-
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Schätzen einer ein Änderungspotential aufweisenden physikalischen Größe durch eine elektronische Recheneinheit, insbesondere zum Schätzen der Masse eines unterschiedlich beladbaren und/oder mit einem Anhänger versehbaren Kraftfahrzeugs, wobei die elektronische Recheneinheit unter verschiedenen Randbedingungen aus zumindest einer gemessenen physikalischen Größe anhand eines vorgegebenen Lernalgorithmus die zu schätzende physikalische Größe ermittelt, und wobei im Falle der Abschätzung der Masse eines Kraftfahrzeugs unterschiedliche Fahrsituationen ausgewertet und die hierfür eingesetzte Antriebsleistung und/oder Bremsleistung im Lernalgorithmus berücksichtigt wird. Zum technischen Umfeld wird lediglich beispielshalber auf die
EP 1 430 276 B1 verwiesen. Ferner wird als Stand der Technik auf die
EP 0 932 033 A1 , die
DE 197 28 867 A1 , die
US 2004/ 0 181 317 A1 und die
US 7 363 116 B2 verwiesen.
-
Beispielsweise für eine erfolgreiche Durchführung von fahrdynamischen Regelungsprozessen an Kraftfahrzeugen kann es erforderlich, jedoch zumindest hilfreich sein, wenn die aktuelle Masse des Kraftfahrzeugs, welche sich bekanntlich durch Beladung, durch eine wechselnde Zahl von Fahrzeug-Insassen aber auch durch das Ankuppeln eines Anhängers ändern kann, zumindest mit einer relativen Genauigkeit bekannt ist. Ein Verfahren zur Abschätzung der Masse eines bewegten Kraftfahrzeugs oder Gespanns aus einem Kraftfahrzeug und einem Anhänger unter Auswertung unterschiedlicher Fahrsituationen ist in der eingangs genannten Schrift beschrieben. Ausdrücklich sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, dass sich die vorliegende Erfindung nicht speziell mit der Masseschätzung eines bewegten Kraftfahrzeugs befasst, sondern allgemein mit einem Schätzverfahren für eine physikalischen Größe durch eine elektronische Recheneinheit, welche unter verschiedenen Randbedingungen aus zumindest einer gemessenen physikalischen Größe anhand eines vorgegebenen Lernalgorithmus die zu schätzende physikalische Größe ermittelt.
-
Soll eine physikalische Größe, welche sich ändern kann und daher sozusagen ein Änderungspotential aufweist, wie bspw. die Masse eines Kraftfahrzeugs, geschätzt werden, so besteht in gewissen Situationen, in denen eine Möglichkeit für eine Änderung dieser physikalischen Größe besteht oder bestand, ein Zielkonflikt. Beispielsweise kann im Fall einer Fahrzeug-Masseschätzung bei Stillstand des Fahrzeugs mit einer geringen Wahrscheinlichkeit eine signifikante Änderung der zu schätzenden physikalischen Größe eintreten bzw. eingetreten sein, nämlich dann, wenn während eines Fahrzeug-Stillstands bspw. ein schwerer Anhänger an das zuvor ohne Anhänger bewegte Kraftfahrzeug angekuppelt worden ist. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies im Falle eines Fahrzeug-Stillstands (als o.g. „gewisser Situation“) erfolgt, relativ gering; mit Sicherheit auszuschließen ist dies jedoch nicht. In beiden Fällen, nämlich sowohl dann, wenn sich in einer solchen gewissen Situation die zu schätzende und ein Änderungspotential aufweisende physikalische Größe nicht geändert hat, als auch dann, wenn sich diese Größe geändert hat, soll möglich kurzfristig nach Vorliegen dieser gewissen Situation, nämlich nach einem Eintritt einer solchen Änderungs-Möglichkeit, die zu schätzende physikalische Größe möglichst genau bekannt sein, d.h. mit relativ hoher Genauigkeit schätzbar bzw. ermittelt worden sein.
-
Der genannte Zielkonflikt besteht nun darin, dass man entweder den Lernalgorithmus jedes Mal nach Eintreten einer solchen genannten gewissen Situation zurücksetzen („resetten“) könnte und ein erneutes Lernen ausgehend von einem sinnvollen Ausgangswert („Default-Wert“) starten könnte. Dabei würde man jedoch nach jeder von diesen genannten Situationen einen ggf. zuvor mit hoher Genauigkeit geschätzten bzw. gelernten Wert verwerfen, selbst dann, wenn sich am realen Wert der gesuchten physikalischen Größe nichts geändert hat oder wenn allenfalls eine geringfügige Änderung vorliegt. Alternativ könnte eine derartige genannte gewisse Situationen einfach nicht berücksichtigt werden und von dem aktuellen bzw. zuvor erlernten Schätzwert ausgehend unverändert weitergelernt werden. Diese zweitgenannte Variante hat zwar den Charme, dass in den Fällen, in denen keine Wertänderung der zu schätzenden physikalischen Größe erfolgt ist, der bisher gelernte Wert weiterhin korrekt ist. Jedoch würde man im Falle einer größeren Änderung des realen Werts der besagten physikalischen Größe während der genannten gewissen Situation erst nach einer längeren Zeit, die von der Filterzeitkonstante bzw. allgemein von der Lerngeschwindigkeit des Lernalgorithmus abhängig ist, diese erfolgte Wert-Änderung erkennen. In diesem Fall liegt dann auch bezüglich der zu wählenden Filterzeitkonstante bzw. der Lerngeschwindigkeit des Lernalgorithmus ein Zielkonflikt zwischen schnellem Lernen insbesondere bei größeren Wert-Änderungen einerseits, und einem dem nicht zu schnellem Lernen, welches einen guten Mittelwert mit hoher Genauigkeit bildet, andererseits, vor.
-
Eine Abhilfemaßnahme für diese geschilderte Problematik aufzuzeigen, ist Aufgabe der vorliegenden Erfindung.
-
Die Lösung dieser Aufgabe ist für ein Verfahren nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 dadurch gekennzeichnet, dass zwei grundsätzlich gleiche Lernalgorithmen, welche unabhängig voneinander zurücksetzbar sind, nebeneinander betrieben werden, wobei im Falle, dass eine Änderung der zu schätzenden physikalischen Größe erfolgt sein kann, einer der beiden Lernalgorithmen zurückgesetzt wird. Vorteilhafte Weiterbildungen sind Inhalt der Unteransprüche.
-
Erfindungsgemäß können zwei Lernalgorithmen parallel betrieben werden. Diese sind grundsätzlich identisch, jedoch können beide unabhängig voneinander auf einen (sinnvollen) Ausgangswert zurückgesetzt werden, d.h. es kann jeweils individuell ein „Reset“ durchgeführt werden, und es kann in einer vorteilhaften Weiterbildung deren Lerngeschwindigkeit, die sich durch deren Filterzeitkonstanten beschreiben lässt, individuell verändert werden. Damit ist es möglich, nach Eintritt einer weiter oben genannten gewissen Situation, während derer sich der reale Wert der zu schätzenden physikalischen Größe ändern könnte, mit einem der beiden Lernalgorithmen fortgesetzt „weiter zu lernen“, d.h. auf den bisherigen Berechnungen aufbauend weiter zu rechnen, während der andere zurückgesetzte Lernalgorithmus nach diesem Reset neu von einem sinnvoll vorgegebenen Ausgangswert mit dem im Algorithmus festgeschriebenen Berechnungsverfahren zu rechnen beginnt. Besonders vorteilhaft ist es dabei, wenn von den beiden mit unterschiedlicher Lerngeschwindigkeit betreibbaren Lernalgorithmen derjenige, welcher zurückgesetzt wurde, mit einer schnelleren Lerngeschwindigkeit (und somit mit einer geringeren Filterzeitkonstante) als der andere, nicht zurückgesetzte Lernalgorithmus betrieben wird, da letzterem somit quasi eine integrierende Funktion zukommt, aufgrund derer (stets) unvermeidbare Schätzfehler in ihrer Auswirkung stark gedämpft werden. Hingegen kann der erstgenannte, zurückgesetzte Lernalgorithmus schnell und kurzfristig auf eine erfolgte Änderung des realen Werts der zu schätzenden physikalischen Größe reagieren. Jedenfalls dann, wenn sich in der genannten gewissen Situation der reale Wert der zu schätzenden physikalischen Größe tatsächlich geändert hat, liefern die beiden parallel betriebenen Lernalgorithmen unterschiedliche Ergebnisse, d.h. sog. „Lernwerte“, und es können hieraus in der elektronischen Recheneinheit geeignete Rückschlüsse gezogen werden.
-
Nach einer vorteilhaften Weiterbildung ermitteln diese beiden Lernalgorithmen jeweils ein sog. Fehlerintervall, welches der PT1-gefilterte, also tiefpassgefilterte Betrag der Differenz zwischen dem jeweiligen Lernwert, der sich aus der bisherigen Lernphase seit dem letzten Reset ergab, und dem jeweiligen aktuell errechneten sog. Momentanwert der zu schätzenden physikalischen Größe ist. Dieses Fehlerintervall stellt ein Indiz für die Güte des jeweiligen Lernwertes dar und lässt somit sinnvolle Rückschlüsse auf die Genauigkeit bzw. Aktualität des jeweiligen Lernwertes zu. Mittels dieser beiden Fehlerintervalle kann dann ein sog. Gewichtungsfaktor gebildet werden, der darüber Auskunft gibt, welcher der beiden Lernwerte eher zu dem realen Wert der zu schätzenden physikalischen Größe tendiert bzw. diesem entspricht. Im Übrigen kann im Gewichtungsfaktor zusätzlich die Differenz zwischen den Lernwerten der beiden Lernalgorithmen berücksichtigt werden, derart, dass falls diese Differenz einen vorgegebenen Schwellwert überschreitet, signifikant zugunsten des Lernwertes des zuletzt zurückgesetzten Lernalgorithmus gewichtet wird, d.h. letztgenannter also überproportional berücksichtigt wird.
-
Vorzugsweise anhand des ermittelten Gewichtungsfaktors, direkt oder indirekt aber auch anhand der ermittelten genannten Fehlerintervalle kann durch die elektronische Recheneinheit auch entschieden werden, welcher der beiden Lernalgorithmen bei bzw. nach Eintreten einer genannten gewissen Situation, während derer sich der reale Wert der zu schätzenden physikalischen Größe ändern könnte, zurückgesetzt wird. Bevorzugt wird derjenige Lernalgorithmus zurückgesetzt, dessen Lernwert laut Gewichtungsfaktor dem realen Wert weniger entspricht. Insbesondere jedoch kann anhand des Gewichtungsfaktors aus den beiden Lernwerten der beiden Lernalgorithmen ein aktueller Schätzwert für die gesuchte physikalische Größe bestimmt werden, indem die Lernwerte der beiden Lernalgorithmen mit diesem Gewichtungsfaktor gewichtet zu dem gesuchten Schätzwert zusammengefasst werden.
-
Wird einer der beiden Lernalgorithmen in einer genannten gewissen Situation mit Änderungs-Wahrscheinlichkeit für die zu schätzende physikalische Größe zurückgesetzt, so wird in einer bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens der Lernwert dieses zurückgesetzten Lernalgorithmus auf den aktuellen Lernwert des anderen, nicht zurückgesetzten Lernalgorithmus gesetzt, womit ein sinnvoller Ausgangswert für eine neue Lernphase vorliegt. Gleichzeitig wird die Filterzeitkonstante des zurückgesetzten Lernalgorithmus auf einen festgelegten (applizierten) Minimalwert und das Fehlerintervall des zurückgesetzten Lernalgorithmus auf einen großen Ausgangswert (Default-Wert) gesetzt, während der andere Lernalgorithmus mit den vor Eintritt dieser Situation vorliegenden Einstellungen und Werten weiterlernt. Je länger ein Lernalgorithmus jedoch nach einem Reset (= nach einem Zurücksetzen) aktiv ist, umso weiter steigt die Filterzeitkonstante bis zu einem vorgegebenen (applizierten) Maximalwert an. Somit ist jeder Lernalgorithmus direkt nach einem Reset sehr lernfreudig und kann schneller einen neuen Lernwert auffinden. Je länger der Zeitpunkt des letzten Resets jedoch zurück liegt, umso träger wird der Lernalgorithmus, wodurch bekanntlich vermieden werden kann, dass unvermeidbare, stets vorhandene kleine Signalschwankungen zu einer ungewollten Veränderung des Lernwerts führen und sich daher der Lernalgorithmus leicht „verlernt“.
-
Zurückkommend auf den beispielhaft genannten bzw. bevorzugten Anwendungsfall der Masseschätzung eines Kraftfahrzeugs wird durch die Anwendung des hier vorgestellten Verfahrens erreicht, dass nach gewissen Situationen wie insbesondere einem Fahrzeug-Stillstand in den Fällen, in denen keine Masseänderung vorgenommen wurde, der soweit aufgefundene Schätzwert auf dem zuvor ermittelten Wert verbleibt, während im Falle einer größeren Masseänderung, die bspw. durch das Einsteigen oder Aussteigen von mehreren Personen oder durch das Ankuppeln oder Abkoppeln eines Anhängers erfolgen kann, sich der soweit aufgefundene Schätzwert schneller den neuen realen Wert annähert, wobei noch darauf hingewiesen sei, dass durchaus eine Vielzahl von Details abweichend von obigen Erläuterungen gestaltet sein kann, ohne den Inhalt der Patentansprüche zu verlassen.