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Die Erfindung bezieht sich auf die Gebiete der Messtechnik und Materialwissenschaften und betrifft ein Verfahren zur Ermittlung von Dehnungstensor, Gitterparametern und/oder Orientierungsmatrix von Kristalliten in polykristallinen Materialien, insbesondere die Ermittlung der Gitterkonstanten und Dehnungen von Polykristallen.
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Eine Möglichkeit zur Ermittlung von Eigenschaften von polykristallinen Materialien ist die kristallografische Untersuchung und Analyse der Kristallite. Dies kann mittels Electron backscatter diffraction (EBSD) realisiert werden.
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EBSD-Systeme werden größtenteils in Rasterelektronenmikroskopen oder Transmissionselektronenmikroskopen eingesetzt. Die Funktionsweise ist dabei, dass der einfallende Primärelektronenstrahl inelastisch an den Atomen der Probe streut und so eine divergente Quelle in der Probe entsteht. Die Probe wird dazu üblicherweise in einem Winkel von 70° eingespannt. Wenn nun manche Elektronen so auf Gitterflächen treffen, dass die Bragg-Bedingung erfüllt ist, so kommt es zu konstruktiver Interferenz. Diese Verstärkung geschieht nun für alle Gitterflächen im Kristallit, sodass das entstehende Beugungsbild (engl.: electron backscatter pattern, EBSP, auch Kikuchi-Pattern) alle Winkelbeziehungen im Kristallit und somit auch die Kristallsymmetrie beinhaltet. Das so entstehende Beugungsbild wird Mithilfe eines Phosphorschirms aufgenommen.
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Die Nutzung der hohen örtlichen Auflösung von Elektronenmikroskopen und die automatisierte Bildauswertung mit Hilfe von Computern ermöglicht die ortsaufgelöste Ermittlung (Mapping) der Kristallsymmetrien (Kristallstruktur) und deren Ausrichtung (Kristallorientierung), sowie mit entsprechender Software und hochauflösender Detektion die Analyse von Materialverspannungen (Strain Analyse).
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Bekannt sind Arbeiten von A. J. Wilkinson et al, Superlattices and Microstuctures (2008), die mittels des EBSD Dehnungen im Nanobereich an kristallinen Proben untersucht haben. Es werden kleine Veränderungen des EBSD-Bildes betrachtet und daraus auf Dehnungen und kleine Orientierungsabweichungen geschlossen. Damit ist dieses Verfahren nur zur Bestimmung von Dehnungsunterschieden innerhalb eines Kristallits geeignet.
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Nachteilig bei den bekannten Verfahren zur Bestimmung von Eigenschaften von polykristallinen Materialien ist, dass deren Bestimmung nicht genau genug realisiert werden kann.
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Aufgabe der vorliegenden Lösung ist es, ein Verfahren zur Ermittlung von Dehnungstensor, Gitterparametern und/oder Orientierungsmatrix von Kristalliten in polykristallinen Materialien anzugeben, mit dem eine hochgenaue Bestimmung des Dehnungstensors, der Gitterparameter und/oder der Orientierungsmatrix von polykristallinen Materialien realisiert wird.
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Die Aufgabe wird durch die in den Ansprüchen angegebene Erfindung gelöst. Vorteilhafte Ausgestaltungen sind Gegenstand der Unteransprüche.
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Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren zur Ermittlung von Dehnungstensor, Gitterparametern und/oder Orientierungsmatrix von Kristalliten in polykristallinen Materialien werden aus Beugungungsbildern eines Messkristallits und eines Referenzkristallits mindestens 3 Paare von Zonenachsen, beschrieben durch Atompositionen oder globale Koordinaten des Messkristallits und des Referenzkristallits, ermittelt, wobei für jedes Paar die jeweilige Verbindungsgerade zwischen dem Messpunkt auf dem Kristallit und dem Bild der Zonenachse auf dem Detektor die gleiche Richtung hat.
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Vorteilhafterweise werden in den mittels EBSD erhaltenen Beugungsbildern jeweils mindestens die Position von mindestens vier Zonenachsen im Bild vermessen, daraus die kollineare Abbildung zwischen den Atompositionen oder den globalen Koordinaten von Zonenachsen und deren Bildkoordinaten ermittelt und anschließend aus den kollinearen Abbildungen von Mess- und Referenzkristallit die drei beschriebenen Paare von Zonenachsen ermittelt.
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Ebenfalls vorteilhafterweise werden in den mittels EBSD erhaltenen Beugungsbildern jeweils mindestens die Position von mindestens vier Bandmitten im Bild vermessen, daraus die kollineare Abbildung zwischen den Atompositionen oder den globalen Koordinaten von Zonenachsen und deren Bildkoordinaten ermittelt und anschließend aus den kollinearen Abbildungen von Mess- und Referenzkristallit die drei beschriebenen Paare von Zonenachsen ermittelt.
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Weiterhin vorteilhafterweise wird für eine EBSD-Messung der Referenzkristallit neben dem Messkristallit auf einem Substrat angeordnet.
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Und auch vorteilhafterweise werden die Höhenunterschiede zwischen dem Mess- und Referenzkristallit und innerhalb der Kristallite vermessen, vorteilhafterweise mittels Profilometrie.
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Vorteilhaft ist es auch, wenn zur Ermittlung der Bandmitten der Beugungsbänder die Vermessung der Bandkanten an mehr als 3 Grauwertprofilen realisiert wird.
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Ebenfalls vorteilhaft ist es, wenn die Geometrie der Beugungskegel des EBSD ermittelt wird, welche zur Bestimmung der Bandmitten der Beugungsbänder herangezogen wird.
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Weiterhin vorteilhaft ist es, wenn die kollinearen Abbildungen der Atompositionen aus mindestens 4 ermittelten Paaren
- – von Atompositionen von Zonenachsen und Bildkoordinaten von Zonenachsen oder
- – von globalen Koordinaten von Zonenachsen und Bildkoordinaten von Zonenachsen oder
- – von Millerschen Indizee von Netzebenen und Bildkoordinaten von Bandmitten oder
- – von globalen Koordinaten von Netzebenennormalenvektoren und Bildkoordinaten von Bandmitten
realisiert wird.
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Uns auch vorteilhaft ist es, wenn aus Beugungungsbildern eines Messkristallits und eines Referenzkristallits mindestens 3 Paare von Zonenachsen, beschrieben durch Atompositionen oder globale Koordinaten des Messkristallits und des Referenzkristallits, die in Bildpunkten mit den gleichen Koordinaten der erzeugten Beugungsbilder abgebildet sind, ermittelt werden.
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Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren können erstmals der Dehnungstensor, Gitterparameter und/oder Orientierungsmatrix von polykristallinen Materialien hochgenau ermittelt werden.
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Dazu wird unter Verwendung von EBSD ein Referenzkristallit und ein oder mehrere Messkristallite einer zu untersuchenden Probe aus polykristallinen Material untersucht und aus den erhaltenen EBSD-Beugungsbildern der Kristallite der Dehnungstensor, die Gitterparameter und/oder die Orientierungsmatrix des Kristallits ermittelt.
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Durch das erfindungsgemäße Verfahren wird die Genauigkeit der ermittelten Eigenschaften deutlich erhöht. Dies wird insbesondere durch die Anwendung der Berechnung der kollinearen Abbildungen aus der Position von mehr als vier Zonenachsen in einem Beugungsbild oder der Position von mehr als vier Bandmitten möglich.
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Jede kollineare Abbildung (= geradentreue Abbildung) bildet Geraden auf Geraden ab.
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Das erfindungsgemäße Verfahren setzt sich im Wesentlichen aus folgenden Verfahrensschritten zusammen:
- 1. Messung einzelner Punkte auf den Bandkanten.
- 2. Berechnung des Doppelkegels, welcher am besten zu diesen Punkten passt.
- 3. Berechnung der kollinearen Abbildung der Atompositionen von Zonenachsen auf die Bildkoordinaten.
- 4. Berechnung der Abbildung der Kristallitkoordinaten des Referenzkristallits auf die Kristallitkoordinaten des Messkristallits.
- 5. Berechnung der Orientierung und der Dehnung aus dieser Abbildung.
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Für kollineare Abbildungen gibt es mehr als eine Darstellungsmöglichkeit. Erfindungsgemäß kann darunter jede Formel verstanden werden, die es möglich macht, aus 4 Paaren
- • von Atompositionen (fractional coordinates) von Zonenachsen und Bildkoordinaten von Zonenachsen oder
- • von globalen Koordinaten von Zonenachsen und Bildkoordinaten von Zonenachsen oder
- • von Millerschen Indizee von Netzebenen und Bildkoordinaten von Bandmitten oder
- • von globalen Koordinaten von Netzebenennormalenvektoren und Bildkoordinaten von Bandmitten
weitere derartige Paare zu berechen.
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Beispielsweise soll es mit der Darstellungsmöglichkeit der erfindungsgemäßen kollinearen Abbildung möglich sein, zu einer gegeben Atomposition einer beliebigen Zonenachse die Bildkoordinaten dieser Zonenachse zu berechnen und umgekehrt.
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Dabei ist zu beachten, dass die erfindungsgemäß angewandten kollinearen Abbildungen nicht mit kollinearen Punkten verwechselt werden, die Punkte sind, die auf einer gemeinsamen Geraden liegen.
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Die Berechnung von Dehnungstensor, Gitterkonstanten und/oder Orientierungsmatrix aus den kollinearen Abbildungen kann folgendermaßen sein.
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Die kollineare Abbildung A zwischen der Zonenachse (Raumrichtung) h := (k
u, k
v, k
w) und den homogenen Koordinaten q := (q
0, q
1, q
2) des Beugungsbildes in die die Zonenachse abgebildet wird, wird beschrieben durch:
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Die Koordinaten (qs, qt) des Bildes in Pixeln errechnen sich mittels qs = q1/q0 und qt = q2/q0.
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(ku, kv, kw) sind die euklidischen Koordinaten der Zonenachse und werden in der Literatur auch oft mit [uvw] angegeben. (Hier ku = u usw.)
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Aus den kollinearen Abbildungen Amess und Aref von Mess- und Referenzkristallit wird der Deformationsgradient F wie folgt berechnet: F = GrefArefAmess –1Gref
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Dabei ist
die aus den Translationsvektoren des Gitters des Referenzkristallits zusammengesetzte Matrix.
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Die Gitterkonstanten Gmess des Messkrstallits mittels Gmess = GrefArefAmess –1. Dabei ist Gmess analog zu Gref aus den Translationsvektoren des Gitters des Messkristallits zusammengesetzt.
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Daraus ergibt sich der Dehnungstensor ε die Orientierungsmatrix Q und die Gitterkonstanten Gmess des Messkristallits mittels ε = 1 / 2(FTF – I) und Q = F(I + ε)–1.
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Die Berechnung von ArefAmess –1 ergibt die in Anspruch 1 beschriebenen Paare von Zonenachsen.
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Der Dehnungstensor und die Gitterparameter können dabei nur bis auf isotrope Dehnungen berechnet werden.
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Die kollineare Abbildung der Atompositionen von Zonenachsen auf die Bildkoordinaten erfasst gleichzeitig:
- • die Orientierung und Form des Kristallitgitters
- • die Lage der Quelle
- • die Lage des Detektors
- • die Detektorauflösung in verschiedenen Richtungen
- • die kollineare Bildverzerrungen
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Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren werden nicht direkt Spannungen oder Dehnungen gemessen, sondern die Form und die Lage des Kristallitgitters. Die Dehnungen werden dann durch Vergleich mit den bekannten Größen des Referenzkristallits bestimmt.
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Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren können der Dehnungstensor und die Orientierungsmatrix mit einer Genauigkeit von etwa 2.6·10–4 ermittelt werden.
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Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren wird ein Referenzkristallit eines beliebigen Kristalltyps auf ein Substrat neben den Messkristallit positioniert, dann das Höhenprofil von Referenzkristallit und Messkristallit mittels Profilometrie vermessen, nachfolgend die Bandkanten anhand einer großen Zahl von Grauwertprofilen vermessen, dann die Geometrie der Beugungskegel und damit die Bandmitten aus diesen Punkten bestimmt, anschließend die mathematische Auswertung der Bilder unter Verwendung der kollinearen Abbildung zwischen Atompositionen und Bildkoordinaten durchgeführt, dann die weitere Auswertung der Bilder über die Vorgabe einer kollinearen Abbildung zwischen Atompositionen und Vergleich der damit simulierten Bandmitten mit den gemessen Bandmitten durchgeführt (anschließend Iteration), nachfolgend die Bestimmung der kollinearen Abbildung des Referenzkristallits realisiert, die Bestimmung der Aufnahmegeometrie inklusive des Einflusses einer Reihe von Störfaktoren (Unsicherheit in Patter-Center- und Detektorabstand, Linsenverzeichnung) ermöglicht und dann die Gitterkonstanten und der Dehnungstensor des Messkristallits anhand der Gitterkonstanten des Referenzkristallits und den bestimmten kollinearen Abbildungen von Mess- und Referenzkristallit berechnet.
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Das Rechnen mit Bandmitten erfolgt, um Probleme, die durch Vernachlässigung der dynamischen Beugungstheorie auftreten, zu umgehen.
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Die erfindungsgemäße Lösung unterscheidet sich insbesondere von Lösungen des Standes der Technik durch die Anwendung der kollinearen Abbildung, da
- • aus der Beugungsaufnahme des Referenzkristallits die Aufnahmegeometrie inklusive der Störfaktoren, Unsicherheit in Patter-Center- und Detektorabstand, Linsenverzeichnung bestimmt werden kann. Diese Störfaktoren müssten sonst anderweitig vermessen werden,
- • dies ermöglicht, die Position der Bandmitten und damit ein Großteil des Bildes zu berücksichtigen.
Die Verwendung der Bandmitten (statt der Bandkanten) bei der Simulation (und Iteration) ist deshalb vorteilhaft, da dies Probleme mit der dynamischen Beugungstheorie der Elektronenbeugung umgeht. Ebenso liegt kein Einfluss, der bei EBSD auf Grund der stattfindenden inelastischen Streuung nicht genau bekannten, Wellenlänge auf die Bandmitte vor.
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Nachfolgend wird die Erfindung an einem Ausführungsbeispiel näher erläutert.
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Beispiel 1
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Aus einem Siliciumwafer mit der Orientierung (001) wurden Proben mit den Abmessungen 2 × 2 mm2 und einer Dicke von 600 nm herausgeschnitten. Eine dieser Probe wurde als Referenzkristallit mit bekannten Dehnungen eingesetzt. Als Messkristallit wurde ebenfalls ein solches Plättchen verwendet.
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Um bei der Messung vergleichbare Aufnahmen des EBSD zu erhalten, wurde der Referenzkristallit möglichst dicht und möglichst in derselben Höhe wie der Messkristall auf einem Substrat angeordnet (1 und 2). Die Kristalle wurden auf dem zylindrischen Substrat mittels Leitsilber in unterschiedlichen Orientierungen befestigt (3).
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Die Messpunkte wurden eng zusammenliegend gewählt. Zur Orientierung wurden kleine Mengen Leitsilber auf der Oberfläche der Plättchen angebracht. Der Höhenunterschied der in 4 dargestellten Messpunkte wurde mittels Profilometrie bestimmt. Wie in 5 zu erkennen ergab sich ein Höhenunterschied von nur 2 nm, so dass keine Korrektur vorgenommen werden musste.
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Beide Kristalle wurden mittels EBSD unter gleichen Bedingungen an den Messpunkten untersucht und als Ergebnis wurden jeweils ein Beugungsbild erhalten (6).
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Aus diesen Beugungsbildern wurden die Positionen von 4 Zonenachsen im Bild bestimmt (7) – daraus wurde ein erster Näherungswert für das Zonenachsenviereck und die kollineare Abbildung der Atompositionen (fractional coordinates) dieser Zonenachsen auf die zugehörigen Bildkoordinaten bestimmt.
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Im nächsten Schritt wurde aus den Beugungsbildern die Lage einer ganzen Reihe von Punkten auf den Bandkanten bestimmt. (8). Dazu wurden senkrecht zu den Bandkanten Profile berechnet. Durch Summierung der Grauwerte senkrecht zur Profilrichtung wurden Grauwertprofile erstellt. In diesen Profilen wird die Bandkante bestimmt. Für die so ermittelten Punkte wird nun die Linsenverzeichnung korrigiert. Aus diesen Punkten werden die Bandmitten berechnet. Das Ergebnis ist in 9 zu sehen.
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Aus der genauen Position der Bandmitten wird die Form des zugehörigen Zonenachsenvierecke und der entsprechenden kollinearen Abbildung bestimmt. Durch Vergleich der Zonenachsenvierecke beziehungsweise der zugehörigen kollinearen Abbildungen der Beugungsaufnahmen von Referenz- und Messkristall wird der Dehnungstensor ε berechnet:
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Nicht-Patentliteratur
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- A. J. Wilkinson et al, Superlattices and Microstuctures (2008) [0005]