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Die vorliegende Erfindung betrifft eine modellbasierte, prädiktive Regelung einer Spritzgießmaschine, die sowohl die Formgebung des Formteils als auch die vollständige Füllung der Kavität durch das Einspritzen von Schmelze aus dem Vorraum einer Plastifiziereinheit erreicht und dabei die Volumenschwindung beim Abkühlen ausgleicht. Hierfür berechnet ein Zustandsschätzer anhand eines Modells und unter Berücksichtigung der aktuellen Messgrößen (unter anderem der Innendruck in der Kavität) und der aktuellen Stellgröße der Maschine die für die Regelung benötigten Zustandsgrößen. Diese Zustandsgrößen werden einem Prozessregler übergeben, der ausgehend von den geschätzten Zustandsgrößen, einem Modell und einer Referenz für wenigstens eine Prozessgröße, beispielsweise für den Innendruck in der Kavität, einen optimalen Wert für die Stellgröße berechnet, um der Referenz bestmöglich zu folgen. Der Prozessregler und der Zustandsschätzer verwenden ein Zustandsraummodell mit einem Zustandsvektor X. Des Weiteren betrifft die Erfindung eine Spritzgießmaschine, die eingerichtet ist, die modellbasierte, prädiktive Regelung auszuführen.
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Das Spritzgießen ist ein hochautomatisiertes Urformverfahren zur Herstellung von Bauteilen aus Kunststoff oder Magnesium (Thixomolding) mithilfe einer Spritzgießmaschine. Regelungstechnisch sind Spritzgießmaschinen Systeme mit mehreren Eingangs-, Ausgangs-, Zustands-, Stör- und Stellgrößen, weshalb sie hohe Anforderungen an die Regelungstechnik stellen.
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Das Ziel der Regelungstechnik ist es, basierend auf Messwerten die beeinflussbaren Eingänge, die sogenannten Stellgrößen eines betrachteten Systems (Regelstrecke) so zu wählen, dass die Ausgangsgrößen, die sogenannten Regelgrößen einem von außen vorgegebenen Sollwertverlauf, der sogenannte Referenz oder Führungsgröße bestmöglich folgen. Die Differenz zwischen Regelgröße und Sollwert wird als Regelabweichung bezeichnet. Neben den beeinflussbaren Eingängen des Systems (Stellgrößen), kann ein System auch weitere nicht beeinflussbare Eingänge, sogenannte Störgrößen, besitzen. Störgrößen können beispielsweise nicht modellierte Effekte oder Modellungenauigkeiten sein. Störgrößen führen zu einer Veränderung der Systemausgangsgrößen und damit auch zu Abweichungen in der Regelgröße, die der Regler idealerweise vollständig kompensieren soll. Um die Störungen zu kompensieren oder allgemein die Regelabweichung zu minimieren, passt der Regler die Stellgröße entsprechend an, was als Stelleingriff des Reglers bezeichnet wird.
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Die oben beschriebenen Zusammenhänge sind in 1 und 2 grafisch dargestellt. 1 zeigt die Aufteilung der Eingangsgrößen eines Systems 1 (auch Eingänge oder Eingangssignale genannt) in Stell- und Störgrößen sowie die Ausgangsgrößen des Systems 1 (auch Ausgänge oder Ausgangssignale genannt) in Mess- und Regelgrößen. Verändert sich eine der Eingangsgrößen des Systems, hat dies Einfluss auf mindestens eine der Ausgangsgrößen.
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In 2 ist ein Blockschaltbild eines geregelten Systems 1 dargestellt. Dabei wird einem Regler 2 für jede der Regelgrößen eine Führungsgröße in Form einer Referenz, auch Sollwert genannt, von außen vorgegeben. Die Trajektorie einer Referenz beschreibt allgemein den zeitlichen Verlauf einer Größe. Wird eine prädiktive Regelung verwendet, dann benötigt diese den Referenzgrößenverlauf, um das prädizierte Verhalten der Regelstrecke anhand der zukünftigen Regelabweichung bewerten zu können. Der Referenzgrößenverlauf wird in Form einer Referenz-Trajektorie vorgegeben. Eine Prozessführung legt den Verlauf der Referenzgröße zur Laufzeit des Prozesses fest.
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Modellbasierte, prädiktive Regelungen verwenden ein mathematisches Modell der Regelstrecke, um den Zustand des Systems zu prädizieren und sein Verhalten infolge einer Änderung einer Eingangsgröße zu beschreiben, sodass die Regelung proaktiv auf Ereignisse Einfluss nehmen kann. Bei Einsatz eines physikalischmotivierten Regelstreckenmodell ist die Regelung auf andere Regelstrecken mit ähnlichem physikalischem Wirkprinzip übertragbar. Dies geschieht durch Anpassung, auch Parametrierung genannt, der Modellparameter.
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Eine häufig verwendete Art zur Beschreibung eines Systems ist das Zustandsraummodell, wobei die messbaren Ausgänge y eines Systems in Abhängigkeit der inneren Zustände x beschrieben werden:
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Die inneren Zustände x eines Systems beschreiben den aktuellen Zustand des Systems, wie z. B. Druck und Temperatur in der Kavität. Die Änderung ẋ einer inneren Zustandsgröße x wird durch die sogenannte Zustandsgleichung beschrieben, die in der Regel Differentialgleichungen 1. Ordnung umfasst:
- X der Zustandsvektor ist, der die Zustandsgrößen x enthält,
- X die Ableitung der Zustandsgrößen ist und
- U der die einzelnen Eingangsgrößen u enthaltende Eingangsvektor ist.
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Die Zustandsgleichung gibt an, dass die Änderung X des Zustandes X von den Eingangsgrößen U sowie vom aktuellen Zustand X des Systems abhängig ist.
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Zur Verwendung eines mathematischen Modells einer Maschine oder eines Prozesses muss dieses vollständig bekannt sein. Sind nicht alle Parameter bekannt können diese mithilfe von Identifikationsversuchen näherungsweise bestimmt werden. Ist das aufgestellte Modell bezüglich der Modellgleichungen nicht exakt, können Modellierungsfehler durch eine Identifikation kompensiert werden.
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Falls ein Parameter nicht konstant ist und sich in Abhängigkeit des Systemzustands oder der Zeit ändert, ist eine besondere Vorgehensweise notwendig. Für die Beschreibung dieses Parameters wird dann eine initiale Ansatzfunktion benötigt, die eine mathematische Beschreibung der Abhängigkeit(en) festlegt. Dies kann unter anderem eine Gerade (Funktion 1. Ordnung), Parabel (Funktion 2. Ordnung) oder auch eine stückweise affine/gerade Funktion sein.
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Da bei modellbasierten Regelungen meist nicht alle Zustandsgrößen gemessen werden können, müssen sogenannte Zustandsschätzer, auch Beobachter genannt, die nicht messbaren Zustandsgrößen auf Basis der messbaren Zustandsgrößen schätzen. Der Zustandsschätzer liefert eine Schätzung der Zustandsgrößen zu jedem Zeitpunkt.
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Für die Entwicklung mathematischer Modelle, die den Strömungsprozess beim Spritzgießen beschreiben, müssen viele vereinfachende Annahmen getroffen werden. Das liegt daran, dass eine umfassende Modellierung aller Abhängigkeiten aufgrund der Komplexität nur mit FEM-Modellen annäherungsweise möglich ist, die derzeit für modellbasierte Regelung nicht geeignet sind.
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Eine Spritzgießmaschine 1 nach dem Stand der Technik ist beispielhaft in schematischer Darstellung in 3 dargestellt. Spritzgießmaschinen 1 bestehen aus einer Plastifiziereinheit 9 zur Verflüssigung und Homogenisierung des zu spritzenden Materials, einem Antrieb 10 zum Vorschub des Materials und zum Druckaufbau, und einem Werkzeug 20 mit einer Kavität 23, die die Form und Größe des herzustellenden Bauteils bestimmt. Die Plastifiziereinheit 9 besitzt ein Spritzaggregat 14, innerhalb dem eine Schnecke 15 drehbar und linearbeweglich angeordnet ist. Rohmaterial in Form von Granulat wird in einem Einfülltrichter 12 bereitgestellt und in das Spritzaggregat 14 gegeben. Durch eine rotatorische Bewegung einer Schnecke mittels eines Motors 11 des Antriebs 10 (Pfeil F4) wird das Granulat in einen mittels Heizelementen 13 beheizten Bereich der Plastifiziereinheit 9 gefördert, dort aufgeschmolzen und schließlich in einem Schneckenvorraum 16 gesammelt. Während des Aufschmelzens fährt die Schnecke zurück (Pfeil F3), so dass der Schneckenvorraum 16 größer wird. Ist ausreichend Schmelze im Schneckenvorraum 16 vorhanden, wird durch eine translatorische Bewegung der Schnecke 15 (Pfeil F3) in Richtung Vorraum 16 die Schmelze über die Einspritzdüse 25 in die Werkzeugkavität 23 gedrückt. Die Düse 25 verbindet den Vorraum 16 mit dem Anguss 26 der Kavität 23. Die Kavität 23 befindet sich zwischen zwei Hälften 21, 22 des Werkzeugs 20, die relativ zueinander beweglich sind. Im Werkzeug 20 kühlt die Schmelze aus und erstarrt.
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3 zeigt auch die Einteilung der physikalischen Größen der Spritzgießmaschine 1 in Stell-, Regel- und Messgrößen. Bei der hier relevanten Regelung ist die einzige Stellgröße U dieses Systems die Steuerspannung des Umrichters am Motor 11, der die Schnecke 15 linear bewegt, d.h. die Position xs und die Geschwindigkeit vs der Schnecke 15 einstellt. Die Position xs und die Geschwindigkeit vs der Schnecke sind Messgrößen. Diese Messwerte können direkt vom Antrieb geliefert werden, wie beispielsweise im Falle einer Spritzgussmaschine des Typs „ALLROUNDER 370 A“ der ARBURG GmbH + Co KG, Arthur-Hehl-Strasse in 72290 Lossburg, Deutschland.
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Durch die translatorische Schneckenbewegung in Richtung Vorraum 16 wird die Schmelze im Vorraum 16 komprimiert, wodurch der Druck ps im Vorraum 16 steigt. Durch die Druckdifferenz zwischen Schneckenvorraum 16 und Werkzeugkavität 23 bildet sich eine Strömung aus und die Schmelze fließt über eine Einspritzdüse 25 und durch den sogenannten Anguss 26 in die Kavität 23. Unmittelbar neben dem Angusskanal 26 ist ein Drucksensor im Werkzeug 20 vorhanden, um einen Innendruck pc in der Werkzeugkavität 23 angussnah zu messen, welcher die Regelgröße darstellt. Die Zeit, bis die Fließfront der Schmelze den ersten Innendrucksensor erreicht, wird Totzeit genannt. An einem in Fließrichtung liegenden Ende der Kavität 23 ist ein zweiter Drucksensor im Werkzeug 20 angeordnet, der den Innendruck pc,far entfernt vom Anguss 26 misst. Der angussnahe Werkzeuginnendruck pc und der angussferne Innendruck pc,far sind somit ebenfalls Messgrößen. Gleichzeitig ist der angussnahe Werkzeuginnendruck pc eine Regelgröße der Spritzgussmaschine 1. Alternativ kann allerdings auch der Schneckenvorraumdruck ps eine Regelgröße sein. Eine weitere Regelgröße ist nach dem Stand der Technik die translatorische Schneckengeschwindigkeit vs, wobei alternativ die Schneckenposition xs eine Regelgröße sein kann.
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Der Spritzgießprozess ist in fünf Prozessphasen unterteilt, die sich zyklisch wiederholen (4). Die Prozessphasen sind:
- A. Werkzeug schließen,
- B. Einspritzphase, auch Füllphase genannt
- C. Kompressions- und Nachdruckphase,
- D. Restkühl- und Dosier-Phase,
- E. Werkzeug öffnen und Bauteil auswerfen.
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In Phase A wird die Werkzeughälfte 22 der Schließseite, auch Auswerferseite genannt, relativ zur anderen Werkzeughälfte 21 bewegt, um die zwischen den beiden Werkzeughälften 21, 22 befindliche Kavität 23 zu schließen.
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Die Einspritzphase B bildet die erste Phase eines Formgebungsprozesses und den Beginn der Kühlphase. Die Schmelze (z.B. Kunststoff oder Magnesium (Thixomolding)) wird vom Schneckenvorraum 16 der Plastifiziereinheit 9 der Spritzgießmaschine 1 in die geschlossene Kavität 23 des Werkszeugs 20 eingespritzt, um die Kavität 23 zu füllen. Das Einspritzen erfolgt durch eine translatorische Bewegung der Schnecke 15 durch den Antrieb 10 in Richtung des Werkzeugs 20 (Pfeil F3).
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Die Nachdruckphase C bildet die zweite Phase des Formgebungsprozesses, in der Schmelze aus dem Schneckenvorraum 16 nachgedrückt wird, um die in der Kavität 23 befindliche Schmelze zu komprimieren und die Bauteilschwindung auszugleichen.
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In der Restkühl- und Dosierphase D kühlt das Material in der Kavität 23 weiter ab und erstarrt vollständig. Durch eine rotatorische (Pfeil F4) und translatorische (Pfeil F5) Bewegung der Schnecke 15 wird die Schmelze im Schneckenvorraum 16 für den Folgezyklus bereitgestellt. Die dosierte Schmelzemenge entspricht dem Dosiervolumen VDos
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Die fünfte Phase E umfasst die Öffnungsbewegung der Schließseite 22 des Werkzeugs 20, um das erstarrte Bauteil 24 freizugeben und auszuwerfen.
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Die Qualität des Bauteils 24 wird durch den Formgebungsprozess bestimmt. Nach dem Stand der Technik wird zwischen den Phasen B und C von der geschwindigkeitsgeregelten Einspritzphase auf die druckgeregelte Nachdruckphase umgeschaltet. Dementsprechend müssen Sollwerte vsoll und psoll für diese Regelgrößen v, p, bzw. Referenztrajektorien im Falle zeitveränderlicher Sollwerte, vorgegeben werden sowie ein Umschaltpunkt zwischen beiden Prozessphasen definiert werden. Der richtige Umschaltzeitpunkt ist entscheidend für die Bauteilqualität und kann sich zyklusweise verschieben.
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Ein wichtiger Indikator zur Beurteilung der Bauteilqualität ist der Druckverlauf in der Kavität. In 5 sind drei Verläufe K1, K2, K3 des angussnahen Werkzeuginnendrucks pc über der Zeit dargestellt. Ein idealer Werkzeugdruckverlauf pc wird durch die Kurve K3 beschrieben, die einen stetigen Druckanstieg und einen stetigen, druckverlustfreien Übergang zu einem annähernd konstanten Nachdruck zeigt. Die reproduzierbare Erreichung eines Druckverlaufs K3, ist für eine hohe, reproduzierbare Bauteilqualität essentiell. Der Verlauf des Werkzeuginnendrucks für einen verspäteten Umschaltvorgang ist gestrichelt dargestellt (K1) und ist durch eine Druckspitze gekennzeichnet. Diese kann den maximal zulässigen Werkzeuginnendruck pc überschreiten, sodass Schmelze in die Trennebene 30 zwischen den beiden Werkzeughälften gelangt und Spritzgrate (Pressfahne) 31 entstehen können. Dadurch kann das Werkzeug 20 geschädigt werden und die Bauteile 24 können den Qualitätsanforderungen (z. B. Maßhaltigkeit) nicht entsprechen. Falls der Umschaltvorgang zu früh erfolgt (gepunktete Kurve K2) kommt es zu einem Druckeinbruch in der Kavität. Dadurch können Umschaltmarkierungen 32 oder Einfallstellen am Bauteil 24 entstehen.
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Es existieren verschiedene Umschaltverfahren, die ein optimales Timing des Umschaltvorgangs ermöglichen sollen. Dazu zählen unter anderem das zeitabhängige, das wegabhängige und das druckabhängige (z. B. Schneckendruck, Schneckenvorraumdruck, Hydraulikdruck oder Werkzeuginnendruck) Umschaltverfahren, bei denen ein definierter Sollwert über bzw. unterschritten wird. Durch die Einwirkung von Störeinflüssen auf den Prozess, wie bspw. Veränderungen der Materialviskosität oder thermische Schwankungen, können sich die prozessseitigen Bedingungen verändern und eine erneute Anpassung des Umschaltpunktes erfordern, um Druckspitzen (K1) oder einen Druckabfall (K2) in der Kavität 23 zu vermeiden. Zu den prozessseitigen Veränderungen zählen unter anderem veränderte Umgebungseinflüsse, Veränderungen des Materialverhaltens oder der Verschleiß von Maschinenteilen. Die Anpassungen der Maschinengrößen des Prozesses können in unregelmäßigen Abständen notwendig sein. Zusätzlich existieren spezielle Verfahren, die den Umschaltpunkt und den Drucksollwert in der Nachdruckphase C zyklusweise anpassen. Jedoch existiert hier weiterhin ein diskreter Umschaltvorgang zwischen zwei Regelgrößen, der regelungstechnisch nicht optimal ist und zu einem nicht definierten Zustand am Umschaltpunkt führt. Bestehende Ansätze, die Qualitätseinbußen aufgrund der Umschaltproblematik vermindern sollen, werden im Folgenden kurz erläutert.
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Das europäische Patent
EP 3027380 B1 beschreibt ein solches Verfahren, bei dem Änderungen in den Materialeigenschaften während des Spritzgießzyklus berücksichtigt werden. Es wird eine Regelung eingesetzt, die den Prozess zyklusweise anpasst, sodass die Fließfront einen Sensor im Werkzeug immer zum gleichen Zeitpunkt erreicht. Die Nachteile des Umschaltvorgangs und eine Abhängigkeit vom Prozesspunkt bleiben weiterhin bestehen.
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Aus der Patentanmeldung
US 2019/0337208 A1 ist bekannt, einen externen Regler zur Funktionserweiterung zu verwenden, welcher das Stellsignal auf Basis von gemessenen Sensorgrößen anpasst. Dem externen Regler können Druckwerte vorgegeben werden. Die Regelgüte und somit die Reproduzierbarkeit ist mit +/- 30% gering.
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Die Anmeldung
WO 2019/245794 A1 beschreibt die Reglung des Schmelzedrucks auf Basis eines gemessenen Werkzeuginnendrucks. Bei der Regelung existieren weiterhin eine Füllphase und eine Nachdruckphase, die durch unterschiedliche Regler geregelt werden. Der Umschaltvorgang wird ausgeführt, sobald ein definierter Druck in der Kavität erreicht wird.
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Die Anmeldung
US 2019/0105826 A1 beschreibt eine Echtzeitregelung des Volumenstroms einer Spritzgießmaschine. Sobald prozessseitige Veränderungen auftreten, wird der Stellgrößenverlauf in Echtzeit so angepasst, dass derselbe Schneckenwegverlauf für jeden Zyklus realisiert wird. Zur Bestimmung des Schneckenwegverlaufs ist im Vorfeld eine große Versuchsreihe notwendig. Zusätzlich wird zwischen Einspritz- und Nachdruckphase unterschieden.
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In der Veröffentlichung
WO 2019/213380 A1 wird ein Regelungsansatz beschrieben, der auf der Prädiktion des Werkzeuginnendrucks basiert. Die Stellgröße ist ebenfalls die Schneckenbewegung. Der gemessene Druck während des Prozesses wird mit konstanten Druckreferenzen verglichen. Die Vorgabe eines kurvenförmigen Verlaufs als Referenztrajektorie ist nicht möglich. Der Umschaltpunkt zwischen den Phasen B und C wird angepasst, um Veränderungen der Materialviskosität auszugleichen. Der Prozess besteht somit weiterhin aus Einspritz- und Nachdruckphase. Die Prozesskonstanz dieses Ansatzes ist ebenfalls geringer, da der Druck in der Kavität lediglich prädiziert wird.
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In CCTA 2019 wird eine lineare modellbasierte prädiktive Regelung zur Einstellung des Werkzeuginnendrucks pc beschrieben. Für die Beschreibung des Werkzeuginnendrucks über die Phasen B und C werden zwei verschiedene Modelle verwendet, zwischen denen im Regler gewechselt bzw. umgeschaltet wird, sobald der angussferne Drucksensor einen vordefinierten Druck pc,far erreicht. Folglich ist die Modellierung und damit auch die Prozessregelung phasenabhängig. Neben den Modellen haben auch zwei Modellparameter Umschaltbedingungen (η und ps*). Anhand von 6 wird deutlich, dass eine modellbasierte Regelung mit Umschaltung zwischen zwei Modellen im Grunde einer Regelung mit zwei unterschiedlichen Regelungen entspricht. Die zeit- und druckbezogenen Umschaltbedingungen können zu Unstetigkeiten im Regelgrößenverlauf führen, was einen Nachteil dieses Verfahrens darstellt.
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Die Regelung umfasst den Prozessregler 2, der hier aus zwei phasenbezogenen Einzelreglern 6, 7 und einem Umschalter 5 besteht, sowie einen Zustandsschätzer 3, mit der Spannung für den Motor 11b als Stellgröße.
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Die vom Zustandsschätzer geschätzten Zustandsgrößen sind die Elemente des Zustandsvektors X = (X1 X2 X3 X4 X5 X6)T = (xs vs v̇s ps pc pd)T, nämlich die axiale Position xs der Schnecke 15, die Geschwindigkeit vs der Schnecke 15, die Beschleunigung v̇s der Schnecke 15, der Druck ps innerhalb des Vorraums 23, und der Druck pc innerhalb der Kavität 23. Um eine hohe Modellgenauigkeit zu erreichen wird der Zustandsvektor des Systems um einen zusätzlichen Störzustand pd ergänzt, der dann ebenfalls geschätzt wird. Dieser Störzustand dient dazu, Modellabweichungen zur Laufzeit zu schätzen. Eine Modellungenauigkeit kann dann in der Prädiktion des Systemverhaltens berücksichtigt werden.
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Deutliche Nachteile sind zum einen die Notwendigkeit von zwei Prozessmodellen, die eine regelungstechnische Unterteilung des Einspritzvorgangs in die Phasen B und C vornehmen sowie die Nutzung von zwei Drucksensoren in der Kavität, wodurch ein wirtschaftlicher Einsatz dieser Methode nicht möglich ist. Des Weiteren ist das für den Füllvorgang verwendete Modell vom Betriebspunkt und von der Werkzeuggeometrie abhängig, weshalb die Parameter für unterschiedliche Materialien oder Bauteilgeometrien neu bestimmt werden müssen.
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Umgeschaltet wird zwischen einem ersten Zustandsraummodell für den Füllvorgang in der Einspritzphase B und einem zweiten Zustandsraummodell für die Kompressions- und Nachdruckphase C. Das erste Zustandsraummodell lautet für die Einspritzphase B:
und das zweite Zustandsraummodell für die Kompressions- und Nachdruckphase C:
wobei
- X1 bis X6
- die Zustandsgrößen des Zustandsvektors X sind,
- D
- ein konstanter Parameter, der die Dämpfung eines Antriebs 11b der Spritzgussmaschine 1 repräsentiert,
- ω0
- ein konstanter Parameter, der der die Kennkreisfrequenz des Antriebs 11b repräsentiert,
- KD
- ein konstanter Parameter, der die Verstärkung des Antriebs 11b repräsentiert,
- βs
- der Kompressionsmodul der Schmelze innerhalb des Vorraums 16
- R
- der Radius einer Einspritzdüse 25, die den Vorraum mit der Kavität 23 verbindet,
- L
- die Länge der Einspritzdüse 25,
- η
- die dynamische Viskosität der Schmelze und
- V0
- das geometrische Volumen der Kavität 23 ist
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Bezüglich der Herleitung dieser Modelle wird auf CCTA 2019 verwiesen. Das Modell für die Einspritzphase B ist solange gültig, wie der Druck pc,far am angussfernen Drucksensor kleiner oder gleich einem definierten Grenzdruck psw ist: pc,far ≤ psw
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Folglich ist die Modellierung und damit auch die Prozessregelung phasenabhängig. Dies ist in 6 durch den Umschalter 5 veranschaulicht, der den geschätzten Wert des Druck pc,far am angussfernen Drucksensor vom Zustandsschätzer 3 erhält. Eine ebensolche Umschaltung besitzt auch der Zustandsschätzer. Anhand von 6 wird deutlich, dass eine modellbasierte Regelung mit Umschaltung zwischen zwei Modellen im Grunde einer Regelung mit zwei unterschiedlichen Regelungen entspricht. Die zeit- und druckbezogenen Umschaltbedingungen können zu Unstetigkeiten im Regelgrößenverlauf führen, was einen weiteren Nachteil dieses Verfahrens darstellt.
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Es ist Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Spritzgießverfahren bereitzustellen, das die vorgenannten Nachteile überwindet, insbesondere ein Umschalten zwischen den Phasen B und C eines Spritzzyklus vermeidet, so dass die Bauteilqualität verbessert wird. Ferner ist es Aufgabe der vorliegenden Erfindung, eine Spritzgussmaschine mit einem Regler bereitzustellen, der zur Ausführung des Verfahrens eingerichtet ist.
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Diese Aufgabe wird durch ein Verfahren nach Anspruch 1 und einer Spritzgießmaschine nach Anspruch 10 gelöst. Vorteilhafte Weiterbildungen sind in den Unteransprüchen angegeben und werden nachfolgend erläutert.
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Zur Lösung der Umschaltproblematik wird ein phasenvereinender, modellbasierter, prädiktiver Regelungsansatz gewählt mit der Besonderheit, dass keine regelungstechnische Unterscheidung in die Phasen B und C vorgenommen wird. Zudem werden das Umschalten zwischen unterschiedlichen Prädiktionsmodellen und damit mögliche vom Regler induzierte qualitätssenkende Unstetigkeiten im Regelgrößenverlauf verhindert.
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Erfindungsgemäß wird eine modellbasierte, prädiktive Regelung einer Spritzgießmaschine vorgeschlagen, bei der in einer ersten Prozessphase eines Formgebungsprozesses eine Schmelze von einem Vorraum einer Plastifiziereinheit der Maschine in eine Kavität eines Spritzgussgießwerkszeugs eingespritzt wird, um die Kavität zur Ausbildung eines Bauteils zu füllen, und anschließend in einer zweiten Prozessphase des Formgebungsprozesses Schmelze aus dem Vorraum nachgedrückt wird, um die in der Kavität befindliche Schmelze zu komprimieren, während sie abkühlt, wobei ein Zustandsschätzer in Abhängigkeit aktueller Werte von Messgrößen, von denen eine Messgröße der Innendruck in der Kavität ist, sowie in Abhängigkeit des aktuellen Werts wenigstens einer Stellgröße der Maschine aktuelle Werte von Zustandsgrößen schätzt, die einem Prozessregler übergeben werden, der aus den geschätzten Zustandsgrößen und der Referenz wenigstens einer Prozessgröße einen neuen Wert der Stellgröße berechnet, um die Prozessgröße an die Referenz anzunähern, und wobei der Prozessregler und der Zustandsschätzer ein Zustandsraummodell mit einem Zustandsvektor X verwenden, das die physikalischen Zusammenhänge während der zweiten Prozessphase des Formgebungsprozesses beschreibt und umschaltfrei, quasi phasenvereinend, sowohl für die erste als auch für die zweite Prozessphase verwendet wird, wobei in dem Zustandsvektor mindestens eine Ersatzgröße in Form eines Modellparameters als adaptive Modellvariable während der Regelung widerholt geschätzt wird.
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Der Kerngedanke der vorliegenden Erfindung ist es, eine Prozessregelung bereitzustellen, die eine adaptive, auf einem Modell basierende prädiktive Werkzeuginnendruckregelung während des gesamten Formgebungsprozesses ohne Umschalten durchführt. Dieses Modell wird sowohl im Zustandsschätzer als auch im Prozessregler verwendet. Durch die Realisierung einer Parameterschätzung werden Umschaltvorgänge zwischen einzelnen Prozessphasen und Modellen vermieden.
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Das Modell des Prozessreglers, nachfolgend auch Prozessmodell genannt, berücksichtigt die mindestens eine Ersatzgröße als einen zeitvarianten und nichtlinearen Wert. Der Wert der Ersatzgröße wird durch Schätzung des Zustandsschätzers bestimmt und entspricht daher keinem exakten Modellparameter, sondern einem vergleichbaren Wert. Diese Methode ermöglicht eine hohe Regelgüte ohne hohen Parametrierungsaufwand. Zudem ist eine betriebspunktunabhängige Nutzung der Regelung möglich. Durch das adaptive Konzept ist das Modell auch unabhängig von der Werkzeuggeometrie. Zur Berücksichtigung des Maschinenverhaltens existiert ein Antriebsmodell, welches einmalig für jede Spritzgießmaschine bestimmt werden muss.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsvariante ist die Ersatzgröße der Kompressionsmodul der Schmelze innerhalb der Kavität.
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Die Stärke der erfindungsgemäßen Regelung ist die einfache Übertragbarkeit auf unterschiedliche spritzbare Materialen und Spritzgießmaschinen sowie die hohe Flexibilität bzgl. des Betriebspunktes und der Prozessrandbedingungen.
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Die Zielvorgaben hinsichtlich der Integration von bekannten Informationen über die Prozessrandbedingungen und der guten Übertragbarkeit werden durch einen modellbasierten Regelungsansatz ermöglicht
Vorzugsweise sind die Messgrößen die Position und die Geschwindigkeit einer das Volumen des Vorraums bestimmenden, translatorisch bewegbaren Schnecke (15) der Plastifiziereinheit, ein Schneckendruck und der Innendruck in der Kavität.
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Bei dem Schneckendruck kann es sich um den Druck im Vorraum handeln, der beispielsweise mittels Sensor gemessen werden kann. Alternativ kann es sich um den sogenannten Schneckendruck handeln, welcher der auf die Schnecke wirkenden Kraft entspricht. Auch dieser kann mit einem entsprechenden Kraftsensor ermittelt und in einen spezifischen Einspritzdruck umgerechnet werden.
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Vorzugsweise ist die Stellgröße die elektrische Steuerspannung eines elektromotorischen Antriebs, der eine das Volumen des Vorraums bestimmenden Schnecke der Plastifiziereinheit in Abhängigkeit der Steuerspannung translatorisch bewegt. Beispielsweise ist die betrachtete Stellgröße die elektrische Steuerspannung am Umrichter eines servo-elektrischen Antriebs der Schnecke, auch Schneckenspannung genannt. Mit dieser Spannung wird der Schneckenvorschub eingestellt. Im Falle einer hydraulischen Spritzgießmaschine kann die Stellgröße der Hydraulikdruck sein. Es sind weitere Maschinengrößen oder Prozessgrößen als Stellgrößen möglich.
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Als Prozessgröße wird bevorzugt der Innendruck in der Kavität verwendet, der in der Kavität des Werkzeugs gemessen wird. Es sind jedoch weitere Maschinengrößen oder Prozessgrößen möglich, wie z. B. der Schneckenvorraumdruck, der Schneckendruck oder weitere Größen, die über Sensoren gemessen werden können und durch das Prädiktionsmodell beschrieben werden.
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Gemäß einer vorteilhaften Ausführungsvariante kann der Zustandsvektor X die Form
und das Zustandsraummodell die Form
aufweisen, wobei
- X1 bis X6
- sechs Modellvariablen bzw. Zustandsgrößen des Zustandsvektors X,
- xs
- die axiale Position einer Schnecke (15) zur Förderung der Schmelze (18) innerhalb der Plastifiziereinheit (9),
- vs
- die Geschwindigkeit der Schnecke (15)
- v̇s
- die Änderung der Bewegungsgeschwindigkeit der Schnecke (15)
- ps
- der Druck innerhalb des Vorraums (23),
- pc
- der Druck innerhalb der Kavität (23),
- βc
- der Kompressionsmodul der Schmelze innerhalb der Kavität (23),
- D
- ein konstanter Parameter, der die Dämpfung eines Antriebs der Spritzgießmaschine (1) repräsentiert,
- ω0
- ein konstanter Parameter, der der die Kennkreisfrequenz des Antriebs repräsentiert,
- KD
- ein konstanter Parameter, der die Verstärkung des Antriebs repräsentiert,
- βs
- der Kompressionsmodul der Schmelze innerhalb des Vorraums (16)
- R
- der Radius einer Einspritzdüse (25), die den Vorraum mit der Kavität (23) verbindet,
- L
- die Länge der Einspritzdüse,
- η
- die dynamische Viskosität der Schmelze,
- Kscal1 und Kscal2
- je ein konstanter Parameter, und
- V0
- das geometrische Volumen der Kavität (23) ist.
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Die ersten drei Zustände X1, X2 und X3 des Zustandsvektors X beschreiben den Zustand der Schneckenbewegung. Bei der adaptiven Lösung dieser Ausführungsvariante werden alle zeitabhängigen und zustandsabhängigen Veränderungen im Übertragungsverhalten des Systems inhärent durch die Schätzung des Kompressionsmoduls βc berücksichtigt. Hierdurch entfallen alle Umschaltvorgänge im Prädiktionsmodell.
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Die Parameter (Konstanten) Kscal1, Kscal2 und η = η0 können empirisch durch eine oder mehrere Simulationen oder praktische Versuchen bestimmt werden.
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Für die Parametrierung des erfindungsgemäßen Zustandsraummodells ist lediglich ein Identifikationsversuch erforderlich, nämlich um die Parameter KD, D, ω0 des Antriebstrangmodels zu ermitteln. Die Parameter R, L und die Werkstoffkennwerte βs sind dagegen bekannt.
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Da die Gleichung zur Beschreibung des Druckaufbaus in Wirklichkeit nichtlinear ist, kann die Qualität der Regelung durch eine nichtlineare modellbasierte prädiktive Regelung verbessert werden.
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Als Zustandsschätzer kann das Unscented Kalman Filter eingesetzt werden, welcher bevorzugt das besagte Zustandsraummodell verwendet. Dieses hat den Vorteil, dass Modellungenauigkeiten mit der Zeit verringert werden, weil die Zustandsschätzung gewonnene Erkenntnisse der Vergangenheit berücksichtigt.
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Gemäß einer vorteilhaften Weiterbildung der erfindungsgemäßen Regelung kann die Referenz der Prozessgröße von einem übergeordneten Qualitätsregler vorgeben werden, der die Referenz anhand der geschätzten Zustandsgrößen und wenigstens einem vorgegebenen Qualitätsmerkmal bestimmt. Hierdurch wird eine direkte Regelung von abstrakten Qualitätsgrößen für das Spritzgießen ermöglicht. Der Qualitätsregler wird durch ein Qualitätsmodell realisiert. Zur Bildung der Referenz können prozessseitige Veränderungen sowie weitere prozessrelevante Größen wie Messgrößen, die während des Spritzgießprozesses erfasst oder prädiziert werden können, berücksichtigt werden.
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Das Qualitätsmerkmal kann beispielsweise ein gewünschtes Zielgewicht des herzustellenden Bauteils sein. Es sind zusätzlich andere Qualitätsmerkmale, wie die Abmessungen des Bauteils 24, für eine Qualitätsregelung nutzbar. Da der übergeordnete Qualitätsregler die Referenzgröße für den untergeordneten Prozessregler vorgibt, handelt es sich um eine Kaskadenregelung.
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Der Prozessregler kann in einer internen Maschinenregelung integriert oder extern an die Spritzgießmaschine angeschlossen sein und dabei die Kontrolle über die Maschinenregelung übernehmen. Die Parametrierung des Antriebsmodell, genauer gesagt die Bestimmung der Größen D, ω0 und KD, kann durch einen Sprungversuch erfolgen. Dabei wird ein Spannungssignal vorgegeben und die Totzeit Td bestimmt, indem der Zeitpunkt der ersten Schneckenbewegung mit dem Zeitpunkt des sprunghaften Spannungssignals in Korrelation gesetzt wird. Es sind keine weiteren Versuche zur Parametrierung notwendig.
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Die Referenz kann adaptiv während des Zyklus oder zyklusweise angepasst werden, um eine gleichbleibende Bauteilqualität zu erhalten. Dabei können prozessseitige Veränderungen aller Art berücksichtigt werden wie z. B. Veränderungen der Maschinengrößen (z. B. Zylindertemperaturen, Werkzeugtemperaturen, Restmassepolster) oder alle weiteren Größen, welche durch die Spritzgießmaschine erfasst werden können. Es können zusätzlich Veränderungen der Umgebungsbedingungen berücksichtigt werden, wie das Messen von Umgebungstemperatur und Feuchte sowie weitere Messgrößen der Peripherie wie einer Veränderung der Trocknertemperatur oder Trocknungsdauer des Materials. Es können insbesondere Viskositätsveränderungen des Materials berücksichtigt werden. Diese lassen sich während des Zyklus durch einen veränderten Verlauf der Schnecke während der Einspritzphase detektieren und können eine Anpassung der vorgegeben Referenz-Trajektorie der Regelgröße ermöglichen. Die Berücksichtigung weiterer qualitätsrelevanter Prozessgrößen und Maschinengrößen während des Zyklus ist ebenfalls denkbar.
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Vorzugsweise wird der optimale Werkzeuginnendruckverlauf des Qualitätsmodells auf Basis von Spritzgießversuchen und/oder Simulationsberechnungen und/oder Richtlinien und Expertenwissen bestimmt. Dabei können zusätzliche prozessrelevante Größen, wie das verwendete Werkzeug, die Spritzgießmaschine, Material und Umgebungseinflüsse als prozessseitige Einflüsse berücksichtigt werden.
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Vorzugsweise kann der Verlauf des Werkzeuginnendrucks nach der volumetrischen Füllung der Kavität auf Basis eines pvT-Verhaltens des Materials vorgegeben werden. Das pvT-Verhalten eines Kunststoffs beschreibt den Zusammenhang zwischen Druck p, spezifischen Volumen v und Temperatur T für das entsprechende Material. Durch eine pvT-optimierte Prozessführung während des Schwindungsausgleichs (Phase C) können Qualitätseinbußen reduziert werden, sodass Qualitätsanforderungen auch bei veränderten Prozessbedingungen länger eingehalten werden können. Vorzugsweise kann bei dem Werkzeuginnendruckverlauf für die Kavitätsfüllung die Bauteilgeometrie simulativ oder durch physikalische Ersatzmodelle berücksichtigt werden. Die Referenz kann beispielsweise über eine numerische Optimierung, ein Suchverfahren (z. B. pvT-Strategie: Bisektionsverfahren) oder ähnliche Ansätze bestimmt werden.
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Erfindungsgemäß wird außerdem eine Spritzgießmaschine vorgeschlagen, die eingerichtet ist und die modellbasierte, prädiktive Regelung gemäß der Erfindung ausführt. Hierzu kann die Spritzgießmaschine eine Steuer-und Regelungselektronik aufweisen, in die die Regelung integriert ist. So können der Prozessregler und der Zustandsschätzer Teil dieser Steuer-und Regelungselektronik sein. Alternativ kann eine externe Steuer-und Regelungselektronik vorgesehen sein, die eingerichtet ist, die modellbasierte, prädiktive Regelung gemäß der Erfindung auszuführen, und die mit der Spritzgießmaschine in Wirkverbindung steht, um sie aus der Ferne zu steuern.
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Weitere Merkmale, Vorteile und Wirkungen der erfindungsgemäßen Regelung sowie der zugehörigen Spritzgießmaschine und des von der Regelung auf der Maschine ausgeführten Spritzgießprozesses werden nachfolgend anhand von Ausführungsbeispielen und der beigefügten Figuren erläutert. Es zeigen
- 1: Veranschaulichung eines Systems mit Unterteilung der System-Eingangs- und Ausgangsgrößen in Stell-, Stör- sowie in Mess- und Regelgrößen;
- 2: Blockschaltbild eines geregelten Systems
- 3: Spritzgießmaschine mit Stell-, Regel- und Messgrößen
- 4: Ablauf eines Spritzgießzyklus im konventionellen Betrieb mit Umschaltpunk (USP) (links) und einem phasenvereinenden Betrieb (rechts)
- 5: Darstellung des Werkzeuginnendruckverlaufs für ein verfrühtes, zu spätes und ideales Umschalten, sowie der resultierenden Bauteile mit und ohne prozessbedingte Fehlstellen.
- 6: Blockschaltbild für einen phasenabhängigen Prozessregler mit einer Umschaltung in Abhängigkeit des angussfernen Drucksensors pc, far.
- 7: Blockschaltbild für einen phasenunabhängigen Prozessregler.
- 8: Kaskadenregelung als Regelkreisstruktur
- 9: Einteilung der physikalischen Größen beim Spritzgießen in Maschinen-, Prozess- und Qualitätsgrößen
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Die erfindungsgemäße modellbasierte, prädiktive Regelung betrifft in einer Ausführungsvariante eine Spritzgießmaschine 1, wie sie in 3 dargestellt ist und einen Spritzgießzyklus ausführt, wie er durch die fünf Phasen A bis E beschrieben wurde.
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Bei der Regelung wird in der ersten Phase B des Formgebungsprozesses die Schmelze von dem Vorraum 16 der Plastifiziereinheit 9 der Maschine 1 in die Kavität 23 des Spritzgießwerkszeugs 20 eingespritzt, um die Kavität 23 zur Ausbildung des Bauteils 24 zu füllen. Anschließend wird in der zweiten Phase C des Formgebungsprozesses Schmelze aus dem Vorraum 16 nachgedrückt, um die in der Kavität 23 befindliche Schmelze zu komprimieren, während sie abkühlt, wobei ein Zustandsschätzer 3 in Abhängigkeit aktueller Werte von Messgrößen, von denen eine Messgröße der Innendrucks pc in der Kavität 23 ist, sowie in Abhängigkeit des aktuellen Werts wenigstens einer Stellgröße der Maschine 1 aktuelle Werte von Zustandsgrößen schätzt, die dem Prozessregler 2 übergeben werden, der aus den geschätzten Zustandsgrößen und einer Referenz wenigstens einer Prozessgröße, die der Innendrucks pc in der Kavität 23 ist, einen neuen Wert der Stellgröße berechnet, um den Innendruck pc in der Kavität 23 an die Referenz anzunähern. Der Prozessregler 2 und der Zustandsschätzer 3 verwenden jeweils ein Zustandsraummodell, insbesondere dasselbe Zustandsmodell, das die physikalischen Zusammenhänge während der zweiten Phase C des Formgebungsprozesses beschreibt und umschaltfrei sowohl für die erste B als auch für die zweite Phase C verwendet wird. Das Zustandsraummodell umfasst einen Zustandsvektor X, in dem der Kompressionsmodul βc der Schmelze innerhalb der Kavität 23 als adaptive Modellvariable während der Regelung wiederholt geschätzt wird. Mit anderen Worten ist der Kompressionsmodul βc als eine Zustandsgröße modelliert, die vom Zustandsschätzer 3 mitgeschätzt wird.
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Ein Blockschaltbild dieser Regelung mit einem adaptiven Prozessregler 2 ist in 7 dargestellt. Der Prozessregler 2 wird auch hier durch ein Prozessmodell realisiert, das den Zusammenhang zwischen Stellgröße und Regelgröße beschreibt. Der Prozessregler 2 unterscheidet sich von dem Blockschaltbild in 6 darin, dass der Prozessregler 2 nur einen Regler 8 für die gesamte Formgebung umfasst und somit auch keinen Umschalter aufweist. Wie zudem 4 in Gegenüberstellung zu den Phasen A bis E veranschaulicht, realisiert die Erfindung ein phasenübergreifendes Spritzgießen, bei dem in beiden Formgebungsphasen B und C der Druck pc in der Kavität 23 geregelt wird.
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Es wird somit eine lineare adaptive modellbasierte prädiktive Regelung vorgeschlagen. Für die Zustandsschätzung wird das Unscented Kalman Filter verwendet. Die Regelung heißt adaptiv, weil der Zustandsvektor des Zustandsraummodells um einen zusätzlichen Parameterzustand, den Kompressionsmodul βc der Schmelze in der Kavität 23 ergänzt wird. Dadurch, dass dieser Parameter zur Laufzeit geschätzt und nicht mehr als Konstante a priori identifiziert wird, reduziert sich der Parametrierungsaufwand für das Modell und es wird gleichzeitig eine hohe Modellgenauigkeit sichergestellt. Gleichzeitig werden Umschaltvorgänge in den Parametern vermieden, die in CCTA 2019 durch die Berücksichtigung der Totzeit Td und die Ansatzfunktion für die Viskosität η(t) entstehen.
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Der Zustandsvektor X besitzt die Form
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Ferner besitzt das Zustandsraummodell die Form
wobei
- X1 bis X6
- sechs Zustandsgrößen des Zustandsvektors X,
- xs
- die axiale Position einer Schnecke (15) zur Förderung der Schmelze innerhalb der Plastifiziereinheit (9),
- vs
- die Geschwindigkeit der Schnecke (15)
- v̇s
- die Änderung der Bewegungsgeschwindigkeit der Schnecke (15)
- ps
- der Druck innerhalb des Vorraums (23),
- pc
- der Druck innerhalb der Kavität (23),
- βc
- der Kompressionsmodul der Schmelze innerhalb der Kavität (23),
- D
- ein konstanter Parameter, der die Dämpfung eines Antriebs (11b) der Spritzgussgießmaschine (1) repräsentiert,
- ω0
- ein konstanter Parameter, der der die Kennkreisfrequenz des Antriebs (11b) repräsentiert,
- KD
- ein konstanter Parameter, der die Verstärkung des Antriebs (11b) repräsentiert,
- βs
- der Kompressionsmodul der Schmelze innerhalb des Vorraums (16)
- R
- der Radius einer Einspritzdüse (25), die den Vorraum mit der Kavität (23) verbindet,
- L
- die Länge der Einspritzdüse (25),
- η
- die dynamische Viskosität der Schmelze,
- Kscal1 und Kscal2
- je ein konstanter Parameter, und
- V0
- das geometrische Volumen der Kavität (23) ist.
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Die ersten drei Zustände X
1, X
2 und X
3 des Zustandsvektors X beschreiben den Zustand der Schneckenbewegung. Der Antrieb 11b ist als ein PT
2, d. h. ein System zweiter Ordnung modelliert, in dem die Parameter D, K
D und ω
0 identifiziert werden müssen. Dies kann durch eine Simulation erfolgen. Die Beschreibung des Druckaufbaus ṗ
s im Schneckenvorraum 16 und die Beschreibung des Druckaufbaus ṗ
c in der Kavität 23 erfolgen analog anhand der Kontinuitätsbeziehungen. Zur Beschreibung des Druckaufbaus wird die Druckaufbaugleichung für kompressible Flüssigkeiten verwendet:
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Dabei ist Ṗk die Druckänderung, β der Kompressionsmodul, Vol das Volumen der kompressiblen Flüssigkeit und Qi ein einfließender Volumenstrom. Das Volumen Vol entspricht für die Druckaufbaugleichung im Schneckenvorraum 16 dem Schneckenvorraumvolumen, welches von der Schneckenposition xs abhängt. Die Änderung des Schneckenvorraumvolumens wird als abfließender Volumenstroms betrachtet und ist von der Schneckengeschwindigkeit vs abhängig.
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Der aus dem Schneckenvorraum in die Kavität abfließende Volumenstrom wird mit der Hagen-Poiseuille-Gleichung beschrieben:
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Wie einleitend beschrieben, verwendet die in CCTA 2019 offenbarte Regelung zwei Modelle für den Prozessregler 2, aber in identischer Weise auch zwei Modelle im Zustandsschätzer 3 zur Schätzung der Zustandsgrößen, weshalb das Zustandsraummodell nachfolgend auch Prädiktionsmodell genannt wird. Bei der erfindungsgemäßen adaptiven Lösung werden alle zeitabhängigen und zustandsabhängigen Veränderungen im Übertragungsverhalten des Systems inhärent durch die Schätzung des Kompressionsmoduls βc mitberücksichtigt. So wird z. B. die Totzeit Td durch einen sehr kleinen Kompressionsmodul βc angenähert. Hierdurch entfallen alle Umschaltvorgänge im Prädiktionsmodell, insbesondere auch bezüglich der Viskosität η, die als konstant angenommen η = η0 werden kann, da die Abweichung von η0 zur tatsächlichen Viskosität ebenfalls in die Schätzung des Kompressionsmodul βc eingeht.
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Die Parameter (Konstanten) Kscal1, Kscal2 R, L = konst und η = η0 können empirisch durch eine oder mehrere Simulationen oder praktische Versuchen bestimmt werden.
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Ein weiterer Unterschied des erfindungsgemäßen Zustandsraumodell und dem Modell in CCTA 2019 besteht in der Ausgangsgleichung y = h(x). Durch die Störgrößenschätzung in CCTA 2019 entspricht die Ausgangsgröße y, die der gemessene Werkzeuginnendruck pc,meas ist, dort der Summe aus dem realen Werkzeuginnendruck pc und dem Störzustand pd: y = X5 + X6 bzw. pc,meas = pc + pd. Man kann sich das so vorstellen, dass der Störzustand pd Rauschen repräsentiert, das infolge der Messung entsteht. Bei der erfindungsgemäßen Regelung entspricht die Ausgangsgröße direkt dem realen, unverrauschten Werkzeuginnendruck pc: y = X5 bzw. pc,meas = pc. Somit können die Zustandsgrößen genauer geschätzt werden.
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Für die Parametrierung des erfindungsgemäßen Zustandsraummodells ist lediglich ein einziger Identifikationsversuch erforderlich, nämlich um die Parameter KD, D, ω0 des Antriebstrangmodels zu ermitteln. Die Parameter R, L und die Werkstoffkennwerte βs, η0 sind dagegen bekannt, bzw. muss η0 durch Simulationen oder Versuche bestimmt werden. Im Gegensatz dazu erfordert das Zustandsraumodell in CCTA 2019 einen mehrere Identifikationsversuche, nämlich um den Viskositätsverlauf: η(t) und ein Einspritzmodell mit den Parametern Td, K1, ω2 und einen geeigneten Umschaltdruck psw festzulegen.
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Da die Gleichung zur Beschreibung des Druckaufbaus in Wirklichkeit nichtlinear ist, kann die Qualität der Regelung durch eine nichtlineare modellbasierte prädiktive Regelung verbessert werden.
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Eine Weiterbildung der erfindungsgemäßen Regelung ist in 8 dargestellt und sieht vor, dass die Referenz-Trajektorie von einem übergeordneten Qualitätsregler 4 vorgegeben wird, der die Referenz zu jedem Zeitpunkt anhand der geschätzten Zustandsgrößen und wenigstens einem vorgegebenen Qualitätsmerkmal bestimmt. Die überlagerte Qualitätsregelung 4 gibt die zu erreichenden Prozessgrößen in Form der Referenz an die unterlagerte Prozessregelung 2. Beide Regler 4, 2 erhalten den geschätzten Systemzustand vom Zustandsschätzer 3. Das System 1 entspricht hier der Spritzgießmaschine 9, 10, 20 und dem Werkzeug 20 gemäß 3.
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Durch die übergeordnete Qualitätsregelung 4 wird eine direkte Regelung von abstrakten Qualitätsgrößen für das Spritzgießen ermöglicht. Das Qualitätsmerkmal bzw. die Qualitätsgröße kann beispielsweise ein gewünschtes Zielgewicht des herzustellenden Bauteils 24 sein, wie dies 9 veranschaulicht, welche die Einteilung der physikalischen Größen beim Spritzgießen in Maschinen-, Prozess- und Qualitätsgrößen zeigt.
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Idealerweise ist der Prozessregler 2 gemäß 7 und 8 und / oder der Qualitätsregler 4 gemäß 8 computerbasiert und echtzeitfähig.
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Der Qualitätsregler 4 wird durch ein Qualitätsmodell realisiert, das den Zusammenhang zwischen der resultierenden Bauteilqualität, der Werkzeuggeometrie und den aktuellen Prozessgrößen beschreibt.
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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- EP 3027380 B1 [0026]
- US 2019/0337208 A1 [0027]
- WO 2019/245794 A1 [0028]
- US 2019/0105826 A1 [0029]
- WO 2019/213380 A1 [0030]
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Zitierte Nicht-Patentliteratur
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- „Cross-phase Model-based Predictive Cavity Pressure Control in Injection Molding“, S. Stemmler et al, 2019 IEEE Conference on Control Technology and Applications (CCTA), ISBN: 978-1-7281-2767-5, Seite(n): 360-367 [0031]
- „Intelligente Regelungsstrategien als Schlüsseltechnologieselbstoptimierender Fertigungssysteme“, S. Stemmler, 5.2.2020, Fakultät für Maschinenwesen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen bekannt. Die erstgenannte Veröffentlichung wird nachfolgend „CCTA 2019“ [0031]