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Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur Fertigung komplexer Erzeugnisse, insbesondere von Kraftfahrzeugen.
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Abhängig vom Typ des gefertigten Fahrzeugs sowie der geforderten Stückzahl weist ein Fertigungsprozess im Automobilbau üblicherweise einen hohen Automatisierungsgrad auf. Dieser wird nach dem Stand der Technik zumeist durch eine Linienfertigung erreicht. Dabei durchläuft das unfertige Fahrzeug zahlreiche Stationen, an denen einige wenige Arbeitsschritte ausgeführt werden, die das Fahrzeug weiter vervollständigen. Dafür wird der Produktionsprozess herkömmlicherweise so organisiert, dass möglichst viele Fahrzeugvarianten ohne Unterbrechung in einer Produktionsanlage oder an einem Montageband hergestellt werden können.
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Für Punktanwendungen wie das Bolzenschweißen, das im Rahmen der Fahrzeugfertigung etwa im Karosseriebau zum Einsatz kommt, werden dabei sogenannte Handhabungseinrichtungen genutzt, auch bekannt als Handlingsysteme, Handlingmodule oder Balancer. Diese Einrichtungen positionieren die zu bearbeitende Baugruppe derart, dass deren Arbeitspunkte, im Falle einer Fahrzeugkarosserie etwa die am Blech zu verschweißenden Bolzen, einem für den jeweiligen Arbeitsschritt vorgesehenen Werkzeug zugänglich gemacht werden.
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Nachteilig ist die eingeschränkte Beweglichkeit solcher aus dem Stand der Technik bekannter Einrichtungen. Üblich sind insbesondere Drehrahmen mit lediglich ein bis zwei Freiheitsgraden, wobei sich das Werkstück etwa in einer Richtung bewegen sowie in einer Ebene drehen lässt. Dieser Mangel an Flexibilität reduziert die Zugänglichkeit der lokalen Arbeitsstellen, insbesondere von Schweißstellen, und bedingt eine Erhöhung des Zerlegungsgrads und die dadurch erforderliche Einbindung zusätzlicher Arbeitsstationen in den Materialfluss. Die starre Geometrie der beschriebenen konventionellen Einrichtungen stellt zudem hohe Anforderungen an die Produktionsumgebung, insbesondere an den Flächenbedarf der Arbeitsstation sowie die Deckenhöhe der Fertigungshalle.
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Aus der
DE 20 2004 017 881 U1 ist eine Handhabungseinrichtung zum mehrachsigen Handhaben und Führen von Werkstücken, insbesondere Karosseriebaugruppen, bekannt. Eine solche Einrichtung weist mehrere mehrachsig bewegbare Manipulatoren auf. Diese Manipulatoren vermögen – gemeinsam und in aufeinander abgestimmten Bewegungen – eine Trageinrichtung samt eines darauf befindlichen Werkstücks zu handhaben und zu führen. Aus der
DE 103 54 079 B4 ist ein Fertigungsverfahren bekannt, bei dem eine an einem Bauteil vormontierte Verschraubung mittels eines programmierten Industrierobotersystems festgezogen wird. Dieses System umfasst einen ersten Industrieroboter mit einem Schraubkopf sowie einen zweiten Industrieroboter mit einem Gegenhaltekopf. Beide Industrieroboter werden derart angesteuert, dass sie in aufeinander abgestimmten Relativbewegungen Schraub- und Gegenhaltekopf formschlüssig verbinden, die Verschraubung anziehen und schließlich die Köpfe wieder voneinander trennen.
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Die vorliegende Erfindung beschäftigt sich mit dem Problem, für die Fertigung komplexer Erzeugnisse ein verbessertes Verfahren anzugeben, das sich insbesondere durch eine gute Zugänglichkeit von Arbeitsstellen auszeichnet.
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Dieses Problem wird erfindungsgemäß durch den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gelöst. Vorteilhafte Ausführungsformen sind Gegenstand der abhängigen Ansprüche.
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Die Erfindung beruht auf dem allgemeinen Gedanken, die herkömmliche Handhabungseinrichtung durch kooperierende Industrieroboter zu ersetzen. Derartige Roboter erlauben eine Bewegung in drei voneinander unabhängige Richtungen und Drehung in drei voneinander unabhängigen Ebenen und ermöglichen so eine beliebige Positionierung selbst von schweren und sperrigen Werkstücken wie Karosseriebaugruppen. Dabei können die wenigstens zwei kooperierenden Industrieroboter vorzugsweise jeweils mit einem eigenen Greifsystem arbeiten, die entsprechend koordiniert werden, um das jeweilige Werkstück gemeinsam greifen und positionieren zu können. Die Verwendung separater Greifsysteme ermöglicht viel Freiraum zwischen den Greifsystemen, der einem Werkzeug für eine verbesserte Zugänglichkeit von Arbeitsstellen zur Verfügung steht. Ein erfindungsgemäßes Fertigungsverfahren gestattet daher einen hohen Automatisierungsgrad: Anstatt das an einer Station eingesetzte Werkzeug zum Werkstück zu führen, können Werkstück und Werkzeug unabhängig voneinander positioniert und relativ zueinander beliebig ausgerichtet werden, wodurch nahezu jede beliebige Arbeitsstelle des Werkstücks für das Werkzeug zugänglich wird. In der Folge kann der Zerlegungsgrad reduziert werden, was die Fertigung von Erzeugnissen erhöhter Komplexität vereinfacht. Ein solches System kooperierender Industrieroboter kann auch als KIR-System bezeichnet werden.
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Ein erfindungsgemäßes Verfahren weist zudem einen gegenüber den konventionellen Verfahren verringerten Flächenbedarf auf. Schließlich verhilft die kurze Rüstzeit moderner Industrieroboter dem Fertigungsprozess zu einer hohen Typflexibilität, die eine nutzbringende Anwendung des Verfahrens selbst bei Kleinserien, bei der Herstellung nach Kundenauftrag („build-to-order”) oder im Rahmen individualisierter Massenfertigung („mass customization”) sinnvoll erscheinen lässt.
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Besonders vorteilhaft ist eine Ausführungsform, bei der die Punktanwendung einen Schweißvorgang umfasst, der mittels des weiteren Industrieroboters an dem Werkstück durchgeführt wird. Auf diese Weise lassen sich zwei oder mehr Bauteile des Werkstücks durch einen Schweißpunkt oder eine Schweißnaht stoffschlüssig miteinander verbinden. Der Schweißvorgang kann auch dazu genutzt werden, das Werkstück mit einem Auftragwerkstoff zu beschichten.
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Gemäß einer anderen vorteilhaften Ausführungsform kann der weitere Industrieroboter in Richtung eines vorgegebenen Arbeitspunkts des Werkstücks bewegt werden, während dieses zugleich mittels der kooperierenden Industrieroboter in die vorgegebene Pose verbracht wird. Die Kinematik sämtlicher an der Arbeitsstation eingesetzter Industrieroboter lässt sich so effizienter nutzen. In der Linienfertigung wiederum erlaubt eine solche Effizienzsteigerung eine potenzielle Verkürzung des Montage-Takts, die eine verringerte Durchlaufzeit und damit verbundene Produktivitätssteigerung bedingen kann.
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Eine andere Ausführungsform kann zur Anwendung gelangen, wenn es sich bei dem Werkstück um eine Karosserie mit einem Vorderachsbereich und einem Hinterachsbereich handelt. Bei dieser Ausführungsform kommen zwei unterschiedliche Greifsysteme zur Anwendung, die gemeinsam die Karosserie aufnehmen, indem das eine Greifsystem den Vorderachsbereich und das andere Greifsystem den Hinterachsbereich der Karosserie ergreift. Diese spezifische Zuordnung unterschiedlicher Greifsysteme erlaubt eine Optimierung der einzelnen Systeme im Hinblick auf Geometrie und Materialbeschaffenheit der zu greifenden Achsbereiche. Die derart verbesserte Wirkpaarung zwischen Achsbereich und jeweiligem Greifer gestattet zudem in vorteilhafter Weise eine Verringerung der auf die Achsbereiche wirkenden Klemmkräfte.
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Weitere wichtige Merkmale und Vorteile der Erfindung ergeben sich aus den Unteransprüchen, aus den Zeichnungen und aus der zugehörigen Figurenbeschreibung anhand der Zeichnungen.
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Es versteht sich, dass die vorstehend genannten und die nachstehend noch zu erläuternden Merkmale nicht nur in der jeweils angegebenen Kombination, sondern auch in anderen Kombinationen oder in Alleinstellung verwendbar sind, ohne den Rahmen der vorliegenden Erfindung zu verlassen.
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Bevorzugte Ausführungsbeispiele der Erfindung sind in den Zeichnungen dargestellt und werden in der nachfolgenden Beschreibung näher erläutert.
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1 zeigt eine Handhabungseinrichtung nach dem Stand der Technik.
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2 zeigt in Seitenansicht den Betrieb einer Arbeitsstation im Rahmen eines erfindungsgemäßen Fertigungsverfahrens.
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3 zeigt eine Anordnung von vier zur Anwendung eines erfindungsgemäßen Verfahrens ausgerüsteten Industrierobotern.
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4 zeigt ein für das erfindungsgemäße Verfahren angepasstes Greifsystem.
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5 zeigt ein alternatives für das erfindungsgemäße Verfahren angepasstes Greifsystem.
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6 zeigt die Verwendung der Greifsysteme gemäß den 4 und 5 zum Greifen der Bodengruppe einer Fahrzeugkarosserie.
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1 zeigt die perspektivische Darstellung einer Handhabungseinrichtung 100 nach dem Stand der Technik. Diese Einrichtung umfasst zwei Manipulatoren 101, 102, die gemeinsam einen Drehrahmen 103 zur Lagerung eines Werkstücks tragen. Eine Längsverstrebung 104 dient zur Versteifung der Konstruktion.
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2 zeigt eine Arbeitsstation 200, die im Rahmen eines erfindungsgemäßen Verfahrens zur Automobilherstellung als Teil einer Fertigungslinie betrieben wird. Zu bearbeitendes Werkstück ist dabei eine Rohkarosserie 201, deren gepresste Blechteile 202 bereits teilweise zusammengefügt sind, etwa mittels Punktschweißen, Bahnschweißen oder Druckfügen. Anstelle einer herkömmlichen Handhabungseinrichtung, wie sie in 1 gezeigt ist, umfasst die Arbeitsstation 200 gemäß 2 zwei kooperierende Industrieroboter 203, 204. Als Industrieroboter (IR) ist dabei im Rahmen dieser Patentanmeldung jede programmierbare Maschine zur Handhabung, Montage oder Bearbeitung von Werkstücken zu verstehen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder Konfiguration für den Einsatz im industriellen Umfeld geeignet ist. Jeder der Industrieroboter 203, 204 umfasst eine Basis 205, 206, einen als Gelenkarm ausgeführten, mit der jeweiligen Basis 205, 206 verbundenen Manipulator 207, 208, der die physikalische Interaktion mit der Umgebung, also die mechanische Arbeit des jeweiligen Roboters 203, 204 durchführt. Als Arbeitsorgan umfasst jeder Roboter ein – in 2 lediglich schematisch dargestelltes – Lagerungs- oder Greifsystem 209, 210, das in der Funktion eines Effektors den zugehörigen Manipulator 207, 208 lösbar mit der Karosserie 201 verbindet.
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Nicht in 2 dargestellt sind Steuerung und optionale Sensorik der Industrieroboter 203, 204. Diese ermöglichen gemeinsam mit den genannten Bauteilen 205–210 ein Zusammenwirken der Roboter 203, 204 zum Zwecke der Handhabung der Karosserie 201. Als Handhabung ist – gemäß dem Sprachgebrauch der Automatisierungstechnik – dabei die Schaffung oder Aufrechterhaltung einer definierten Pose, also Position und Orientierung der Karossiere 201 zu verstehen. Die Positionsangabe erfolgt dabei üblicherweise relativ zu einem kartesischen Koordinatensystem, insbesondere dem dreidimensionalen Karosserie- oder Werkstückkoordinatensystem. Mit diesen Mitteln lässt sich die Bewegung der Roboter 203, 204 derart koordinieren, dass durch eine gleichmäßige Beabstandung ihrer Lagerungs- oder Greifsysteme 209, 210 eine virtuelle Verbindung entsteht, die die mechanische Längsverstrebung 104 der konventionellen Handhabungseinrichtung 100 gemäß 1 ersetzt. Zwischen den beiden Lagerungs- oder Greifsystemen 209, 210 liegende Arbeitspunkte werden so nicht verdeckt, sondern bleiben der Bearbeitung frei zugänglich.
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3 zeigt in einer Draufsicht eine Anordnung 300 von vier zur Anwendung eines erfindungsgemäßen Verfahrens ausgerüsteten Industrierobotern 301, 302, 303, 304. Dabei entsprechen die kooperierenden Roboter 303, 304 den Robotern der 2 und weisen ebenfalls je eine Basis 305, 306, einen Manipulator 307, 308 und ein Greifsystem 309, 310 auf. Analog den Ausführungen zu 2 wirken auch die Roboter 303, 304 der 3 in der Weise zusammen, dass sie gemeinsam eine Handhabungseinrichtung für Fahrzeugkarosserien bilden.
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Zwei weitere Industrieroboter 301, 302 sind zur Maximierung ihres Arbeitsradius vorzugsweise in ein Schienensystem 311 der Fertigungslinie eingehängt. Im Gegensatz zu den als Handhabungseinrichtung kooperierenden Robotern 303, 304 sind die weiteren Roboter 301, 302 als Schweißroboter konfiguriert und weisen in der Funktion des Effektors je eine Bolzenschweißpistole 312, 313 auf, die etwa das Anfügen bolzenförmiger Elemente an ein von den Robotern 303, 304 gehaltenes Karosserieblech erlaubt. Es versteht sich, dass die weiteren Roboter 301, 302 im Rahmen eines erfindungsgemäßen Fertigungsverfahrens an Stelle der Bolzenschweißpistolen 312, 313 mit Effektoren für andere Punktanwendungen wie Punktschweißen, Bahnschweißen, Widerstandsschweißen, Laserstrahlschweißen oder Druckfügen ausgerüstet werden können. Ebenso ließe sich an Stelle zweier Roboter 301, 302 ein einzelner Schweiß- oder Fügeroboter einsetzen, ohne den Rahmen der Erfindung zu verlassen.
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4 und 5 zeigen in perspektivischer Darstellung zwei für das erfindungsgemäße Verfahren angepasste mechanische Greifsysteme 400, 500 für Industrieroboter. In entsprechender Weise können pneumatische, magnetische oder adhäsive Greifsysteme oder Hybridsysteme, die auf einer Kombination der genannten Wirkungen beruhen, im Rahmen der Erfindung zum Einsatz kommen. Vorteilhafterweise sind für ein erfindungsgemäßes Fertigungsverfahren genutzten Industrieroboter zu diesem Zweck mit einem Werkzeugschnellwechselsystem, auch bekannt als Werkzeugwechsler, ausgestattet. Unter diesem Begriff ist im vorliegenden Zusammenhang jede Vorrichtung zu verstehen, die den programmgesteuerten Wechsel des Werkzeugs eines Industrieroboters erlaubt, etwa mittels einer geeigneten Wechselkupplung zur Verbindung des Manipulators mit verschiedenartigen Effektoren. Die Verwendung eines derartigen Werkzeugwechslers ermöglicht als zusätzlichen Vorteil die Verringerung der zum Betrieb der jeweiligen Arbeitsstation erforderlichen Rüstzeit, da die kooperierenden Industrieroboter – etwa beim Typwechsel des zu bearbeitenden Werkstücks – nicht manuell mit neuem Werkzeug bestückt werden müssen. Im Rahmen der Fahrzeugfertigung kommt dieser Vorteil besonders im Fall von Kleinserien zum Tragen, die eine hohe Typflexibilität erfordern.
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6 schließlich zeigt in Seitenansicht die Verwendung der Greifsysteme 400, 500 zum Greifen einer Bodengruppe 601, also des unteren Teils einer selbsttragenden Karosserie. Ein erfindungsgemäßes Verfahren könnte etwa dazu dienen, Bauteile wie Achsen, Auspuffanlage oder Antriebsstrang an geeigneten Fixationspunkten der Bodengruppe 601 anzuschweißen.
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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- DE 202004017881 U1 [0005]
- DE 10354079 B4 [0005]