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Diese
Erfindung betrifft eine Screeningvorrichtung, welche es dem Untersucher
ermöglicht, komplexe
Effekte von pharmazeutischen Verbindungen auf das Verhalten zu testen,
und Verhaltenstestverfahren für
psychopharmakologische Tiermodelle, welche diese Screeningvorrichtung
verwenden.
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Die
erfindungsgemäße Screeningvorrichtung,
ein modifiziertes Lochbrett, erlaubt es das Verhalten bei kleinen
Labortieren, insbesondere Nagetieren wie Mäusen und Ratten, Spitzhörnchen (Tupaia
belangeri) und kleinen Primaten, differentiell zu analysieren und
Effekte auf das Verhalten, die durch pharmakologische Manipulation
verursacht werden, zu bewerten.
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Weiterhin
kann die erfindungsgemäße Screeningvorrichtung
auch verwendet werden, um die Verhaltensänderung, welche durch selektive
Aufzucht oder genetische Manipulation von Labortierstämmen induziert
wird, zu bewerten oder Lern- und Gedächtnisfunktionen von Labortieren
und daraufwirkende Einflüsse
eines Arzneistoffes zu bewerten.
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Eine
Vielzahl von Testverfahren wird in der präklinischen Erforschung der
Verhaltenspharmakologie verwendet (zur Übersicht siehe Lister, 1990; Menard & Treit, 1999).
Die meisten dieser Verfahren werden als vorhersagend im Bezug auf
eine spezifische Art therapeutischer Aktivität wie anxiolytische, sedative
oder antidepressive Wirkung angesehen. In Nagetieren, den Tieren,
deren Verwendung in der präklinischen
Forschung am weitesten verbreitet ist, können diese Effekte durch Verhaltensänderungen, zum
Beispiel in angstverwandtem Verhalten, Gefahrabschätzung, lokomotorischer
Aktivität
und Erforschung, begutachtet werden (Belzung & Le Pape, 1994; Escorihuela et al.,
1999, zur Übersicht
siehe Rodgers, 1997).
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Um
Arzneistoffeffekte zu begutachten, werden oft Tests des spontanen,
unkonditionierten Verhaltens verwendet. In diesen Tests spielt lokomotorisches
Verhalten eine entscheidende Rolle und es scheint schwierig zu sein,
Fortbewegung zuverlässig von
Anzeichen für
Angst oder Erforschung abzugrenzen (Sheldon, 1968). Um die Effekte
von Verbindungen auf das Verhalten differentiell zu untersuchen, müssen Korrelationsmodelle
mit Daten über
das Verhalten, welches aus ganzen Serien von verschiedenen unabhängigen Tests
gewonnen werden, durchgeführt
werden (Treit, 1985). Somit benötigt
die Bewertung von potentiellen, verhaltensbezogenen Eigenschaften
von pharmakologisch aktiven Verbindungen eine Serie von spezifischen
Verhaltenstests, was in kostenintensiven und zeitaufwendigen Verfahren
resultiert. Zudem muss berücksichtigt
werden, dass das Verhalten eines Tieres kontextspezifisch ist und
dass darum die Tatsache, dass ein Arzneistoff in einem testspezifischen
Kontext einen anxiolytischen Effekt bewirkt, nicht notwendigerweise
zur Folge hat, dass es einen ähnlichen
Effekt in einem anderen Kontext bewirken wird (zur Übersicht
siehe Lister, 1990). Auf Verhaltenstests basierende Untersuchungen,
welche es erlauben, eine große
Bandbreite von Verhaltensformen zu untersuchen und welche sich auf
eine stärker
detaillierte ethnologische Analyse von Versuchstieren in einem einzelnen,
komplexen Paradigma konzentrieren, können diese Nachteile überwinden
(Cruz et al., 1994; Rodgers et al., 1997).
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In
den letzten Jahren wurden auf Gebieten wie der kombinatorischen
Chemie und Genom-basierter Forschung beachtliche Fortschritte gemacht, was
eine immense Zahl von neuen chemischen Stoffen mit potentieller
klinischer Anwendbarkeit bereitgestellt hat. Es besteht so eine
wachsender Bedarf der pharmazeutischen Industrie an einem einfachen Screeningverfahren
mit schnellem Durchsatz, das die Notwendigkeit einer komplizierten
und zeitaufwendigen Reihe von separaten Verhaltenstests vermeidet.
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Die
vorliegende Erfindung betrifft ein modifiziertes Lochbrett-(mHB)-Paradigma,
welches es dem Untersucher ermöglicht
komplexe, ethologische Beobachtungen unkonditionierten Verhaltens
in einer einzelnen experimentellen Anordnung durchzuführen. Das
erfindungsgemäße mHB umfasst
die charakteristischen Merkmale des klassischen Lochbretts, welches
insbesondere dazu verwendet wird, Arzneistoffeffekte auf Erforschung
und Aktivität
zu beurteilen (File und Wardill, 1975a; Geyer 1996), und das offene
Feld, welches dazu verwendet wird Angst und lokomotorische Aktivität zu untersuchen
(zur Übersicht
siehe Kelley, 1993). Das erfindungsgemäße mHB umfasst ein Lochbrett,
welches ursprünglich dazu
entworfen wurde, um die Motivation zur Erforschung und kognitive
Funktionen in Spitzhörnchen zu
untersuchen (Ohl et al., 1998; Ohl und Fuchs, 1999), und ein offenes
Feld, ein Test-Paradigma, welches in hohem Maße standardisiert ist, um lokomotorische
Aktivität
zu bewerten (zur Übersicht
Kelley, 1993), benachbart einer Abteilung, die die Labortiere beherbergt.
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Zudem
wurde das erfindungsgemäße mHB, durch
Zulassung von Sicht- und Geruchskontakt unter den zu testenden Tieren,
derart entworfen, dass der Stressfaktor soziale Isolation während des
Tests umgangen wird und es ermöglicht
wird, soziale Bindung unter den Gruppenmitgliedern zu begutachten.
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Die
erfindungsgemäße Screeningvorrichtung
besteht aus einer Anordnung zur Begutachtung des Verhaltens von
Labortieren, umfassend:
- (a) eine erste Abteilung
zur Beherbergung einer Vielzahl von Labortieren;
- (b) eine zweite Abteilung zur Prüfung des Verhaltens von einem
aus der Vielzahl der Labortiere, wobei die zweite Abteilung ein
offenes Feld ist und in der Nachbarschaft der ersten Abteilung lokalisiert
ist, wobei die erste und zweite Abteilung durch eine Trennwand voneinander
getrennt sind, die zumindest ein Loch zum Flüssigkeitsaustausch umfasst,
um Sicht- und Geruchskontakt zwischen den zu testenden Tieren zu
ermöglichen;
und
- (c) ein Lochbrett, das in der zweiten Abteilung angeordnet ist.
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Nachfolgend
wird eine bevorzugte Ausführungsform
der vorliegenden Erfindung unter Bezugnahme auf die Zeichnung beschrieben,
in welcher
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1 systematisch
eine bevorzugte Anordnung der vorliegenden Erfindung zeigt.
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Die
Anordnung 2, welche in 1 gezeigt wird,
umfasst im Wesentlichen eine erste Abteilung 4 zur Beherbergung
einer Vielzahl von Labortieren. Diese erste Abteilung 4 wird
auch als eine Gruppenabteilung bezeichnet. Die Anordnung 2 umfasst
weiterhin eine zweite Abteilung oder Testabteilung 6 zur Testung
des Verhaltens von einem aus der Vielzahl der Labortiere, die in
der ersten Abteilung 4 beherbergt sind. Die Testabteilung 6 ist
in Nachbarschaft der Gruppenabteilung 4 lokalisiert, wobei
beide Abteilungen 4 und 6 wenigstens durch eine
Flüssigkeit miteinander
verbunden sind. Bevorzugt sind die erste und die zweite Abteilung 4 und 6 voneinander
durch eine Trennwand 8 getrennt, welche wenigstens ein Loch 10 zum
dadurch erfolgenden Flüssigkeitsaustausch
zwischen den zwei Abteilungen 4 und 6 umfasst.
Gemäß der vorliegenden
Erfindung ist dies besonders vorteilhaft, weil das eine bestimmte,
zu testende Labortier in der Testabteilung 6 immer noch
in relativ engem Kontakt zu seiner sozialen Gruppe steht, welche
in der ersten Abteilung oder Gruppenabteilung 4 beherbergt
ist, gehalten werden kann. Die die erste und zweite Abteilung 4 und 6 trennende Trennwand
besteht bevorzugt aus einem transparenten Material, am meisten bevorzugt
aus einem transparenten PVC-Material.
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Die
zweite Abteilung oder Testabteilung 6 wird in der Form
eines offenen Feldes bereitgestellt, worin ein Lochbrett 12 in
dem Feld angeordnet ist. Das Lochbrett 12 umfasst eine
Vielzahl von Löchern 14,
welche in einer bestimmten Anordnung angeordnet sind. In einer bevorzugten
Ausführungsform
umfasst das Lochbrett 12 wenigstens einen beweglichen Deckel
(nicht gezeigt) welcher ein Loch 14 des Lochbretts 12 bedeckt.
Der Deckel ist so eingerichtet, dass er von einem Versuchstier geöffnet und/oder geschlossen
werden kann. In ähnlicher
Weise ist es möglich
eine Vielzahl der Löcher
oder alle Löcher 14 mit
einem beweglichen Deckel zu versehen, optional können die Deckel mit einer Spiralfeder
befestigt werden (Ohl F et al., J Neurosci Meth 81 (1998), 35–40). Bevorzugt
wird das Lochbrett 12 an einem zentralen Punkt der zweiten
Abteilung 6 angeordnet, das heißt gleich weit entfernt von
den Abteilungswänden 16, die
die zweite Abteilung 6 umgeben. In dem Bereich, in dem
die erste und die zweite Abteilung 4 und 6 miteinander
Kontakt haben, kann die Abteilungswand 16 in Form der Trennwand 10 bereitgestellt
werden. Das Lochbrett 12 und/oder die zweite Abteilung 6 sind
bevorzugt aus einem opaken PVC-Material hergestellt, bevorzugt kontrastierend
zur Farbe des zu testenden Tieres.
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Das
durch die zweite Abteilung 6 definierte offene Feld wird
in Übereinstimmung
mit einer bevorzugten Ausführungsform
der vorliegenden Erfindung mit einer nachweisbaren Markierung 18 ausgestattet, welche
das offene Feld in eine Vielzahl kleinerer Felder 20 unterteilt.
Durch diese nachweisbaren Markierungen 18, welche bevorzugt
durch eine Vielzahl von Linien gebildet werden, die das offene Feld
in Quadranten unterteilen, kann die Bewegung und somit das Verhalten
des getesteten Labortiers einfacher ermittelt werden.
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In
einer besonders bevorzugten Ausführungsform
der vorliegenden Erfindung wird die Ermittlung des Verhaltens der
getesteten Labortiere durch Vorrichtung 22 zur automatischen
Ermittlung des Verhaltens der Tiere durchgeführt. Diese automatische Vorrichtung
zur Ermittlung umfasst bevorzugt eine Videovorrichtung oder eine
Videokamera 24, welche ein kontinuierliches Bild des offenen
Feldes der zweiten Abteilung 6 bereitstellt, ein Signalkabel 26 und
eine Kontrollvorrichtung, bevorzugt in Form eines digitalen Computers 28.
Gemäß dieser Ausführungsform
wird das durch die Videokamera 24 erzeugte, kontinuierlich
bereitgestellte Bild durch das Signalkabel 26 zum digitalen
Computer 28 übertragen,
welcher mit einer geeigneten Software zur Ermittlung oder Bewertung
des Verhaltens des getesteten Labortiers ausgestattet ist. Die Ergebnisse
der Bewertung, welche durch den digitalen Computer 28 bereitgestellt
werden, können
auf einer Speichervorrichtung (nicht gezeigt) im digitalen Computer 28 gespeichert
werden.
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Die
mit der vorliegenden Erfindung übereinstimmende
Anordnung 2 wird bevorzugt an die Größe der entsprechenden, zu verwendenden
Labortiere angepasst, wobei typischerweise die erste Abteilung 4 etwa
50 cm lang, 50 cm breit und 50 cm hoch, die zweite Abteilung 6 etwa
100 cm lang, 50 cm breit und 50 cm hoch und das Lochbrett 12 bevorzugt
etwa 60 cm lang, 20 cm breit und 2 cm hoch ist.
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Es
wird anerkannt, dass auch die Zahl der Löcher und der Durchmesser der
Löcher
an die Größe der entsprechenden,
zu verwendenden Labortiere angepasst werden.
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Die
nachstehend beschriebenen Experimente begründen, dass das mHB ein verlässlicher
Test zur Charakterisierung des Verhaltens in Nagetieren wie Mäusen und
Ratten (genauso wie bei anderen kleinen Labortieren wie Spitzhörnchen und
kleinen Primaten) in einer einzelnen experimentellen Anordnung ist.
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In
den nachfolgenden Experimenten wird die Validität des erfindungsgemäßen mHB
unter Verwendung von HABs und LABs, von welchen angenommen wird,
dass sie sich in angstverwandtem Verhalten, aber nicht in ihrer
basalen lokomotorischen Aktivität
unterscheiden, belegt. In diesen Experimenten werden die Konsequenzen
der akuten Behandlung mit Diazepam, welches ein Standard-Anxiolytikum repräsentiert
(zur Übersicht
siehe Lister, 1990), und der chronischen Behandlung mit Paroxetin,
welches als Antidepressivum, aber auch als ein atypisches Anxiolytikum
bekannt ist (Griebel et al., 1999), für das Verhalten bewertet.
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Die
psychopharmakologische Wirksamkeit eines Arzneistoffes in Populationen
normaler Freiwilliger ist oft nicht offensichtlich (zur Übersicht
siehe Holsboer, 1995), dies ist wahrscheinlich auch für eine unselektierte,
gewöhnliche
Population von Labortieren richtig (zur Übersicht siehe Lister, 1990).
Deshalb kann es eher angemessen sein, mögliche Auswirkungen potentieller
Anxiolytika auf das Verhalten in Tiermodellen extremer angeborener
Emotionalität
zu untersuchen (Liebsch et al., 1998b). Wistar-Ratten, welche dieses
Kriterium im Elevated-Plus-Maze (EPM) erfüllen, wurden in der letzten
Dekade selektiv gezüchtet
(Liebsch et al., 1998a). Im Allgemeinen zeigt die Zuchtlinie von
Ratten mit starkem angstverwandtem Verhalten (HABs) eine verstärkte angeborene
Emotionalität
und mehr passive Stressbewältigungsstrategien
unter stressreichen Bedingungen als die Zuchtlinie von Ratten mit
geringem angstverwandtem Verhalten (LABs). Umfassende Untersuchungen,
einschließlich
pharmakologischer Prüfung, haben
gezeigt, dass Überängstlichkeit
in HABs ein stabiles Merkmal darstellt, welches in vielen Aspekten
psychiatrischen Patienten ähnelt
(Keck et al., 1999; Landgraf et al., 1999; Liebsch et al., 1998b). Somit
repräsentieren
HABs ein einzigartiges Tiermodell der angeborenen Ängstlichkeit
mit unmittelbarer und prädiktiver
Gültigkeit.
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Experimente:
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Methoden
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Tiere
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Die
Selektion und Aufzucht von sowohl HABs als auch LABs wurden früher detailliert
durch Liebsch et al. (1998a) beschrieben. Kurz gesagt wurden Ratten
in der Tierhaltung des Max Planck Institutes unter Standard-Laborbedingungen
(12:12 Hell:Dunkel, Licht an um 6:00, 22°C, 60% Luftfeuchtigkeit und
freier Zugang zu Wasser und Standard-Rattenfutter) gehalten und
aufgezogen. Über Jahre
wurden HABs und LABs in Bezug auf Betreuung, Verpaarung und Verhaltenstestung
gleich behandelt. In den vorliegenden Experimenten verwendete Tiere
waren erwachsene, männliche
Individuen (n = 82; Gewicht: 280–350) aus der F10-Generation. Alle
Ratten wurden in Gruppen von 3–5
Individuen in Standard-Rattenkäfigen beherbergt.
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Für den mHB-Test
wurden alle Individuen, die zu einer sozialen Gruppe gehörten (das
heißt, Gruppenmitglieder),
in die Gruppenabteilung platziert. Nach einer Gewöhnung von
30 min wurden alle Individuen nacheinander für jeweils 5 min in den Experimentalbehälter platziert.
Alle Tests wurden auf Video aufgenommen und direkt von einem ausgebildeten,
im Hinblick auf die Zuchtlinie der Ratten und die Behandlung blinden
Beobachter überwacht.
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Die
nachfolgenden Parameter wurden gemessen und unterschiedlichen Verhaltenskategorien zugeordnet:
- – %
der Zeit auf dem Brett (% Zeit), Wartezeit bis zum ersten Betreten
des Bretts (Wartezeit-Brett) und zahlenmäßige Häufigkeit des Betretens des Bretts
(Betreten des Bretts) zeigen Vermeidungsverhalten gegen ein ungeschütztes Gebiet
(d.h. das Brett), was als 'Angst' interpretiert wird
- – Besuchte
Löcher
pro Minute auf dem Brett (untersuchte Löcher), Aufrichten auf dem Brett
(Aufrichten-Brett) und Aufrichten in dem Behälter (Aufrichten-Behälter) zeigen
erforschungsverwandtes Verhalten;
- – gestreckte
Aufwartungen (gestreckte Aufwartungen) repräsentieren Gefahrbegutachtungsverhalten;
- – Linienkreuzungen
im Behälter
(Linienkreuzungen) zeigen lokomotorische Aktivität;
- – Wartezeit
bis zum ersten Gruppenkontakt (Wartezeit-Gruppenkontakt) zeigt die
soziale Bindung des Experimentaltieres zu seinen Gruppenmitgliedern;
- – und
Wartezeit bis zur ersten Selbstpflege (Wartezeit-Pflege) und Wartezeit
bis zur ersten Defaekation (Wartezeit-Defaekation) zeigen die physiologische
Erregung.
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Versuchsprotokoll
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Alle
Experimente wurden zwischen 12:00 und 16:00 durchgeführt. Eine
Woche vor der Verhaltenstestung wurden die Tiere zur Gewöhnung in
den Test-Raum verbracht. Für
das Diazepam-Experiment wurde den Tieren entweder 1 mg/kg KG („b. w.", Körpergewicht)
Diazepam (Diazepam-Lipuro, Braun-Melsungen, Deutschland) oder Träger (Aqua ad
injectabilia, Braun-Melsungen, Deutschland) 30 Minuten vor der Testung
i. p. injiziert.
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Der
selektive Hemmstoff der Wiederaufnahme von Serotonin Paroxetin (SmithKline
Beecham, Sussex, UK) wurde in Wasser gelöst, in die üblichen Wasserflaschen gefüllt und
den Tieren über
10 Wochen über
ihr Trinkwasser gegeben (5 mg/kg KG). Der Verbrauch der Paroxetinlösung wurde
gemessen und die Lösung
wurde täglich
am Morgen erneuert. Die Kontrollgruppe erhielt normales Trinkwasser.
Um die Kontrolle der Aufnahme der Lösung zu ermöglichen, mussten alle Tiere
des Paroxetin-Experiments einzeln gehalten werden, so dass der Sozialkontakt nicht
beurteilt werden konnte.
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Statistik
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Die
Daten über
das Verhalten aus dem ursprünglichen
Test in HABs und LABs wurden mittels einer Einweg-Varianzanalyse
(ANOVA; STATISTICA, StatSoft, Tulsa, USA) mit den Zuchtlinien der
Ratten als Faktor zwischen den Gruppen analysiert. Träger-Gruppen
aus den pharmakologischen Experimenten wurden ebenfalls durch eine
Einweg-ANOVA analysiert, um die Reproduzierbarkeit von potentiellen
Unterschieden des Verhaltens der Zuchtlinien im mHB zu überprüfen. Dann
wurden Daten über
das Verhalten aus den pharmakologischen Experimenten durch eine
Zweiweg-ANOVA mit der genetischen Zuchtlinie und der Behandlung
als Hauptfaktoren analysiert. Den Analysen folgte ein post-hoc-LSD-Test,
wenn dies angebracht war. P < 0,05
wurde als signifikant angenommen. Die Daten werden als Mittelwerte ± SEM gezeigt.
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Ergebnisse
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Der
Vergleich des ursprünglichen
Verhaltens von HABs und LABs offenbarte signifikante Unterschiede
zwischen den zwei Rattenzuchtlinien bei Parametern, von welchen
angenommen wird, dass sie Angst anzeigen (Zeit auf dem Brett: F
(1,24) = 49,7; p < 0,001,
Wartezeit-Brett: F (1,24) = 6,7; p < 0,02, Betreten des Bretts: F (1,24)
= 36,5; p < 0,001).
Weiterhin führten
HABs im Vergleich mit LABs mehr gestreckte Aufwartungen durch (F
(1,24) = 84,0; p < 0,001)
und waren im Bezug auf Bewegung (F (1,24) = 11,3; p < 0,003) und auf
Erforschung des ungeschützten
Bereichs (das heißt,
Brett; Aufrichten-Brett: F (1,24) = 11,6; p < 0,003, untersuchte Löcher: F
(1,24) = 14,2; p < 0,001;
Wartezeit-Loch: F (1,24) = 6,6; p < 0,02)
weniger aktiv, es wurde aber kein Unterschied in der Erforschung
des geschützten Bereichs
(das heißt,
Behälter)
und in der sozialen Bindung gefunden. Entsprechend offenbarten mit Träger behandelte
HABs und LABs in beiden pharmakologischen Experimenten vergleichbare
Unterschiede im Verhalten wie die unbehandelten Testgruppen.
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Die
Zweiweg-ANOVA (Zuchtlinie × Behandlung)
mit Verhaltensparametern der mit Diazepam behandelten Tiere im mHB
offenbarten, dass HABs und LABs sich signifikant im Gefahrbegutachtungsverhalten
(gestreckte Aufwartungen: F (1,14) = 8,25; p < 0,02) und angstverwandtem Verhalten
(Wartezeit-Brett: F (1,14) = 5,89; p < 0,03 und Betreten des Bretts: F (1,14)
= 4,64; p < 0,05)
unterschieden. Bei HAB wurde das Gefahrbegutachtungsverhalten signifikant
durch akute Behandlung mit Diazepam reduziert (p < 0,01), was zu einer
Aufhebung des Unterschiedes der Zuchtlinien in mit Träger behandelten Ratten führte. Darüber hinaus
hob die akute Behandlung mit Diazepam Unterschiede der Gruppen in angstverwandtem
Verhalten durch Beeinflussung von 'Wartezeit-Brett' bei HABs (p < 0,02) und von 'Betreten des Bretts' in beiden Ratten-Zuchtlinien auf.
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Die
Zweiweg-ANOVA (Zuchtlinie × Behandlung)
mit dem Verhaltensparameter von mit Paroxetin behandelten Tieren
im mHB offenbarte eine signifikante Interaktion der beiden Faktoren
nur bei 'Wartezeit-Loch' (F (1,36) = 4,5;
p < 0,05), wobei
die HABs eine Erhöhung
bei diesem Parameter zeigten (p < 0,01),
was in einem signifikanten Unterschied zwischen den behandelten
Ratten-Zuchtlinien resultierte, welcher nicht bei mit Träger behandelten
Zuchtlinien beobachtet werden konnte. Ansonsten führte die
Behandlung mit Paroxetin nicht zu Effekten auf das Verhalten in
LABs.
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In
den vorstehend beschriebenen Experimenten offenbarte das mHB-Verhalten
von jeweils auf gesteigerte oder verringerte Ängstlichkeit hin gezüchtete Ratten
klare Unterschiede in angstverwandtem Verhalten, ein Befund, welcher
mit früheren
Ergebnissen, die durch unterschiedliche Tests auf unkonditionierte
Angst erhalten wurden (Henniger et al., 2000; Liebsch et al., 1998a,
b) übereinstimmt.
Weiterhin zeigten HABs im Vergleich mit LABs keine Unterschiede
in der Erforschung des geschützten
Bereichs (das heißt,
Aufrichten im Behälter)
oder in der sozialen Bindung. Die gleichen Kennzeichen des Verhaltens
wurden in mit Träger
behandelten Tieren in den pharmakologischen Experimenten gefunden. Diese
Ergebnisse demonstrieren, dass es das mHB ermöglicht, Kennzeichen des Verhaltens
in Nagetieren differentiell zu untersuchen und somit die offensichtliche
Validität
eines psychopathologischen Tiermodells zu bewerten.
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Interessanterweise
hob die akute Behandlung mit dem anxiolytischen Arzneistoff Diazepam
die Unterschiede der Zuchtlinien, welche sowohl in unbehandelten
als auch in mit Träger
behandelten HABs und LABs beobachtet wurden, fast vollständig auf.
Diazepam löste Änderungen
in 'Wartezeit-Brett' und 'Betreten des Bretts' bei HABs aus, was
eine anxiolytische Wirkung in extrem ängstlichen Ratten zeigte. Diese
Beobachtungen liegen auf einer Linie mit Ergebnissen aus früheren Untersuchungen über den
Effekt von Diazepam in Ratten (Fernandez et al., 1996; Liebsch et
al., 1998b). Bei HABs wurde die anxiolytische Wirkung von Diazepam
durch eine gleichzeitige Reduktion des Gefahrbegutachtungsverhaltens
(das heißt,
gestreckte Aufwartungen) unterstrichen, während kein Effekt auf die Bewegung
gefunden wurde. Nichtsdestoweniger offenbarte ein Parameter des
angstverwandten Verhaltens (Prozentsatz der auf dem Brett verbrachten
Zeit) keinen signifikanten Behandlungseffekt, was nahe legt, dass
Vermeidungsverhalten gegenüber
ungeschützten
Bereichen, was dem Selektionsmerkmal in HABs und LABs entspricht
(Liebsch et al., 1998a, b) in diesen Ratten-Zuchtlinien extrem stabil
ist.
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Bei
LABs schien auf den ersten Blick die akute Behandlung mit Diazepam
eine angstauslösende Wirkung
zu erzeugen: Im Gegensatz zu den in HABs beobachteten Effekten wurde
in LABs 'Wartezeit-Brett' eher erhöht und 'Betreten des Bretts' erniedrigt. Die
gleichzeitige Tendenz zu einer reduzierten Bewegung und das Fehlen
von Änderungen
im Gefahrbegutachtungsverhalten weisen jedoch auf eine eher sedierende
denn eine angstauslösende Wirkung
von Diazepam in nicht-ängstlichen
Tieren hin. Zusammengefasst liefern diese Ergebnisse nur in überängstlichen
Individuen Belege für
anxiolytische Wirkungen von Diazepam, aber eine eher sedierende
Wirkung in wenig ängstlichen
Individuen und legen somit die Machbarkeit einer Bewertung des prädiktiven
Werts eines psychopathologischen Tiermodells mit dem mHB nahe.
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Obwohl
die chronische Behandlung mit dem selektiven Hemmstoff der Wiederaufnahme
von Serotonin Paroxetin keine Wirkung auf Parameter, die Angst vor
ungeschützten
Bereichen anzeigen, offenbarte, zeigt die Aufhebung des ursprünglichen
Unterschieds der Zuchtlinien im Gefahrbegutachtungsverhalten nach
chronischer Behandlung mit Paroxetin eine leichte anxiolyische Wirkung
in HABs.
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Dies
steht in Übereinstimmung
mit der Hypothese, dass das Gefahrbegutachtungsverhalten empfindlicher
gegenüber
den Wirkungen von atypischen Anxiolytika wie Paroxetin ist, als
andere, traditionellere Gradmesser der Angst (Griebe) et al., 1997).
Neuere Untersuchungen des Verhaltens von Ratten im Elevated-Plus-Maze
sowohl nach chronischer Behandlung mit Antidepressiva (Beaufour
et al., 1999) als auch nach chronischer Behandlung mit dem Hemmstoff
der Wiederaufnahme von Serotonin Fluoxetin (Silva & Brandao, 2000)
offenbarten jedoch weder Änderungen
in den klassischen Indikatoren der Angst noch im Gefahrbegutachtungsverhalten. Die
Beobachtung von durch die Behandlung ausgelösten Änderungen im Gefahrbegutachtungsverhalten
im mHB legt nahe, dass die stressreduzierte Eigenheit dieses Tests
es erlaubt, feinere Behandlungswirkungen zu entdecken als andere
Tests für unkonditioniertes
Verhalten.
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Die
chronische Behandlung mit Paroxetin löste eine deutliche Steigerung
in 'Warteizeit-Loch' bei HABs aus, was – auf den
ersten Blick – nahe
legt, dass Paroxetin die Motivation zur Erforschung des ungeschützten Bereichs
bei überängstlichen
Tieren leicht verringerte. Da jedoch die Zahl der erforschten Löcher durch
die Behandlung mit Paroxetin unbeeinflusst blieb, ist eine Modulation
der Strategie der Erforschung die wahrscheinlichere Erklärung als Änderungen
in der Motivation zur Erforschung des ungeschützten Bereichs im Allgemeinen.
Interessanterweise wurden bei LABs keine durch die Behandlung ausgelösten Änderungen
des Verhaltens beobachtet, was nahe legt, dass die chronische Behandlung
mit Paroxetin in nicht-ängstlichen
Individuen wirkungslos ist.
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Die
vorstehenden Experimente belegen klar, dass das mHB ein einfaches
Test-Paradigma bereitstellt,
welches die genaue und feine Differenzierung von Verhaltensprofilen
erlaubt.
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Das
mHB stellt eine Kombination eines Lochbretts und eines offenen Feldes
dar.
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Da
das mHB es erlaubt den sozialen Kontakt unter den zu testenden Tieren
aufrecht zu erhalten, wird die soziale Isolation der Tiere im Gegensatz
zu früheren
Test-Paradigmen vermieden, welche den sozialen Kontakt zu Gruppenmitgliedern
immer ausschlossen, da das Verhalten maskierende Einflüsse befürchtet wurden.
Zusätzlich
ist es möglich
das Bedürfnis
nach sozialem Kontakt zu begutachten.
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Deshalb
ermöglicht
es dieses neue Test-Paradigma eine große Bandbreite von Verhaltensweisen,
einschließlich
angstverwandtem Verhalten, Gefahrbegutachtungsverhalten, Erforschung,
lokomotorischer Aktivität
und sozialer Bindung, zu untersuchen.
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Wie
klar aus dem vorstehenden abgeleitet werden kann, ist es möglich das
ursprüngliche
Verhalten in Nagetieren differentiell zu analysieren und durch unterschiedliche
pharmakologische Behandlungen ausgelöste Wirkungen auf das Verhalten
unter stressreduzierten Bedingungen durch Verwendung des mHB-Tests
zu bewerten. Verhaltensweisen wie Angst, Erforschung und lokomotorische
Aktivität können aufgetrennt
und durch gründliche Überwachung
und Analyse der in diesem Verhaltenstest gewonnenen Verhaltensparameter
untersucht werden. Somit stellt der mHB eine signifikante Verbesserung gegenüber dem
Stand der Technik dar, welcher eine ganze Reihe von getrennten Tests
erfordert. Der Befund, dass selbst feine Differenzierungen von Verhaltensprofilen
durch einen einzigen und einfachen Test bestimmt werden können, ist überraschend
und der konventionellen Lehre entgegengesetzt.
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Das
mHB stellt somit eine einfache und zweckdienliche Screeningvorrichtung
dar, welche für ein
Screening mit hohem Durchsatz geeignet ist.
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Schließlich ermöglicht es
der mHB-Test aufgrund seiner stressreduzierten Eigenheit durch Vermeidung
sozialer Absonderung dem Untersucher feine Modulationen des Verhaltens
wie geringe Änderungen
in angstverwandtem Verhalten oder Änderungen in der Motivation
zur Erforschung zu bewerten.
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Somit
stellt das mHB ein effektives Werkzeug zum Screening mit hohem Durchsatz
für potentielle
therapeutische Agentien in der präklinischen Forschung und zur
Beurteilung von genetisch ausgelösten
Wirkungen auf das Verhalten in bestimmten Stämmen von Labortieren dar. Dies
ist einfach und kosteneffizient und zudem kann die Zahl der benötigten Labortiere
signifikant reduziert werden, wobei zum ersten Mal Stress durch
soziale Abtrennung vermieden wird. Es erlaubt auch, im Gegensatz
zu konventionellen Paradigmen, die klare Unterscheidung zwischen
individuellen Verhaltensparametern in einer einzelnen experimentellen
Anordnung. So kann zum Beispiel im offenen Feld-Paradigma, die lokomotorische
Aktivität
nicht klar von Erforschung abgetrennt werden. Zudem kann die Testanordnung
und das experimentelle Verfahren, welche das erfindungsgemäße mHB verwenden,
auch für
motorische Tests oder Eingewöhnungstests
genauso wie für
Gedächtnis
und Lernen, zum Beispiel durch Beurteilung visueller oder olfaktorischer
Unterscheidung in kleinen Labortieren, zum Beispiel durch die Einbringung von
Nahrung in die Lochabteilung, verwendet werden.
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Das
modifizierte Lochbrett kann auch zur Untersuchung von Auswirkungen
der angeborenen Ängstlichkeit
auf kognitive Leistungen in Nagetieren, wie beschrieben in Ohl et
al., Biological Psychiatry, 2001, zur Veröffentlichung eingereicht, welches
hiermit durch Bezugnahme eingeschlossen ist, verwendet werden.
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Literaturverzeichnis
-
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