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Die Erfindung betrifft ein Verfahren und eine entsprechende Vorrichtung zur Ermittlung eines Schätzwertes für eine Winkel-Lage, insbesondere für den Nickwinkel und/oder den Rollwinkel, eines einspurigen Fahrzeugs.
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Bei einem einspurigen Fahrzeug, insbesondere bei einem Motorrad, kann anhand von Sensordaten der Rollwinkel und/oder der Nickwinkel des Fahrzeugs ermittelt werden. Der ermittelte Rollwinkel und/oder Nickwinkel können in einem Stabilitätssystem des Fahrzeugs, z.B. in einer Schlupfregelung, genutzt werden.
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Zur Ermittlung des Roll- und/oder Nickwinkels des Fahrzeugs können wiederholt an einer Sequenz von Zeitpunkten Sensordaten in Bezug auf die Drehrate um die Längsachse bzw. um die Querachse des Fahrzeugs erfasst und über der Zeit integriert werden. Die Ermittlung des Rollwinkels und/oder des Nickwinkels anhand der zeitlichen Integration von Drehraten kann jedoch zu Offset- und Driftfehlern des ermittelten Winkels führen. Derartige Fehler bei der Ermittlung des Rollwinkels und/oder des Nickwinkels können die Güte einer auf dem ermittelten Roll- und/oder Nickwinkel basierenden Fahrdynamikregelung beeinträchtigen.
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Das vorliegende Dokument befasst sich mit der technischen Aufgabe, die Winkel-Lage, insbesondere den Nickwinkel und/oder den Rollwinkel, eines einspurigen Fahrzeugs in präziser und robuster Weise zu ermitteln, insbesondere um die Güte einer Fahrdynamikregelung, z.B. einer Schlupfregelung, des Fahrzeugs zu erhöhen.
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Die Aufgabe wird durch die unabhängigen Ansprüche gelöst. Vorteilhafte Ausführungsformen werden u.a. in den abhängigen Ansprüchen beschrieben. Es wird darauf hingewiesen, dass zusätzliche Merkmale eines von einem unabhängigen Patentanspruch abhängigen Patentanspruchs ohne die Merkmale des unabhängigen Patentanspruchs oder nur in Kombination mit einer Teilmenge der Merkmale des unabhängigen Patentanspruchs eine eigene und von der Kombination sämtlicher Merkmale des unabhängigen Patentanspruchs unabhängige Erfindung bilden können, die zum Gegenstand eines unabhängigen Anspruchs, einer Teilungsanmeldung oder einer Nachanmeldung gemacht werden kann. Dies gilt in gleicher Weise für in der Beschreibung beschriebene technische Lehren, die eine von den Merkmalen der unabhängigen Patentansprüche unabhängige Erfindung bilden können.
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Gemäß einem Aspekt wird eine Vorrichtung für ein einspuriges Fahrzeug (insbesondere für ein Motorrad und/oder für ein einspuriges Fahrzeug mit Neigetechnik) beschrieben. Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, einen Schätzwert einer Winkel-Lage (insbesondere des Nickwinkels und/oder des Rollwinkels) des Fahrzeugs zu ermitteln. Dabei kann an einer Sequenz von aufeinanderfolgenden Zeitpunkten jeweils ein aktueller Schätzwert der Winkel-Lage ermittelt werden.
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Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, Situationsdaten in Bezug auf eine aktuelle Fahrsituation des Fahrzeugs zu ermitteln. Das Fahrzeug kann ein oder mehrere Raddrehzahlsensoren (z.B. für ein Vorderrad und/oder für ein Hinterrad des Fahrzeugs) aufweisen. Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, Drehzahl-Sensordaten zumindest eines Drehzahlsensors des Fahrzeugs zu ermitteln. Die Situationsdaten, insbesondere die aktuelle Fahrsituation, kann dann in präziser Weise auf Basis der Drehzahl-Sensordaten, insbesondere auf Basis eines Musters der Drehzahl-Sensordaten, ermittelt werden.
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Alternativ oder ergänzend kann die Vorrichtung eingerichtet sein, Drehraten-Sensordaten zumindest eines Drehratensensors des Fahrzeugs zu ermitteln. Die Situationsdaten, insbesondere die aktuelle Fahrsituation, kann dann in präziser Weise auf Basis der Drehraten-Sensordaten, insbesondere auf Basis eines Musters der Drehraten-Sensordaten, ermittelt werden.
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Die Situationserkennung hinsichtlich eines abgehobenen Rads (d.h. die Erkennung einer Wheelie-Situation, kann in präziser Weise auf Basis der Radgeschwindigkeiten (d.h. der Raddrehzahlen) der zwei oder mehr Räder des Fahrzeugs, insbesondere auf Basis der Muster der Radgeschwindigkeiten (d.h. der Raddrehzahlen) der zwei oder mehr Räder des Fahrzeugs, erfolgen.
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Durch die Berücksichtigung der Drehraten-Sensordaten können in präziser Weise Fahrsituationen wie eine dynamische Wechselkurve und/oder ein Ausweichen erkannt werden (z.B. anhand einer relativ hohen Rollrate und/oder auf Basis eines zeitlichen Verlaufs der Rollrate).
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Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, auf Basis der Situationsdaten (insbesondere auf Basis der Sensordaten von ein oder mehreren Sensoren des Fahrzeugs) als aktuelle Fahrsituation des Fahrzeugs eine erste Fahrsituation aus einer Mehrzahl von unterschiedlichen (vordefinierten) Fahrsituationen auszuwählen. Dabei können die unterschiedlichen (vordefinierten) Fahrsituationen jeweils mit einer unterschiedlichen Datenfusions-Methode zur Ermittlung des Schätzwertes der Winkel-Lage des Fahrzeugs assoziiert sein.
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Beispielhafte unterschiedliche Fahrsituationen sind: eine Standard-Fahrsituation, bei der alle Räder des Fahrzeugs die Fahrbahn berühren, auf der das Fahrzeug fährt, und bei der das Fahrzeug eine Fahrgeschwindigkeit aufweist, die größer als ein bestimmter Geschwindigkeits-Schwellenwert (z.B. 5km/h oder mehr, oder 10km/h oder mehr) ist; eine Wheelie-Situation, bei der zumindest ein Vorderrad oder ein Hinterrad des Fahrzeugs die Fahrbahn nicht berührt; eine Stillstands-nahe-Situation, bei der die Fahrgeschwindigkeit des Fahrzeugs kleiner als der Geschwindigkeits-Schwellenwert ist (und bei der alle Räder des Fahrzeugs die Fahrbahn berühren); und/oder eine Kurvenfahrt- und/oder Ausweich-Situation, bei der das Fahrzeug eine Rollrate aufweist, die größer als ein Rollraten-Schwellenwert ist, und/oder einen zeitlichen Gradienten der Rollrate aufweist, der größer als ein Gradienten-Schwellenwert ist.
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Die Vorrichtung ist ferner eingerichtet, die zur Ermittlung des Schätzwertes der Winkel-Lage des Fahrzeugs verwendete Datenfusions-Methode in Abhängigkeit von den Situationsdaten anzupassen. Insbesondere kann die Datenfusions-Methode an die aus der Mehrzahl von vordefinierten Fahrsituationen ausgewählte erste Fahrsituation angepasst werden. In einem bevorzugten Beispiel ist die Vorrichtung eingerichtet, eine erste Datenfusions-Methode für die erste Fahrsituation aus einer Mehrzahl von unterschiedlichen (vordefinierten und/oder fixen) Datenfusions-Methoden für die entsprechende Mehrzahl von unterschiedlichen Fahrsituationen auszuwählen. Der Schätzwert der Winkel-Lage des Fahrzeugs kann dann in besonders präziser Weise anhand der ersten Datenfusions-Methode ermittelt werden.
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Die Vorrichtung kann ferner eingerichtet sein, eine Fahrdynamikregelung des Fahrzeugs in Abhängigkeit von dem ermittelten Schätzwert der Winkel-Lage zu betreiben. So kann die Fahrdynamik und/oder die Stabilität des Fahrzeugs verbessert werden.
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Die Datenfusions-Methode kann ein Kalmanfilter, insbesondere ein extended Kalmanfilter, umfassen. Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, ein oder mehrere Parameter des Kalmanfilters in Abhängigkeit von den Situationsdaten, insbesondere in Abhängigkeit von der aktuellen Fahrsituation, anzupassen. Beispielhafte Parameter sind: die Kalman-Verstärkung des Kalmanfilters; die Beobachtungsmatrix des Kalmanfilters; die Matrix zur Beschreibung eines Prozessrauschens des Kalmanfilters; und/oder die Matrix zur Beschreibung eines Messrauschens des Kalmanfilters. Durch die Verwendung eines Kalmanfilters als Datenfusions-Methode kann die Güte des ermittelten Schätzwertes der Winkel-Lage weiter erhöht werden.
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Die unterschiedlichen (vordefinierten) Datenfusions-Methoden für die unterschiedlichen möglichen Fahrsituationen können jeweils ein Kalmanfilter mit jeweils unterschiedlichen (vordefinierten und/oder festen) Sätzen von Parameterwerten für die ein oder mehreren Parameter des Kalmanfilters umfassen. Insbesondere können im Vorfeld für jede der unterschiedlichen Fahrsituationen jeweils optimale und/oder optimierte Sätze von Parameterwerten für die ein oder mehreren Parameter des Kalmanfilters ermittelt werden (z.B. auf Basis von Simulationen und/oder Testfahren). So kann die Güte des ermittelten Schätzwertes der Winkel-Lage weiter erhöht werden.
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Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, Drehraten-Sensordaten zumindest eines Drehratensensors des Fahrzeugs zu ermitteln. Alternativ oder ergänzend kann die Vorrichtung eingerichtet sein, Drehzahl-Sensordaten zumindest eines Raddrehzahlsensors (des Vorderrads und/oder des Hinterrads) des Fahrzeugs zu ermitteln. Alternativ oder ergänzend kann die Vorrichtung eingerichtet sein, Beschleunigungs-Sensordaten zumindest eines Beschleunigungssensors des Fahrzeugs zu ermitteln. Die Drehzahl-Sensordaten können dazu verwendet werden die Fahrgeschwindigkeit und/oder die (Längs-) Beschleunigung des Fahrzeugs zu ermitteln. Die Drehraten-Sensordaten und/oder die Beschleunigungs-Sensordaten können anhand einer inertialen Messeinheit (insbesondere einer Inertial Measurement Unit, IMU) erfasst werden.
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Die Drehraten-Sensordaten, die Drehzahl-Sensordaten und/oder die Beschleunigungs-Sensordaten können im Rahmen der Datenfusions-Methode fusioniert werden, um einen präzisen Schätzwert der Winkel-Lage des Fahrzeugs zu ermitteln. Dabei kann die Datenfusions-Methode insbesondere ausgebildet sein, die Messwerte einer Drehrate des Fahrzeugs über der Zeit zu integrieren.
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Ferner kann der Wert der integrierten Drehrate auf Basis der Drehzahl-Sensordaten und/oder der Beschleunigungssensordaten korrigiert werden (um einen Offset und/oder Drift zu vermeiden).
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Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, die Gewichtung der Drehraten-Sensordaten, der Drehzahl-Sensordaten und/oder der Beschleunigungs-Sensordaten im Rahmen der Datenfusions-Methode zur Ermittlung des Schätzwertes der Winkel-Lage des Fahrzeugs in Abhängigkeit von den Situationsdaten, insbesondere in Abhängigkeit von der (ausgewählten) aktuellen Fahrsituation, anzupassen. Insbesondere können die unterschiedlichen Datenfusions-Methoden für die unterschiedlichen Fahrsituationen jeweils unterschiedliche (vordefinierte und/oder fixe) Gewichtungen der Drehraten-Sensordaten, der Drehzahl-Sensordaten und/oder der Beschleunigungs-Sensordaten zur Ermittlung des Schätzwertes der Winkel-Lage des Fahrzeugs aufweisen. Durch die Anpassung der Gewichtungen der unterschiedlichen Typen von Sensordaten an die jeweils vorliegende Fahrsituation kann die Güte des ermittelten Schätzwertes der Winkel-Lage weiter erhöht werden.
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Die Vorrichtung kann eingerichtet sein, an einer Sequenz von aufeinanderfolgenden Zeitpunkten, jeweils aktuelle Situationsdaten in Bezug auf die jeweils aktuelle Fahrsituation des Fahrzeugs zu ermitteln, und die zur Ermittlung des jeweils aktuellen Schätzwertes der Winkel-Lage des Fahrzeugs verwendete Datenfusions-Methode in Abhängigkeit von den jeweils aktuellen Situationsdaten, insbesondere in Abhängigkeit der jeweils aktuellen Fahrsituation, anzupassen. Insbesondere kann an dem jeweiligen Zeitpunkt die jeweils aktuelle Fahrsituation ermittelt (z.B. aus der Mehrzahl von vordefinierten Fahrsituationen ausgewählt) werden. Es kann dann die mit der jeweiligen Fahrsituation assoziierte Datenfusions-Methode zur Fusion der Sensordaten verwendet werden. So kann dauerhaft (während des Betriebs des Fahrzeugs) ein präziser Schätzwert der Winkel-Lage des Fahrzeugs ermittelt werden.
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Gemäß einem weiteren Aspekt wird ein einspuriges (Straßen-) Kraftfahrzeug (insbesondere ein Motorrad) beschrieben, das die in diesem Dokument beschriebene Vorrichtung umfasst.
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Gemäß einem weiteren Aspekt wird ein Verfahren zur Ermittlung eines Schätzwertes einer Winkel-Lage eines einspurigen Fahrzeugs beschrieben. Das Verfahren umfasst das Ermitteln von Situationsdaten in Bezug auf eine aktuelle Fahrsituation des Fahrzeugs. Des Weiteren umfasst das Verfahren das Anpassen einer zur Ermittlung des Schätzwertes der Winkel-Lage des Fahrzeugs verwendeten Datenfusions-Methode in Abhängigkeit von den Situationsdaten.
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Gemäß einem weiteren Aspekt wird ein Software (SW) Programm beschrieben. Das SW Programm kann eingerichtet werden, um auf einem Prozessor (z.B. auf einem Steuergerät eines Fahrzeugs) ausgeführt zu werden, und um dadurch das in diesem Dokument beschriebene Verfahren auszuführen.
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Gemäß einem weiteren Aspekt wird ein Speichermedium beschrieben. Das Speichermedium kann ein SW Programm umfassen, welches eingerichtet ist, um auf einem Prozessor ausgeführt zu werden, und um dadurch das in diesem Dokument beschriebene Verfahren auszuführen.
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Es ist zu beachten, dass die in diesem Dokument beschriebenen Verfahren, Vorrichtungen und Systeme sowohl alleine, als auch in Kombination mit anderen in diesem Dokument beschriebenen Verfahren, Vorrichtungen und Systemen verwendet werden können. Des Weiteren können jegliche Aspekte der in diesem Dokument beschriebenen Verfahren, Vorrichtungen und Systemen in vielfältiger Weise miteinander kombiniert werden. Insbesondere können die Merkmale der Ansprüche in vielfältiger Weise miteinander kombiniert werden.
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Im Weiteren wird die Erfindung anhand von Ausführungsbeispielen näher beschrieben. Dabei zeigen
- 1a ein beispielhaftes einspuriges Fahrzeug in einer Frontansicht;
- 1b ein beispielhaftes einspuriges Fahrzeug in einer Seitenansicht;
- 2 eine beispielhafte Methode zur Ermittlung eines Messwertes des Nickwinkels; und
- 3 ein Ablaufdiagramm eines beispielhaften Verfahrens zur Ermittlung eines Schätzwertes der Winkel-Lage eines einspurigen Fahrzeugs.
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Wie eingangs dargelegt, befasst sich das vorliegende Dokument mit der präzisen, robusten und effizienten Ermittlung der Winkel-Lage eines einspurigen Fahrzeugs. In diesem Zusammenhang zeigt 1a ein einspuriges Fahrzeugs 100 in einer Frontansicht, wobei das Fahrzeug 100 auf einer (horizontalen) Fahrbahn 120 fährt. Die Fahrbahn 120 erstreckt sich innerhalb einer durch die x-Achse 111 und die y-Achse 112 eines kartesischen Welt- oder Referenz-Koordinatensystems 110 gebildeten Ebene. In dem dargestellten Beispiel, entspricht die x-Achse 111 der Längsachse und die y-Achse 112 der Querachse des Fahrzeugs 100. Das Fahrzeug 100 weist ein oder mehrere Räder 121, 122 (siehe 1b) auf, die mit der Fahrbahn 120 in Kontakt stehen. Des Weiteren weist das Fahrzeug 100 einen (Masse-) Schwerpunkt 101 auf.
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Das Fahrzeug 100 kann um die Längsachse des Fahrzeugs 100 gedreht sein, so dass die Hochachse des Fahrzeugs 100 nicht mit der z-Achse 113 des Referenz-Koordinatensystems 110 übereinstimmt. Eine Drehung des Fahrzeugs 100 um die Längsachse 131 führt typischerweise zu einem bestimmten Rollwinkel 103 zwischen der Hochachse des Fahrzeugs 100 und der z-Achse 113 des Referenz-Koordinatensystems 110. In entsprechender Weise kann die Längsachse des Fahrzeugs 100 einen bestimmten Nickwinkel relativ zu der x-Achse des Referenz-Koordinatensystems 110 aufweisen.
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1b zeigt beispielhafte Komponenten eines Fahrzeugs 100. Insbesondere zeigt 1b ein oder mehrere Sensoren 131, 132, 133, 134 des Fahrzeugs 100. Die ein oder mehrere Sensoren 133, 134 können ein oder mehrere Inertialsensoren, insbesondere ein oder mehrere Inertial Measurement Units, IMUs, aufweisen. Die ein oder mehreren Sensoren 133, 134, insbesondere ein oder mehrere Drehraten-Sensoren 133, können z.B. Drehraten-Sensordaten in Bezug auf die Rollrate φ̇̇v (um die Längsachse des Fahrzeugs 100), in Bezug auf die Nickrate ϑ̇̇̇̇̇v (um die Querachse des Fahrzeugs 100) und/oder in Bezug auf die Gierrate ψ̇v (um die Hochachse des Fahrzeugs 100) bereitstellen. Des Weiteren können die ein oder mehreren Sensoren 133, 134, insbesondere ein oder mehrere inertiale Beschleunigungssensoren 134, Beschleunigungs-Sensordaten in Bezug auf die Längsbeschleunigung (entlang der Längsachse des Fahrzeugs 100) und/oder die Querbeschleunigung (entlang der Querachse des Fahrzeugs 100) bereitstellen.
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Des Weiteren kann das Fahrzeug 100 einen Drehzahlsensor 131 für das Vorderrad 121 und einen Drehzahlsensor 132 für das Hinterrad 122 aufweisen, wobei ein Drehzahlsensor 131, 132 ausgebildet ist, Drehzahl-Sensordaten in Bezug auf die Drehzahl des jeweiligen Rades 121, 122 zu erfassen.
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Es können somit an einer Sequenz von Zeitpunkten k = 1, ..., K Sensordaten bezüglich der Rollrate <pbzw. der Nickrate ϑ̇̇̇v bereitgestellt werden. Die Sensordaten bezüglich der Rollrate φ̇ bzw. der Nickrate ̇ϑv können über der Zeit integriert werden, um den Rollwinkel φ 103 bzw. den Nickwinkel ϑ an der Sequenz von Zeitpunkten k zu schätzen. Bei der direkten Integration der Rollrate φ̇bzw. der Nickrate ϑ̇̇̇v zur Ermittlung des Rollwinkels φ 103 bzw. des Nickwinkels ϑ können jedoch Offset- und Driftfehler nicht berücksichtigt und kompensiert werden.
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Ein Offset- und Driftfehler kann z.B. durch Verwendung einer Datenfusions-Methode, insbesondere eines Kalmanfilters, ermittelt und korrigiert werden. Ein Kalmanfilter ist ein Beispiel für einen Schätzer für ein lineares stochastisches System. Dabei kann das System durch einen Zustandsvektor beschrieben werden, wobei der Zustandsvektor den Rollwinkel 103 bzw. den Nickwinkel umfasst. Des Weiteren kann durch eine (lineare) Zustandsgleichung (bzw. durch ein Zustandsmodell) beschrieben werden, wie sich der Zustandsvektor ausgehend von einem aktuellen Wert am Zeitpunkt k bis zu einem nachfolgenden Zeitpunkt k + 1 verändert. Dieser Schritt wird typischerweise als Prädiktion bezeichnet. Der prädizierte Zustandsvektor kann dann mit einem aktuellen Messwert verglichen und korrigiert werden, um einen (Schätz-) Wert des Zustandsvektors am Zeitpunkt k + 1 zu ermitteln. Dieser Prozess von Prädiktion mittels einer Zustandsgleichung und Korrektur mittels eines aktuellen Messwertes kann iterativ für die Sequenz von Zeitpunkten k = 1, ..., K wiederholt werden, um zu jedem Zeitpunkt k einen zuverlässigen (Schätz-) Wert des Zustandsvektors (und damit des Rollwinkels 103 bzw. des Nickwinkels) zu ermitteln.
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Der Zustandsvektor x̂ kann als eine erste Dimension den (Schätz-) Wert des Rollwinkels φ bzw. des Nickwinkels ϑ̂̂̂ und als zweite Dimension den (Schätz-) Wert des Offsets der jeweiligen Drehrate (bzw. des Sensors 133 zur Erfassung der jeweiligen Drehrate) umfassen. Der (Schätz-) Wert des Rollwinkels <p 103 bzw. des Nickwinkels ϑ kann dann um den jeweiligen (Schätz-) Wert des Offsets der jeweiligen Drehrate korrigiert werden, um einen präzisen kompensiert bzw. korrigierten Wert des Rollwinkels φ 103 bzw. des Nickwinkels ϑ zu ermitteln. Ggf. kann diese Korrektur implizit im Rahmen des Zustandsmodells erfolgen.
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Ein (zeitdiskretes) Kalmanfilter kann durch folgende Gleichungen beschrieben werden:
wobei die erste Gleichung eine Zustandsgleichung ist, mit der Übergangsmatrix A, der Störung u
k-1 und der Dynamikmatrix B. Mittels der Zustandsgleichung kann aus dem Schätzwert x
̂k-1 des Zustandsvektors an dem vorhergehenden Zeitpunkt k — 1 der prädizierte Wert
des Zustandsvektors an dem aktuellen Zeitpunkt k prädiziert werden. Dabei kann die Störung u
k-1 des Systems (durch die eine Veränderung des Zustandsvektors bewirkt wird) die durch den Sensor
202 erfasste Drehrate (transformiert in das Referenz-Koordinatensystem
110) sein. Die Übergangsmatrix und die Dynamikmatrix können wie folgt definiert sein
wobei T
A das Zeitintervall zwischen zwei Zeitpunkten k — 1 und k ist.
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Die zweite Gleichung des Kalmanfilters ermöglicht es, einen Wert der Kovarianz
zum Zeitpunkt k aus dem Wert der Kovarianz P
k-
1 zum Zeitpunkt k — 1 zu prädizieren. Dabei beschreibt Q das Prozessrauschen. Aus der dritten Gleichung kann das Kalmanfilter bzw. die KalmanmatrixL
k aktualisiert werden, wobei R die Messunsicherheit widerspiegelt und wobei H die Beobachtungsmatrix ist, die anzeigt, welcher Messwert sich aus einem bestimmten Wert des Zustandsvektors ergibt, z.B.
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Die vierte Gleichung ermöglicht es, den Zustandsvektor zu aktualisieren. Dabei wird ein aktueller Messwert yk für den Rollwinkel 103 bzw. für den Nickwinkel berücksichtigt und mit einem geschätzten Messwert verglichen, der sich über die Beobachtungsmatrix H aus dem Schätzwert x̂k-1 des Zustandsvektors ergibt. Die Differenz aus dem aktuellen Messwert und dem geschätzten Messwert wird typischerweise als Innovation bezeichnet. Anhand der fünften Gleichung kann dann die aktualisierte Kovarianz Pk ermittelt werden, wobei I die Einheitsmatrix ist.
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Die o.g. Gleichungen ermöglichen es, die Kalmanmatrix Lk iterativ anzupassen. Zur Reduzierung der Komplexität kann im Vorfeld eine konstante Kalmanmatrix L mit konstanten Verstärkungsfaktoren ermittelt werden. Zu diesem Zweck kann z.B. die Matlab Funktion „dlqr“ angewendet werden (zur Ermittlung der Rückführmatrix eines linear-quadratischen Reglers). Dabei kann eine Parametrierung erfolgen, um eine möglichst stabile iterative Ermittlung des Zustandsvektors zu ermöglichen.
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Der Zustandsvektor kann bei Verwendung einer konstanten Kalmanmatrix L in vereinfachter Weise durch die folgende Formel aktualisiert werden
wobei L der (Kalman-) Vektor bzw. die (Kalman-) Matrix mit Kalman-Verstärkungsfaktoren bzw. mit Kalman-Verstärkungen ist.
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Wie aus der o.g. Formel zur rekursiven Berechnung der Schätzwert x̂k des Zustandsvektors hervorgeht, wird zu jedem Zeitpunkt k ein aktueller Messwertyk, z.B. ein aktueller Messwert des Rollwinkels bzw. des Nickwinkels, benötigt. Der aktuelle Messwert kann auf Basis der Sensordaten der ein oder mehreren Sensoren 131, 132, 133, 134 des Fahrzeugs 100 ermittelt werden. 2 veranschaulicht beispielhaft, wie ein aktueller Messwert des Nickwinkels auf Basis der Sensordaten der ein oder mehreren Raddrehzahlsensoren 131, 132 und der Sensordaten eines Beschleunigungssensors 134, insbesondere des Beschleunigungssensors 134 für die Längsbeschleunigung des Fahrzeugs 100, ermittelt werden kann. Aufgrund des Nickwinkels ϑ ist die Längsachse 211 des Fahrzeugs gegenüber der x-Achse 111 des Referenz-Koordinatensystems 110 um den Winkel ϑ verdreht. Dies gilt in entsprechender Weise für die Hochachse 213 des Fahrzeugs 100, die gegenüber der z-Achse 113 des Referenz-Koordinatensystems 110 um den Winkel ϑ verdreht ist.
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Auf Basis der Sensordaten der ein oder mehreren Raddrehzahlsensoren
131,
132 kann an einem Zeitpunkt k ein aktueller Messwert a
v der Drehzahl-basierten Beschleunigung
201 ermittelt werden. Des Weiteren kann auf Basis der Sensordaten eines inertialen Beschleunigungssensors
134 ein aktueller Messwert a
x.s der inertial-gemessenen Längsbeschleunigung
203 ermittelt werden. Der aktuelle Messwert y
k des Nickwinkels ϑ kann dann auf Basis der Gleichung
ermittelt werden.
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Des Weiteren kann auf Basis der Sensordaten eines inertialen Beschleunigungssensors
134 ein aktueller Messwert a
g·s der inertial gemessenen Schwerkraft
202 ermittelt werden. Der aktuelle Messwert y
k des Nickwinkels ϑ kann dann auf Basis der Gleichung
ermittelt werden, wobei 9 g die Schwerkraft ist.
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Der aktuelle Messwert yk des Nickwinkels ϑ kann somit auf unterschiedliche Weise ermittelt werden. Dabei hängt die Güte, mit der ein aktueller Messwert yk des Nickwinkels ϑ auf Basis der gemessenen Beschleunigungswerte 201, 202, 203 ermittelt werden kann, von der Fahrsituation ab, in der sich das Fahrzeug 100 befindet. Wenn sich das Fahrzeug 100 z.B. in einer sogenannten Wheelie-Situation befindet, bei der das Vorderrad 121 des Fahrzeugs 100 keinen Kontakt mit der Fahrbahn 120 hat, so kann der Messwert av der Raddrehzahl-basierten Beschleunigung 201 typischerweise nicht verwendet werden, da die Raddrehzahl des nicht angetriebenen Vorderrads 121 unabhängig von der Längsbeschleunigung des Fahrzeugs 100 ist und/oder da das Hinterrad 122 des Fahrzeugs 100 einen relativ hohen Schlupf und/oder relativ starke Antriebsvibrationen aufweist. Es sollte daher in einer Wheelie-Fahrsituation ein erhöhtes Gewicht auf die inertial gemessene Schwerkraft 202 gelegt werden, als auch die Drehraten-basierte Beschleunigung 201.
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Eine weitere Fahrsituation ist eine Fahrsituation, bei der das Fahrzeug 100 eine relativ niedrige Fahrgeschwindigkeit (relativ nah an dem Stillstand) aufweist. Bei einer relativ niedrigen Fahrgeschwindigkeit kann aus einer gemessenen Drehrate (die auf Basis der Sensordaten eines Drehratensensors 133 ermittelt werden kann) typischerweise nur relativ ungenau auf die Winkel-Lage (z.B. auf den Nickwinkel bzw. auf den Rollwinkel) geschlossen werden. Andererseits kann auf Basis der Sensordaten in Bezug auf die Beschleunigung die Winkel-Lage des Fahrzeugs 100 relativ genau bestimmt werden. Die Gewichtung der Sensordaten sollte entsprechend angepasst werden, um auch in einer solchen Fahrsituation einen präzisen Schätzwert der Winkel-Lage zu ermitteln.
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Eine Steuereinheit bzw. Vorrichtung 130 des Fahrzeugs 100 kann eingerichtet sein, eine bestimmte Fahrsituation aus einer Mehrzahl von vordefinierten Fahrsituationen zu detektieren. Beispielhafte Fahrsituationen sind:
- • eine Standard-Fahrsituation, bei der beide Räder 121, 122 des Fahrzeugs 100 die Fahrbahn 120 berühren;
- • eine Wheelie-Fahrsituation, bei der ein Rad 121, 122 des Fahrzeugs 100 nicht die Fahrbahn 120 berührt;
- • eine Stillstands-nahe-Fahrsituation, bei der das Fahrzeug 100 eine relativ niedrige Fahrgeschwindigkeit aufweist; und/oder
- • eine Kurvenfahrt- und/oder Ausweich-Fahrsituation, bei der das Fahrzeug 100 eine relativ hohe Rollrate und/oder eine sich relativ stark verändernde Rollrate aufweist.
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Die aktuell vorliegende Fahrsituation kann auf Basis der Sensordaten von ein oder mehreren Sensoren 131, 132, 133, 134 des Fahrzeugs 100 ermittelt werden. Beispielsweise kann auf Basis eines charakteristischen Musters für die Raddrehzahlen der Räder 121, 122 des Fahrzeugs 100 auf das Vorliegen einer Wheelie-Fahrsituation geschlossen werden. Ferner kann auf Basis der gemessenen Raddrehzahlen und der sich daraus ergebenden Fahrgeschwindigkeit eine Stillstands-nahe-Fahrsituation erkannt werden.
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Die Steuereinheit 130 ist ferner eingerichtet, das für die Ermittlung der Winkel-Lage verwendete Kalmanfilter, insbesondere die Beobachtungsmatrix H, die Matrizen für das Prozess- und/oder Messrauschen Q,R und/oder die Kalmanmatrix L, an die jeweilige Fahrsituation anzupassen. Insbesondere kann ein für die jeweilige Fahrsituation definiertes Kalmanfilter verwendet werden. Dabei kann das Kalmanfilter für eine Wheelie-Fahrsituation ausgebildet sein, den Schätzwert der Winkel-Lage (z.B. des Rollwinkels und/oder des Nickwinkels) ohne Berücksichtigung der Sensordaten der ein oder mehreren Raddrehzahlsensoren 131, 132 zu ermitteln. Andererseits kann das Kalmanfilter für eine Stillstands-nahe-Fahrsituation ausgebildet sein, die Sensordaten eines Drehratensensors 133 weniger zu gewichten als die Sensordaten der ein oder mehreren Raddrehzahlsensoren 131, 132.
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Die Fusion der Sensordaten von unterschiedlichen Sensoren 131, 132, 133, 134 des Fahrzeugs 100 zur Ermittlung der Winkel-Lage eines Fahrzeugs 100 kann somit an die jeweils detektierte Fahrsituation angepasst werden (durch Anpassen des jeweils verwendeten Kalmanfilters). So kann die Güte des ermittelten Schätzwertes der Winkel-Lage erhöht werden.
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3 zeigt ein Ablaufdiagramm eines beispielhaften (ggf. Computerimplementierten) Verfahrens 300 zur Ermittlung eines Schätzwertes einer Winkel-Lage, insbesondere eines Nickwinkels und/oder eines Rollwinkels, eines einspurigen Fahrzeugs 100 (insbesondere eines Motorrads). Das Verfahren 300 umfasst das Ermitteln 301 von Situationsdaten in Bezug auf eine aktuelle Fahrsituation des Fahrzeugs 100. Insbesondere kann eine aktuelle Fahrsituation aus einer Mehrzahl von vordefinierten Fahrsituation ausgewählt werden (z.B. auf Basis von Sensordaten von ein oder mehreren Sensoren 131, 132, 133, 134 des Fahrzeugs 100). Die Mehrzahl von unterschiedlichen Fahrsituationen kann mit einer entsprechenden Mehrzahl von vordefinierten Datenfusions-Methoden (insbesondere mit einer entsprechenden Mehrzahl von unterschiedlich parametrierten Kalmanfiltem) assoziiert sein.
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Das Verfahren 300 umfasst ferner das Anpassen 302 der zur Ermittlung des Schätzwertes der Winkel-Lage des Fahrzeugs 100 verwendeten Datenfusions-Methode in Abhängigkeit von den Situationsdaten, insbesondere in Abhängigkeit von der aktuell vorliegenden Fahrsituation. Dabei kann insbesondere die mit der aktuellen Fahrsituation assoziierte vordefinierte Datenfusions-Methode verwendet werden.
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Die Anpassung der verwendeten Datenfusions-Methode (insbesondere des zur Datenfusion verwendeten Kalmanfilters) an die jeweils vorliegende Fahrsituation ermöglicht es, die Genauigkeit der ermittelten Schätzwerte der Winkel-Lage des Fahrzeugs 100 zu erhöhen.
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Die vorliegende Erfindung ist nicht auf die gezeigten Ausführungsbeispiele beschränkt. Insbesondere ist zu beachten, dass die Beschreibung und die Figuren nur das Prinzip der vorgeschlagenen Verfahren, Vorrichtungen und Systeme veranschaulichen sollen.