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Die Erfindung betrifft ein Verfahren sowie eine Baugruppe zur Bestimmung des Neigungswinkels eines Motorrades. Ferner betrifft die Erfindung ein Fahrassistenzsystem für ein Motorrad.
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Für die Steuerung von Fahrassistenzsystemen oder Sicherheitseinrichtungen eines Motorrades, beispielsweise einer dynamische Traktionskontrolle, ist neben Informationen über die Geschwindigkeit oder die Beschleunigung des Motorrades auch der Neigungswinkel des Motorrades um die Längsachse, der sogenannte Rollwinkel, erforderlich. So kann beispielsweise bei bekanntem Neigungswinkel mit einem Kurvenlicht eine wesentlich bessere Ausleuchtung der Fahrbahn erzielt werden.
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Bei einem bekannten Verfahren wird zur Bestimmung dieses Neigungswinkels ein Sensor verwendet, der die Neigungsrate um die Längsachse des Motorrades, die sogenannte Rollrate, misst. Über die Integration der Neigungsrate kann der aktuelle Neigungswinkel bestimmt werden. Nachteilig an diesen Messverfahren ist aber, dass auch Messfehler mit integriert werden, wodurch die Bestimmung des Neigungswinkels ungenau wird.
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Bei einem anderen bekannten Verfahren wird bei einer konstanten Kurvenfahrt die Querbeschleunigung im Schwerpunkt des Motorrades gemessen und der Neigungswinkel des Motorrades über das Momentengleichgewicht der Querkraft und der Gewichtskraft um den Aufstandspunkt des Motorrades im Schwerpunkt bestimmt.
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Bei niedrigen Geschwindigkeiten oder kleinen Kurvenradien, beispielsweise bei einem Abbiegevorgang, ist der Neigungswinkel aber nicht proportional zur gemessenen Querkraft, sodass der berechnete Neigungswinkel stark vom tatsächlichen Neigungswinkel abweicht.
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Aufgabe der Erfindung ist es, ein Verfahren sowie eine Baugruppe zur Bestimmung des Neigungswinkels eines Motorrades bereitzustellen, das eine verbesserte Bestimmung des Neigungswinkels ermöglicht. Aufgabe der Erfindung ist es ferner, ein Fahrassistenzsystem mit einer solchen Baugruppe bereitzustellen.
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Zur Lösung der Aufgabe ist ein Verfahren zur Bestimmung des Neigungswinkels eines Motorrades mit folgenden Schritten vorgesehen:
die Gierrate, der Winkel der Abweichung der Fahrzeuglängsachse von der Bewegungsrichtung des Motorrades sowie der Lenkwinkel und die Geschwindigkeit des Vorderrades werden ermittelt,
die Längsgeschwindigkeit des Motorrades wird aus dem Lenkwinkel, dem Winkel der Abweichung der Fahrzeuglängsachse von der Bewegungsrichtung sowie der Geschwindigkeit des Vorderrades ermittelt,
die Querbeschleunigung quer zur Fahrzeuglängsachse wird aus der Gierrate sowie der Längsgeschwindigkeit des Motorrades bestimmt, und
der Neigungswinkel wird auf Basis eines Momentengleichgewichts der Querkraft und der Gewichtskraft im Schwerpunkt um den Schnittpunkt der Vertikalen des Motorrades durch den Schwerpunkt mit der Fahrbahn bestimmt.
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Über die bisher verwendeten Sensoren kann die für eine genaue Bestimmung des Neigungswinkels benötigte horizontale Querbeschleunigung quer zur Fahrzeuglängsachse nicht oder nur mit großem technischen Aufwand bestimmt werden, da sich das Motorrad bei bestimmten Fahrzuständen, beispielsweise bei einer langsamen Kurvenfahrt oder kleinen Kurvenradien, stark zum Kurvenmittelpunkt neigt und zudem die Fahrzeuglängsachse von der tatsächlichen Bewegungsrichtung des Motorrades abweicht. Durch das erfindungsgemäße Verfahren ist eine genaue Bestimmung des Neigungswinkels möglich, so dass beispielsweise eine exaktere Einstellung von Fahrassistenzsystemen möglich ist. Die Ermittlung des Neigungswinkels erfolgt über Sensoren, die bereits in Motorrädern verbaut werden, so dass keine zusätzlichen Sensoren erforderlich sind.
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Aus dem Winkel der Abweichung der Fahrzeuglängsachse von der Bewegungsrichtung des Motorrades und dem Lenkwinkel kann beispielsweise in einem Zwischenschritt der Schräglaufwinkel des Vorderrades ermittelt werden und anschließend aus dem Schräglaufwinkel des Vorderrades sowie der Geschwindigkeit des Vorderrades die Längsgeschwindigkeit des Motorrades ermittelt werden.
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Die Ermittlung der Geschwindigkeit des Motorrades kann beispielsweise über einen Raddrehzahlsensor oder über eine andere bekannte Messmethode erfolgen.
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Zur Lösung der Aufgabe ist des Weiteren eine Baugruppe zur Bestimmung des Neigungswinkels eines Motorrades vorgesehen, mit einem Sensor zur Bestimmung des Winkels der Abweichung der Fahrzeuglängsachse von der Bewegungsrichtung des Motorrades, einem Sensor zur Bestimmung einer Lageveränderung um die Vertikalachse, einem Sensor zur Bestimmung des Lenkwinkels, sowie einem Sensor zur Ermittlung der Radgeschwindigkeit des Vorderrades und einer Auswerteeinheit zur Durchführung eines erfindungsgemäßen Verfahrens.
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Erfindungsgemäß ist des Weiteren ein Fahrassistenzsystem vorgesehen, das eine erfindungsgemäße Baugruppe aufweist und einen Aktuator (z. B. Motor, Pumpe oder Ventil) zum Einstellen des Fahrassistenzsystems.
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Das Fahrassistenzsystem ist beispielsweise eine aktive Traktionskontrolle oder ein Kurvenlicht.
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Weitere Vorteile und Merkmale finden sich in der nachfolgenden Beschreibung in Verbindung mit den beigefügten Zeichnungen. In diesen zeigen:
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1 eine schematische Darstellung der im Schwerpunkt des Motorrades wirkenden Kräfte bei einer Kurvenfahrt in einer Ansicht des Motorrads von hinten,
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2 eine schematische Darstellung eines Motorrades bei einer langsamen Kurvenfahrt in Draufsicht,
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3 eine Darstellung der auf das Motorrad wirkenden Kräfte bezogen auf den Kurvenmittelpunkt in Draufsicht,
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4 eine Darstellung der Geschwindigkeitsvektoren am Vorderrad des Motorrades aus 1, und
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5 eine schematische Darstellung der erfindungsgemäßen Baugruppe und des erfindungsgemäßen Fahrassistenzsystems.
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In 1 sind die im Schwerpunkt 10 eines schematisch dargestellten Motorrades 11 wirkenden Kräfte bei einer Kurvenfahrt um einen Kurvenmittelpunkt 12 dargestellt. Im Schwerpunkt 10 wirken zum einen die Gewichtskraft M sowie die parallel zur Fahrbahn, also bezüglich des Kurvenmittelpunktes 12 radial wirkende Querkraft A.
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Unter dem Begriff „Schwerpunkt des Motorrads” ist der Schwerpunkt des Motorrads inklusive seines Gepäcks sowie der darauf sitzenden Person oder Personen zu verstehen.
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Das Motorrad 11 neigt sich bei einer Kurvenfahrt um einen Winkel γ aus der Senkrechten so weit in Richtung zum Kurvenmittelpunkt 12, bis ein Momentengleichgewicht der Querkraft A und der Gewichtskraft M um den Schnittpunkt 14 hergestellt ist, wobei der Schnittpunkt 14 der Schnittpunkt der Vertikalachse 16 des Motorrades 11 durch den Schwerpunkt 10 mit der Fahrbahn 19 ist. Die Querkraft A ist zum einen vom Radius r sowie von der gefahrenen Geschwindigkeit des Motorrades 11 abhängig.
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Bei bekannter Querbeschleunigung a und bekannter Masse m des Motorrades 11 kann die Querkraft A bestimmt werden: A = a·m.
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Die im Schwerpunkt 10 wirkende Gewichtskraft M berechnet sich aus: M = m·g, wobei g die Erdbeschleunigung ist.
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Der Neigungswinkels γ wird über ein Momentengleichgewicht der Gewichtskraft M und der Querkraft A um den Schnittpunkt 14 der Vertikalachse 16 des Motorrades 11 durch den Schwerpunkt 10 mit der Fahrbahn 19 berechnet. Die Anteile der Querkraft A und der Gewichtskraft M berechnen sich aus: Aquer = m·a·cosγ. Mquer = m·g·sinγ.
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Aus dem Momentengleichgewicht m·a·cosγ·x = m·g·sinγ·x kann der Neigungswinkel γ des Motorrades 11 bestimmt werden. Die Masse m und der Hebelarm x kürzen sich heraus, so dass zur Ermittlung des Winkels γ lediglich die Querbeschleunigung a und die Erdbeschleunigung g erforderlich sind.
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In 2 ist in Draufsicht schematisch die Position eines Motorrades 11 während einer Kurvenfahrt um den Kurvenmittelpunkt 12 dargestellt. Der Kurvenradius r ist hier bezogen auf den Schnittpunkt 14 im Schwerpunkt 10 des Motorrades 11. Die Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11 bzw. des Schwerpunktes 10 des Motorrades 11 verläuft im Wesentlichen senkrecht zum Kurvenradius r.
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Wie in 2 zu sehen ist, weicht die Fahrzeuglängsachse 28 von der Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11 um einen Winkel β ab. Die Längsrichtung des Hinterrades 23 weist im Wesentlichen in Richtung der Fahrzeuglängsachse 28, die Längsrichtung des Vorderrades 21 ist um den Lenkwinkel δ zu dieser verdreht.
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Bei schneller Kurvenfahrt wandert der Schwerpunkt 10 aufgrund der Schräglage des Motorrads natürlich zum Kurvenmittelpunkt 12.
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Der Kurvenradius 24 des Vorderrades 21 um den Kurvenmittelpunkt 12 ist somit größer als der Kurvenradius r des Schwerpunktes 10 des Motorrades 11. Der Kurvenradius 26 des Hinterrades 23 ist kleiner als der Radius r.
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Die Bewegungsrichtungen 22, 25 des Hinterrades 23 bzw. des Vorderrades 21 weichen aufgrund der Kurvenfahrt um einen Schräglaufwinkel Winkel αH bzw. αV von der den Längsachsen durch die Aufstandslinien des Vorderrades bzw. des Hinterrades ab.
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Bei hohen Geschwindigkeiten und großen Kurvenradien ist der Winkel β der Abweichung der Fahrzeuglängsachse 28 von der Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11 relativ klein.
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Bei kleinen Geschwindigkeiten weicht die Fahrzeuglängsachse 28 aber so stark von der tatsächlichen Bewegungsrichtung 20 ab, dass die tatsächliche Querbeschleunigung a des Motorrades 11 stark von der gemessenen Querbeschleunigung amess abweicht. Dies ist in 3 dargestellt.
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Zudem ist es für eine genaue Bestimmung des Neigungswinkels γ erforderlich, die horizontale Querkraft A bzw. die horizontale Querbeschleunigung a, also im Wesentlichen parallel zur Fahrbahn zu ermitteln. Aufgrund des Neigungswinkel γ können diese aber nicht exakt ermittelt werden.
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Für Fahrassistenzsysteme, beispielsweise ein Kurvenlicht ist aber der tatsächliche Neigungswinkel γ erforderlich. Dieser kann aber nur über ein Momentengleichgewicht quer zur Fahrzeuglängsachse ermittelt werden, für die die Querkraft A bzw. die Querbeschleunigung a quer zur Fahrzeuglängsachse erforderlich ist.
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Eine Ermittlung des Neigungswinkels γ über eine gemessene Querbeschleunigung amess ist also nicht möglich.
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Eine erfindungsgemäße Baugruppe 30 zur Bestimmung des Neigungswinkels γ ist in 5 dargestellt. Die Baugruppe 30 ist Teil eines Fahrassistenzsystems 32, das ein Kurvenlicht 34 mit einem motorisch verstellbaren Scheinwerfer 35 aufweist.
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Die Baugruppe 30 hat einen Sensor 36 zur Bestimmung des Winkels β der Abweichung der Fahrzeuglängsachse 28 von der Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11, einen Sensor 38 zur Bestimmung einer Lageveränderung um die Vertikalachse, der sogenannten Gierrate φ ., einen Sensor 40 zur Bestimmung des Lenkwinkels δ, sowie einen Sensor 42 zur Ermittlung der Radgeschwindigkeit vV des Vorderrades 21. Des Weiteren ist eine Auswerteeinheit 44 vorgesehen. Das Kurvenlicht 34 weist zudem einen Motor 46 zur Verstellung des Scheinwerfers 35 auf.
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Zur Ermittlung der horizontalen Querbeschleunigung a quer zur Fahrzeuglängsachse wird die Gierrate φ . über den Sensor 38 bestimmt. Des Weiteren werden der Lenkwinkel δ, die Radgeschwindigkeit vV des Vorderrades 21 sowie der Winkel β der Abweichung der Fahrzeuglängsachse 28 von der Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11 bestimmt (siehe auch 4).
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In einem ersten Verfahrensschritt wird der Schräglaufwinkel αV aus dem Lenkwinkel δ, dem Abstand lV des Schwerpunktes 10 vom Aufstandspunkt des Vorderrades 21, der Gierrate φ . sowie dem Winkel β der Abweichung der Fahrzeuglängsachse 28 von der Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11 in der Auswerteeinheit 44 ermittelt: αv = δ – (lv·φ .)/v + β.
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Die Schräglaufwinkel αV bzw. αH sowie der Winkel β der Abweichung der Fahrzeuglängsachse 28 von der Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11 sind so klein, dass für die Berechnung der Längsgeschwindigkeit vX des Motorrades 11 folgende Kleinwinkelnäherung möglich ist: vX = (1 – δ·αV)·vR.
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Die Längsgeschwindigkeit vX des Motorrades 11 berechnet sich nach folgender Formel aus dem gemessenen Lenkwinkel δ sowie dem Schräglaufwinkel αV und der am Vorderrad 21 gemessenen Geschwindigkeit vR: v = cos(δ – αV)·vR/cos(αV).
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Die Gesamtgeschwindigkeit v des Vorderrades
21 berechnet sich aus:
wobei v
y die Quergeschwindigkeit des Vorderrades
21 ist.
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Die Quergeschwindigkeit vy ist vom Winkel β der Abweichung der Fahrzeuglängsachse 28 von der Bewegungsrichtung 20 des Motorrades 11 abhängig, wobei unter Berücksichtigung der Kleinwinkelnäherung gilt: vY = β·vX, so dass aus der Quergeschwindigkeit vY und dem Winkel β die Längsgeschwindigkeit vX berechnet werden kann.
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Die horizontale Querbeschleunigung a berechnet sich aus der Gierrate φ . nach folgender Formel: a = vX·φ ./cosγ, wobei vX die Längsgeschwindigkeit des Motorrades 11, also die Geschwindigkeit in Richtung der Fahrzeuglängsachse 28, ist (siehe 4).
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Die Fahrzeuglängsachse 28 des Motorrades 11 weicht von der tatsächlichen Bewegungsrichtung 20 um den Winkel β ab. Dieser Winkel β wird durch den Sensor 36 ermittelt. Ist der Winkel β bekannt, kann die Längsgeschwindigkeit vX entsprechend korrigiert werden, so dass die horizontale Querbeschleunigung a wesentlich genauer ermittelt werden kann.
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Werden diese Gleichungen in das Momentengleichgewicht eingesetzt, ergibt sich: m·(vX·φ ./cosγ)·cosγ·x = m·g·sinγ·x.
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Die Masse m, der Hebelarm x sowie cosγ kürzen sich heraus, so dass der Neigungswinkel γ aus bekannten Werten ermittelt werden kann: vX·φ . = ·g·sinγ.
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Durch diese Berechnung steht ein wesentlich exakterer Wert der Querkraft A bzw. der Querbeschleunigung a zur Berechnung des Neigungswinkels γ zur Verfügung, beispielsweise zur Verwendung in einem Fahrassistenzsystem um einen Aktuator aktiv zu verstellen und das System an den Neigungswinkel anzupassen. Ein solches Fahrassistenzsystem kann beispielsweise eine Traktionskontrolle oder ein Kurvenlicht 34 sein, für die eine genaue Bestimmung des Neigungswinkels des Motorrades erforderlich ist.
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Über den Aktuator, hier den Motor 46 kann der Scheinwerfer 35 des Kurvenlichts so bewegt bzw. an den Neigungswinkel γ angepasst werden, dass eine bessere Ausleuchtung der Fahrbahn 19 möglich ist.
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Der Neigungswinkel γ kann zusätzlich über ein bekanntes Verfahren, beispielsweise die Messung und Integration der Neigungsrate bestimmt werden. Durch einen Abgleich der beiden ermittelten Werte und ein Herausfiltern von zu hohen oder zu niedrigen Werten ist eine weitere Verbesserung der Neigungswinkelbestimmung möglich.