformen in den Zeichnungen schematisch dargestellt und wird unter Bezugnahme auf die Zeichnungen schematisch und ausführlich beschrieben. Es zeigt:
- 1 ein Blockschema des erfindungsgemäßen Systems zur Schätzung einer Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs mit Sensoren 1-9 und Recheneinheit 10;
- 2 ein Flussdiagramm einer Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens zur Schätzung einer Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs, in dem die Verfahrensschritte und Datenflüsse illustriert sind.
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Die vorliegende Erfindung betrifft eine Quergeschwindigkeitsschätzung, welche unabhängig von Reifenparametern oder Reifenmodellen ist.
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1 zeigt ein Blockschema mit Sensoren 1 bis 9. Wie im Folgenden ausgeführt wird, ist zumindest ein Teil der Sensoren 1 bis 9 optional, d. h. nur in bestimmten Ausführungsformen von dem erfindungsgemäßen System zur Schätzung der Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs umfasst. Die verbleibenden Sensoren sind demgegenüber stets Teil des erfindungsgemäßen Systems.
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Das erfindungsgemäße System zur Schätzung der Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs, umfasst mindestens einen Radgeschwindigkeitssensor 3 zur Bereitstellung von Radgeschwindigkeiten VRad; mindestens einen Drehratensensor 5, 6, 7 zur Bereitstellung von Drehraten; mindestens einen Querbeschleunigungssensor 2 zur Bereitstellung einer Querbeschleunigung Ay; mindestens einen Fahrgeschwindigkeitssensor 4 zur Bereitstellung einer Längsgeschwindigkeit Vx; und eine Einheit 10 zur Berechnung einer geschätzten Quergeschwindigkeit aus den Sensordaten.
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In einer Ausführungsform umfasst das erfindungsgemäße System auch mindestens einen Längsbeschleunigungssensor 1 zur Bereitstellung einer Längsbeschleunigung Ax.
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In einer weiteren Ausführungsform umfasst das erfindungsgemäße System mindestens einen Neigungssensor 8 zur Bereitstellung eines Wankwinkels Φ des Fahrzeugs. In einer weiteren Ausführungsform umfasst das erfindungsgemäße System mindestens einen Neigungssensor 9 zur Bereitstellung eines Steigungswinkels Θ des Fahrzeugs.
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Das erfindungsgemäße System umfasst mindestens einen Drehratensensor 5, 6, 7 zur Bereitstellung von Drehraten. In einer Ausführungsform des erfindungsgemäßen Systems stellt der mindestens eine Drehratensensor 7 eine Gierrate ү bereit.
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In einer weiteren Ausführungsform des erfindungsgemäßen Systems stellt der mindestens eine Drehratensensor 5 eine Wankrate ωx bereit. Enthält das System einen Neigungssensor 8 zur Bereitstellung eines Wankwinkels Φ des Fahrzeugs, so ist der Drehratensensor 5 zur Bereitstellung der Wankrate ωx entbehrlich.
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In einer weiteren Ausführungsform des erfindungsgemäßen Systems stellt der mindestens eine Drehratensensor 6 eine Nickrate ωy bereit. Enthält das System einen Neigungssensor 9 zur Bereitstellung eines Steigungswinkels Θ des Fahrzeugs, so kann auf den Drehratensensor 6 zur Bereitstellung der Nickrate ωy verzichtet werden.
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In einer Ausführungsform des erfindungsgemäßen Systems stellen Drehratensensoren 5, 6, 7 eine Gierrate ү, eine Nickrate ωy und eine Wankrate ωx bereit. In einer Variante dieser Ausführungsform umfasst das System weder einen Neigungssensor 8 zur Bereitstellung eines Wankwinkels Φ des Fahrzeugs, noch einen Neigungssensor 9 zur Bereitstellung eines Steigungswinkels Θ des Fahrzeugs.
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Das erfindungsgemäße System umfasst mindestens einen Radgeschwindigkeitssensor 3 zur Bereitstellung von Radgeschwindigkeiten VRad. In einer Ausführungsform umfasst das erfindungsgemäße System zwei Radgeschwindigkeitssensoren 3, die die Geschwindigkeiten der Hinterräder des Fahrzeugs VRad1 und VRad2 bereitstellen.
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Das erfindungsgemäße System umfasst mindestens einen Querbeschleunigungssensor 2 zur Bereitstellung einer Querbeschleunigung Ay des Fahrzeugs. In einer Ausführungsform umfasst das erfindungsgemäße System auch mindestens einen Längsbeschleunigungssensor 1 zur Bereitstellung einer Längsbeschleunigung Ax des Fahrzeugs.
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Das erfindungsgemäße System umfasst auch mindestens einen Fahrgeschwindigkeitssensor 4 zur Bereitstellung einer Längsgeschwindigkeit Vx des Fahrzeugs.
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Außerdem umfasst das erfindungsgemäße System eine Einheit 10 zur Berechnung einer geschätzten Quergeschwindigkeit des Fahrzeugs aus den Sensordaten. Diese Einheit 10 ist zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens zur Schätzung der Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs konfiguriert. Das erfindungsgemäße Verfahren besteht, wie in 2 schematisch dargestellt, aus mehreren Schritten:
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Zunächst wird eine wankkompensierte Querbeschleunigung A
y,net aus einem Sensorwert der Querbeschleunigung A
y, der Erdbeschleunigung g und einem Sensorwert der Wankrate ω
x oder einem Sensorwert des Wankwinkels Φ ermittelt gemäß Gleichung 1:
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Der Wankwinkel Φ kann aus der Wankrate ωx mittels Modellierung über einen nichtlinearen Sprung oder durch Integration nach vorhergehender Transformation erhalten werden.
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In einem zweiten Schritt wird die wankkompensierte Querbeschleunigung A
y,net zur Berechnung eines Gradienten der Quergeschwindigkeit V̇
y genutzt. Aus der wankkompensierten Querbeschleunigung A
y,net, einem Sensorwert der Gierrate ү und einem Sensorwert der Längsgeschwindigkeit V
x ergibt sich der Gradient der Quergeschwindigkeit V̇
y gemäß Gleichung 2:
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Parallel wird die Berechnung einer genäherten Quergeschwindigkeit V
y,approx aus mindestens einem Sensorwert der Radgeschwindigkeit V
Rad und einem Sensorwert der Längsgeschwindigkeit V
x durchgeführt gemäß Gleichung 3:
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Wird nur ein Radgeschwindigkeitssensor verwendet, so wird er bevorzugt zur Messung der Radgeschwindigkeit VRad der Hinterachse eingesetzt, da sich dadurch die Berücksichtigung des Lenkwinkels erübrigt. Die Achsgeschwindigkeit Vachs entspricht dann der Radgeschwindigkeit VRad. Enthält das System zwei Sensoren für die Radgeschwindigkeiten VRad1 und VRad2, so werden diese bevorzugt zur Messung der Radgeschwindigkeiten der Hinterräder eingesetzt. Die Achsgeschwindigkeit Vachs ist dann der Mittelwert der Radgeschwindigkeiten der beiden Hinterräder.
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Gleichung 3 braucht nur angenähert zu sein, weil diese Gleichung verwendet wird, um die Genauigkeit der Quergeschwindigkeit zu erhalten. Aber diese Näherung allein ist noch nicht ausreichend, um die Quergeschwindigkeit zu schätzen, da sie die Dynamik der Quergeschwindigkeit nicht abbildet.
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Da es auch eine Radinstabilitäts-Komponente (Längsschlupf) in der Achsgeschwindigkeit gibt, muss diese entweder ausgefiltert werden oder bei der Berechnung der Quergeschwindigkeit muss die Dynamik, welche in der Sensorgleichung (Gleichung 2) abgebildet ist, richtig begrenzt werden. Das bedeutet:
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Hierzu wird ein echter Gradient der Quergeschwindigkeit V̇
y,echt aus dem Gradienten der Quergeschwindigkeit V̇
y und dem Gradienten der angenäherten Quergeschwindigkeit V̇
y,approx berechnet gemäß Gleichung 5:
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Damit lässt sich eine erste geschätzte Quergeschwindigkeit V
y‘ aus der angenäherten Quergeschwindigkeit V
y,approx, dem echten Gradienten der Quergeschwindigkeit V̇
y,echt und der Laufzeit dT errechnen gemäß Gleichung 6:
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Diese Schätzung der Quergeschwindigkeit ist ausreichend genau für Driftsituationen bis 70 Grad Schwimmwinkel. Für Fahrmanöver in anderen Situationen, wie z.B. Drift am Berg, ist zusätzlich eine Kompensation der Längsbeschleunigung erforderlich, um eine höhere Genauigkeit zu erhalten. Daher umfasst das erfindungsgemäße Verfahren in einer Ausführungsform einen Schritt zur Kompensation der Längsbeschleunigung und der Neigung in y-Richtung zur Berechnung einer zweiten geschätzten Quergeschwindigkeit Vy,net.
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Es gilt
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Hierin bedeuten
- Vy‘ =
- erste geschätzte Quergeschwindigkeit
- Ax =
- Längsbeschleunigung
- Θ =
- Steigung oder Drehung in die Y-Richtung
- V̇x =
- Ableitung der Längsgeschwindigkeit
- δVy =
- Tatsächlicher Fehler der Quergeschwindigkeit
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Der tatsächliche Fehler der Quergeschwindigkeit δV
y ergibt sich zu:
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Daher gilt auch für die zweite geschätzte Quergeschwindigkeit V
y,net:
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In dieser Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens wird somit die zweite geschätzte Quergeschwindigkeit Vy,net ermittelt gemäß Gleichung 9 aus der ersten geschätzten Quergeschwindigkeit Vy‘, einem Sensorwert der Längsbeschleunigung Ax, einem Sensorwert der Gierrate ү, einem Gradienten eines Sensorwerts der Längsgeschwindigkeit V̇x, der Erdbeschleunigung g und einem Sensorwert der Nickrate ωy oder einem Sensorwert des Steigungswinkels Θ.
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Der Steigungswinkel Θ kann aus der Nickrate ωy mittels Modellierung über einen nichtlinearen Sprung oder durch Integration nach vorhergehender Transformation erhalten werden.
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Das erfindungsgemäße Verfahren verwendet eine vy-Annäherungsmethode und eine vy-Gradientenbegrenzung. Die Genauigkeit der Bestimmung von vy ist abhängig von der Annäherungsmethode. Der Schwerpunkt der Erfindung liegt auf der Gradientenbegrenzung, welche die Systemdynamik erhält.
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Das erfindungsgemäße Verfahren beseitigt die Nachteile der oben diskutierten Methoden ohne irgendwelche Parameter zu benötigen, stellt also eine robuste Lösung zur Schätzung der Quergeschwindigkeit eines Fahrzeugs dar. Insbesondere wird, anders als bei der oben diskutierten Sensorintegrationsmethode, der Drift der Integration mit der Gradientenbegrenzung vollständig vermieden.
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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- DE 112009000955 T5 [0004]
- DE 102008021715 A1 [0006]
- DE 602004006049 T2 [0008]