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Die vorliegende Offenbarung betrifft ein Fahrassistenzsystem zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs, ein Fahrzeug mit einem solchen Fahrassistenzsystem, ein Fahrassistenzverfahren zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs und ein Speichermedium zum Ausführen des Fahrassistenzverfahrens. Die vorliegende Offenbarung betrifft insbesondere eine verbesserte Bahnplanung eines automatisiert fahrenden Fahrzeugs.
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Stand der Technik
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Fahrassistenzsysteme zum automatisierten Fahren gewinnen stetig an Bedeutung. Das automatisierte Fahren kann mit verschiedenen Automatisierungsgraden erfolgen. Beispielhafte Automatisierungsgrade sind ein assistiertes, teilautomatisiertes, hochautomatisiertes oder vollautomatisiertes Fahren. Diese Automatisierungsgrade wurden von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) definiert (siehe BASt-Publikation „Forschung kompakt“, Ausgabe 11/2012). Beispielsweise sind die Fahrzeuge mit Level 4 vollautonom im Stadtbetrieb unterwegs.
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Das Fahrassistenzsystem zum automatisierten Fahren verwendet Sensoren, die die Umgebung zum Beispiel auf visueller Basis wahrnehmen, sowohl im für den Menschen sichtbaren als auch unsichtbaren Bereich. Die Sensoren können zum Beispiel eine Kamera, ein Radar und/oder ein LiDAR sein. Diese sind neben hochgenauen Karten die hauptsächlichen Signalquellen für Fahrassistenzsysteme zum automatisierten Fahren.
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Das Fahrzeugumfeld besteht in der Realität aus sehr vielen unterschiedlichen Objekten/Subjekten wie Fremdfahrzeugen, Straßenstrukturen, Menschen, Tieren, Mülltonnen, Verkehrsleitsystemen, Terrain, etc. All diese Aspekte des Fahrzeugumfelds müssen bei einer Bahnplanung des Fahrzeugs berücksichtigt werden, um ein sicheres Navigieren des Fahrzeugs in seinem Umfeld zu ermöglichen.
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Heutzutage existieren mehrere unterschiedliche Ansätze zur Generierung von Trajektorien für das automatisierte Fahren. Beispielsweise können für eine geringe Anzahl isolierter Verkehrsszenarien unter bestimmten Vereinfachungen einfache Heuristiken in Kombination mit Pfadplanungsstrategien eingesetzt werden. In einem weiteren Beispiel können Potentialfelder angewandt werden. Hier werden anstelle von Fahrzeugmodellen stark vereinfachte Ersatzmodelle verwendet.
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Die bekannten Ansätze zur Generierung von Trajektorien für das automatisierte Fahren sind jedoch häufig zu ungenau, um ein sicheres Navigieren in einem komplexen Fahrzeugumfeld zu ermöglichen. Zudem sind zumindest einige der bekannten Ansätze rechenintensiv, was zu hohen Rechenzeit und/oder hohen Ressourcenanforderungen führt. Dies kann dazu führen, dass deren Einsatz in normalen Fahrzeugen schwierig bis unmöglich ist.
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Offenbarung der Erfindung
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Es ist eine Aufgabe der vorliegenden Offenbarung, ein Fahrassistenzsystem zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs, ein Fahrzeug mit einem solchen Fahrassistenzsystem, ein Fahrassistenzverfahren zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs und ein Speichermedium zum Ausführen des Fahrassistenzverfahrens anzugeben, die eine verbesserte Trajektorienplanung beim automatisierten Fahren ermöglichen. Weiter ist es eine Aufgabe der vorliegenden Offenbarung, den Einsatz von Rechenressourcen für eine Trajektorienplanung beim automatisierten Fahren zu reduzieren.
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Diese Aufgabe wird durch den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche gelöst. Vorteilhafte Ausgestaltungen sind in den Unteransprüchen angegeben.
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Gemäß einem unabhängigen Aspekt der vorliegenden Offenbarung ist ein Fahrassistenzsystem zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs, insbesondere eines Kraftfahrzeugs, angegeben. Das Fahrassistenzsystem umfasst wenigstens eine Prozessoreinheit, die eingerichtet ist, um eine Referenz-Fahrtrajektorie für das Fahrzeug zu bestimmen; die Referenz-Fahrtrajektorie mittels modellprädiktiver Regelung und unter Verwendung einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne statische Grenze und/oder einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne dynamische Grenze anzupassen; und die angepasste Fahrtrajektorie an eine Fahrfunktion zum automatisierten Fahren auszugeben.
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Der Ausdruck „Fahrfunktion zum automatisierten Fahren“ bezieht sich dabei auf eine automatisierte Fahrzeugführung bzw. Fahrzeugsteuerung, die erfolgt, um das Fahrzeug selbstständig entlang der bestimmten Trajektorie zu führen.
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Erfindungsgemäß erfolgt eine Trajektorienplanung des automatisiert fahrenden Fahrzeugs durch eine beschränkte Optimierung einer bekannten Referenz-Trajektorie auf Basis modellprädiktive Regelung, wobei nicht nur bestimmte Grenzen eingehalten werden, sondern auch deren Unsicherheit berücksichtigt wird. Dadurch wird eine verbesserte Trajektorienplanung ermöglicht, die eine sichere Navigation des Fahrzeugs in einem komplexen Umfeld ermöglicht. Zudem ist der erfindungsgemäße Ansatz recheneffizient, so dass weniger Rechenressourcen und Rechenzeit erforderlich sind, um die Trajektorienplanung durchzuführen. Dadurch wird ein umfassender Einsatz der erfindungsgemäßen Trajektorienplanung in Serienfahrzeugen ermöglicht.
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Im Rahmen der vorliegenden Offenbarung werden die Begriffe „Trajektorie“, „Fahrtrajektorie“ und „Bahn“ synonym verwendet. Entsprechend werden die Begriffe „Trajektorienplanung“ und „Bahnplanung“ synonym verwendet.
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Modellprädiktive Regelung („Model Predictive Control“, MPC) ist im Allgemeinen eine Methode zur Regelung eines Prozesses unter Einhaltung von Randbedingungen bzw. Grenzen („constraints“). Modellprädiktive Regelung kann beispielsweise dazu verwendet werden, um das Verhalten komplexer dynamischer Systeme vorherzusagen. Bei der MPC wird ein zeitdiskretes dynamisches Modell des zu regelnden Prozesses verwendet, um das zukünftige Verhalten des Prozesses in Abhängigkeit von Eingangssignalen zu berechnen. Dies ermöglicht die Berechnung des (im Sinne einer Gütefunktion) optimalen Eingangssignales, die zu optimalen Ausgangssignalen führen.
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Der Begriff „Grenze“, wie er im Rahmen der vorliegenden Offenbarung verwendet wird, bezieht sich dabei auf die zuvor genannten Randbedingungen („constraints“), die für die erfindungsgemäße modellprädiktive Regelung zur Anpassung der Fahrtrajektorie verwendet werden.
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Der Begriff „Unsicherheit“, wie er im Rahmen der vorliegenden Offenbarung verwendet wird, kann beispielsweise eine Menge oder ein Intervall sein, innerhalb der/dem sich das System bewegt, aber innerhalb der/dem der genaue Zustand unbekannt ist. Die modellprädiktive Regelung zur Trajektorienplanung stellt sicher, dass die Grenzen unter dieser Unsicherheit eingehalten werden.
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Die wenigstens eine Prozessoreinheit ist ein programmierbares Rechenwerk, also eine Maschine oder eine elektronische Schaltung, die gemäß übergebenen Befehlen andere Elemente steuert und dabei einen Algorithmus (Prozess) vorantreibt.
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Vorzugsweise implementiert das Fahrassistenzsystem ein Prädiktionsmodell für die modellprädiktive Regelung. In einigen Ausführungsformen kann das Prädiktionsmodell ein dynamisches oder kinematisches Fahrzeugmodell sein, das eine Systemdynamik des Fahrzeugs angibt oder beschreibt.
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Vorzugsweise ist die wenigstens eine Prozessoreinheit eingerichtet, um die Referenz-Fahrtrajektorie weiter unter Verwendung einer Unsicherheit in der Systemdynamik des Fahrzeugs anzupassen. Insbesondere kann das kinematische Fahrzeugmodell Näherungen enthalten, so dass das kinematische Fahrzeugmodell fehlerbehaftet sein kann bzw. Modellfehler enthalten kann. Diese Unsicherheit in der Systemdynamik kann in der modellprädiktiven Regelung berücksichtigt werden, so dass die Anpassung der Trajektorie weiter verbessert werden kann.
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Die wenigstens eine fahrzeugexterne statische Grenze und/oder die wenigstens eine fahrzeugexterne dynamische Grenze können ein Fahrzeugumfeld betreffen und/oder fahrzeugunabhängig sein. Anders gesagt beziehen sich die wenigstens eine fahrzeugexterne statische Grenze und die wenigstens eine fahrzeugexterne dynamische Grenze nicht auf das Fahrzeug selbst, wie dies bei der Systemdynamik der Fall ist, sondern betreffen Umstände, die von außen vorgegeben sind.
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Vorzugsweise basiert die wenigstens eine fahrzeugexterne statische Grenze auf Umfelddaten des Fahrzeugs, die durch eine Umgebungssensorik des Fahrzeugs erfasst werden, und/oder basiert auf digitalen Kartendaten. Beispielsweise kann die Umgebungssensorik des Fahrzeugs Fahrbahnmarkierungen erfassen, wobei die Erfassung mit einer bestimmten Ungenauigkeit behaftet ist. Dies kann im Rahmen der statischen Grenze(n) bei der Optimierung der Trajektorie berücksichtigt werden. Ähnliches gilt für eine (z.B. inhärente) Ungenauigkeit von digitalen Kartendaten. Vorzugsweise wird eine Vielzahl von statischen Grenzen bei der Optimierung der Trajektorie berücksichtigt.
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Vorzugsweise gibt die wenigstens eine fahrzeugexterne dynamische Grenze eine Kopplung einer Dynamik des Fahrzeugs und einer Dynamik eines externen (dynamischen) Objekts an. Anders gesagt kann eine Kopplung durch dynamische Grenzen erfolgen, beispielsweise abgeleitet aus einer Unsicherheit des prädizierten Fahrschlauchs („Tube“) des Hindernisses. Das externe Objekt kann ein externes Hindernis sein, wie zum Beispiel ein Fremdfahrzeug, Fußgänger oder Fahrradfahrer. Vorzugsweise wird eine Vielzahl von dynamischen Grenzen bei der Optimierung der Trajektorie berücksichtigt.
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Vorzugsweise ist die wenigstens eine Prozessoreinheit eingerichtet, um das Anpassen der Referenz-Fahrtrajektorie mittels modellprädiktiver Regelung und unter Verwendung einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne statische Grenze und/oder einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne dynamische Grenze für eine Vielzahl aufeinanderfolgender Zeitschritte oder Abtastschritte durchzuführen. Beispielsweise kann die Optimierung bzw. die Anpassung der Trajektorie basierend auf der Optimierung in jedem Zeitschritt bzw. jedem Abtastschritt erfolgen.
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Vorzugsweise ist die wenigstens eine Prozessoreinheit eingerichtet, um die Referenz-Fahrtrajektorie mittels Graphensuche und/oder dynamischer Programmierung zu bestimmen. Die vorliegende Offenbarung ist jedoch nicht hierauf begrenzt und es können andere Methoden verwendet werden, um eine vorgeplante Trajektorie für die modellprädiktive Regelung bereitzustellen.
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Gemäß einem weiteren unabhängigen Aspekt der vorliegenden Offenbarung ist ein Fahrzeug, insbesondere Kraftfahrzeug, angegeben. Das Fahrzeug umfasst das Fahrassistenzsystem zum automatisierten Fahren gemäß den Ausführungsformen der vorliegenden Offenbarung.
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Der Begriff Fahrzeug umfasst PKW, LKW, Busse, Wohnmobile, Krafträder, etc., die der Beförderung von Personen, Gütern, etc. dienen. Insbesondere umfasst der Begriff Kraftfahrzeuge zur Personenbeförderung.
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Das Fahrassistenzsystem ist zum automatisierten Fahren eingerichtet.
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Unter dem Begriff „automatisiertes Fahren“ kann im Rahmen des Dokuments ein Fahren mit automatisierter Längs- oder Querführung oder ein autonomes Fahren mit automatisierter Längs- und Querführung verstanden werden. Bei dem automatisierten Fahren kann es sich beispielsweise um ein zeitlich längeres Fahren auf der Autobahn oder um ein zeitlich begrenztes Fahren im Rahmen des Einparkens oder Rangierens handeln. Der Begriff „automatisiertes Fahren“ umfasst ein automatisiertes Fahren mit einem beliebigen Automatisierungsgrad. Beispielhafte Automatisierungsgrade sind ein assistiertes, teilautomatisiertes, hochautomatisiertes oder vollautomatisiertes Fahren. Diese Automatisierungsgrade wurden von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) definiert (siehe BASt-Publikation „Forschung kompakt“, Ausgabe 11/2012).
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Beim assistierten Fahren führt der Fahrer dauerhaft die Längs- oder Querführung aus, während das System die jeweils andere Funktion in gewissen Grenzen übernimmt. Beim teilautomatisierten Fahren (TAF) übernimmt das System die Längs- und Querführung für einen gewissen Zeitraum und/oder in spezifischen Situationen, wobei der Fahrer das System wie beim assistierten Fahren dauerhaft überwachen muss. Beim hochautomatisierten Fahren (HAF) übernimmt das System die Längs- und Querführung für einen gewissen Zeitraum, ohne dass der Fahrer das System dauerhaft überwachen muss; der Fahrer muss aber in einer gewissen Zeit in der Lage sein, die Fahrzeugführung zu übernehmen. Beim vollautomatisierten Fahren (VAF) kann das System für einen spezifischen Anwendungsfall das Fahren in allen Situationen automatisch bewältigen; für diesen Anwendungsfall ist kein Fahrer mehr erforderlich.
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Die vorstehend genannten vier Automatisierungsgrade entsprechen den SAE-Level 1 bis 4 der Norm SAE J3016 (SAE - Society of Automotive Engineering). Beispielsweise entspricht das hochautomatisierte Fahren (HAF) Level 3 der Norm SAE J3016. Ferner ist in der SAE J3016 noch der SAE-Level 5 als höchster Automatisierungsgrad vorgesehen, der in der Definition der BASt nicht enthalten ist. Der SAE-Level 5 entspricht einem fahrerlosen Fahren, bei dem das System während der ganzen Fahrt alle Situationen wie ein menschlicher Fahrer automatisch bewältigen kann; ein Fahrer ist generell nicht mehr erforderlich.
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Ein automatisiert fahrendes Fahrzeug lenkt und/oder bremst und/oder beschleunigt selbstständig basierend auf einer Fahrstrategie. Die Fahrstrategie kann basierend auf Umfelddaten einer Umgebungssensorik, Straßenzustand, Verkehrslage, Wetterlage, etc. bestimmt werden. Die Umsetzung der bestimmten Fahrstrategie erfolgt durch den Antrieb, die Lenkung und/oder die Bremsen.
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Vorzugsweise umfasst die Umgebungssensorik wenigstens ein LiDAR-System und/oder wenigstens ein Radar-System und/oder wenigstens eine Kamera und/oder wenigstens ein Ultraschall-System und/oder wenigstens einen Laserscanner. Die Umgebungssensorik kann die Umfelddaten (auch als „Umgebungsdaten“ bezeichnet) bereitstellen, die einen Umgebungsbereich des Fahrzeugs abbilden. Die Umfelddaten können bei der Planung der Fahrtrajektorie für das automatisierte Fahren verwendet werden. Insbesondere können die Umfelddaten bei der Anpassung der Fahrtrajektorie gemäß den in diesem Dokument beschriebenen Ausführungsformen verwendet werden.
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Gemäß einem weiteren unabhängigen Aspekt der vorliegenden Offenbarung ist ein Fahrassistenzverfahren zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs, insbesondere eines Kraftfahrzeugs, angegeben. Das Fahrassistenzverfahren umfasst ein Bestimmen einer Referenz-Fahrtrajektorie für das Fahrzeug; ein Anpassen der Referenz-Fahrtrajektorie mittels modellprädiktiver Regelung und unter Verwendung einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne statische Grenze und/oder einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne dynamische Grenze; und ein Ansteuern einer Fahrfunktion zum automatisierten Fahren basierend auf der angepassten Fahrtrajektorie.
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Das Fahrassistenzverfahren kann die Aspekte des in diesem Dokument beschriebenen Fahrassistenzsystems zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs implementieren.
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Gemäß einem weiteren unabhängigen Aspekt der vorliegenden Offenbarung ist ein Software (SW) Programm angegeben. Das SW Programm kann eingerichtet werden, um auf einem oder mehreren Prozessoren ausgeführt zu werden, und um dadurch das in diesem Dokument beschriebene Fahrassistenzverfahren zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs auszuführen.
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Gemäß einem weiteren unabhängigen Aspekt der vorliegenden Offenbarung ist ein Speichermedium angegeben. Das Speichermedium kann ein SW Programm umfassen, welches eingerichtet ist, um auf einem oder mehreren Prozessoren ausgeführt zu werden, und um dadurch das in diesem Dokument beschriebene Fahrassistenzverfahren zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs auszuführen.
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Gemäß einem weiteren unabhängigen Aspekt der vorliegenden Offenbarung ist eine Software mit Programmcode zur Durchführung des Fahrassistenzverfahrens zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs auszuführen, wenn die Software auf einer oder mehreren softwaregesteuerten Einrichtungen abläuft.
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Figurenliste
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Ausführungsbeispiele der Offenbarung sind in den Figuren dargestellt und werden im Folgenden näher beschrieben. Es zeigen:
- 1 schematisch ein Fahrzeug mit einem Fahrassistenzsystem zum automatisierten Fahren gemäß Ausführungsformen der vorliegenden Offenbarung,
- 2 schematisch ein kinematisches Fahrzeugmodell gemäß Ausführungsformen der vorliegenden Offenbarung, und
- 3 ein Flussdiagram eines Fahrassistenzverfahrens zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs gemäß Ausführungsformen der vorliegenden Offenbarung.
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Ausführungsformen der Offenbarung
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Im Folgenden werden, sofern nicht anders vermerkt, für gleiche und gleichwirkende Elemente gleiche Bezugszeichen verwendet.
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1 zeigt schematisch ein Fahrzeug 10 mit einem Fahrassistenzsystem 100 zum automatisierten Fahren gemäß Ausführungsformen der vorliegenden Offenbarung. Das Fahrzeug 10 kann in einigen Ausführungsformen ein Kraftfahrzeug sein, ist jedoch noch hierauf beschränkt.
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Beim automatisierten Fahren erfolgt die Längs- und/oder Querführung des Fahrzeugs 10 automatisch. Das Fahrassistenzsystem 100 übernimmt also die Fahrzeugführung. Hierzu steuert das Fahrassistenzsystem 100 den Antrieb 20, das Getriebe 22, die hydraulische Betriebsbremse 24 und die Lenkung 26 über nicht dargestellte Zwischeneinheiten.
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Zur Planung und Durchführung des automatisierten Fahrens werden Umfeldinformationen einer Umfeldsensorik, die das Fahrzeugumfeld beobachtet, vom Fahrerassistenzsystem 100 entgegengenommen. Insbesondere kann das Fahrzeug 10 wenigstens einen Umgebungssensor 12 umfassen, der zur Aufnahme von Umgebungsdaten, die das Fahrzeugumfeld angeben, eingerichtet ist. Der wenigstens eine Umgebungssensor 12 kann beispielsweise wenigstens ein LiDAR-System, wenigstens ein Radar-System, wenigstens einen Laserscanner und/oder wenigstens eine Kamera umfassen.
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Das Fahrassistenzsystem 100 steuert das Fahrzeug entlang einer Trajektorie, die das Fahrassistenzsystem 100 plant bzw. bestimmt und für die Fahrzeugführung verwendet. Zur Bestimmung der Trajektorie für die Fahrzeugsteuerung implementiert das Fahrassistenzsystem 100 die in diesem Dokument beschriebenen Ausführungsformen.
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Das Fahrassistenzsystem 100 umfasst hierzu wenigstens eine Prozessoreinheit 110, die eingerichtet ist, um eine Referenz-Fahrtrajektorie für das Fahrzeug 10 zu bestimmen; die Referenz-Fahrtrajektorie mittels (z.B. robuster) modellprädiktiver Regelung und unter Verwendung einer Unsicherheit für eine oder mehrere fahrzeugexterne statische Grenzen und/oder einer Unsicherheit für eine oder mehrere fahrzeugexterne dynamische Grenzen anzupassen; und die angepasste Fahrtrajektorie an eine Fahrfunktion zum automatisierten Fahren auszugeben.
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Die modellprädiktive Regelung kann für die Optimierung des prädizierten Streckenverhaltens ein Prädiktionsmodell verwenden. In einigen Ausführungsformen kann das Prädiktionsmodell ein kinematisches Fahrzeugmodell sein. Ein beispielhaftes kinematisches Fahrzeugmodell ist in der 2 gezeigt.
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Das kinematische Fahrzeugmodell ermöglicht eine universelle Planung von Trajektorien unabhängig von spezifischen Fahrzeugparametern. Hierzu verwendet das kinematische Fahrzeugmodell den Hinterachsmittelpunkt als Referenzpunkt und als Systemeingang u die erste Krümmungsableitung. Dabei wird die Fahrzeugdynamik relativ zu einer gegebenen Referenz-Trajektorie (bzw. Referenzkurve) Γ beschrieben, sodass sich diese wie folgt darstellen lässt:
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Dabei definiert dr den normalen Abstand zwischen Hinterachsmittelpunkt und Referenzkurve Γ. Für die weiteren Systemzustände der Ausrichtung θ und Krümmung κ für das Fahrzeug sind die entsprechenden Größen der Referenzkurve Γ mit dem Index r gekennzeichnet und über die Bogenlänge sr definiert. Die geometrischen Zusammenhänge der beschriebenen Größen sind in 2 grafisch dargestellt. Zudem bezeichnet νr die auf die Referenzkurve Γ projizierte Fahrzeuggeschwindigkeit v(t), die als zeitvarianter Systemparameter angenommen wird, und z bezeichnet eine gewünschte Störung, welche sich von der Referenzkurve Γ ableitet.
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Bei genauer Betrachtung der nichtlinearen Systemgleichungen 1a-1e, wird deutlich, dass bei einer Fahrzeugbewegung nahe der Referenzkurve Γ die Ausrichtungsdifferenz θ - θ
r durch sin(θ -θ
r) ≈ θ - θ
r und cos(θ-θ
r) ≈ 1 approximiert werden kann. Des Weiteren ergibt sich, dass ν
r ≈ v(t) gilt, da entweder v(t) und d
r bei niedrigen Geschwindigkeiten oder κ
r und d
r bei hohen Geschwindigkeiten als ausreichend klein angenommen werden können. Demnach lässt sich die in 1a-1e beschriebene Fahrzeugdynamik als lineares zeitvariantes Prädiktionsmodell mit dem Zustandsvektor x
T = [d
r, θ, κ, θ
r, κ
r] wie folgt formulieren:
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Mit:
v(t) ist dabei durch ein gegebenes zukünftiges Geschwindigkeitsprofil bestimmt.
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Dieses System kann in eine zeitdiskrete Form überführt werden und Beschränkungen (beispielhaft nur eine Grenze, es können aber beliebig viele sein) unterliegen:
Wie oben beschrieben kann das kinematische Fahrzeugmodell Näherungen enthalten, so dass das kinematische Fahrzeugmodell fehlerbehaftet sein kann. Derartige Modellfehler können in einigen Ausführungsformen bei der erfindungsgemäßen modellprädiktiven Regelung berücksichtigt werden, indem eine Unsicherheit in der Systemdynamik eingeführt wird, die z.B. mit einer zusätzlichen additiven Störung w
k abgebildet werden kann:
Die Optimierung kann dann basierend auf robuster modellprädiktiver Regelung (z.B. Tube MPC) erfolgen.
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Die modellprädiktive Regelung erfolgt zudem unter Berücksichtigung einer Unsicherheit in einer oder mehreren statischen Grenzen bzw. Randbedingung und/oder einer Unsicherheit in einer oder mehreren dynamischen Grenzen bzw. Randbedingung.
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Die statische Grenze kann zum Beispiel Straßenmarkierungen betreffen. Die dynamische Grenze kann zum Beispiel dynamische Objekte, wie ein anderes Fahrzeug, betreffen. Die statische Grenze und die dynamische Grenze betreffen also ein Fahrzeugumfeld und sind von außen vorgegeben. Anders gesagt sind die statische Grenze und die dynamische Grenze nicht durch das Fahrzeug bestimmt oder beeinflussbar, wie dies bei der oben beschriebenen Systemdynamik der Fall ist.
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Die Unsicherheit kann beispielsweise eine Menge oder ein Intervall sein, innerhalb der/dem sich das System bewegt aber der genaue Zustand unbekannt ist. Die modellprädiktive Regelung stellt sicher, dass die Grenzen unter dieser Unsicherheit eingehalten werden.
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Die fahrzeugexterne statische Grenze kann in einigen Ausführungsformen auf Umfelddaten des Fahrzeugs, die durch eine Umgebungssensorik des Fahrzeugs erfasst werden, und/oder auf digitalen Kartendaten basierend. Beispielsweise kann die Umgebungssensorik des Fahrzeugs Fahrbahnmarkierungen erfassen, wobei die Erfassung mit einer bestimmten Ungenauigkeit behaftet ist. Dies kann im Rahmen der statischen Grenze bei der Optimierung der Trajektorie berücksichtigt werden. Ähnliches gilt für eine (z.B. inhärente) Ungenauigkeit von digitalen Kartendaten.
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Die Unsicherheit in den statischen Grenzen kann zum Beispiel durch zeitinvariante set-bounded Parameter (z.B. Straßenbegrenzungen, deren Abstand innerhalb eines Intervalls liegt) modelliert werden:
Die Unsicherheit in den dynamischen Grenzen kann zum Beispiel durch einen zeitvarianten set-bounded Parameter (z.B. dynamische Hindernisse) modelliert werden. Dies kann derart interpretiert werden, dass die Dynamik des Ego-Fahrzeugs und die Dynamik der dynamischen Hindernisse über die Beschränkungen gekoppelt sind.
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Ein mit Unsicherheit behaftetes zeitdiskretes Modell kann rekursiv zur Prädiktion der Dynamik des Hindernisses über den Prädiktionshorizont verwendet werden. Daraus ergibt sich ein prädizierter Positionsschlauch („prediction tube“) des Hindernisses. Daraus lassen sich dynamische Beschränkungen unter Unsicherheit für das Ego-Fahrzeug ableiten. (im Gegensatz zu den robusten MPC-Verfahren des sogenannten Tube MPC ist die sich ergebende Unsicherheit eines dynamischen Hindernisses unkontrollierbar bzw. von außen vorgegeben):
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Damit können eine Unsicherheit in statischen Grenzen, eine Unsicherheit in dynamischen Grenzen sowie optional eine Unsicherheit in einer Systemdynamik verwendet werden, um eine verbesserte Trajektorienplanung beim automatisierten Fahren zu ermöglichen.
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3 zeigt schematisch ein Flussdiagramm eines Fahrassistenzverfahrens 300 zum automatisierten Fahren eines Fahrzeugs gemäß Ausführungsformen der vorliegenden Offenbarung.
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Das Fahrassistenzverfahren 300 kann durch eine entsprechende Software implementiert werden, die durch einen oder mehrere Prozessoren (z.B. eine CPU) ausführbar ist.
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Das Fahrassistenzverfahren 300 umfasst im Block 310 ein Bestimmen einer Referenz-Fahrtrajektorie für das Fahrzeug; im Block 320 ein Anpassen der Referenz-Fahrtrajektorie mittels modellprädiktiver Regelung und unter Verwendung einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne statische Grenze und/oder einer Unsicherheit für wenigstens eine fahrzeugexterne dynamische Grenze; und im Block 330 ein Ansteuern einer Fahrfunktion zum automatisierten Fahren basierend auf der angepassten Fahrtrajektorie.
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Die Referenz-Fahrtrajektorie kann zum Beispiel mittels Graphensuche und/oder dynamischer Programmierung bestimmt werden. Die vorliegende Offenbarung ist jedoch nicht hierauf begrenzt und es können andere Methoden verwendet werden, um eine vorgeplante Trajektorie für die anschließende modellprädiktive Regelung bereitzustellen.
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Im Block 320 erfolgt eine Anpassung dieser Referenz-Fahrtrajektorie durch Lösung eines Optimierungsproblems unter Berücksichtigen von Unsicherheitsformen, beispielsweise mittels robuster modellprädiktiver Regelung mit pre-stabilizing DP-Policy. Typischerweise erfolgt das Anpassen der Referenz-Fahrtrajektorie mittels modellprädiktiver Regelung für eine Vielzahl aufeinanderfolgender Zeitschritte. Beispielsweise kann die Optimierung bzw. die Anpassung der Trajektorie basierend auf der Optimierung in jedem Zeitschritt bzw. jedem Abtastschritt erfolgen.
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In einer beispielhaften Ausführungsform kann die Optimierung im Block 320 zumindest einige der folgenden Bausteine umfassen:
- • Quadratische Kostenfunktion: Die Kostenterme für jeden Zeitschreit eines Prädiktionshorizonts (mit einer endlichen Anzahl von Prädiktionszeitschritten) können von einem Systemausgang (insbesondere einer relativen Abweichung von der Referenz-Trajektorie) und dem Systemeingang (insbesondere der Krümmungsänderung auf Grund eines Lenkwinkels) abhängig sein.
- • Diskretisierte Zustandsraum-Systembeschreibung der Fahrzeugdynamik für den Prädiktionshorizont:
- ◯ Zustand (z.B. für Querdynamik, siehe Definition oben: xT = [dr, θ, κ, θr, κr]:
- Abstand relativ zu Referenz-Trajektorie, Winkel Fahrzeug global, Krümmung, Winkel Tangentiale zu Referenz-Trajektorie, Krümmung Referenz-Trajektorie)
- ◯ Eingang (Krümmungsänderung)
- ◯ Unsicherheitsparameter für Systemdynamik (z.B. unbekannte Störung, Modellfehler etc.)
- ◯ Grenzen in jedem Prädiktionsschritt für eine Beschreibung relativ zur Referenz-Trajektorie (z.B. Fahrspur, dynamische Hindernisse etc.), abhängig von:
- ■ Zustand und Eingang (s.o.)
- ■ Set-bounded Unsicherheitsparameter δ ∈ Δ für die Grenzen im jeweiligen Prädiktionszeitschritt
- ◯ Die Unsicherheitsparameter für Grenzen leiten sich z.B. sich aus einer Normalverteilung ab: Mittelwert und Konfidenzintervall → Umwandlung in robuste, deterministische Unsicherheitsintervalle (d.h. Δ ist über Intervall-Beschränkungen beschrieben)
- • Vorgabe einer robusten, invarianten Zielmenge, in der der prädizierte Zustand des Systems am Ende des Prädiktionshorizonts liegt, und innerhalb der ein stabilisierender Regler verwendet wird (z.B. ermittelt aus einem linear-quadratischen Ansatz ohne Beschränkungen, sogenannter LQR-Regler)
- • Die optimale Lösung kann über ein dynamisches Programm und/oder durch Parametrisierung der DP-Lösung, insbesondere mittels einer sogenannten pre-stabilizing DP Policy gefunden werden: Der Eingang wird als affine Funktion des Zustands uk = Kxk + ck parametriert. Die anschließende Optimierung erfolgt über die Parameter ck (das System wird dabei „vor-stabilisiert“, um die Unsicherheit in der Prädiktion darüber zu verringern).
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Erfindungsgemäß erfolgt eine Trajektorienplanung des automatisiert fahrenden Fahrzeugs durch eine beschränkte Optimierung einer bekannten Referenz-Trajektorie auf Basis modellprädiktive Regelung, wobei nicht nur bestimmte Grenzen eingehalten werden, sondern auch deren Unsicherheit berücksichtigt wird. Dadurch wird eine verbesserte Trajektorienplanung ermöglicht, die eine sichere Navigation des Fahrzeugs in einem komplexen Umfeld ermöglicht. Zudem ist der erfindungsgemäße Ansatz recheneffizient, so dass weniger Rechenressourcen und Rechenzeit erforderlich sind, um die Trajektorienplanung durchzuführen. Dadurch wird ein umfassender Einsatz der erfindungsgemäßen Trajektorienplanung in Serienfahrzeugen ermöglicht
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Obwohl die Erfindung im Detail durch bevorzugte Ausführungsbeispiele näher illustriert und erläutert wurde, so ist die Erfindung nicht durch die offenbarten Beispiele eingeschränkt und andere Variationen können vom Fachmann hieraus abgeleitet werden, ohne den Schutzumfang der Erfindung zu verlassen. Es ist daher klar, dass eine Vielzahl von Variationsmöglichkeiten existiert. Es ist ebenfalls klar, dass beispielhaft genannte Ausführungsformen wirklich nur Beispiele darstellen, die nicht in irgendeiner Weise als Begrenzung etwa des Schutzbereichs, der Anwendungsmöglichkeiten oder der Konfiguration der Erfindung aufzufassen sind. Vielmehr versetzen die vorhergehende Beschreibung und die Figurenbeschreibung den Fachmann in die Lage, die beispielhaften Ausführungsformen konkret umzusetzen, wobei der Fachmann in Kenntnis des offenbarten Erfindungsgedankens vielfältige Änderungen beispielsweise hinsichtlich der Funktion oder der Anordnung einzelner, in einer beispielhaften Ausführungsform genannter Elemente vornehmen kann, ohne den Schutzbereich zu verlassen, der durch die Ansprüche und deren rechtliche Entsprechungen, wie etwa weitergehenden Erläuterungen in der Beschreibung, definiert wird.