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Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zum Umformen eines Bauteils nach den unabhängigen Ansprüchen.
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Bei Verfahren zum Umformen von Bauteilen aus dem Stand der Technik ergeben sich unterschiedliche Nachteile. Ein großer Nachteil ist das schwer zu beherrschende Rücksprungverhalten bei der Kaltumformung höherfester Stahlgüten durch Kaltverfestigung. Ferner kann ein unterschiedlicher Rücksprung beziehungsweise eine unterschiedliche Überdrehung des Bauteils in Abhängigkeit zum Umformgrad und zur Bauteilform resultieren. Dabei ist allerdings ein Nachformen beziehungsweise Kalibrieren der kritischen Bauteilbereiche durch Kaltverfestigung beim Umformen nur kaum möglich. Insgesamt ergibt sich somit keine prozesssichere Herstellung maßhaltiger Bauteile aus Werkstoffen mit hoher Zugfestigkeit beziehungsweise einer hohen Streckgrenze, und sehr hohe Presskräfte beziehungsweise Umformkräfte sind notwendig.
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Der vorliegenden Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zum Umformen eines Bauteiles derart zu verbessern, dass die oben genannten Nachteile überwunden werden.
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Gelöst wird die vorgenannte Aufgabe durch ein Verfahren zum Umformen eines Bauteils, wobei das Verfahren ein Schwenkbiegen mindestens eines Bauteilbereichs des Bauteils mittels einer Schwenkformeinheit umfasst. Dabei kann das Verfahren die Verwendung mehrerer Schwenkformeinheiten umfassen, wobei unterschiedliche Bauteilbereiche durch verschiedene Schwenkformeinheiten schwenkgebogen werden können. Insbesondere umfasst das Verfahren die Verwendung genau eines oder zweier Schwenkformeinheiten.
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Unter dem Begriff „Schwenkformen“ ist insbesondere ein Biegen eines Bauteilbereichs durch eine Schwenkbewegung der Schwenkformeinheit zu verstehen. In anderen Worten handelt es sich um ein Schwenkbiegen. Der mindestens eine Bauteilbereich wird somit mittels einer Biegeumformung umgeformt. Dabei handelt es sich insbesondere um ein Abklappen beziehungsweise Abkanten des Bauteilbereichs. Dieser Verfahrensschritt sorgt dafür, dass der Bauteilbereich einen vorbestimmten Biegewinkel einnimmt. Bei dem Schwenkbiegen handelt es sich insbesondere um ein Kaltumformen. Insbesondere handelt es sich nicht um ein Warmumformen des Bauteilbereichs des Bauteils. Die Schwenkformeinheit ist insbesondere ein Teil eines Schwenkformwerkzeuges. Vorteilhafterweise können mittels des Schwenkformwerkzeuges weitere Umformoperationen durchgeführt werden.
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Die Schwenkformeinheit zeichnet sich dadurch aus, dass sie um eine Schwenkachse schwenkbar ist. Ferner kann die Schwenkformeinheit eine Drehachse beziehungsweise ein Drehgelenk umfassen, um vor dem Schwenkbiegen gegenüber dem Bauteilbereich ausgerichtet zu werden.
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Bei der Schwenkformeinheit handelt es sich insbesondere um keinen Drehfüllschieber. Die Schwenkformeinheit hat die Funktion eines Arbeitsschiebers beziehungsweise Formschiebers und führt daher aktiv eine Umformoperation durch, während ein Drehfüllschieber hingegen beispielsweise durch eine hinterschnittige Form lediglich als Gegenlage dient.
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Bei dem Bauteilbereich handelt es sich insbesondere um eine Bauteilflanke des Bauteils, das mittels des Schwenkbiegens umgeformt, insbesondere abgekantet, werden soll. Bei dem Bauteil kann es sich insbesondere um eine Platine handeln.
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Vorteilhafterweise umfasst das Verfahren zuvor ein Schneiden eines Coils zur Herstellung des Bauteils, wobei es sich bei dem Bauteil insbesondere um eine Formplatine aus einer höherfesten Kaltumformgüte mit einer Zugfestigkeit größer als 400 MPa handelt. Es kann sich insbesondere um DP500 (Dualphasenstahl) handeln. Insbesondere beträgt die Zugfestigkeit mindestens 450 MPa, insbesondere in etwa 500 MPa. Insbesondere kann das Bauteil verzinkt sein.
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Das Schwenkformwerkzeug umfasst vor allem einen Formstempel sowie ein Unterteil und ein Oberteil. Das Bauteil kann einer Presse oder einer Pressenstraße zur Verfügung gestellt werden, die mehrere aufeinanderfolgende Umformoperationen beziehungsweise Stufen durchführen kann. Vorzugsweise kann vor dem Schwenkbiegen das Bauteil mittels Niederhalter auf dem Formstempel des Umformwerkzeuges fixiert werden. Bei Bedarf kann auch ein Vorprägen, in anderen Worten ein lokales Vorverformen, im Bauteilbereich erfolgen. Ferner kann vor dem Schwenkbiegen optional ein Hochstellen von Flanschen des Bauteils erfolgen.
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Das Verfahren kann ein Einstellen eines Schwenkwinkels umfassen, und zwar derart, dass ein bewusstes Überdrücken des Bauteilbereichs zur Rückfederungskompensation erreicht wird. Unter dem Begriff „Schwenkwinkel“ ist der Winkel zu verstehen, um den die Schwenkformeinheit gedreht wird. Der Schwenkwinkel ist eine vom Bauteil losgelöste werkzeugtechnisch definierte Größe. Insbesondere dann ist es vorteilhaft, wenn eine Kontur des Formstempels des Umformwerkzeuges entsprechend verjüngt ausgeführt ist, damit auch ein hinterschnittiges Überdrücken möglich ist. Vorzugsweise wird ein Schwenkwinkel kleiner als 130°, ferner bevorzugt kleiner als 100°, eingesetzt. Insbesondere ist der Schwenkwinkel variabel zu justieren. Die Schwenkformeinheit ist insbesondere an einem Oberteil oder Unterteil des Umformwerkzeuges durch Anschläge befestigt. Es kann zumindest eine Komponente der Schwenkformeinheit am Oberteil und am Unterteil angeordnet sein. Das Bauteil ist vorzugsweise derart angeordnet, dass die Schwenkformeinheit im Bereich der Schwenkachse am Bauteil anliegt, sodass keine Relativbewegung stattfindet.
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Bei dem Bauteil handelt es sich insbesondere um ein Karosseriebauteil eines Fahrzeuges, das erhöhte Festigungsanforderungen aufweist. Dabei kann es sich insbesondere um ein Bauteil aus Aluminium handeln, das grundsätzlich wegen des geringen Elastizitätsmoduls ein hohes Rücksprungverhalten aufweist. Ferner weisen Bauteile aus Aluminium eine starke Adhäsionsneigung auf, sodass Relativbewegungen zwischen dem Bauteil und dem Werkzeug problematisch sind. Gerade bei Bauteilen aus Aluminium ist die vorliegende Erfindung besonders vorteilhaft, da keine Relativbewegung zwischen dem Bauteil und dem Werkzeug, hier der Schwenkformeinheit, erfolgt. Ferner erfolgt eine geringere Ausdünnung in den Flankenbereichen des Bauteils, in anderen Worten den Zargenbereichen, da keine Rückhaltekraft, wie dies beispielsweise beim Tiefziehprozess der Fall ist, anliegt. Auch findet keine Riefenbildung in den Flankenbereichen beziehungsweise Zargenbereichen statt, da keine Relativbewegung erfolgt.
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Eine Justierung kann insbesondere durch eine mechanische Veränderung der Anschläge der Schwenkformeinheit umgesetzt werden. Ferner kann die variable Adjustierung durch aktorisch verstellbare Anschläge beziehungsweise Distanzen im laufenden Prozess angepasst werden. Durch die variable Anpassungsmöglichkeit des Schwenkwinkels kann das vorliegende Verfahren unter anderem zur Chargenschwankungskompensation eingesetzt werden, da der Schwenkwinkel auch während des Prozesses angepasst werden kann.
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Die Schwenkformeinheit, insbesondere das Schwenkformwerkzeug, kann insbesondere mittels der Presskraft beziehungsweise Stößelkraft angetrieben werden. Dies erfolgt insbesondere durch Kraftumlenkung. Möglich sind aber auch Aktivelement, beispielsweise beaufschlagt mittels Hydraulik, Pneumatik oder einem elektromotorischen Antrieb. Hierbei kann die Ausführung mit dem Kurbelwinkel einer Presse gekoppelt sein.
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Ferner kann das Verfahren ein Abwickeln der Kante des Bauteils, in anderen Worten der Fertigbeschnittkante, umfassen. Auch ist eine Einbringung von Löchern beziehungsweise Freischnitten in das Bauteil möglich, da der Umformgrad durch die Schwenkumformung signifikant reduziert ist. Es wird somit eine höhere Maßhaltigkeit erreicht. Des Weiteren lassen sich dadurch die Schnittkräfte, sowie Werkzeug- und Pressenbelastung reduzieren. Als letzter Schritt wird das Bauteil entnommen.
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Durch das vorliegende Verfahren wird das Rücksprungverhalten im Fertigungsprozess eines Bauteils besser beherrschbar. Es wird ein partielles Biegeumformen höchstfester Stahlgüten erreicht. Ferner werden der Einarbeitungsaufwand sowie die Kompensationsschleifen bei einer Chargenschwankung reduziert. Insgesamt wird somit die Gesamtwerkzeuganfertigungszeit wesentlich reduziert. Da insgesamt auch geringere Umformkräfte notwendig sind, kann eine kleinere Presse benutzt werden und der Werkzeugverschleiß wird reduziert. Dies reduziert auch den Carbon-Footprint.
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In einem weiteren Aspekt betrifft die vorliegende Erfindung eine Vorrichtung zum Umformen eines Bauteils, wobei die Vorrichtung mindestens eine integrierte Schwenkformeinheit umfasst. Bei der Vorrichtung handelt es sich vor allem um ein Umformwerkzeug, vor allem um ein Schwenkformwerkzeug. Insbesondere umfasst die Vorrichtung genau eine oder zwei integrierte Schwenkformeinheiten, die parallele oder unterschiedliche Schwenkachsverläufe aufweisen können.
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Dabei kann die Vorrichtung ein Oberteil und ein Unterteil aufweisen, wobei die Schwenkformeinheit am Oberteil oder am Unterteil angeordnet sein kann. Es kann zumindest eine Komponente der Schwenkformeinheit am Oberteil und/oder am Unterteil angeordnet sein.
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Insbesondere weist die Schwenkformeinheit eine Aktivfläche auf. Das ist die Fläche, mit der die Schwenkformeinheit in Kontakt mit dem Bauteilbereich, der umzuformen ist, kommt. Dabei ist die Schwenkformeinheit an der Aktivfläche vorteilhafterweise mit Backen bestückt ausgeführt. Hierzu werden insbesondere gehärtete Backen aus verschleißfesten Werkstoffen eingesetzt, die leicht wechselbar sind. Die Backen können mit einer Beschichtung, beispielsweise CVD oder PVD, versehen sein. Durch die flächige Anlage der Formbacken während des Umformprozesses erfolgt keine Verfestigung in der Zarge.
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Die Vorrichtung weist ferner einen Formstempel auf, wobei der Formstempel vorzugsweise verjüngt ausgebildet sein kann. Dabei ist ein bewusstes Überdrücken des Bauteilbereichs zur Rückfederkompensation möglich. Ferner ist auch ein hinterschnittiges Überdrücken möglich.
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Rein schematisch zeigen
- 1: das Ablaufdiagramm eines erfindungsgemäßen Verfahrens;
- 2a und 2b: die Anordnung einer Schwenkformeinheit in Bezug auf ein Bauteil vor dem Schwenkbiegen; und
- 3a und 3b: die Anordnung der Schwenkformeinheit und des Bauteils bei einer Überdrückung.
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Das erfindungsgemäße Verfahren 100 umfasst vorzugsweise das Durchführen 101 einer Schneidoperation an einem Coil zum Herstellen eines Bauteils 20, wobei es sich bei dem Bauteil 20 insbesondere um eine Platine handelt. Das Verfahren 100 kann das Fixieren 102 des Bauteils 20 auf einem Formstempel des Umformwerkzeuges umfassen. Im Anschluss umfasst das Verfahren 100 das Schwenkbiegen 103 eines Bauteilbereichs 21 des Bauteils 20.
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In den 2a und 2b ist eine erfindungsgemäße Vorrichtung 10 zu sehen, wobei von der Vorrichtung 10 zwecks Übersichtlichkeit lediglich die Schwenkformeinheit 11 zu sehen ist. In 2a ist die Schwenkformeinheit 11 und das Bauteil 20 perspektivisch zu sehen, während in 2b die beiden in einer Schnittdarstellung dargestellt sind. In 2b verläuft der Schwenkwinkel 13 in die Zeichenebene hinein. Die Schwenkformeinheit 11 kann um die Schwenkachse 13 verschwenkt werden. Das Bauteil 20 weist einen Bauteilbereich 21 auf, und zwar eine Bauteilflanke 22, die umgeformt werden soll. Die Schwenkformeinheit 11 umfasst eine Aktivfläche 12, die mit dem Bauteilbereich 21 in Kontakt kommt
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In 3 ist die gleiche Anordnung der 2 zu sehen, nachdem das Schwenkbiegen abgeschlossen ist. Die Schwenkformeinheit 11 hat ist um 95° um die Schwenkachse 13 verschwenkt. Dabei ist in 3a erneut die Schwenkformeinheit 11 und das Bauteil 20 perspektivisch dargestellt, während dies in 3b in Schnittdarstellung zu sehen ist.
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Bezugszeichenliste
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- 100
- Verfahren
- 101
- Durchführen einer Schneidoperation an einem Coil
- 102
- Fixieren mittels Niederhaltern auf einem Formstempel
- 103
- Schwenkbiegen
- 10
- Vorrichtung
- 11
- Schwenkformeinheit
- 12
- Aktivfläche
- 13
- Schwenkachse
- 20
- Bauteil
- 21
- Bauteilbereich
- 22
- Bauteilflanke