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Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur Steuerung einer abstandsabhängigen Geschwindigkeitsregelanlage für ein Kraftfahrzeug, bei dem Kontextinformationen verwendet werden.
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Eine abstandsabhängige Geschwindigkeitsregelanlage wird hier als Abstandsregeltempomat bezeichnet. Zudem wird eine Lichtzeichenanlage vereinfacht als Ampel bezeichnet.
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Stand der Technik
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Abstandsregeltempomaten (ACC, Adaptive Cruise Control, Adaptive Geschwindigkeitsregelung) regeln die Geschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs in Abhängigkeit von einem Abstand zu einem Zielobjekt, beispielsweise einem vor dem Kraftfahrzeug befindlichen weiteren Fahrzeug. Zudem kann die Geschwindigkeit des Zielobjekts bei der Regelung berücksichtigt werden. Die Abstandsinformationen und gegebenenfalls die Geschwindigkeitsinformationen werden typischerweise mittels Radarsensoren erfasst. Herkömmliche Abstandsregeltempomaten betrachten also ausschließlich das Zielobjekt selbst und gegebenenfalls weitere Zielobjekte in der Umgebung. Bei den herkömmlichen Abstandsregeltempomaten werden die nachfolgend beispielhaft genannten Situationen gleich bewertet und es erfolgt eine ähnliche Regelung der Geschwindigkeit:
- - Annäherung an ein parkendes Fahrzeug;
- - Annäherung an einen Stau;
- - Annäherung an ein an einer Ampel wartendes Fahrzeug.
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In herkömmlichen Abstandsregeltempomaten werden Kontextinformationen über die Situation nicht berücksichtigt. Kontextinformationen sind situationsabhängige Informationen über die Umgebung in einer Situation, die aus verschiedenen Quellen, wie z. B. Sensoren, erhalten werden und aus denen Rückschlüsse auf den Kontext gezogen werden können. Der Kontext lässt sich als Sach- bzw. Sinnzusammenhang definieren, der aus verschiedenen Informationen abgeleitet wird, um eine Situation zu beschreiben. Eine einfache Objektdetektion stellt somit für sich genommen keine Kontextinformation dar. Erst die Kombination mehrerer Detektionen bzw. Informationen führt zu einer Kontextinformation. Beispielsweise lässt sich allein aus der Detektion von Fahrspuren noch keine Aussage darüber treffen, auf welcher Spur das Kraftfahrzeug fährt und wie das Modell der Fahrspuren in der jeweiligen Situation aussieht. Erst durch die zusätzliche Klassifikation der einzelnen Fahrspuren - also z. B. in Ego-Fahrspur, linke Fahrspur und rechte Fahrspur - lässt sich eine Aussage darüber treffen. Der Kontext entsteht somit aus der Kombination verschiedener Detektionen bzw. Informationen, die miteinander korreliert werden. Die Kontextinformationen können zur Steuerung von Anwendungsprogrammen verwendet werden.
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In letzter Zeit sind Videosysteme im Niedrigpreis-Sektor verfügbar geworden, die in der Lage sind, Kontextinformationen zu ermitteln.
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Offenbarung der Erfindung
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Es wird ein Verfahren zur Steuerung einer abstandsabhängigen Geschwindigkeitsregelanlage für ein Kraftfahrzeug vorgeschlagen, wobei Abstandsinformationen und/oder Geschwindigkeitsinformationen eines Zielobjekts mit Kontextinformationen kombiniert werden und die Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs abhängig davon gesteuert wird.
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Die Kontextinformationen werden vorteilhafterweise über ein Videosystem des Kraftfahrzeugs erhalten. Bereits verfügbare Videosysteme im Niedrigpreis-Sektor sind in der Lage, Informationen über einen Szenenkontext zu detektieren. Dabei können beispielsweise Ampeln und deren Schaltung, Fahrzeugsignale, wie z. B. Bremslichter und Blinker, Spurmarkierungen, wie z. B. Fahrspurbegrenzungen, Pfeile und komplexere Spurmarkierungen, und Ähnliches erkannt werden. Das Videosystem ist im Allgemeinen nicht auf den Niedrigpreis-Sektor eingeschränkt. Es können auch komplexere Videosysteme verwendet werden. Insbesondere können Video-Radar-Fusionssysteme verwendet werden, die für andere Fahrassistenzsysteme in Kraftfahrzeugen bereits zum Einsatz kommen.
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Die Kontextinformationen enthalten insbesondere Informationen über die Verkehrsinfrastruktur. Die Verkehrsinfrastruktur umfasst beispielsweise Lichtzeichenanlagen (Ampeln) und deren Schaltzustand (Rot, Gelb, Grün, gegebenenfalls auch die Kombinationen Rot-Gelb, Grün-Gelb und/oder Blinklichter), Verkehrszeichen, wie z. B. „Vorfahrt“, „Vorfahrt gewähren“ und „Halt. Vorfahrt gewähren“ (Stoppschild), und Fahrbahnmarkierungen, wie z. B. Haltelinien, Spurmarkierungen und Abbiegepfeile. Ferner kann die Verkehrsinfrastruktur eines oder mehrere der folgenden Beispiele umfassen:
- - Bahnübergang;
- - Zebrastreifen;
- - Verkehrsinsel;
- - Kreisverkehr;
- - Kreuzung oder Einmündung mit „Rechts-vor-Links“-Regelung.
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Der jeweilige Kontexttyp, also um welche Art von Verkehrsinfrastruktur es sich handelt, kann aus den Kontextinformationen ermittelt werden.
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Nachfolgend sind für drei beispielhafte Szenarien eine kontextabhängige Steuerung der Geschwindigkeit durch den Abstandsregeltempomat beschrieben.
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Bei einer Annäherung an ein parkendes Fahrzeug greift der Abstandsregeltempomat vorzugsweise erst bei einem geringem Abstand ein und senkt die Geschwindigkeit erst spät ab. Ein Fahrer würde bei ausreichender Fahrbahnbereite und ohne relevanten Gegenverkehr typischerweise an so einem parkenden Fahrzeug vorbeifahren. Der Abstandsregeltempomat greift vorzugsweise erst ein, wenn von keiner Reaktion des Fahrers ausgegangen werden kann und ein Eingriff weiterhin zu einem sicheren Anhalten im Komfortbereich führt.
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Bei einem Stauende greift der Abstandsregeltempomat vorzugsweise bereits bei einem größeren Abstand ein und senkt die Geschwindigkeit frühzeitig ab. Somit kommt das Fahrzeug mit einer möglichst geringen Verzögerung rechtzeitig zum Stehen, was durch den Fahrer als komfortabel empfunden wird. Außerdem wird dem Fahrer so signalisiert, dass der Abstandsregeltempomat die Situation erkannt hat und eine entsprechende Regelung durchführt.
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Bei der Annäherung an eine Ampel greift der Abstandsregeltempomat vorzugsweise abhängig vom Schaltzustand der Ampel, also der angezeigten Farbe, ein. Zeigt die Ampel rot, greift der Abstandsregeltempomat vorzugsweise bereits bei einem größeren Abstand ein und senkt die Geschwindigkeit frühzeitig ab. Somit kommt das Fahrzeug mit einer möglichst geringen Verzögerung rechtzeitig zum Stehen. Außerdem wird auch hier dem Fahrer signalisiert, dass der Abstandsregeltempomat die Situation erkannt hat und eine entsprechende Regelung durchführt. Beim Umschalten von Rot auf Gelb bzw. auf Rot-Gelb wird erwartet, die Ampel zeitnah auf Grün schaltet und es wird die Geschwindigkeit möglichst gleichbleibend beibehalten. Dabei kann der Abstand zum vorherfahrenden Fahrzeug verkleinert werden. Es kann ein sogenanntes „Eintauchen“ in den vom Fahrer gewählte Abstand zum vorherfahrenden Fahrzeug erfolgen. Beim Umschalten von Grün auf Gelb wird erwartet, dass die Ampel zeitnah auf Rot schaltet und es wird die Geschwindigkeit möglichst früh reduziert. Dadurch wird der Abstand zum vorherfahrenden Fahrzeug vergrößert.
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Durch die Einbeziehung der Kontextinformationen, welche die aktuelle Verkehrssituation darstellen, in die abstandsabhängige Geschwindigkeitsregelanlage (Abstandsregeltempomat), wird ein für einen Fahrer erwartbares Verhalten (human-like behavior) nachempfunden. Dies verbessert die Nutzererfahrung.
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Für das beschriebene Verfahren zur Steuerung der abstandsabhängigen Geschwindigkeitsregelanlage kann auf die Verwendung einer Karte und/oder auf den Aufbau eines komplexen und möglichst vollständigen Umgebungsmodells zur Situationsanalyse verzichtet werden. Folglich wird auch keine Rundumerfassung der Umgebung des Kraftfahrzeugs benötigt, sondern eine reine Frontalansicht der Umgebung ist ausreichend. Dies kann bereits mit wenigen, insbesondere mit einem, frontal ausgerichteten Videosensoren erreicht werden, wie sie bei Videosystemen im Niedrigpreis-Sektor bereits zum Einsatz kommen.
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Zudem ist hierbei keine Trajektorienplanung nötig, welche meist sehr rechenintensiv ist. Dadurch wird die Rechenzeit im Vergleich zu herkömmlichen Fahrerassistenzsystemen, welche die Kontextinformationen direkt in die Trajektorienplanung einfließen lassen, deutlich reduziert und dennoch eine vergleichbare Nutzererfahrung im Niedrigpreis-Sektor geschaffen.
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Im Ergebnis wird durch das beschriebene Verfahren zur Steuerung der abstandsabhängigen Geschwindigkeitsregelanlage die Nutzererfahrung bezüglich der Regelung des Anstandsregeltempomats bereits mit Videosystemen und Rechenleistungen im Niedrigpreis-Sektor erreicht, wie sie bei herkömmlichen System nur im Hochpreis-Sektor üblich ist.
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Das erfindungsgemäße Verfahren zur Steuerung einer abstandsabhängigen Geschwindigkeitsregelanlage kann in bereits bestehende elektronische Steuergeräte integriert werden. Hierfür kann das Verfahren direkt in das elektronische Steuergerät implementiert werden oder es kann auf eine gekapselte Komponente aufgespielt werden, die mit dem Steuergerät gekoppelt wird. Die Implementierung ist auch nachträglich in Form eines Softwareupdates möglich.
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Figurenliste
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Ausführungsbeispiele der Erfindung sind in der Zeichnung dargestellt und in der nachfolgenden Beschreibung näher erläutert.
- Die Figur zeigt ein Ablaufdiagramm eines Ausführungsbeispiels des erfindungsgemäßen Verfahrens.
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Ausführungsbeispiele der Erfindung
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Die folgenden Ausführungsbeispiele beziehen sich auf ein Kraftfahrzeug, welches einen Abstandsregeltempomat und ein Videosystem mit einem frontal ausgerichteten Videosensor aufweist.
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Der Videosensor nimmt einerseits Zielinformationen TO, also Informationen über den Abstand und/oder die Geschwindigkeit des vor sich befindlichen Fahrzeugs, und andererseits Kontextinformationen CI auf. Aus den Kontextinformationen CI wird der relevante Kontext ermittelt 1. Wenn sich das Kraftfahrzeug in einem Beispiel einer Ampel annähert, wird zunächst aus größerer Entfernung, beispielsweise aus über 200 m, die Ampel und deren Schaltzustand erkannt. Wird aus den Zielinformationen TO stehende Zielobjekte erfasst, kann davon ausgegangen werden, dass diese an einer roten Ampel warten. Eine Objektdetektion in einem Kamerabild ist in ihrer Detektionsreichweite abhängig von der realen Objektgröße. Ein Kraftfahrzeug weist beispielsweise eine Breite von ca. 1,8 m auf, hingegen ist eine Ampel lediglich 0,2 m breit. Aus diesem Grund kann ein Kraftfahrzeug bereits aus größerer Entfernung als eine Ampel, beispielsweise 100 m vorher, erkannt werden. Zudem ist davon auszugehen, dass aufgrund typischer Verkehrsregeln, Parken im Bereich vor Ampeln nicht gestattet ist. Der Abstandsregeltempomat führt eine leichte Verzögerung des Kraftfahrzeugs durch.
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Wird bei der Ermittlung 1 kein für die Regelung relevanter Kontext erfasst, wird die Regelung der Geschwindigkeit unabhängig vom Kontext durchgeführt 2. Wird ein relevanter Kontext erfasst, wird zunächst der Kontexttyp festgestellt 3. Der Kontexttyp ergibt sich aus der Summe der Kontextinformationen CI bzw. der Umgebungsinformationen. Folgende Kontexttypen sind hier beispielhaft aufgeführt, wobei auch weitere Kontexttypen vorgesehen sein können:
- - Eine Ampel TL mit deren Schaltzuständen R, G, Y;
- - ein Straßenpfeil SA;
- - ein Verkehrszeichen TS (Verkehrsschild);
- - ein parkendes Fahrzeug PV.
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Wird der Kontexttyp beispielsweise als Ampel TL festgestellt 3, wird der Schaltzustand der Ampel TL erkannt 4. In diesem Beispiel ist der Schaltzustand der Ampel TL zur Vereinfachung auf Rot R, Gelb Y und Grün G beschränkt. Zeigt die Ampel TL Rot R, so wird die Verzögerung des Kraftfahrzeugs fortgesetzt 5, bis das Kraftfahrzeug hinter dem vor sich befindlichen Fahrzeug zum Stehen kommt. Zeigt die Ampel Grün G, wird - wenn der Abstand zum Zielobjekt noch groß genug ist - die Verzögerung reduziert 6, da mit einem Anfahren des vor sich befindlichen Fahrzeugs gerechnet werden kann. Zeigt die Ampel TL Gelb Y, erfolgt die Regelung abhängig davon, ob der Übergang von Rot R zu Gelb Y oder von Grün G zu Gelb Y stattfand. Oftmals ist dies bei Ampeln TL dadurch ersichtlich, dass die vorherige Farbe mitangezeigt wird, insbesondere bei der Kombination Rot-Gelb. Bei einem Übergang von Grün G zu Gelb Y wird die Verzögerung fortgesetzt 7, da davon ausgegangen werden kann, dass das vor sich befindliche Fahrzeug an der Ampel TL anhält. Bei einem Übergang von Rot R zu Gelb Y wird - wenn der Abstand zum Zielobjekt noch groß genug ist - die Verzögerung reduziert 8, da wie im Fall von Grün G mit einem Anfahren des vor sich befindlichen Fahrzeugs gerechnet werden kann. Übernimmt der Fahrer die Kontrolle, wird er zusätzlich auf die Änderung des Schaltzustands der Ampel TL hingewiesen, beispielsweise durch eine entsprechende Anzeige.
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Ergibt die Feststellung 3 des Kontexttyps ein parkendes Fahrzeug PV als Zielobjekt, insbesondere ohne dass eine Ampel TL vorhanden ist, wird das Zielobjekt bei der Regelung nicht berücksichtigt 9, solange ein sicheres Anhalten mit einer vordefinierten Maximalverzögerung, beispielsweise 3,5 m/s2, noch möglich ist. Wird der Punkt, an dem ein sicheres Anhalten gerade noch möglich ist, erreicht, wird das Kraftfahrzeug mit einem Komfortmanöver rechtzeitig zum Stehen gebracht 10. Wenn der Fahrer zuvor reagiert, wird keine Regelung durch den Abstandsregeltempomat durchgeführt. Es können zudem weitere Informationen für eine bessere Situationsanalyse genutzt werden. Beispielsweise kann ein eventuell vorhandener Gegenverkehr detektiert werden und/oder und die Spur- bzw. Fahrbahnbreite ermittelt werden. Aus diesen Informationen kann eine Engstelle erfasst werden, die das Kraftfahrzeug nicht passieren kann, und ein frühzeitiges Anhalten geregelt werden. Auch eine frühzeitige Warnung des Fahrers ist möglich.
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Wird der Kontexttyp als Straßenpfeil SA festgestellt 3, wird der Pfeil, vor allem die Form (einzelner Pfeil, Doppelpfeil) und die angezeigte Richtung, erkannt 11. Entsprechend dem Straßenpfeil SA wird dann eine Regelung der Geschwindigkeit durchgeführt 12.
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Wird der Kontexttyp als Verkehrszeichen TS (Verkehrsschild) festgestellt 3, wird das Verkehrszeichen, vor allem die äußere Form, die Farbe und/oder die abgebildeten Formen bzw. Piktogramme, erkannt 13. Entsprechend dem Verkehrszeichen TS wird dann eine Regelung der Geschwindigkeit durchgeführt 14.
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Zudem können Informationen aus einer Karte in das System eingebunden werden. Dabei werden Kontextinformationen, z. B. über Verkehrszeichen, Haltelinien und/oder grundlegende Verkehrsregeln wie „Rechts-vor-Links" erhalten.
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In diesem Ausführungsbeispiel findet die Auswertung für jeden Zeitschritt einzeln statt. In anderen Ausführungsbeispielen kann auch eine zeitliche Glättung der Regelgrößen und damit des Fahrzeugverhaltens stattfinden. Die Glättung kann einfach in das bestehende Regelsystem integriert werden. In wieder anderen Ausführungsbeispielen erfolgt eine zeitliche Betrachtung der Szenarien. Dies führt zu einer weiteren Verbesserung des Gesamtsystems über die reine Glättung der Fahrzeugreaktion hinaus. Als Beispielen könnte durch die Bewertung der Dauer der Schaltzustände R, G, Y der Ampel TL die Regelungen 5 bis 8 angepasst werden, indem beispielsweise bei einer bereits lange andauernden Rotphase R weniger stark verzögert 5 wird als direkt nach dem Übergang auf Rot R.