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Technisches Gebiet
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Die Erfindung betrifft elektromechanische Positioniersysteme, wie sie beispielsweise bei Ventilhub-Verstellsystemen, elektronischen Kupplungen und dergleichen verwendet werden können. Weiterhin betrifft die vorliegende Erfindung Positionsregelungen für derartige elektromechanische Positioniersysteme.
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Technischer Hintergrund
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Elektromechanische Positioniersysteme, wie Stellgeber für variable Ventilhub-Verstellsysteme in Verbrennungsmotoren und elektronischen Kupplungssystemen in Kraftfahrzeugen, benötigen eine robuste Positionsregelung, um eine gewünschte Sollposition im gesamten Produktlebenszyklus mit gleichbleibender Regelgüte einstellen zu können. Aufgrund der hohen Anzahl von Einflussgrößen können für derartige Positioniersysteme strukturvariable Regelungen vorgesehen werden. Strukturvariable Regelungen entsprechen Regelungen mit strukturvariablem Regelgesetz und einer Schaltfunktion.
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Schaltfunktionen von derartigen strukturvariablen Regelungen sind jedoch aufwendig für eine vorgegebene Regelstrecke zu applizieren, wodurch die Robustheit der Positionsregelung beeinträchtigt sein kann.
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Offenbarung der Erfindung
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Erfindungsgemäß sind ein Verfahren zur Positionsregelung eines elektromechanischen Positioniersystems gemäß Anspruch 1 sowie eine Vorrichtung und ein Regelungssystem gemäß den nebengeordneten Ansprüchen vorgesehen.
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Weitere Ausgestaltungen sind in den abhängigen Ansprüchen angegeben.
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Gemäß einem ersten Aspekt ist ein Verfahren zum Durchführen einer Positionsregelung für ein elektromechanisches Positioniersystem vorgesehen, wobei die Positionsregelung eine strukturvariable Regelung mit einer Schaltfunktion und einem Regelgesetz umfasst, wobei das Regelgesetz eine Stellgröße zur Ansteuerung eines Stellantriebs des Positioniersystems mit Hilfe einer Fallunterscheidung abhängig von einer Bewertung eines Systemzustands bereitstellt, wobei die Fallunterscheidung des Regelgesetzes abhängig von einer Klassifizierung einer Schaltgröße als Ausgangsgröße der Schaltfunktion durchgeführt wird, wobei die Schaltfunktion durch ein datenbasiertes Funktionsmodell definiert ist.
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Um eine möglichst schnelle Verstellung einer Position eines elektromechanischen Positioniersystems zu erreichen, werden für die Positionsregelung in der Regel strukturvariable Regelungen vorgesehen. Eine strukturvariable Regelung umfasst eine Schaltfunktion und ein strukturvariables Regelgesetz. Die strukturvariable Regelung kann im einfachsten Fall vorsehen, dass ein elektromechanischer Stellgeber maximal angesteuert wird, bis ein bestimmter Systemzustand relativ zu einer vorgegebenen Sollposition erreicht wird, um dann den Sollzustand entlang einer vorgegebenen Schalttrajektorie anzufahren. Während dieser Phase schaltet das Regelgesetz im einfachsten Fall zwischen der maximal und der minimal möglichen Stellgröße so lange hochfrequent hin und her, bis die Sollposition erreicht ist.
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Derartige strukturvariable Regelungen entsprechen Regelungen, für die eine Stellgröße von einem Zustand des Positioniersystems und von mindestens einem weiteren Auswahlparameter abhängt. Die Verwendung von strukturvariablen Regelungen für Positioniersysteme weist den generellen Vorteil auf, dass ein ausgesprochen robuster Regler realisiert werden kann. Das bedeutet, dass die Schalttrajektorie auch dann erreicht wird, wenn bestimmte Systemunsicherheiten (z.B. Reibung, Toleranzen, Umwelteinflüsse) auf das System einwirken. Die strukturvariable Regelung sieht dabei vor, die Sollposition gemäß einer vorgegebenen Schalttrajektorie anzufahren, die durch eine vorbestimmte Schaltfunktion vorgegeben ist. Liegt der Istzustand des elektromechanischen Stellgebers nicht auf der Schalttrajektorie, so wird der elektromechanische Stellgeber in der Regel mit maximaler Ansteuerung betrieben, um sich schnellstmöglich der durch die Schalttrajektorie vorgegebenen Betriebszustand anzunähern. Die Schaltfunktion kann bei elektromechanischen Positioniersystemen neben der Regelabweichung zwischen der Sollposition und der Istposition von einer Vielzahl von weiteren Parametern abhängen. Dadurch ist das Applizieren der Schaltfunktion in der Praxis oft aufwendig.
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Das obige Verfahren sieht vor, die Schaltfunktion mit Hilfe eines nicht parametrischen, datenbasierten Modells bereitzustellen. Datenbasierte Modelle ermöglichen, Funktionen physikalischer Systeme im Wesentlichen ohne die Vorgabe von Parametern nachzubilden. Als datenbasiertes Funktionsmodell kann beispielsweise ein Gauß-Prozess-Modell verwendet werden, das im Wesentlichen durch Hyperparameter, einen Koeffizientenvektor und Stützstellenpunkte definiert wird. Gauß-Prozess-Modelle sind eine Methode, um schwer modellierbare oder gemessene funktionale Zusammenhänge datenbasiert in eine Rechenvorschrift zu fassen.
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Die Verwendung eines datenbasierten Funktionsmodells für die Realisierung einer Schaltfunktion einer strukturvariablen Regelung ermöglicht zum einen eine schnellere Berechnung der Schaltfunktion auf einer separaten Hardware, die z.B. eine Zustandsmaschine mit fest verdrahteten Rechenblöcken aufweisen kann, und entlastet dadurch die Steuereinheit, die die Positionsregelung durchführt. Zum anderen ist die Verwendung von datenbasierten Funktionsmodellen insbesondere vorteilhaft, wenn eine größere Anzahl von Eingangsparametern für die Schaltfunktion berücksichtigt werden muss, da diese durch ein automatisierbares Trainingsverfahren basierend auf Trainingsdaten appliziert werden kann.
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Weiterhin kann das Regelgesetz einer Zweipunktregelung entsprechen, wobei die Generierung der Stellgröße insbesondere abhängig von einem Vorzeichen einer den Systemzustand definierenden Schaltgröße durchgeführt wird.
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Alternativ kann das Regelgesetz einem Super-Twisting -Algorithmus entsprechen, wobei die Generierung der Stellgröße insbesondere abhängig von einem Vorzeichen einer den Systemzustand definierenden Schaltgröße und abhängig von einem Verlauf der Stellgröße generiert wird.
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Neben Zweipunktregler und Super-Twisting Algorithmus sind weitere Ausführungsalternativen von Regelgesetzen möglich (z.B. Mehrpunktregler).
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Gemäß einer Ausführungsform kann das datenbasierte Funktionsmodell einem Gauß-Prozess-Modell, RBF-Netz oder einer Support-Vector-Maschine entsprechen.
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Es kann vorgesehen sein, dass die Schaltfunktion abhängig von einer Regelabweichung und weiteren Systemparametern definiert ist.
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Insbesondere kann die Schaltfunktion weiterhin eine Istgeschwindigkeit des Positioniersystems und/oder einen oder mehrere Zustandsparameter berücksichtigen.
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Insbesondere können die Zustandsparameter eine Temperatur des Positioniersystems, eine alterungsabhängige Größe, eine Betriebsspannung und eine Reibungsangabe umfassen.
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Gemäß einem weiteren Aspekt ist eine Vorrichtung zum Durchführen einer Positionsregelung für ein elektromechanisches Positioniersystem vorgesehen, wobei die Positionsregelung eine strukturvariable Regelung mit einer Schaltfunktion und einem Regelgesetz umfasst, wobei das Regelgesetz eine Stellgröße zur Ansteuerung eines Stellantriebs des Positioniersystems mit Hilfe einer Fallunterscheidung abhängig von einer Bewertung eines Systemzustands bereitstellt, wobei die Vorrichtung ausgebildet ist, um die Fallunterscheidung des Regelgesetzes abhängig von einer Klassifizierung einer Schaltgröße als Ausgangsgröße der Schaltfunktion durchzuführen, wobei die Schaltfunktion durch ein datenbasiertes Funktionsmodell definiert ist.
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Weiterhin kann die Vorrichtung einen Regelungsblock zum Bereitstellen eines Regelgesetzes und einen Schaltfunktionsblock zur Bereitstellen des datenbasierten Funktionsmodells als Schaltfunktion umfassen, wobei der Schaltfunktionsblock als separate Hardwareeinheit zur separaten Berechnung des datenbasierten Funktionsmodells ausgebildet ist.
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Gemäß einem weiteren Aspekt ist ein Positioniersystem vorgesehen, umfassend einen Stellgeber und die obige Vorrichtung.
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Figurenliste
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Ausführungsformen werden nachfolgend anhand der beigefügten Zeichnungen näher erläutert. Es zeigen:
- 1 eine schematische Darstellung eines elektromechanischen Positioniersystems; und
- 2 ein Diagramm zur Veranschaulichung der Regelgesetze für verschiedene Systemzustandsbereiche.
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Beschreibung von Ausführungsformen
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In 1 ist schematisch ein Blockschaltbild für ein elektromechanisches Positioniersystem 1 dargestellt. Das elektromechanische Positioniersystem 1 kann einen Stellgeber für einen variablen Ventiltrieb eines Verbrennungsmotors, eine elektronische Kupplung eines Kraftfahrzeugs oder andere Stellgebersysteme in Kraftfahrzeugen betreffen, die mithilfe einer Positionsregelung gestellt werden. Das elektromechanische Positioniersystem 1 umfasst eine Regelstrecke 2, die einen Stellgeber 21 und einen Positionssensor 23 zum Bereitstellen einer Istposition aufweist. Zwischen dem Stellgeber 21 und dem Positionssensor 23 kann eine Mechanik 22 vorgesehen.
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Dem Stellgeber 21 wird eine Stellgröße u zugeführt, die sich aus einem Regelungsblock 3 ergibt. Die Stellgröße u kann einem Tastverhältnis für eine Ansteuerung eines elektromechanischen Stellantriebs des Stellgebers 21 oder einer vergleichbaren Größe entsprechen. In der Regel gibt die Stellgröße ein vorgegebenes Stellmoment oder dergleichen an.
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Dem Regelungsblock
3 wird eine Schaltgröße als Ausgangsgröße einer durch einen Schaltfunktionsblock
4 vorgegebenen Schaltfunktion bereitgestellt. Der Regelungsblock
3 umfasst ein Regelgesetz für eine strukturvariable Regelung, die gemäß einem einfachen Zweitpunktregler ausgebildet sein kann, wie folgt:
wobei u
max einer maximalen Stellgröße und s einem Zustand des Positioniersystems entsprechen. Der Zustand s wird durch die Schaltfunktion des Schaltfunktionsblocks
4 bereitgestellt, die in dem Schaltfunktionsblock
4 realisiert ist.
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Eine Schaltfunktion bewertet einen Systemzustand abhängig von einer Regelabweichung, die durch die eine Istposition φIst und eine Sollposition φSoll bestimmt ist, und einer Reihe von weiteren Systemparametern P.
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Die Wirkungsweise einer solchen strukturvariablen Regelung ist beispielsweise in 2 anschaulich dargestellt. 2 zeigt einen Verlauf von Grenzkurven G1, G2, G3 zwischen Systemzuständen bezüglich einer Istgeschwindigkeit φ̇ und einer Regelabweichung Δφ, wobei für Systemzustände unterhalb der gezeigten Grenzkurve G1, G2, G3 ein negativer Wert und oberhalb der jeweiligen Grenzkurve G1, G2, G3 ein positiver Wert der Schaltfunktion angenommen wird.
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Die Schaltfunktion hängt neben der Regelabweichung von einer Vielzahl von Parametern P ab, wie beispielsweise der Istgeschwindigkeit, der Temperatur, dem Alterungseffekt, einer Betriebsspannung, den Reibungsbedingungen (Öltemperatur, Zeit nach Start des Gesamtsystems etc.) und anderen Parametern. Die verschiedenen Grenzkurven G1, G2, G3 stellen jeweils die Grenzkurven für verschiedene Parametersätze dar.
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Die Schaltfunktion lässt sich bei derartigen Systemen nur schwer analytisch herleiten. Daher muss das System grundlegend vermessen werden, damit die o.g. Einflussgrößen in der Schaltfunktion berücksichtigt sind.
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Zur Realisierung der Schaltfunktion wird vorgeschlagen, ein datenbasiertes Funktionsmodell zu nutzen. Datenbasierte Funktionsmodelle können auf Gauß-Prozess-Modellen, RBF-Netzen und Support-Vector-Maschinen und dergleichen basieren.
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Die Verwendung von nicht parametrischen, datenbasierten Funktionsmodellen basiert auf einem Bayes-Regressionsverfahren. Die Grundlagen der Bayes-Regression sind beispielsweise in C. E. Rasmussen et al., „Gaussian Processes for Machine Learning“, MIT Press 2006, beschrieben. Bei der Bayes-Regression handelt es sich um ein datenbasiertes Verfahren, das Beziehungen zwischen einer abhängigen und einer oder mehrerer unabhängiger Größen in einem Modell abbildet. Zur Erstellung dieses Modells sind Trainingsdatenpunkte, die jeweils Eingangsgrößen und eine dazu zugeordnete Ausgangsgröße umfassen, erforderlich. Die Erstellung des Modells erfolgt anhand der Verwendung von Stützstellenpunkten, die den Trainingsdaten ganz oder teilweise entsprechen oder aus diesen generiert werden. Weiterhin werden abstrakte Hyperparameter bestimmt, die den Raum der Modellfunktionen parametrieren und effektiv den Einfluss der einzelnen Messpunkte der Trainingsdaten auf die spätere Modellvorhersage gewichten.
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Die herkömmliche Erstellung von datenbasierten Funktionsmodellen mit Hilfe von Bayes-Regressionsverfahren, wie beispielsweise dem Gauß-Prozess-Modell, basierend auf einer Anzahl von bereitgestellten Trainingsdatenpunkten, die jeweils Eingangsgrößen und eine dazu zugeordnete Ausgangsgröße umfassen, erfolgt nach einem Approximationsansatz. Dabei erfolgt die Erstellung a priori ohne Kenntnisse des Verhaltens des Funktionsmodells oder des Systems, welches durch das Funktionsmodell beschrieben werden soll.
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Die abstrakten Hyperparameter werden herkömmlich durch ein Optimierungsverfahren bestimmt. Eine Möglichkeit für ein solches Optimierungsverfahren besteht in einer Optimierung einer Marginal Likelihood p(Y|H,X). Die Marginal Likelihood p(Y|H,X) beschreibt die Plausibilität der gemessenen y-Werte der Trainingsdaten, dargestellt als Vektor Y, wenn die Modellparameter H und die x-Werte (Werte der Eingangsgrößen) der Trainingsdaten vorgegeben sind. Im Modelltraining wird p(Y|H,X) maximiert, indem geeignete Hyperparameter gesucht werden, die zu einem Verlauf der durch die Hyperparameter und die Trainingsdaten bestimmten Modellfunktion führen und die Trainingsdaten möglichst genau abbilden und dabei die Messunsicherheiten und Toleranzen weitest möglich ausblenden.
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Wie in
2 gezeigt wird ausgegangen von einem Gauß-Prozess-Modell mit einer Anzahl D von Eingangsgrößen x
1 ...x
D und eine Ausgangsgröße y. Die Kombination der Eingangsgrößen x
1 ...x
D und der Ausgangsgröße y bilden jeweils eine Stützstelle. Das Gauß-Prozess-Modell basiert auf einer Kovarianzfunktion, die eine Squared-Exponentialfunktion darstellen kann:
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Das Verwenden anderer Kovarianzfunktionen ist ebenfalls möglich. Die Kovarianzmatrix lautet:
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Die Matrix I bezeichnet die Einheitsmatrix der Dimension (N*N), wobei N der Anzahl der Stützstellenpunkte entspricht.
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Die Hyperparameter
werden jeweils als Signalvarianz, als Längenskalenvektor mit Längenskalen und als Rauschvarianz bezeichnet.
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Damit lautet der prädizierte Ausgang
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Wobei
die skalierten (normierten, normalisierten) Eingangsgrößen
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Und die N Stützstellen
entsprechen.
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Für die obige Schaltfunktion ist s(x̃) = y(x̃), wobei die Eingangsgrößen der Regelabweichung und einer Istgeschwindigkeit und/oder einem oder mehreren der weiteren Systemparametern entsprechen.
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Schaltfunktionen und Reglergesetz können in einem Steuergerät realisiert sein, wobei die Schaltfunktion in einer separaten Modellberechnungseinheit, die als separate Hardwareeinheit ausgebildet ist, berechnet werden kann. Eine solche Modellberechnungseinheit ist hartverdrahtet und dementsprechend nicht dazu ausgebildet, einen Softwarecode auszuführen. Aus diesem Grund ist in einer solchen Modellberechnungseinheit auch kein Prozessor vorgesehen. Die Modellberechnungseinheit weist stattdessen einen Rechenkern auf, der einer Zustandsmaschine entspricht und eine Berechnung eines vorgegebenen Algorithmus rein in Hardware implementiert.
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Die Stellgröße u kann wie oben beschrieben aus einem einfachen Regelgesetz hergeleitet werden, das einer Zweipunkt-Regelung entspricht. Hier wird lediglich ein Vorzeichen der Schaltgröße s der Schaltfunktion ausgewertet, die eine maximale Ansteuerung des Stellantriebs in eine erste oder dazu entgegengesetzt zweite Richtung angibt.
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Alternativ ist es möglich, ein erweitertes Regelgesetz höherer Ordnung vorzusehen, wobei die zeitliche Änderung der Schaltfunktion berücksichtigt wird. So kann als Regelgesetz neben dem Zweipunktregler auch ein Super-Twisting-Algorithmus verwendet werden, wie folgt:
wobei α und λ festzulegende Regelungsparameter sind. Der Super-Twisting-Algorithmus als Regelgesetz führt zu einem geringeren Stellaufwand, da die Umschalthäufigkeit in der Stellgröße deutlich verringert ist, weist jedoch im Vergleich zum Zweipunktregler einen höheren Rechenaufwand auf.