Steuervorrichtung und Verfahren zum Auslösen eines Schutzmittels zum Überrollschutz für Kraftfahrzeuge
Die Erfindung betrifft eine Steuervorrichtung zumindest eines Schutzmittels zum Überroll-Insassenschutz für ein Kraftfahrzeug und ein Verfahren zur Auslösung eines Schutzmittels zum Überroll-Insassenschutz für ein Kraftfahrzeug.
Die Erfindung betrifft auch ein Rückhaltesystem zum Schutz von Insassen eines Kraftfahrzeugs.
Heutige Kraftfahrzeuge weisen meist Airbagsysteme zum Schutz der Insassen des Fahrzeugs bei einem Unfall auf.
Einfache Airbagsysteme weisen zumindest ein oder zwei Frontairbags auf, deren Auslösung durch ein Steuergerät kontrolliert wird. Das Steuergerät erhält Signale von linearen Beschleunigungsgebern, die Informationen über Größe und Richtung der linearen Fahrzeugbeschleunigung beinhalten. Wird ein Überschreiten einer bestimmten Fahrzeugverzögerung in frontaler Richtung erkannt, dann werden die Frontairbags auslöst.
Komplexere Airbagsysteme weisen zusätzliche Seitenairbags bzw. Kopfairbags auf. Dafür sind im Türbereich des Fahrzeugs weitere Beschleunigungsgeber angeordnet, die bei einem seitlichen Aufprall die Beschleunigung in
Querrichtung, d. h. quer zum Fahrzeuglängsachse, messen. Beim Überschreiten einer bestimmten
Querbeschleunigungsschwelle werden die Seitenairbags neben den Frontairbags ausgelöst.
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Auslösung eines Insassen- Schutzmittels für Kraftfahrzeug zu schaffen, das eine zuverlässige Auslösung des Insassenschutzsystems bei einem Fahrzeugüberschlag ermöglicht.
Erfindungsgemäß wird die Aufgabe dadurch gelöst, dass der Steuervorrichtung zumindest ein Drehbeschleunigungsgeber zum Erkennen einer Drehbeschleunigung um die Kraftfahrzeug- Längsachse und zumindest eine Auswerteeinrichtung zum Auswerten der erkannten Drehbeschleunigung (Winkelbeschleunigung) zugeordnet ist, und dass von der Auswerteeinrichtung ein von der erkannten Drehbeschleunigung abhängiges Steuersignal für das Schutzmittel zum Überroll-Insassenschutz ausgegeben wird.
Der Begriff "Drehung" bzw. "Drehbeschleunigung" wird hier im wesentlichen auf eine Fahrzeugdrehbewegung um die Fahrzeuglängsachse bezogen und wird daher im folgenden auch als "Rollen" bzw. als "Rollbeschleunigung" bezeichnet. Gleichwohl ist es für bestimmte Anwendungsfälle vorgesehen, die Steuervorrichtung nach der Erfindung auf Drehungen bzw. Drehbeschleunigungen des Fahrzeugs um die Fahrzeugquerrichtung analog einzusetzen. Damit ist eine Auslösung von Insassenschutzeinrichtungen bei einem Fahrzeugüberschlag um eine Fahrzeugquerachse möglich.
Die Messung mit dem Drehbeschleunigungsgeber gemäß der Erfindung gegenüber Messungen mit Rollratensensoren führt zu einer direkteren Erfassung einer stoßartigen
Rollanregung des Fahrzeugs als ein nachwirkend sich ausbildende Rollgeschwindigkeit (Rollrate) . Durch diese bessere Erfassung des Drehimpulses mit dem Drehbeschleunigungsgeber kann eine sicherheitskritische Rollanregung vorteilhaft früher und sicherer erkannt werden als mit einem Rollratensensor.
Es ist nach der Erfindung vorgesehen, dass die Steuervorrichtung keinen Rollratensensor zum Erkennen der Drehbewegung um die Fahrzeuglängsachse aufweist.
Erfindungsgemäß ist es vorgesehen, dass die Steuervorrichtung keinen Neigungssensor zum Erkennen einer Fahrzeugneigung um die Fahrzeuglängsachse aufweist.
Nach der Erfindung ist es vorgesehen, dass der Drehbeschleunigungsgeber ein optischer, kapazitiver oder induktiver Sensor, vorzugsweise ein silizium- mikromechanischer Sensor, ist. Der Begriff "silizium- mikromechanischer" Sensor bedeutet hier einen Sensor auf Basis von Silizium (Si) , der mit einem mikromechanischen Verfahren erzeugt wurde.
Der Drehbeschleunigungsgeber ist vorzugsweise ein sog. "passiver" Sensor. Er unterscheidet sich insbesondere von einem Rollratensensor, mittels dem eine Drehgeschwindigkeit oder Rollgeschwindigkeit aufgenommen wird, dadurch, dass er kein inneres (im Sensormodul angeordnetes) Masseelement aufweist und nicht auf Grundlage einer oszillatorischen Bewegung von Masseelementen arbeitet. Da bei dem passiven Drehbeschleunigungsgeber nach der Erfindung kein internes Bauteil aktiv angeregt werden muss, ist ein Antrieb für eine Schwingungsanregung , ein sog. "drive-Antrieb", vorteilhaft nicht notwendig.
Erfindungsgemäß ist es vorgesehen, dass das Schutzmittel zumindest ein Insassen-Rückhaltemittel, insbesondere einen Seitenairbag, und ggf. ein aktivierbares Überrollschutzmittel, wie ausfahrbare oder ausklappbare Überrollbügel oder Kopfstützen, aufweist.
Nach der Erfindung ist es vorgesehen, dass der Steuervorrichtung zwei (redundante) Drehbeschleunigungsgeber zugeordnet sind.
Erfindungsgemäß wird diese Aufgabe auch durch ein Rückhaltesystem zum Schutz von Insassen eines Kraftfahrzeugs gelöst, das dadurch gekennzeichnet ist, dass das Rückhaltesystem mindestens einen Seitenairbag und eine Steuervorrichtung nach der Erfindung aufweist, mittels welcher Steuervorrichtung der Seitenairbag ausgelöst wird.
Die Aufgabe wird erfindungsgemäß bei dem Verfahren zur Auslösung eines Schutzmittels dadurch gelöst, dass mittels zumindest eines Drehbeschleunigungsgebers eine Drehbeschleunigung (Winkelbeschleunigung) um die Kraftfahrzeug-Längsachse erfasst wird, dass die erfasste Drehbeschleunigung oder eine davon abgeleitete Größe mit einem ermittelten oder vorgegebenen Grenzwert, insbesondere einem Drehbeschleunigungs-Grenzwert, verglichen wird und dass das Schutzmittel dann ausgelöst wird, wenn die erfasste Drehbeschleunigung oder die davon abgeleitete Größe den Grenzwert überschreitet.
Es ist nach der Erfindung vorgesehen, dass bei dem Verfahren mittels zwei Drehbeschleunigungsgeber eine erste und eine zweite Drehbeschleunigung (Winkelbeschleunigung) erfasst werden, dass die beiden erfassten Drehbeschleunigungen oder davon abgeleitete Größen miteinander verglichen werden und dass nach Maßgabe des
Vergleichs eine Plausibilisierung der Signale der zwei Drehbeschleunigungsgeber erfolgt .
Die vorgeschlagene Steuervorrichtung und das erfindungsgemäße Verfahren dienen insbesondere der Messung von Fahrzeugrollbewegungen zur Anwendung in Airbagsystemen. Dabei ist es vorgesehen, eine Systemkonfigurationen mit Seitenairbags durch einen Drehbeschleunigungssensor zu ergänzen oder in Airbag-Systemkonfigurationen mit Rollratensensoren, diese Rollratensensoren durch Drehbeschleunigungssensoren zu ersetzen.
Mit Anwendung der Erfindung entsteht ein Sicherheitsvorteil verbesserter Sensibilität bei der sensorischen Erfassung von fahrkritischen Situationen zu vergleichsweise geringem Kostenaufwand. Damit können Unfallfolgen verringert werden bzw. die Personensicherheit im Straßenverkehr allgemein erhöht werden.
Es ist vorgesehen, die Steuervorrichtung und das Verfahren nach der Erfindung analog auf Nickbewegungen des Fahrzeugs um die Fahrzeugquerrichtung einzusetzen. So kann eine Insassenschutzeinrichtungen auch bei einem Fahrzeugüberschlag um eine Fahrzeugquerachse sicher ausgelöst werden.
Die Erfindung wird anhand von Ausführungsbeispielen und Abbildungen (Fig. 1 bis Fig. ) im folgenden näher erläutert.
Es zeigen:
Fig. 1 Ein Fahrzeug Koordinatensystem
Fig. 2 Ein Schema eines einfachen Airbagsystems nach dem
Stand der Technik
Fig. 3a Ein Schema eines erweiterten Airbagsystems nach dem Stand der Technik
Fig. 3b Ein Schema eines erweiterten Airbagsystems nach der Erfindung
Fig. 4 Ein Schema eines erfindungsgemäß erweiterten Airbagsystems
Fig. 5 Ein Schema eines Airbagsystems mit sensorischer ZusatzInformation
In Fig. 1 ist ein Fahrzeug-Koordinatensystem mit Achsenbenennungen und Bewegungen des Fahrzeuges um diese Achsen dargestellt. Hierbei ist XF die Fahrtrichtung und RB die Rollbewegung um die Fahrtrichtung, d.h. um die Fahrzeuglängsachse. Um die Fahrzeugquerrichtung YF erfolgt die Nickbewegung NB und um die Fahrzeughochachse ZF die Gierbewegung GB.
Fig. 2 zeigt schematisiert ein einfaches Airbagsystem nach dem Stand der Technik. Es besteht aus einer Anordnung von Airbag-Aktuatoren 2, d.h. ein oder zwei Frontairbags (FA) , deren Auslösung durch ein Steuergerät 1 kontrolliert wird. Zu diesem Zweck enthält das Steuergerät als wesentliche Komponenten einen spezifischen elektronischen Regler (E) , 3, dem durch zwei, in das Reglergehäuse integrierte Beschleunigungsgeber (AY) , (P) fortlaufend Information über Größe und Richtung der Fahrzeugbeschleunigung zugeführt wird. Hierbei ist AY ein hochauflösender Präzisionsbeschleunigungsgeber und P eine mechanisch robuste, in der Regel weniger präzise Beschleunigungsmesseinrichtung, die zur Plausibilisierung
der Information von AY verwendet wird. Mit Überschreiten einer bestimmten Fahrzeugverzögerung in frontale Richtung wird diese durch den Regler als sicherheitskritische Situation bewertet, der dann unmittelbar danach die Frontairbags FA auslöst (zündet) .
Fig. 3a zeigt schematisiert eine Anordnung nach Fig. 2, jedoch mit zusätzlichen Seitenairbags nach dem Stand der Technik. Hierbei sind 6a, 6b Airbaganordnungen (SA) an den Fahrzeugseiten rechts, links und 7a, 7b zugehörige feinauflösende Beschleunigungsgeber (AX) , die außerhalb des Steuergerätes als sogenannte Satteliten im Türbereich des Fahrzeugs installiert sind. Die Signale dieser Sensoren werden über Kabel dem Steuergerät zugeführt. Bei einem seitlichen Aufprall messen die Sattelitensensoren die Impulsbeschleunigung der Querkomponente und lösen bei Überschreiten einer bestimmten sicherheitskritischen Querbeschleunigungsschwelle über den Regelalgorithmus neben den Frontairbags auch die zugehörigen Seitenairbags aus.
Fig. 3b zeigt eine erfindungsgemäße Erweiterung des Systems nach Fig. 3a. Ein Erfindungsgedanke besteht darin, das System durch Hinzufügen eines Drehbeschleunigungsgebers 8 zu ergänzen. Der Drehbeschleunigungsgeber (RB) ist vorzugsweise im Reglergehäuse angeordnet und isst die Drehbeschleunigung (Rollbeschleunigung) der Fahrzeuglängsachse XF gemäß Fig. 1.
Die Messung mit dem Drehbeschleunigungsgeber gemäß der Erfindung gegenüber Systemen, bei denen die Rollrate der Fahrzeuglängsachse mittels Rollratensensoren gemessen wird, hat den Vorteil, dass bei sicherheitskritischen stoßartigen Rollanregungen mit dem Drehbeschleunigungsgeber, im folgenden auch als "Rollbeschleunigungssensor" bezeichnet, die Rollbewegungsgröße gemessen wird, die dem Drehimpuls
besser angepasst ist als die zugehörige, sich nachwirkend ausbildende Rollgeschwindigkeit (Rollrate ) . Der Rollbeschleunigungssensor liefert ein unmittelbares deutliches Signal bereits zu dem Zeitpunkt in dem das Rollratensignal ein noch unbefriedigendes Signal / Rausch - Verhältnis aufweist. Das erfindungsgemäße System kann schneller reagieren.
In Systemen, die bislang ohne Drehbewegungsmessung ausgeführt sind, entsteht nach der Erfindung durch Einsatz des zusätzlichen Rollbeschleunigungssensors zwar einerseits ein Mehraufwand, aber der technische Sicherheitsvorteil überwiegt bei weitem.
Im Vergleich zu heutigen Systemen mit bereits integriertem Rollratensensor ergibt sich beim Austausch dieses Sensors gegen einen Rollbeschleunigungssensor nach der Erfindung neben dem erläuterten technischen Vorteil ein wesentlicher Kostenvorteil, denn ein Rollbeschleunigungssensor vergleichbarer Funktionalität ist deutlich preiswerter als ein heutiger Rollratensensor.
Fig. 4 zeigt die Anwendung der Erfindung auf ein Airbagsystem mit zusätzlichen "Abfrontsensoren" 9a, 9b, die normalerweise zusätzlich zwischen Lampen und Kühler angeordnet, selektiv in Fahrtrichtung wirksam sind und als zusätzliche Sattelitensensoren über Kabel mit dem Steuergerät verbunden sind. Diese Hochsicherheitsanordnung lässt sich besonders vorteilhaft durch einen preiswerten Rollbeschleunigungssensor 8 in seinen Systemeigenschaften durch die Erfindung verbessern.
Fig. 5 zeigt eine weitere vorteilhafte Anwendung der Erfindung, bei der im Gegensatz zu den bisher erläuterten Ausführungsbeispielen ein Drehbeschleunigungssensor 8a mit
einem Airbagsystem verfahrensgemäß, z.B. über eine schnelle Busverbindung 11, zusammenwirkt, der nicht in das Airbagsteuergerät 1 integriert ist, sondern in einen anderen fahrzeugresidenten Apparat, insbesondere in ein ESP-Steuergerät 10. Der Vorteil dieser Anordnung besteht in der Nutzung der gleichen sensorischen Funktionseinheit durch zwei unterschiedliche Fahrzeugsysteme. Dieser Vorteil besteht insbesondere auch dann, wenn aus sicherheitstechnischen Gründen ein redundanter Drehbeschleunigungsgeber 8b erforderlich ist. Es ist daher insbesondere im Sinn der Erfindung, bei der gemeinsamen Nutzung von Drehbeschleunigungsinformation eine redundante Anordnung zu verwenden, die die Systemsicherheit beider Systeme erhöht aber durch vergleichsweise geringen Kostenaufwand zu erzielen ist.