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Technisches Gebiet
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Die Erfindung betrifft die Optimierung von Fertigungsprozessen mithilfe eines Bayes'schen Optimierungsverfahrens. Insbesondere betrifft die vorliegende Erfindung Maßnahmen zur Beschleunigung einer Prozessparameter-Optimierung.
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Technischer Hintergrund
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Ein maßgebliches Qualitätskriterium für die Bewertung einer Fertigungsprozesskette für die Herstellung von Bauteilen stellt die sogenannte Ausfallwahrscheinlichkeit eines hergestellten Bauteils dar. Die Ausfallwahrscheinlichkeit bestimmt sich durch zahlreiche Bauteileigenschaften, die maßgeblich durch die einzelnen Fertigungsprozesse der Fertigungsprozesskette bestimmt wird. Beispielsweise weist eine Fertigungsprozesskette für die Herstellung eines metallischen Bauteils Wärmebehandlungs-, spanende Bearbeitungsverfahren und Oberflächenbehandlungsverfahren auf, die allesamt die Bauteileigenschaften des fertiggestellten Bauteils beeinflussen.
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Zur Optimierung des gesamten Fertigungsprozesses werden derzeit experimentelle Fertigungsdurchläufe vorgenommen und das so hergestellte Bauteil entsprechend evaluiert. Dies ist jedoch aufgrund der hohen Anzahl von Kombinationen von Prozessparametern der mehreren Fertigungsprozesse zeitaufwendig. Daher führt dies vor allem im Bereich der Vorentwicklung zu langen Produktentwicklungszyklen für derartige Bauteile. Insbesondere ist die gewählte Kombination von Prozessparametern, die zu einem Bauteil mit gewünschten Eigenschaften und einer ausreichend niedrigen Ausfallwahrscheinlichkeit führt, in hohem Maße durch Expertenwissen beeinflusst, so dass die gewählten Kombinationen von Prozessparametern für ähnliche Bauteile individuell erheblich voneinander abweichen können.
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Offenbarung der Erfindung
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Erfindungsgemäß sind ein Verfahren zum Betreiben von Fertigungsprozessen einer Fertigungsprozesskette zur Herstellung eines Bauteils und zum Optimieren von Prozessparametern für Fertigungsprozesse gemäß Anspruch 1 sowie eine Vorrichtung und ein Fertigungssystem gemäß den nebengeordneten Ansprüchen vorgesehen.
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Weitere Ausgestaltungen sind in den abhängigen Ansprüchen angegeben.
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Gemäß einem ersten Aspekt ist ein computer-implementiertes Verfahren zum Betreiben von Fertigungsprozessen einer Fertigungsprozesskette zur Herstellung eines Bauteils vorgesehen, wobei Prozessparameter zum Betreiben eines oder mehrerer Fertigungsprozesse einer Fertigungsprozesskette mithilfe eines Bayes'schen Optimierungsverfahrens ermittelt werden, wobei das Bayes'sche Optimierungsverfahren auf einer mit Prozessparametern eines Prozessparametersatzes trainierbaren Lebensdauerfunktion basiert, die sukzessive präzisiert wird, wobei den Prozessparametersätzen jeweils eine Angabe zu einer Ausfallwahrscheinlichkeit zugeordnet werden, wobei das Verfahren iterativ zum Verbessern der Lebensdauerfunktion eine vorgegebene Aquisitionsfunktion anwendet.
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Eine Idee des obigen Verfahrens beruht auf der Anwendung einer Bayes'schen Optimierung für die Optimierung von Fertigungsprozessparametern für Fertigungsprozesse einer Fertigungsprozesskette zur Herstellung eines Bauteils. Dabei wird eine datenbasierte Lebensdauerfunktion bereitgestellt/trainiert, die Prozessparameter der Fertigungsprozesse auf eine Angabe einer Ausfallwahrscheinlichkeit eines gefertigten Bauteils abbildet, das entsprechend den Prozessparametern der Fertigungsprozesse hergestellt worden ist. Die Lebensdauerfunktion wird mit Trainingsdaten erstellt, die sich jeweils aus einem Vermessen oder Simulieren von Bauteileigenschaften eines Bauteils ergeben, wobei das Bauteil basierend auf Prozessparametern eines Prozessparametersatz hergestellt wurde, der mithilfe einer Akquisitionsfunktion ermittelt worden ist.
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Eine so erstellte Lebensdauerfunktion ermöglicht dann abschließend die Bestimmung eines optimierten Prozessparametersatzes durch Optimieren (Minimieren) der Ausfallwahrscheinlichkeit.
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Zum Aktualisieren der Lebensdauerfunktion kann eine Simulation oder eine experimentelle Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit abhängig von dem durch die Akquisitionsfunktion vorgegebenen Prozessparametersatz vorgenommen werden. Während die Simulation mit einem geringem Zeit - und Kostenaufwand durchgeführt werden kann, liefert diese jedoch eine Angabe zur Ausfallwahrscheinlichkeit, die ungenauer ist als die experimentelle Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit. Dagegen ist die Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit basierend auf einer experimentellen Messung aufwändiger, da das Bauteil erst hergestellt und anschließend mit verschiedenen Messverfahren untersucht werden muss, um die Ausfallwahrscheinlichkeit zu bestimmen.
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Die Angabe zu der Ausfallwahrscheinlichkeit kann einer Ausfallwahrscheinlichkeit oder einer p50%-Ermüdung entsprechen. Die Ausfallwahrscheinlichkeit kann mit einem Wahrscheinlichkeitswert angegeben werden. Jedoch wird diese auch häufig in Form einer P50%-Ermüdung vorgegeben, die die Zeitdauer angibt, nach der durchschnittlich die Hälfte der hergestellten Bauteile aufgrund Materialermüdung bzw. mechanischen Fehlern ausgefallen ist. Die Ausfallwahrscheinlichkeit ergibt sich aus einer Reihe von Bauteileigenschaften, die entsprechend einem geeigneten an sich bekannten Modell zur Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit verwendet werden.
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Die Angabe zu der Ausfallwahrscheinlichkeit kann experimentell oder durch eine Simulation ermittelbar sein, wobei die Angabe zu der Ausfallwahrscheinlichkeit insbesondere abhängig von mindestens einer der folgenden Größen bestimmt wird: einem Härtetiefenverlauf, einer Phasenverteilung, einem Kohlenstofftiefenverlauf, Eigenspannungen und Rauheit.
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Insbesondere kann der Prozessparametersatz einen Testparameter aufweisen, der während der Bayes'schen Optimierung mit den Prozessparametern trainiert wird, wobei abhängig von dem Testparameter des durch die Aquisitionsfunktion bestimmten Prozessparametersatzes die Angabe zu der Ausfallwahrscheinlichkeit experimentell oder durch eine Simulation ermittelt wird.
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Die Entscheidung, ob ein Optimierungsdurchlauf basierend auf einer Simulation oder einer experimentellen Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit durchgeführt wird, kann basierend auf einem den Prozessparametern hinzugefügten Entscheidungsparameter vorgenommen werden. Die Gesamtparameterzahl bestimmt dann sowohl die Prozessparameter für den nächsten Optimierungsdurchlauf als auch die Entscheidung, ob für die Ermittlung eines nächsten Trainingsdatensatzes eine Simulation der Ausfallwahrscheinlichkeit oder ein Experiment zur Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit vorgenommen werden soll.
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Es kann vorgesehen sein, dass die Lebensdauerfunktion als ein Gauß-Prozess-Modell ausgebildet ist, wobei das Gauß-Prozess-Modell der Lebensdauerfunktion mit einer Kovarianzfunktion ermittelt wird, die eine Kovarianzfunktion für die aus der Simulation erhaltenen Ausfallwahrscheinlichkeiten und eine Kovarianzfunktion für die Abweichungen von den über die experimentelle Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit ermittelten Prozessparametersatz angeben.
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Die Kovarianzmatrix für das Gauß-Prozess-Modell der Qualitätsfunktion ermittelt sich dabei aus Kovarianzmatrizen für aus der Simulation bestimmten Prozessparametern θ
p und aus Experimenten bestimmten Prozessparametern θ
e, die gemäß folgender Formel miteinander verbunden werden.
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Wobei knd der Kovarianzmatrix für die Simulation und kd der Kovarianzmatrix der experimentellen Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit entsprechen.
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Die Akquisitionsfunktion kann in diesem Fall als informationstheoretische Akquisitionsfunktion gewählt werden, z. B. Predictive Entropy Search oder Max-value Entropy Search (Min-value Entropy Search-Funktion). Insbesondere kann der Wert der Akquisitionsfunktion mit den Kosten normiert werden, um den Informationsgewinn pro Kosteneinheit zu maximieren. So kann entschieden werden, ob im nächsten Optimierungsdurchlauf ein Experiment oder eine Simulation durchgeführt werden soll, in dem die erwartete Entropieänderung pro Kosteneinheit maximiert wird. Dazu werden Kosten des echten Experiments und der Simulation zu Beginn der Optimierung definiert. Diese können z. B. benötigte Arbeitszeit oder auch Materialkosten beinhalten.
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Weiterhin können die Fertigungsprozesse einen Wärmebehandlungsprozess, einen spanenden Prozess und/oder einen Oberflächenbehandlungsprozess umfassen, wobei die Prozessparameter mindestens einen der folgenden Prozessparameter umfassen: Temperatur des Werksstücks und/oder von Prozessmaterialien, Zusammensetzung der umgebenden Prozessatmosphäre, Druck der Prozessatmosphäre, Abschreckdruck einer Wärmebehandlung, Vorschubgeschwindigkeit eines spannenden Prozesses, Rotationsgeschwindigkeit eines spannenden Prozesses, Leistung, Zustellung, Anpressdruck und dergleichen.
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Der eine oder die mehreren Fertigungsprozesse können abhängig von der trainierten Lebensdauerfunktion durchgeführt werden.
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Es kann vorgesehen sein, dass der Wert der Akquisitionsfunktion mit den Kosten berücksichtigt wird, um einen Informationsgewinn pro Kosteneinheit zu maximieren.
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Gemäß einer Ausführungsform können für die Optimierung der Akquisitionsfunktion zur Bestimmung des nächsten Test-Prozessparametersatzes eine oder mehrere gewünschte Bauteileigenschaften als Nebenbedingung berücksichtigt werden.
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Gemäß einem weiteren Aspekt ist eine Vorrichtung zum Betreiben von Fertigungsprozessen einer Fertigungsprozesskette zur Herstellung eines Bauteils vorgesehen, wobei die Vorrichtung ausgebildet ist, um Prozessparameter zum Betreiben eines oder mehrerer Fertigungsprozesse einer Fertigungsprozesskette mithilfe eines Bayes'schen Optimierungsverfahrens zu ermitteln, wobei das Bayes'sche Optimierungsverfahren auf einer mit Prozessparametern eines Prozessparametersatzes trainierbaren Lebensdauerfunktion basiert, die sukzessive präzisiert wird, wobei den Prozessparametersätzen jeweils eine Angabe zu einer Ausfallwahrscheinlichkeit zugeordnet werden, wobei das Verfahren iterativ zum Verbessern der Lebensdauerfunktion eine vorgegebene Aquisitionsfunktion anwendet.
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Gemäß einem weiteren Aspekt ist ein Fertigungssystem mit einer Fertigungseinrichtung, die durch Prozessparameter steuerbar ist, und mit der obigen Vorrichtung vorgesehen.
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Figurenliste
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Ausführungsformen werden nachfolgend anhand der beigefügten Zeichnungen näher erläutert. Es zeigen:
- 1 eine schematische Darstellung eines Fertigungssystems mit einer Fertigungsprozesskette aus mehreren Fertigungsprozessen, die jeweils mit einem oder mehreren Prozessparametern betrieben werden;
- 2 ein Flussdiagramm zur Veranschaulichung eines Verfahrens zum Optimieren der Prozessparameter für die Fertigu ngsprozesskette.
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Beschreibung von Ausführungsformen
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1 zeigt schematisch ein Fertigungssystem 1 mit mehreren Fertigungsprozessstationen 2, die jeweils einen Fertigungsprozess zur Herstellung eines Bauteils durchführen. Die Fertigungsprozesse können Materialbearbeitungsprozesse umfassen, wie beispielsweise eine Wärmebehandlung, eine spanende Bearbeitung oder eine Oberflächenbehandlung und dergleichen. Die Fertigungsprozesse werden abhängig von Prozessparametern durchgeführt, die je nach Art des Fertigungsprozesses Prozesstemperaturen, Prozessdauern, Betriebsverläufe und dergleichen umfassen können.
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Mithilfe einer Steuereinheit 3 wird der Fertigungsprozess gesteuert. Dabei erfolgt die Herstellung des gewünschten Bauteils abhängig von einem Prozessparametersatz aus mehreren Prozessparametern, die den Betrieb der einzelnen Fertigungsprozesse des Fertigungssystems 1 steuern.
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Die Steuereinheit 3 kann zur Anpassung des Fertigungsprozesses ein Optimierungsverfahren ausführen mit dem Ziel, die Prozessparameter für den Fertigungsprozess so zu optimieren, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit minimiert wird. Das Optimierungsverfahren wird nachfolgend anhand des Flussdiagramms der 2 näher beschrieben.
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Das nachstehend beschriebene Verfahren nutzt eine datenbasierte Lebensdauerfunktion, die vorzugsweise als Gaußprozess gebildet wird. In Schritt S1 wird zunächst eine Prior- Lebensdauerfunktion bereitgestellt, die beispielsweise zufällig gewählt sein kann oder auf für die Fertigung anderer Bauteile bestimmten optimierten Prozessparametersätze basiert.
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Grundsätzlich wird für das Optimierungsverfahren ein Bayes'sches Optimierungsverfahren verwendet, bei dem die Lebensdauerfunktion verwendet wird, um die Prozessparameter der Fertigungsprozesskette auf eine Ausfallwahrscheinlichkeit abzubilden. Insbesondere kann die Ausfallwahrscheinlichkeit als P50%-Ermüdung angegeben werden, die die Zeitdauer angibt, nach der 50% der Bauteile aufgrund von Materialermüdung oder mechanischen Fehlern ausgefallen sind.
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Die Lebensdauerfunktion wird basierend auf Test-Prozessparametersätzen trainiert bzw. aktualisiert, die im Laufe des Optimierungsverfahrens bestimmt werden. Nach Beenden des Optimierungsverfahrens kann durch Optimieren der Ausfallwahrscheinlichkeit, d.h. durch Minimieren der Ausfallwahrscheinlichkeit (Angabe eines Wahrscheinlichkeitswerts) bzw. Maximieren der P50%-Ermüdung zum optimierten Prozessparametersatz führt. Dieser optimierte Prozessparametersatz kann dann zur Herstellung des Bauteils verwendet werden und hat damit eine optimierte Ausfallwahrscheinlichkeit.
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Bayes'sche Optimierungsverfahren für die Ermittlung von optimierten Prozessparametern wenden Test-Prozessparameter iterativ an und optimieren diese auf effiziente Weise. Dabei wird eine das zu modellierende System, beschreibende Abbildungsfunktion, hier die Lebensdauerfunktion, mithilfe einer Gauß-Prozess-Regression modelliert. In der hierin beschriebenen Anwendung bildet die Abbildungsfunktion als eine Lebensdauerfunktion die Leistungsfähigkeit der Fertigungsprozesskette für die Fertigung eines Bauteils mit möglichst hoher durchschnittlicher Lebensdauer bzw. niedriger Ausfallwahrscheinlichkeit bezüglich der gewählten Prozessparameter ab, wobei das Gauß-Prozess-Modell der Lebensdauerfunktion wird basierend auf dem Ergebnis eines nachfolgenden Auswertungsverfahrens bezüglich der Ausfallwahrscheinlichkeit an einer mit dem jeweiligen Test-Prozessparameter ermittelten physikalischen Größe erstellt wird. Die Lebensdauerfunktion gibt eine Angabe zu einer Ausfallwahrscheinlichkeit, hierin kurz Ausfallwahrscheinlichkeit, abhängig von Prozessparametern der Fertigungsprozesse der Fertigungsprozesskette und Einstellungsparametern an.
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Grundsätzlich besteht das Problem darin, Prozessparameter (Prozesseinstellungen) zu finden, die zu einer optimierten Lebensdauer/Ausfallwahrscheinlichkeit führen. Dazu wird eine von den Prozessparametern der Fertigungsprozesskette abhängige Lebensdauerfunktion (Kostenfunktion) ausgewertet.
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Im Allgemeinen wird die Bayes'sche Optimierung angewendet, wenn Unsicherheit (z.B. durch Messrauschen) berücksichtigt werden soll. Dies eignet sich auch wenn eine unbekannte Funktion f eine sogenannte „Black-Box“-Funktion, optimiert werden soll. Diese unbekannte Funktion f kann lediglich für einen Wert x ausgewertet und (möglicherweise durch Rauschen behaftet) beobachtet werden. Der beobachtete Wert y ergibt sich als y = f(x) + e, wobei e das Rauschen bezeichnet.
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Zudem wird angenommen, dass jede Auswertung bzw. Vermessung der unbekannten Funktion f „teuer“ ist, d.h. Kosten verursacht, in dem Sinne, dass die Durchführung eines Testverfahrens zur Vermessung der unbekannten Funktion einen bestimmten, insbesondere hohen Aufwand verursacht, wie es z.B. bei einer Ausführung eines Testverfahrens in der Testeinrichtung der Fall ist. Aufgrund der „teuren“ Vermessung der unbekannten Funktion, ist es erstrebenswert, dass für die Optimierung lediglich wenige Vermessungen vorgenommen werden müssen bzw. die Kosten für die Vermessungen (insbesondere bestimmt durch deren Zeit- und Materialaufwand) so gering wie möglich sind.
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Unter gewissen Vorannahmen, wie z.B. der Stetigkeit der unbekannten Funktion, kann die Lebensdauerfunktion mit einem datenbasierten Funktionsmodell, wie z.B. einer Gauß-Prozess-Regression approximiert werden. Ein Gaußscher Prozess ist ein universeller Funktionsapproximator, der als Surrogatfunktion für die unbekannte Funktion benutzt wird. Allgemein versteht man unter Gaußprozessen zeitliche, räumliche oder beliebige andere Funktionen, deren Funktionswerte aufgrund unvollständiger Information nur mit Wahrscheinlichkeiten modelliert werden können. Mithilfe von Funktionen der Erwartungswerte, Varianzen und Kovarianzen beschreibt ein Gaußprozess die Funktionswerte als ein Kontinuum aus korrelierten Zufallsvariablen in Form einer hochdimensionalen Normalverteilung. Eine Stichprobe daraus ergibt eine zufällige Funktion mit bestimmten gewünschten Eigenschaften.
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Üblicherweise basieren numerische Optimierungsalgorithmen auf sehr vielen, sehr billigen Auswertungen / Vermessungen der zu optimierenden Abbildungsfunktion. Wenn die Funktionsauswertungen jedoch aufwendig sind, wie z. B. das Durchführen einer der obigen Testverfahren, kann man die herkömmlichen Optimierungsalgorithmen nicht mehr verwenden. Stattdessen nutzt man Gauß Prozesse, die eine Modellierung der Abbildungsfunktion in Form einer Surrogatfunktion beinhaltet. Dabei beschreibt die Abbildungsfunktion das Verhalten des Systems und gibt einen Funktionswert abhängig von den Parametern, mit denen das System betrieben wird, an.
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Dazu kann nach einem Vermessen der Abbildungsfunktion an mehreren Auswertungspunkten, d.h. Test-Prozessparameter (Test-Betriebspunkte) und Beobachtung der entsprechenden Funktionswerte, d.h. die jeweilige Ausfallwahrscheinlichkeit (je nach Testverfahren die maximalen Temperaturzyklen, die maximale Zugkraft oder die maximale Scherkraft) mithilfe des Gauß-Prozesses ein Modell der Abbildungsfunktion aufgestellt werden. Eine Eigenschaft des Gauß-Prozesses ist, dass in Bereichen um die vermessenen Test-Prozessparameter die Modellvorhersage sehr gut ist und die Abbildungsfunktion gut approximiert wird. Dies spiegelt sich in einer geringen Unsicherheit des Funktionsmodells wider. Fernab von Auswertungspunkten können die Modellvorhersagen über die Abbildungsfunktion ungenau werden und die Unsicherheit nimmt mit zunehmenden Abstand zu den vermessenen Test-Prozessparametern zu.
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In Schritt S2 wird eine Akquisitionsfunktion angewendet, die es ermöglicht, einen Test-Prozessparametersatz zu ermitteln, für den eine Ausfallwahrscheinlichkeit ermittelt werden soll.
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Eine mögliche Strategie, um die Qualitätsfunktion zu optimieren, ist, die Qualitätsfunktion an vielen verschiedenen Stellen (z.B. auf einem regelmäßigen Gitter) auszuwerten und den niedrigsten beobachteten Funktionswert als das Ergebnis der Optimierung anzunehmen. Dieses Vorgehen ist ineffizient und es sind viele Messvorgänge mit den Testverfahren mit entsprechend hohem Aufwand notwendig, das Optimum aufzufinden.
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Anstelle dieses Ansatzes wird der Gauß-Prozess verwendet, um neue Test-Prozessparameter auszuwählen. Dazu wird in Schritt S2 in jeder Rekursion ein neuer Test-Prozessparameter für das Vermessen der Lebensdauerfunktion so ausgewählt, dass dadurch zum einen das Gaußprozess-Modell verbessert wird, so dass die Unsicherheit des Gauß-Prozesses reduziert wird. Dazu werden in der Regel die Test-Prozessparameter in Bereichen gewählt, in denen die Lebensdauerfunktion noch nicht ausgewertet wurde (Exploration). Zum anderen werden die neuen Test-Prozessparameter für das Vermessen der Lebensdauerfunktion so ausgewählt, dass das Ziel, die Lebensdauerfunktion zu optimieren, d.h. zu minimieren oder zu maximieren, schnellstmöglich bzw. mit einer möglichst geringen Zahl von Vermessungen mit den Test-Prozessparametern erreicht wird. Dafür werden Test-Prozessparameter bevorzugt, die basierend auf dem Gauß-Prozess gute (minimale oder maximale) Funktionswerte versprechen (Exploitation).
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Diese zwei gegensätzlichen Kriterien werden durch eine sogenannte Akquisition-Funktion abgewägt. Beim Bayes'schen Optimierungsverfahren werden also mithilfe der Akquisitionsfunktion die Vermessungen zum Bestimmen der Lebensdauerfunktion so optimiert, dass diese nicht unbedingt insgesamt die geringste Unsicherheit aufweisen, sondern eine möglichst hohe Aussagekraft über die Lage des Optimums, d. h. diejenigen Prozessparameter, an denen die größtmögliche durchschnittliche Lebensdauer erreicht werden kann, haben.
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Die Aquisitionsfunktion nutzt Parameter des jeweils aktuellen Trainingszustandes der Lebensdauerfunktion, die durch ein Gauß-Prozess-Modell beschrieben wird, wie z.B. den Gaußprozess-Mittelwert µ(x) und die Gauß-Prozess-Standardabweichung σ(x). Ein Beispiel ist die sogenannte Lower-Confidence-Bound (LCB) Aquisition-Funktion oder die Upper-Confidence-Bound (UCB) Aquisition-Funktion (je nachdem ob eine Ausfallwahrscheinlichkeit oder eine durchschnittliche Lebensdauer optimiert werden soll), die wie folgt beschrieben werden: LCB(x) = µ(x) - kσ(x) bzw. UCB(x) = µ(x) + kσ(x). Der Faktor k wird in der Praxis oft konstant z.B. auf einen bestimmten Wert festgelegt, wie z.B. k = 2. Dieses neue Kriterium kann effizient mit gängigen gradienten-basierten Methoden minimiert bzw. maximiert werden und das Minimum von LCB(x) bzw. das Maximum von UCB(x) bildet dann die neuen Test-Prozessparameter für die Lebensdauerfunktion. Hierbei ist zu beachten, dass für die Optimierung der Aquisitionsfunktion eine Optimierungsdomäne definiert werden muss, in der nach den nächsten Test-Prozessparametern gesucht wird. Diese Domäne wird typischerweise aufgrund von Erfahrungs- und/oder Expertenwissen gewählt.
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Neben den obigen Akquisitionsfunktionen sind andere Akquisitionsfunktionen bekannt, wie z.B. Expected Improvement (EI), Probability of Improvement (PI) oder sogenannte Entropy Search Methoden, die auf informations-theoretischen Überlegungen basieren.
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Mithilfe der Akquisitionsfunktion wird in Schritt
S2 ein neuer Test-Prozessparametersatz entsprechend
ermittelt.
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Für die Entscheidung, ob der nächste Test-Prozessparametersatz basierend auf einer experimentellen Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit oder basierend auf einer Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit durch eine Simulation ermittelt werden soll, kann der Prozessparametersatz um ein Parameterelement erweitert werden, der einem Testparameter entspricht. Der Testparameter gibt in einem Test-Prozessparametersatz an, ob die Auswertung, die auf die Fertigung des Bauteils mit den betreffenden Test-Prozessparametern folgt, mithilfe eines Experiments oder einer Simulation bestimmt werden soll. Dazu wird das Gauß-Prozess-Modell der Lebensdauerfunktion mit einer Kovarianzfunktion (Kernel) ermittelt, die folgende Form aufweist
, wobei k
nd einen Kernel für die aus der Simulation erhaltenen Ergebnisse und k
d die Abweichungen von den über die experimentelle Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit ermittelten Prozessparametersatz angeben. Die Optimierung findet nun über θ = (θ
p,θ
e) statt. Als Akquisitionsfunktion kann in diesem Fall eine informationstheoretische Akquisitionsfunktion verwendet werden, wie z. B. Probabilistic Entropy Search oder Max-value Entropy Search (für eine P50%-Ermüdung) bzw. eine Min-value Entropy Search für eine Ausfallwahrscheinlichkeit.
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Weiterhin kann der Wert der Akquisitionsfunktion α mit den Kosten berücksichtigt, um den Informationsgewinn pro Kosteneinheit zu maximieren, d. h. die kombinierte Akquisitionsfunktion wird zu αd,nd(θ) = α(θ)/c(θe), wobei c(θe) die Kosten des Experiments bzw. der Simulation sind.
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Die Kosten des Experiments und der Simulation können zu Beginn der Optimierung festgelegt werden. Beispielsweise können diese die benötigte Zeitdauer für Experiment und Simulation zu Beginn der Optimierung und Materialkosten berücksichtigen.
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Durch Maximieren der Akquisitionsfunktion θ* = arg max an,nd (θ) werden die Prozessparameter für das Experiment bzw. die Simulation bestimmt. Die Optimierung der Akquisitionsfunktion kann weiterhin gewünschte Bauteileigenschaften als Nebenbedingung berücksichtigen. So werden nur Prozessparameterkandidaten ausgewählt, die voraussichtlich zu einem Bauteil führen, das die gewünschten Prozesseigenschaften aufweist. Insbesondere kann diese Nebenbedingung auch basierend auf einem Bauteileigenschaftsmodell, das ebenfalls als ein Gauß-Prozess-Modell ausgebildet sein kann, abgebildet werden. Somit werden nur Test-Prozessparametersätze berücksichtigt, die zu gewünschten Bauteileigenschaften führen.
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In Schritt S3 wird das Bauteil entsprechend der Test-Prozessparameter des in Schritt S2 ermittelten Test-Prozessparametersatzes hergestellt.
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In Schritt S4 wird anhand des Testparameters des in Schritt S2 ermittelten Test-Prozessparametersatzes überprüft, ob der Test-Prozessparametersatz experimentell oder per Simulation überprüft wird. Diese Überprüfung erfolgt basierend auf dem Testparameter in dem Test-Prozessparametersatz, der sich aus der Anwendung der Aquisitionsfunktion ergibt. Beträgt beispielsweise der Testparameter 1, so wird vorgeschlagen eine experimentelle Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit durchzuführen, beträgt dieser 0, kann eine simulative Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit durchgeführt werden.
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Wird in Schritt S4 festgestellt, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit basierend auf einer Simulation bestimmt werden soll (Alternative: Ja), so wird in Schritt S5 die Ausfallwahrscheinlichkeit basierend auf den Prozessparametern des Test-Prozessparametersatzes simuliert und das Verfahren anschließend mit Schritt S7 fortgesetzt.
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Wird in Schritt S4 festgestellt, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit basierend auf einem Experiment bestimmt werden soll (Alternative: Nein), so wird in Schritt S6 die Ausfallwahrscheinlichkeit basierend auf den Prozessparametern des Test-Prozessparametersatzes experimentell bestimmt und das Verfahren anschließend mit Schritt S7 fortgesetzt.
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Die Ausfallwahrscheinlichkeit kann basierend auf Zielgrößen ermittelt werden. Zielgrößen stellen Teilaspekte der Bauteilqualität dar und können beispielsweise ein Härtetiefenverlauf, eine Phasenverteilung, einen Kohlenstofftiefenverlauf, Eigenspannungen und Rauheit und dergleichen aufweisen. Die Ausfallwahrscheinlichkeit wird entsprechend einer vorgegebenen Funktion aus den Zielgrößen ermittelt.
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In Schritt S7 wird die Lebensdauerfunktion mit dem neuen Test-Parametersatz und der Ausfallwahrscheinlichkeit aus der simulativen oder experimentellen Bestimmung aktualisiert.
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In Schritt S8 wird ein Abbruchkriterium überprüft, also z.B. die Zeitdauer, die für die Optimierung der Lebensdauerfunktion aufgewendet werden soll, oder die Anzahl der Iterationen oder ein geeignetes Konvergenzkriterium. Ergibt sich hieraus, dass die Optimierung beendet werden soll (Alternative. Ja), wird das Verfahren mit Schritt S9 fortgesetzt, andernfalls (Alternative. Nein) wird das Verfahren mit Schritt S2 fortgesetzt.
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In Schritt S9 werden durch Optimieren der Lebensdauerfunktion die optimierten Prozessparameter für die Durchführung der Fertigung des gewünschten Bauteils in der Fertigungsprozesskette bestimmt. Dazu kann entweder der beste bisher beobachtete Parametersatz ausgewählt werden. Alternativ kann das Optimum der gelernten Lebensdauerfunktion ermittelt werden und mit dem an dem Optimum befindlichen Parametersatz wird noch ein (echtes) Experiment durchgeführt.
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In Schritt S10 werden Bauteile entsprechend der mit den optimierten Prozessparametern konfigurierten Fertigungsprozesskette hergestellt.