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Die Erfindung betrifft weiterhin ein Verfahren zur Entwicklung eines autonomen Fahrsystems eines Fahrzeugs.
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Aus der
DE 10 2016 007 563 A1 ist ein Verfahren zur Trajektorienplanung bekannt, wobei ein von einem Fahrzeugführer geführtes Fahrzeug eine tatsächliche Trajektorie befährt und mittels erfasster Sensordaten und eines aktuellen Fahrzustands des Fahrzeugs eine Fahrtrajektorie des Fahrzeugs geplant wird, welche mit der tatsächlich gefahrenen Trajektorie verglichen wird. Ein Vergleichsergebnis wird mittels vorgegebener Grenzwerte und Parameter bewertet, wobei die aus dem Vergleichsergebnis ermittelte Bewertung bei einer nachfolgenden Planung der Fahrtrajektorie berücksichtigt wird.
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Weiterhin ist aus der
DE 10 2020 210 499 A1 ein computerimplementiertes Verfahren bekannt, welches Folgendes umfasst:
- - Bestimmen des Fahrverhaltens einer Vielzahl von manuell betriebenen Fahrzeugen durch ein Computersystem, wobei jedes manuell betriebene Fahrzeug in einem Verkehrseinordnungsverhalten an einer entsprechenden ungeregelten Straßeneinmündung involviert war;
- - Bestimmen eines autonomen Fahrzeugfahrmodells durch das Computersystem basierend auf dem Fahrverhalten, wobei das autonome Fahrzeugfahrmodell ein autonomes Fahrzeugfahrverhalten beschreibt, das durch ein autonomes Fahrzeug, das sich in den Verkehr an einer ungeregelten Straßeneinmündung einordnen will, zu implementieren ist; und
- - Betreiben des autonomen Fahrzeugs unter Verwendung einer Steuerschaltung gemäß dem autonomen Fahrzeugfahrmodell.
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Die
DE 10 2019 127 190 A1 beschreibt ein Verfahren zum Beurteilen eines gelernten Fahrzeugdatensatzes eines Fahrerassistenzsystems, wobei das Verfahren Folgendes umfasst:
- - Empfangen von Fahrzeugsensordaten durch eine Steuereinheit, die von mindestens einem Sensor des Fahrzeugs erfasst werden, wobei die Fahrzeugsensordaten von einem Fahrerassistenzsystem eines Fahrzeugs generiert werden;
- - Ausführen einer Szenenerkennungsoperation an den Fahrzeugsensordaten durch die Steuereinheit unter Verwendung eines gelernten Fahrzeugdatensatzes, um Zielobjektattribute der Fahrzeugsensordaten zu identifizieren;
- - Bewerten von Laufzeitattributen der Szenenerkennungsoperation gegenüber einer Vektordarstellung für einen kommentierten Datensatz durch die Steuereinheit, um die Fähigkeit der Szenenerkennungsoperation zum Wahrnehmen von Zielobjektattributen der Fahrzeugsensordaten unter Verwendung des gelernten Fahrzeugdatensatzes einzuschätzen, wobei mit dem Bewerten die Effektivität der Szenenerkennungsoperation beim Identifizieren von Zielobjektattributen der Fahrzeugsensordaten beurteilt wird; und
- - Bestimmen eines Ereignis-Flags für den gelernten Fahrzeugdatensatz auf Grundlage der Bewertung, ob das Ereignis-Flag mindestens eines von einem Parameter und einer Datenprobe zum Aktualisieren des gelernten Fahrzeugdatensatzes identifiziert, durch eine Steuereinheit.
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Der Erfindung liegt die Aufgabe zu Grunde, ein neuartiges Verfahren zur Entwicklung eines autonomen Fahrsystems eines Fahrzeugs anzugeben.
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Die Aufgabe wird erfindungsgemäß gelöst durch ein Verfahren, welches die im Anspruch 1 angegebenen Merkmale aufweist.
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Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind Gegenstand der Unteransprüche.
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In einem Verfahren zur Entwicklung eines autonomen Fahrsystems eines Fahrzeugs wird erfindungsgemäß ein Verfahren zur Identifikation von Verkehrssituationen, welche von einem autonomen Fahrsystem eines Fahrzeugs nicht bewältigt werden, ausgeführt, wobei während einer manuell von einem Fahrer durchgeführten Fahrt des Fahrzeugs mittels einer Umgebungserfassungssensorik Umgebungsinformationen einer Fahrzeugumgebung erfasst. Anhand der Umgebungsinformationen werden System-Verhaltensentscheidungen des autonomen Fahrsystems ermittelt, wobei die ermittelten System-Verhaltensentscheidungen mit realen Fahrer-Verhaltensentscheidungen des Fahrers basierend auf zumindest einer Repräsentationsform einer Fahrzeugbewegung verglichen werden. Verkehrssituationen, bei denen in dem Vergleich ermittelte Verhaltensunterschiede zwischen den System-Verhaltensentscheidungen und den Fahrer-Verhaltensentscheidungen auftreten, werden aus einer Fahrerperspektive aufgezeichnet.
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Eine Entwicklung eines fortgeschrittenen autonomen Fahrsystems, beispielsweise gemäß dem Level 4 oder Level 5, erfordert eine detaillierte Wissensbasis über ein gewünschtes Sollverhalten im Kontext von komplexen Verkehrssituationen. Alleine eine Identifikation von relevanten Einflussfaktoren aus der jeweiligen Verkehrssituation, welche ein Systemverhalten bestimmen soll und damit das Fahrsystem raffinierter gestalten soll, ist komplex. Besonders im urbanen Verkehr im Vergleich zu einer Autobahnfahrt steigt eine Anzahl von Einflussfaktoren aus der Fahrzeugumgebung auf das gewünschte Sollverhalten enorm an. Sowohl die Anzahl der Einflussfaktoren, beispielsweise Personen beim Schieben von Objekten, Personen beim Tragen von Objekten, Personen, welche auf Fahrzeugen fahren, komplexe Kreuzungsbereiche, ungewöhnliche Gegenstände etc., aber auch eine gewünschte Reaktion im Kontext einer Gesamtsituation müssen dabei berücksichtigt werden. Eine universale Verhaltensstrategie für all diese Einflussfaktoren und deren Kombinationen stellt eine große Herausforderung dar.
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Diese Herausforderung wird mittels des vorliegenden Verfahrens gemeistert, indem mittels des Verfahrens eine Identifikation von Einflussfaktoren und der adäquaten Systemreaktion darauf möglich ist. Hierbei ermöglicht das vorliegende Verfahren, dass relevante, insbesondere auch neue Umweltfaktoren im Straßenverkehr weltweit identifiziert werden können. Dies resultiert insbesondere daraus, dass der Fahrer des Fahrzeugs auf für ihn bekannte, jedoch dem Fahrsystem unbekannte Klassen von Objekten anders reagiert als das Fahrsystem, weil dieses zum Beispiel fälschlicherweise von einem bewegten Hindernis ausgeht. Diese abweichende Reaktion kann beispielsweise ein Einhalten eines höheren Abstands oder ein langsameres Anfahren gegenüber einer mittels des Systems autonom ausgeführten Fahrzeugbewegung umfassen. Somit kann eine Spezialisierung im Hinblick auf ein Systemverhalten auf Unterkategorien von Hindernissen vorgenommen werden.
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Durch den Abgleich des Systemverhaltens mit dem menschlichen Fahrverhalten wird ein Fokus auf die Abweichungen, das heißt die Verhaltensunterschiede, gelegt, welche vom Fahrsystem noch nicht beherrscht werden. Damit wird eine Fahrsystem-Fähigkeit ausgeblendet, die das Fahrsystem ähnlich zum menschlichen Fahrer beherrscht.
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Bei der Verwendung von Verkehrssituationen, bei denen in dem Vergleich ermittelte Verhaltensunterschiede zwischen den System-Verhaltensentscheidungen und den Fahrer-Verhaltensentscheidungen auftreten, zur Analyse im Rahmen der Entwicklung autonomer Fahrsysteme, wird bei einem Auftreten solcher Verkehrssituationen ein Bedarf einer manuellen Analyse der Verkehrssituationen und zugehörigen System-Verhaltensentscheidungen und Fahrer-Verhaltensentscheidungen automatisch getriggert werden. Die Analyse kann dann in einem Backend durchgeführt werden.
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Dabei erfolgt die Analyse auf Basis von Daten aus einer Fahrzeugflotte, wobei Statistiken über wiederkehrende Verkehrssituationen gebildet werden. Häufige Verhaltensabweichungen der Fahrer bei ähnlichen Situationen werden in einer Merkmals-Entwicklung höher priorisiert. Auch für Spezifikationen des autonomen Fahrsystems sind diese „Delta-Szenarien“, das heißt die Verkehrssituationen, bei denen in dem Vergleich ermittelte Verhaltensunterschiede zwischen den System-Verhaltensentscheidungen und den Fahrer-Verhaltensentscheidungen auftreten, eine enorme Informationsquelle, damit eine gewisse Vollständigkeit im Hinblick auf ein spezifiziertes Sollverhalten erzielt werden kann.
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Ausführungsbeispiele der Erfindung werden im Folgenden anhand von Zeichnungen näher erläutert.
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Dabei zeigen:
- 1 schematisch eine Draufsicht eines Fahrzeugs und einer Fahrzeugumgebung,
- 2 schematisch eine Draufsicht auf ein Fahrzeug und eine Fahrzeugumgebung sowie Fahrzeugtrajektorien bei einer manuellen und einer automatisierten Führung des Fahrzeugs, und
- 3 schematisch ein Blockschaltbild einer Vorrichtung zur Identifikation von Verkehrssituationen, welche von einem automatisierten Fahrsystem nicht bewältigt werden.
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Einander entsprechende Teile sind in allen Figuren mit den gleichen Bezugszeichen versehen.
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In 1 ist eine Draufsicht eines Fahrzeugs 1 und einer Fahrzeugumgebung dargestellt. 2 zeigt eine Draufsicht auf das Fahrzeug 1 und eine Fahrzeugumgebung sowie Fahrzeugtrajektorien T1, T2 bei einer manuellen Führung (= Fahrzeugtrajektorie T1) und einer automatisierten Führung (= Fahrzeugtrajektorie T2) des Fahrzeugs 1.
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Das Fahrzeug 1 umfasst eine Umgebungserfassungssensorik 2 zur Erfassung der Fahrzeugumgebung, welche beispielsweise eine Kamera-, eine Radar-, eine Lidar- und/oder eine Ultraschallsensorik umfasst.
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Mittels der Umgebungserfassungssensorik 2 erfasste Umgebungsinformationen I werden zum Betrieb eines Fahrsystems 3 des Fahrzeugs 1 verwendet, wobei das Fahrsystem 3 zur Realisierung eines automatisierten, insbesondere hochautomatisierten oder autonomen Fahrbetriebs des Fahrzeugs 1 ausgebildet und vorgesehen ist.
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In einem Verfahren zur Entwicklung eines solchen Fahrsystems 3 ist vorgesehen, dass ein noch nicht fertig entwickeltes Fahrsystem 3 open-loop bei einer von einem Fahrer 4 des Fahrzeugs 1 durchgeführten manuellen Fahrt aktiv im Schatten, das heißt in einem so genannten Schatten-Modus oder einer Shadow-Mode, mitläuft. Hierbei steuert der Fahrer 4 in Abhängigkeit von erfassten Sinnesreizen R das Fahrzeug 1, welches mit einem autonom-fahrenden System mit Sensoren ausgestattet ist.
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Während der Fahrt des Fahrzeugs 1 sensiert die Umgebungserfassungssensorik 2 die Fahrzeugumgebung und das Fahrsystem 3 trifft System-Verhaltensentscheidungen SE. Diese System-Verhaltensentscheidungen SE vergleicht eine Vergleichseinheit 5 mit vom Fahrer 4 real getroffenen Fahrer-Verhaltensentscheidungen FE.
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Der Vergleich erfolgt basierend auf zumindest einer Repräsentationsform einer Fahrzeugbewegung. Dabei werden oder wird als Repräsentationsform der Fahrzeugbewegung eine Fahrzeugtrajektorie T1, T2 und/oder ein Abstand zu Umgebungsobjekten und/oder eine Fahrzeugposition und/oder eine Fahrzeugorientierung und/oder eine Fahrzeuggeschwindigkeit und/oder eine Fahrzeugbeschleunigung verwendet. Wie beispielsweise in 1 gezeigt, kann es in einer Verkehrssituation S1 bis Sn vorkommen, dass der Fahrer 4 das Fahrzeug 1 bremst, wohingegen das Fahrsystem 3 das Fahrzeug 1 beschleunigen würde. Wie beispielsweise in 2 gezeigt, kann es in einer Verkehrssituation S1 bis Sn vorkommen, dass der Fahrer 4 einen Spurversatz gemäß der Fahrzeugtrajektorie T1 fährt, wohingegen das Fahrsystem 3 gemäß der Fahrzeugtrajektorie T2 das Fahrzeug 1 in der Mitte der Fahrspur halten würde.
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Sofern relevante Verhaltensunterschiede zwischen den System-Verhaltensentscheidungen SE und den Fahrer-Verhaltensentscheidungen FE festgestellt werden, werden Verkehrssituationen S1 bis Sn mit solchen Verhaltensunterschieden aus einer Fahrerperspektive aufgezeichnet und ein Bedarf einer Analyse dieser Verkehrssituationen S1 bis Sn mit den zugehörigen System-Verhaltensentscheidungen SE und den Fahrer-Verhaltensentscheidungen FE wird getriggert.
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Dieses Vorgehen entspricht im übertragenden Sinne einer „Warum-Frage“ seitens des Fahrsystems 3, warum sich der menschliche Fahrer 4 in dieser Verkehrssituation S1 bis Sn anders als das Fahrsystem 3 verhält. Eine Feststellung, dass relevante Unterschiede zwischen den System-Verhaltensentscheidungen SE und den Fahrer-Verhaltensentscheidungen FE auftreten, ist die Ausgangslage für ein Lernen bzw. Weiterentwickeln des Fahrsystems 3.
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Bevor die Weiterentwicklung des Fahrsystems 3 vorgenommen werden kann, werden die Verkehrssituationen S1 bis Sn und die zugehörigen System-Verhaltensentscheidungen SE und die Fahrer-Verhaltensentscheidungen FE anhand von Sensorinformationen offline, beispielsweise in einem Backend 6, manuell von Personen analysiert. Bei dieser Analyse soll herausgefunden werden, ob der menschliche Fahrer 4 Einflussfaktoren in seiner Fahrstrategie bedacht hat, die das Fahrsystem 3 mit seiner Logik nicht bedenkt. Dazu bedarf es sowohl einer guten Systemkenntnis als auch der Erfahrung in Führung von Fahrzeugen 1 in gegebenen Gegenden. Hierbei identifiziert die Person Lücken in Systemfähigkeiten und potenziellen Ausbaustufen des Fahrsystems 3 im Backend 6. Seine Erkenntnisse bezüglich funktionaler Unzulänglichkeiten liefern einen Beitrag für ein Planung von neuen Funktions-Features für das Fahrsystem 3. Zudem werden die Häufigkeiten von solchen Ereignissen bei einer Priorisierung von Unzulänglichkeiten genutzt.