DE10048969A1 - Verwendung von Flupirtin zur Tinnitusbehandlung - Google Patents
Verwendung von Flupirtin zur TinnitusbehandlungInfo
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- A61P27/00—Drugs for disorders of the senses
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Abstract
Es ist die Verwendung von Flupirtin zur Behandlung von Tinnitus beschrieben.
Description
Extreme Schmerzen, die durch Verletzungen hervorgeru
fen werden, können ebenso zu chronischen Schmerzen führen,
wie durch beispielweise entzündliche Vorgänge verursachte
Schmerzen geringerer Intensität. Dabei wird davon ausgegan
gen, dass an den Nervenzellen des zentralen Nervensystems
neuroplastische Vorgänge ablaufen. Diese verändern betei
ligte neuronale Zellen. Die Zellen beginnen entweder sehr
empfindlich für schwache Reize zu werden oder selbst Signa
le auszusenden, ohne dass von außen triggernde Signale an
kommen.
Sobald diese Veränderung eingetreten ist, nimmt der
Patient weiterhin Schmerzen war, obwohl der ursprünglich
schmerzauslösende Reiz nicht mehr vorhanden ist. Es ent
steht eine Art Schmerzgedächtnis in Form einer Regelschlei
fe, die sich selbst stabilisiert.
Der äußere Schmerzreiz führt zu einer Ausschüttung von
Glutamat und Substanz P. Das Glutamat bindet an Rezeptoren
der Zellmembran und ermöglicht das vermehrte Einströmen von
Ca2+Ionen in die Nervenzelle. Die Substanz P aktiviert se
kundäre Botenstoffe.
Hierdurch werden Reaktionen im Sekunden- und Minuten
bereich beobachtet. Es treten auch über Stunden oder Tage
zu beobachtende Veränderungen auf, von denen angenommen
wird, dass sie an der Expression von Genen beteiligt sind,
beispielsweise von Immediate Early Gens (IEGs). Die IEGs
schalten bestimmte Zielgene ein, die Ionenkanäle an der
Zellmembran, Rezeptoren, Neurotransmittersubstanzen sowie
sekundäre Botenstoffe erzeugen. Dadurch treten Veränderun
gen der Neuronen auf, in Gestalt zusätzlicher Membranrezep
toren, und es steht auch eine erhöhte Menge an Neurotrans
mittern zur Verfügung.
Nach den heutigen Kenntnissen ist an dieser Entstehung
chronischer Schmerzen unter anderem der MNDA-Rezeptor (N-
Methyl-D-Aspartat Rezeptor) beteiligt. Es handelt sich
hierbei um einen Calcium-Ionenkanal, der im Ruhezustand
durch ein Mg2+-Ion versperrt ist, das das Einströmen von
CA2+-Ionen verhindert. Diese Magnesiumionen, auch Magnesi
umblock bezeichnet, wirken gleichsam als Stöpsel für den
Calciumionenkanal.
Bei einer Depolarisation der Zellmembran, beispiels
weise durch Glutamat oder elektrische Signale verschwindet
der Magnesiumblock und es können CA2+-Ionen in erhöhtem
Maße in die Zelle einströmen.
Der erhöhte Calciumspiegel erhöht kurz gesagt die
"Reizbarkeit" der Zelle. Es kann eine Signalverstärkung für
die neuronalen Reize auftreten bis hin zu einer autonomen
Signalerzeugung ohne einen von außen kommenden Reiz. In
einem Rückkopplungsmechanismus wird so das Schmerzgedächt
nis stabilisiert. Die bisherigen Therapien zur Behandlung
von chronischen Schmerzen gehen von der Annahme aus, dass
in der Rückkopplungsschleife eine Abschwächung erfolgen
muss, damit die veränderten Zellen ihr Verhalten vergessen
und den normalen Zustand zurückkehren.
Zu diesem Zweck werden Wirkstoffe verabreicht, die das
Ausströmen von Kalium-Ionen durch Kalium-Ionenkanäle ver
stärken, wenn die Zellmembran ihr Ruhepotenzial erreicht
hat. Das Ausströmen von Kalium-Ionen hat eine Hyperpolari
sation der Zellmembran zur Folge, wodurch umgekehrt das
Einströmen von CA2+-Ionen verhindert wird. Dadurch verrin
gert sich das Signalpotential und die Zelle beginnt in den
Normalzustand zurückzukehren, indem sie eine normale Reiz
empfindlichkeit zeigt.
Ein geeigneter Wirkstoff der Neuronen gegen übermäßi
ges Einströmen von CA2+-Ionen schützt, ist Flupiritin
(Ethyl-N-[2-amino-6-(4-fluorphenylmethylamino)pyridin-3-
yl)cabamat). Dieser Wirkstoff öffnet die sogenannten "ein
wärts gerichteten K+-Kanäle" und ermöglicht so einen Aus
strom von Kaliumionen, wodurch die Zelle entsprechend pola
risiert wird. Die Hyperpolarisation der Zellmembran infolge
der ausgeströmten K+-Ionen deaktiviert bzw. verhindert die
Aktivierung der MNDA-Rezeptoren durch eine Stabilisierung
des Mg2+-Blocks und schützt somit die Zelle vor dem Ein
strom von CA2+-Ionen, wie dies bei exzessiver neuronaler
Erregung auftritt.
Der Erfinder ist von der Annahme ausgegangen, dass dem
Tinnitus eine ähnliche neuronale Lern- und Regelschleife
zugrunde liegt, die dazu führt, dass der Patient ständig
ein entsprechendes akustisches Signal wahrnimmt, obwohl am
Außenohr kein entsprechender von außen kommender Schallreiz
auftritt. Es wird vermutet, dass an den Nervenzellen der
Hörbahn ähnliche oder gleiche neuroplastische Veränderungen
stattfinden wie sie für die Schmerzchronifizierung bereits
untersucht und beschreiben sind.
Die Untersuchungen darüber, wie einzelnen das Signal
gedächtnis wirksam ist, sind noch nicht abgeschlossen. Ver
mutlich aber sind ähnliche Mechanismen wirksam, wie bei
Schmerzchronifizierung.
Neuronale Zellen, die für die akustische Wahrnehmung
zuständig sind, werden vermutlich bei Tinnitus in einen
Zustand überführt, der dem Zustand sensibler (afferent)
neuronaler Zellen im Zustand der Schmerzchronifizierung
entspricht und als "Wind-up" bezeichnet wird. Bei der
Schmerzchronifizierung sind die bekannten Auslöser sehr
heftige oder wiederholte Schmerzinformationen.
Bei akustischen Reize verarbeitenden Nervenzellen kann
dies Traumatisierung durch extreme Schallereignisse oder
länger andauernde Geräuschbelästigung von geringer Intensi
tät sein. Ursachen können auch Mangelerscheinungen infolge
von Sauerstoffmangel und Ernährungsmangel sein, z. B. Durch
blutungsstörung durch Stress, Entzündungen, Schlaganfall
oder Anders. Die Mangelerscheinungen führen auch zur Gluta
matausschüttung mit den oben erwähnten Folgen.
Die bisherigen Untersuchungen an über 90 Patienten mit
akutem, subakutem oder chronischem Tinnitus führten bei 70%
zu einem vollständigem Verschwinden des Tinnitus. Die
notwendige Behandlungszeit betrug 14 Tage bis zu sechs Mo
naten.
Bei den übrigen Patienten ist eine deutliche Verbesse
rung eingetreten. Die Verbesserung blieb auch nach dem Ab
setzen des Wirkstoffs.
Nach den Ergebnissen ist zu vermuten, dass die Thera
piedauer bis zum Erfolg mit det Dauer der Erkrankung korre
liert ist, d. h. eine längere Erkrankung erfordert eine län
gere Therapie. Analog zu den Erfahrungen mit chronifizier
ten Schmerzen ist davon auszugehen, dass einige Patienten
eine Langzeittherapie benötigen.
Der Wirkstoff Flupirtin kann oral, rektal, intravenös
oder intramuskulär (systemisch) verabreicht werden. Die
verwendeten Dosen liegen im Bereich wie sie auch zur Be
handlung chronischer Schmerzen eingesetzt werden. Die Dosen
liegen zwischen 200 mg und 600 mg pro 24 Stunden. Sie wer
den in drei bis vier Portionen pro Tag im Abstand von ca. 6
bis 8 Stunden dargereicht.
Eine weitere mögliche Applikationsform ist die lokale
Gabe an Nervenzellen der Hörbahn über Mikropumpensysteme.
Die Behandlung mit Flupirtin kann und sollte gleich
zeitig mit der Behandlung der Ursachen für den Tinnitus
beginnen. Der gleichzeitige Behandlungsbeginn vermeidet
"Lerneffekte", die den Tinnitus verstärken oder aufrecht
erhalten, d. h. chronisch werden lassen. Bei bereits chro
nischem Tinnitus vermag der Wirkstoff und/oder das Thera
pieprinzip entstandene neuroplastische Veränderungen rück
gängig zu machen.
Claims (5)
1. Verwendung eines Wirkstoffs bei der Behandlung
von Tinnitus, wobei der Wirkstoff einen begünstigenden Ein
fluss auf das Ausströmen von Kalium-Ionen aus einer Nerven
zelle aufweist, um den Calcium-Ionen-Einstrom zumindest zu
vermindern.
2. Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeich
net, dass der Wirkstoff ein zumindest mittelbar wirkender
NMDA-Antagonist (glutamtergener N-Methyl-D-Aspartat Rezep
tor) ist.
3. Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeich
net, dass der Wirkstoff die einwärts gerichteten K+-Kanäle
öffnet.
4. Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeich
net, dass der Wirkstoff einer Depolarisation einer neurona
len Zelle entgegenwirkt.
5. Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeich
net, dass der Wirkstoff Ethyl-N-[2-amino-6-(4-fluor
phenylmethylamino)pyridin-3-yl]cabamat (Flupirtin) ist.
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- 2001-08-10 WO PCT/DE2001/003091 patent/WO2002015907A1/de active Application Filing
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