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Die Erfindung betrifft ein Antriebssystem für ein mehrrädriges Fahrzeug mit radselektiven Aktoren.
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Manche Antriebssysteme beeinflussen neben der Längsdynamik auch die Querdynamik. Beispiele hierfür sind Radnabenantriebe oder auch radselektive Aktoren. Die damit verbundene Möglichkeit, Antriebsmomente gezielt auf einzelne Räder zu verteilen, sogenanntes Torque-Vectoring, bietet Vorteile in der Fahrdynamik, stellt aber bei Ausfall oder Fehlfunktion der radselektiven Aktoren ein Sicherheitsrisiko dar, da es zu ungewollter Beeinflussung der Querdynamik kommen kann. So erfolgt in bestimmten Antriebssystemen eine erhebliche Beeinflussung der Querdynamik durch radselektive Aktoren, die als Hauptfunktion längsdynamische Funktionen, insbesondere Antreiben beziehungsweise Bremsen, übernehmen. Unter Torque-Vectoring, auch bekannt als Drehmomentverteilung, versteht man die aktive Beeinflussung des Gierwinkels von Kraftfahrzeugen beziehungsweise der Gierwinkelgeschwindigkeit, beziehungsweise Gierrate, oder einfach ausgedrückt: Torque-Vectoring-Systeme an der gelenkten Achse führen zu einem Lenkmoment, welches den Lenkwinkel beeinflusst. Das System ist nicht mit der Lenkung, Aktivlenkung, Allradlenkung oder der aktiven Hinterachskinematik zu verwechseln.
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Damit steigen Anforderungen an die Zuverlässigkeit dieser Antriebssysteme beziehungsweise dieser radselektive Aktoren auf das Niveau eines Lenksystems. Somit sind Antriebssysteme mit entsprechenden Steuergeräten und radselektiven Aktoren erforderlich, die diese Anforderungen erfüllen.
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Antriebssysteme mit Ansätzen, die zu einem derart sicheren Ansteuern von radselektiven Aktoren dienen, sind nicht bekannt. Durch hohe Gefahren beim Ausfall von radselektiven Aktoren werden diese Systeme deshalb derzeit nur selten verbaut. Da solche Antriebssysteme aus energetischen und fahrdynamischen Gründen jedoch große Vorteile mit sich bringen, ist es vorteilhaft, diese Antriebssysteme sicher und zuverlässig im Fahrzeug zu integrieren.
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Aufgabe der Erfindung ist es, ein Antriebssystem zum sicheren Ansteuern von radselektiven Aktoren anzubieten, um die vorgenannten Nachteile zu überwinden.
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Die Lösung der Aufgabe erfolgt erfindungsgemäß durch ein Antriebssystem mit den Merkmalen des Anspruchs 1, durch ein Steuergerät nach Anspruch 8, durch ein Rechensystem nach Anspruch 9 und durch ein Fahrzeug nach Anspruch 10. Bevorzugte Ausgestaltungen der Erfindung sind in den Unteransprüchen und der nachfolgenden Beschreibung angegeben, die jeweils einzeln oder in Kombination einen Aspekt der Erfindung darstellen können.
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Demnach ist die Aufgabe gelöst durch ein Antriebssystem für ein mehrrädriges Fahrzeug, aufweisend
eine Vielzahl von radselektiven Aktoren;
ein oder mehrere Steuergeräte, das oder die mit den radselektiven Aktoren verbunden ist oder sind, wobei das jeweilige Steuergerät eingerichtet ist, die radselektiven Aktoren derart zu steuern, dass das Fahrzeug bei Fehlfunktion mindestens eines radselektiven Aktors während einer Fahrt querdynamisch stabil fährt;
mindestens ein Rechensystem, das das eine oder mehrere Steuergeräte derart koordiniert steuert, dass das Fahrzeug bei Fehlfunktion mindestens eines radselektiven Aktors während einer Fahrt querdynamisch stabil fährt.
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Nachfolgend werden die Grundidee der Erfindung und einzelne bevorzugte Aspekte des beanspruchten Erfindungsgegenstandes erläutert und weiter nachfolgend bevorzugte modifizierte Ausführungsformen der Erfindung beschrieben. Erläuterungen, insbesondere zu Vorteilen und Definitionen von Merkmalen, sind dem Grunde nach beschreibende und bevorzugte, jedoch nicht limitierende Beispiele. Sofern eine Erläuterung limitierend ist, wird dies ausdrücklich erwähnt.
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Grundidee der vorliegenden Erfindung ist es also, die radselektiven Aktoren, die grundsätzlich der Längsdynamik dienen, derart miteinander zu verquicken, dass sie im Falle eines Ausfalls mindestens eines radselektiven Aktors einen sicheren Einfluss auf die Querdynamik des Fahrzeugs haben. Somit ist vorgesehen, ein Antriebssystem mit einer zuverlässigen Ansteuerung von radselektiven Aktoren anzubieten. Die Erfindung bietet eine Lösung, die durch Redundanz der Steuergeräte und radselektiven Aktoren ausreichend sicher ist, um einen zuverlässigen Fahrzeugbetrieb zu ermöglichen.
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Dabei steuern mindestens vorzugsweise zwei miteinander kommunizierfähige Steuergeräte jeweils einen Verbund aus mindestens zwei gleichen oder gleichartigen radselektiven Aktoren an, die beide dieselbe Hauptfunktion erfüllen.
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Ein Gedanke der Erfindung ist, dass ein Steuergerät mindestens zwei einander zugewiesene Aktoren zusammen ansteuert, welche dieselbe Wirkung auf die Querdynamik haben. Der Ausfall eines radselektiven Aktors kann allein durch das Rechensystem beziehungsweise das Steuergerät kompensiert werden, indem das Moment zusätzlich durch den anderen radselektiven Aktor, den dieses Steuergerät ansteuert umgesetzt wird. Erst wenn dieser Motor damit an ein Limit gelangt, insbesondere hinsichtlich Leistung und/oder Radhaftung, ist beispielsweise der Eingriff einer übergeordneten Recheneinheit als Teil des Rechensystems erforderlich. Diese Recheneinheit kann bevorzugt das Moment an den radselektiven Aktoren reduzieren, welche das jeweils andere Steuergerät ansteuert. Dies entspricht einer Priorisierung der Querdynamik vor der Längsdynamik.
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Dabei werden nun mindestens zwei radselektive Aktoren, die als Hauptfunktion die Längsdynamik beeinflussen und dieselbe Nebenfunktion aufweisen, gemeinsam angesteuert, beispielsweise der rechte radselektive Aktor als Radnabenantrieb mit der Nebenfunktion Gieren nach links bei Traktion mit positivem Drehmoment.
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Anders formuliert: Es werden die radselektiven Aktoren zusammen abgesichert, welche die gleiche Wirkung auf die Querdynamik haben, sodass die gleiche Sicherheit wie bei Ansteuerung zweier Lenkaktoren im Lenksystem erreicht wird.
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Dass das Steuergerät oder die Steuergeräte mit den radselektiven Aktoren verbunden ist oder sind bedeutet nicht, dass unbedingt jedes Steuergerät jeweils mit allen radselektiven Aktoren zu verbinden ist. Obgleich dies optional vorteilhaft ist. Besonders vorteilhaft ist dies bei nur einem Steuergerät, um die Sicherheit möglichst hoch zu halten. So ist bei beispielsweise zwei oder mehr, beispielsweise drei, Steuergeräten vorteilhaft, dass zumindest jeder radselektive Aktor mit zumindest einem Steuergerät verbunden ist. Die Steuergeräte sind hier als in sich redundant und damit ausreichend sicher ausgestaltet, beispielsweise analog zu vorbekannten Steerby-Wire Steuergeräten.
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Fehlfunktion mindestens eines radselektiven Aktors während einer Fahrt reduziert sich nicht allein auf einen defekten radselektiven Aktor. Vielmehr kann der radselektive Aktor oder eine damit wechselwirkende Komponente, beispielsweise eines von zwei Steuergeräten defekt sein. So wirkt sich beispielsweise auch ein defektes Steuergerät auf die Funktionstüchtigkeit des radselektiven Aktors aus.
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Dass das Fahrzeug bei Fehlfunktion mindestens eines radselektiven Aktors während einer Fahrt querdynamisch stabil fährt betrifft den Zustand, dass das Fahrzeug aktiv unterwegs ist und dass mindestens ein radselektiver Aktor eine Fehlfunktion aufweist. Für diesen Fall ist vorgesehen, dass die anderen radselektiven Aktoren, zumindest ein anderer radselektiver Aktor, derart angesprochen beziehungsweise gesteuert werden, dass die durch den fehlerhaften radselektiven Aktor entstehende Querdynamik ausgeglichen wird.
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Querdynamisch stabil bedeutet hierbei, dass eine Gierstabilität gewährleistet wird, beziehungsweise dass das von einem Fahrer über den Lenkradwinkel angeforderte und erwartete Gierverhalten umgesetzt wird, oder im Falle eines automatisierten Fahrzeugs die von der Automatisierungseinheit geforderte Gierrate umgesetzt wird.
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Die Momente der radselektiven Aktoren auf jeweils einer Fahrzeugseite wirken sich in gleicher Weise auf ein Giermoment aus und sind deshalb insbesondere über dasselbe in sich mehrfach redundante Steuergerät abgesichert.
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Ein Giermoment bezeichnet das Moment um eine Gierachse. Als Gierachse, auch Hoch- oder Vertikalachse, bezeichnet man die vertikale Achse des fahrzeugfesten Koordinatensystems bei Fahrzeugen. Die Drehbewegung um diese Achse wird als Gieren bezeichnet. Zusammen mit dem Wanken/Rollen und Nicken/Stampfen ist das Gieren eine der drei Grund-Rotationsbewegungen eines Körpers im Raum. Eine Kombination von Rollen, Gieren und Stampfen bezeichnet man als Schlingern. Eine Gierrate, auch bekannt als Giergeschwindigkeit, bezeichnet die Winkelgeschwindigkeit der Drehung eines Fahrzeuges um die Hochachse. Das Gierträgheitsmoment beschreibt das Trägheitsmoment um die Achse. Gierstabilität ist die Eigenschaft eines Fahrzeugs, sich ohne zusätzliche Steuerung annähernd geradeaus zu bewegen. Ein gierstabiles Fahrzeug zeigt geringe Tendenz zum Gieren, nimmt vielleicht sogar ohne Steuerhilfe erneut Geradeausfahrt auf, wenn es durch äußeren Einfluss vom Kurs abgebracht wurde. Ebendiese Gierstabilität wird durch das erfindungsgemäße Antriebssystem ermöglicht.
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Steuergeräte, auch bekannt als ECU für electronic control unit oder ECM für electronic control module, sind elektronische Module, die überwiegend an Orten eingebaut werden, an denen etwas gesteuert oder geregelt werden muss. Steuergeräte werden im Automobil-Bereich in allen erdenklichen elektronischen Bereichen eingesetzt, ebenso zur Steuerung von Maschinen, Anlagen und sonstigen technischen Prozessen. Sie zählen üblicherweise zu den eingebetteten Systemen. Steuergeräte arbeiten allgemein nach dem EVA-Prinzip. EVA steht für Eingabe - Verarbeitung - Ausgabe. Für die Eingabe stehen Sensoren zur Verfügung. Diese ermitteln eine physikalische Kenngröße wie zum Beispiel die Drehzahl oder Temperatur. Dieser Wert wird beispielsweise mit einer im Steuergerät eingegebenen oder berechneten Sollgröße verglichen. Sollte der gemessene Wert mit dem eingespeicherten Wert nicht übereinstimmen, regelt das Steuergerät mittels Aktoren den physikalischen Prozess nach, so dass die gemessenen Istwerte wieder mit den Sollgrößen übereinstimmen. Die Aktoren greifen also korrigierend in einen laufenden Prozess ein.
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Das Rechensystem kann aus einzelnen Steuereinheiten bestehen beziehungsweise in diese eingebettet sein oder eine separate Komponente darstellen, die die Steuereinheiten selbst kontrolliert, steuert beziehungsweise koordiniert. Möglich ist auch eine Kombination dieser Optionen, um das Antriebssystem sicherer zu gestalten.
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Die Kommunikation zwischen den radselektiven Aktoren, Steuergeräten und/oder Rechensystem kann über Funk- und/oder Kabelverbindung erfolgen.
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Bei radselektiven Aktoren können, beispielhaft und nicht limitierend, die Lenkung und der Antrieb vollständig in die jeweiligen Räder des Fahrzeugs eingebracht sein. Dies ermöglicht Fahrmanöver, die mit klassischen Fahrzeugen nicht möglich waren. Beispielhaft kann ein seitliches Fahren des Fahrzeugs vorgesehen sein. Insbesondere ist hierbei der radindividuellen Antrieb eines Fahrzeugs zu beachten.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung ist vorgesehen, dass das Antriebssystem mindestens zwei miteinander verbundene Steuergeräte aufweist, wobei die mindestens beiden Steuergeräte vorzugsweise mit zueinander unterschiedlichen radselektiven Aktoren verbunden sind. Diese Ausführungsform bietet eine Redundanz und erhöht die Gierstabilität des Fahrzeugs. Somit kann auch ein Ausfall eines Steuergeräts durch ein weiteres Steuergerät ausgeglichen werden. Beispielsweise können über das bevorzugte Beispiel hinaus alle radselektiven Aktoren mit sämtlichen Steuergeräten des Fahrzeugs verbunden sein. Insbesondere ist vorgesehen, dass zumindest die radselektiven Aktoren mit der im Störfall gleichen querdynamischen Wirkung einem gemeinsamen Steuergerät zugeordnet sind.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung ist vorgesehen, dass das Antriebssystem für ein mehrrädriges, insbesondere vierrädriges, Fahrzeug mit einer Ackermann- oder Allradlenkung derart ausgebildet ist, dass jedes Steuergerät die radselektiven Aktoren einer Fahrzeugseite steuert. Als Lenkung bezeichnet man die Vorrichtung zur Beeinflussung der Fahrtrichtung von Fahrzeugen jeglicher Art. Die Ackermann-Lenkung ist auch bekannt als Achsschenkel-Lenkung. Bei dieser hat jedes Vorderrad eine eigene Schwenkachse. Diese Bauart wird in heutigen mehrspurigen Kraftfahrzeugen beinahe ausschließlich verwendet, ebenfalls bei hinterachsgelenkten Fahrzeugen wie Gabelstaplern oder Erntemaschinen. Dies basiert auf einem Lenktrapezprinzip. Beide Räder sollen bei Kurvenfahrt auf einer Kreisbahn mit gleichem Mittelpunkt rollen, dem Momentanpol der Bewegung. Bei der Drehschemel-Lenkung ist dies automatisch der Fall. Bei einer Einzelrad-Lenkung muss das innere Rad, das näher am Mittelpunkt liegt und dem äußeren vorauseilt, stärker einlenken als das äußere. Bei der Achsschenkel-Lenkung müssen die Räder unterschiedlich geschwenkt werden, das außen liegende weniger stark als das innen liegende. Dies erreicht man mit der Bildung des sogenannten Lenktrapez aus dem Achskörper, den beiden leicht nach innen weisenden Lenkhebeln an den Achsschenkeln und einer Spurstange, die kürzer als der Achskörper ist. Dadurch entstehen beim Schwenken der Räder ungleich lange wirksame Hebelarme, so dass sich die Verlängerungen aller Radachsen ungefähr im Kurvenmittelpunkt schneiden (Ackermann-Prinzip). Ein Hinweis auf ein richtig dimensioniertes Lenktrapez ist die Tatsache, dass sich die verlängerten Lenkhebel an den Achsschenkeln in Geradeausstellung in der Mitte der Hinterachse treffen. Allradlenkung ist eine Technik bei Kraftfahrzeugen, bei der zum Richtungswechsel alle Räder gelenkt werden; im Gegensatz zur gebräuchlichen Lenkung nur einer Achse, bei der in der Regel nur die Räder der Vorderachse gelenkt werden. Bei Gabelstaplern, Mähdreschern, Vorderkippern und ähnlichem werden die Räder der Hinterachse gelenkt. Mit Allradlenkung werden bislang nur Spezialfahrzeuge ausgerüstet, die auf engstem Raum manövrieren müssen. Beispiele sind Vierwegestapler, die sich seitlich bewegen können, statt eine Kurve zu fahren und Kehrmaschinen, die auf kleinstem Raum wenden können. Die Allradlenkung erhöht bei Spezialfahrzeugen, wie beispielsweise überlangen Schwertransportern, die Fähigkeit, auch unter schwierigen räumlichen Verhältnissen zu rangieren. Bei Automobilen wird eine Allradlenkung verwendet, um je nach Fahrgeschwindigkeit folgende Funktionen darzustellen: eine Wendekreisverringerung beim Manövrieren durch gegensinniges Lenken der Hinterräder mit relativ großen Lenkwinkeln (mehrere Grad); eine Steigerung der Agilität bei kleinen und mittleren Geschwindigkeiten durch gegensinniges Lenken der Hinterräder mit kleinen Winkeln; und eine Steigerung der Stabilität bei höheren Geschwindigkeiten durch gleichsinniges Lenken der Hinterräder mit kleinen Winkeln. Der Übergang zwischen dem Bereich der Agilisierung und der Stabilisierung ist abhängig von der Abstimmung des Fahrzeugs; er liegt im Bereich von ca. 50 bis 100 km/h. Beim gegensinnigen Lenken wird eine Erhöhung der Gierwinkelgeschwindigkeit erreicht, wohingegen diese bei gleichsinnigem Lenken verringert wird und der Aufbau der Querbeschleunigung schneller erfolgt. Ferner wird hierbei auch der Schwimmwinkel reduziert, was ebenfalls der Fahrstabilität zugutekommt. Die bei einer Ackermann- oder Allradlenkung genannte Anordnung der radselektiven Aktoren bewirkt, dass eine hohe Gierstabilität ermöglicht wird.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung ist vorgesehen, dass das Antriebssystem für ein mehrrädriges, insbesondere vierrädriges, Fahrzeug mit einer Knicklenkung derart ausgebildet ist, dass jedes Steuergerät mindestens zwei zueinander diagonale radselektiven Aktoren zweier Fahrzeugseiten steuert. Als Lenkung bezeichnet man die Vorrichtung zur Beeinflussung der Fahrtrichtung von Fahrzeugen jeglicher Art. Bei der Knicklenkung besteht das Fahrzeug aus zwei Teilen mit je einer meistens ungefederten Starrachse. Beide Teile sind durch ein um eine vertikale Achse drehendes Gelenk miteinander verbunden. Das Lenken erfolgt durch Schwenken der beiden Fahrzeugteile gegeneinander. Im Vergleich mit der ebenfalls eingelenkigen Schwenkachslenkung ist die Aufstandsfläche im geschwenkten Zustand und damit die Standsicherheit größer. Die Knicklenkung eignet sich in erster Linie für kurze und eher langsam fahrende Fahrzeuge. Massen, die sich vor der Vorder- oder hinter der Hinterachse befinden, beispielsweise Schaufeln und andere Arbeitsgeräte, wirken bei Fahrzeugen mit Knicklenkung stabilisierend. Das Fahrzeug wird durch die Knicklenkung in einen vorderen und einen hinteren Teil separiert, die sich gegenseitig stützen. Je gleichmäßiger sich die jeweilige Achslast auf den Bereich vor und den Bereich hinter der betreffenden Achse aufteilt, desto geringer ist die Kippgefahr bei Lenkbewegungen des Fahrzeugs. Die Kombination von Knicklenkung und Achsschenkellenkung wird als Stereolenkung bezeichnet. Anders formuliert ist Knicklenkung die Bezeichnung für eine Form der Fahrzeug-Lenkung. Sie setzt voraus, dass das zwei- oder mehrachsige Fahrzeug aus mindestens zwei Teilen besteht, die mit einem Gelenk verbunden sind. Die Richtungsänderung erfolgt durch horizontales Verschwenken, oder „Knicken“, der Fahrzeugteile mitsamt den daran befindlichen Radsätzen. Durch die starr in den Teilkörpern gelagerten Radachsen ergibt sich je nach Einschlagwinkel ein mehr oder weniger bogenförmiger Fahrkurs. Diese Art von Lenkung sieht man häufig bei selbstfahrenden Bau- und Arbeitsmaschinen, bei denen es auf eine gute Wendigkeit auf kleinem Raum ankommt, zum Beispiel bei Holzarbeiten im Wald. Fahrzeuge mit dieser Bauweise werden häufig als Knicklenker bezeichnet. Die Verbindung zwischen Vorder- und Hinterwagen erfolgt meist mit doppelt angestellten Kegelrollenlagern. Die bei einer Knicklenkung diagonale Anordnung der radselektiven Aktoren bewirkt, dass eine hohe Gierstabilität ermöglicht wird.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung ist vorgesehen, dass das mindestens eine Rechensystem im ersten und/oder zweiten Steuergerät integriert ist. Dies reduziert den Platzbedarf und fördert somit eine kompakte Bauweise. Weiterhin besteht ein Vorteil darin, dass im Falle nur eines Steuergeräts sämtliche Funktionen über dieses eine Steuergerät erfüllt werden können.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung ist vorgesehen, dass das Antriebssystem das mindestens eine Rechensystem als separate Komponente aufweist. Dies kann zusätzlich oder alternativ zu der vorgenannten Ausführungsform ausgeführt werden. Zweck ist ein möglichst sicheres Antriebssystem zu schaffen, das Redundanzen aufweist, um den Ausfall einzelner Komponenten auszugleichen, sodass eine zuverlässige Gierstabilität geschaffen ist. Wenn beispielsweise ein Steuergerät ausfällt, kann stets durch ein weiteres Steuergerät und/oder durch das Rechensystem eine Steuerung der radselektiven Aktoren erfolgen.
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Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung ist vorgesehen, dass die radselektiven Aktoren derart angesteuert werden, dass die querdynamische Steuerung die längsdynamische Steuerung dominiert. Dies ist eine Priorität, deren Logik dahin führt, dass das Fahrzeug jederzeit möglichst sicher geführt werden kann. Anders formuliert bedeutet dies, dass die Steuerung der Sicherheit hinsichtlich der Gierstabilität wichtiger ist als die Fahrbeschleunigung oder -entschleunigung, sofern dies der Gierstabilität dient.
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Die Erfindung betrifft weiterhin ein Steuergerät für ein Antriebssystem für ein mehrrädriges Fahrzeug mit radselektiven Aktoren nach mindestens einem der vorgenannten Merkmale, gekennzeichnet durch mindestens eines der vorgenannten Merkmale des Steuergeräts.
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Die Erfindung betrifft weiterhin ein Rechensystem für ein Antriebssystem für ein mehrrädriges Fahrzeug mit radselektiven Aktoren nach mindestens einem der vorgenannten Merkmale, gekennzeichnet durch mindestens eines der vorgenannten Merkmale des Rechensystems.
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Die Erfindung betrifft weiterhin ein Fahrzeug mit einem Antriebssystem nach mindestens einem der vorgenannten Merkmale, gekennzeichnet durch mindestens eines der vorgenannten Merkmale des Fahrzeugs. Das Fahrzeug ist ein mehrrädriges Fahrzeug, wobei insbesondere mindestens zwei Räder quer zur Längsfahrrichtung des Fahrzeugs voneinander beabstandet sind.
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Nachfolgend wird die Erfindung unter Bezugnahme auf die anliegenden Zeichnungen anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele exemplarisch erläutert, wobei die nachfolgend dargestellten Merkmale sowohl jeweils einzeln als auch in Kombination einen Aspekt der Erfindung darstellen können. Es zeigen:
- 1: eine symbolische Draufsicht auf ein Fahrzeug mit einem Antriebssystem gemäß einem ersten Ausführungsbeispiel; und
- 2: eine symbolische Draufsicht auf ein Fahrzeug mit einem Antriebssystem gemäß einem zweiten Ausführungsbeispiel.
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Die 1 zeigt als erstes Ausführungsbeispiel einen prinzipiellen Aufbau eines Antriebssystems 10 an einem Fahrzeug 12 mit einer Ackermann- oder Allradlenkung und radselektiven Aktoren 14a, 14b, 14c, 14d. Die Momente der radselektiven Aktoren 14a, 14b, 14c, 14d auf jeweils einer Fahrzeugseite S1, S2 haben die gleiche Auswirkung auf ein Giermoment und sind über in sich mehrfach redundante Steuergeräte 16a, 16b abgesichert. Gemäß einer Formel ergibt sich hierzu sinngemäß das Giermoment für ein Fahrzeug 12 nach 1 wie folgt:
- Giermoment = = f (Moment des radselektiven Aktors 14a + Moment des radselektiven Aktors 14c) - f (Moment des radselektiven Aktors 14b + Moment des radselektiven Aktors 14d)
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Beispielhaft bedeutet dies für das Ausführungsbeispiel nach 1, dass bei einem Ausfall des radselektiven Aktors 14a während einer Fahrt des Fahrzeugs 12 querdynamische Kräfte auf dieses wirken können. Der Ausfall wird durch das Steuergerät 16a registriert. Das Rechensystem 18 ermittelt, welcher verbleibender radselektiver Aktor 14b, 14c, 14d wie gesteuert werden soll, um die Querdynamik auszugleichen, sodass keine Fahrzeuggefährdung entsteht. Beispielsweise kann gesteuert werden, dass der radselektive Aktor 14c gegenwirkt, sodass das Fahrzeug 12 auf der Spur bleibt. Bei Erreichen von Grenzbereichen der Radmomente, wird über das Rechensystem 18 und/oder das Steuergerät 16b das Moment der radselektiven Aktoren 14b und 14d reduziert. Insbesondere kann vorgesehen sein, dass das Fahrzeug 12 veranlasst wird oder den Fahrzeugführer veranlasst, den Fahrbetrieb alsbald einzustellen und das Fahrzeug 12 sicher zum Stehen zu bringen.
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Aufgrund der Architektur von Steuergeräten 16a, 16b und radselektiven Aktoren 14a, 14b, 14c, 14d analog zu bekannten Konzepten für Lenkaktoren stellt dieses Teilsystem eine sichere Lösung dar, sodass das geforderte sichernde Moment für eine Fahrzeugseite S1, S2 zuverlässig zur Verfügung gestellt wird, auch wenn ein Fehler in einem radselektiven Aktor 14a, 14b, 14c, 14d oder in einem Steuergerät 16a, 16b auftritt. Eine Gierstabilität ist somit stets gewährleistet.
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Führt der Fehler dazu, dass das geforderte Moment einer Fahrzeugseite S1, S2 nicht umgesetzt werden kann, so kommuniziert das Steuergerät 16a, 16b dieser Fahrzeugseite S1, S2 mit dem Steuergerät 16a, 16b der anderen Fahrzeugseite S1, S2 hinsichtlich der problematischen Einschränkung, sodass gewährleistet werden kann, dass das gewünschte Giermoment umgesetzt wird. Das umgesetzte Gesamtantriebsmoment (Summe der Antriebsmomente) kann dabei geringer ausfallen als das gewünschte Gesamtantriebsmoment. Die Priorisierung der Umsetzung des Giermomentes stellt einen sicheren Umgang mit dem aufgetretenen Fehler dar.
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Gemäß 1 steuert das Steuergerät 16a die radselektiven Aktoren 14a, 14c der einen Fahrzeugseite S1. Das Steuergerät 16b steuert die anderen beiden radselektiven Aktoren 14b, 14d der anderen Fahrzeugseite S2.
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Das oder die Steuergeräte 16a, 16b gemäß den 1 und 2 weisen ein separates Rechensystem 18 auf, das die Steuergeräte 16a, 16b koordiniert. Es ist auch möglich, dass das Rechensystem 18 zusätzlich oder alternativ nur in einem oder mehreren Steuergeräten 16a, 16b integriert ist, um die Sicherheit zu erhöhen.
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2 zeigt ein Fahrzeug 12 mit einer Knicklenkung, das durch Verteilen der Antriebsmomente sowohl eine gewünschte Gesamtantriebskraft (Hauptfunktion der Aktoren) umsetzt, als auch ein Knickmoment (Nebenfunktion), welches den geforderten Knickwinkel erzeugt. Dabei werden diejenigen radselektiven Aktoren 14a, 14b, 14c, 14d, die dieselbe querdynamische Wirkung auf das Knickmoment haben mit einem gemeinsamen Steuergerät angesteuert. In diesem Fall sind das die jeweils diagonalen Aktoren (14a mit 14d und 14b mit 14c). Gemäß einer Formel ergibt sich hierzu sinngemäß das Giermoment für ein Fahrzeug 12 nach 2 wie folgt:
- Giermoment = = f (Moment des radselektiven Aktors 14a + Moment des radselektiven Antriebs 14d) - f (Moment des radselektiven Antriebs 14b + Moment des radselektiven Antriebs 14c)
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Beispielhaft bedeutet dies für das Ausführungsbeispiel nach 2, dass bei einem Ausfall des radselektiven Aktors 14a während einer Fahrt des Fahrzeugs 12 eine Querdynamik entstehen kann. Der Ausfall wird durch das Steuergerät 16a registriert. Das Rechensystem 18 ermittelt, welcher verbleibender radselektiver Aktor 14b, 14c, 14d wie gesteuert werden soll, um die Querdynamik auszugleichen, sodass keine Fahrzeuggefährdung entsteht. Beispielsweise kann gesteuert werden, dass der radselektive Aktor 14b gegenwirkt, sodass das Fahrzeug 12 auf der Spur bleibt. Insbesondere kann vorgesehen sein, dass das Fahrzeug 12 veranlasst wird oder den Fahrzeugführer veranlasst, den Fahrbetrieb alsbald einzustellen und das Fahrzeug 12 sicher zum Stehen zu bringen.
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Gemäß 2 steuert das Steuergerät 16a die diagonal angeordneten radselektiven Aktoren 14a, 14d beider Fahrzeugseiten S1, S2. Das Steuergerät 16b steuert die anderen beiden zueinander diagonalen radselektiven Aktoren 14b, 14c.
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Sämtliche zum ersten Ausführungsbeispiel genannten Aspekte gelten analog für das zweite Ausführungsbeispiel.
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Alle Ausführungsbeispiele umfassen eine sichere Kommunikation zwischen den Steuergeräten 16a, 16b und dem übergeordneten Rechensystem 18, welches die Fahrvorgabe hinsichtlich des Antriebs und des Giermoments übermittelt.
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Allgemein gilt, dass das Rechensystem 18 als übergeordnete Steuerlogik in einem oder beiden Steuergeräten 16a, 16b selbst oder durch eine externe Komponente realisiert werden kann.
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Insbesondere ist vorgesehen, dass sich mindestens zwei Steuergeräte 16a, 16b gegenseitig absichern, also redundant funktionieren, um im Störfall eines Steuergerätes 16a, 16b einen unfallfreien Betrieb zu gewährleisten.
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Auch kann vorgesehen sein, dass ein Steuergerät 16a, 16b alle radselektiven Aktoren 14a, 14b, 14c, 14d gemeinsam ansteuert. Bei einem Automobil als Fahrzeug 12 können dies beispielsweise vier radselektive Aktoren 14a, 14b, 14c, 14d sein.
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Bezugszeichenliste
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- 10
- Antriebssystem
- 12
- Fahrzeug
- 14a
- Erster radselektive Aktor
- 14b
- Zweiter radselektive Aktor
- 14c
- Dritter radselektive Aktor
- 14d
- Vierter radselektive Aktor
- 16a
- Erstes Steuergerät
- 16b
- Zweites Steuergerät
- 18
- Rechensystem
- S1
- Erste Fahrzeugseite
- S2
- Zweite Fahrzeugseite