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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Vorhersagen des Verhaltens eines beweglichen Verkehrsteilnehmers bzw. Umgebungsobjektes, vorzugsweise zur Bestimmung einer zeitabhängigen Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Verkehrsteilnehmers, sowie ein entsprechendes Fahrerassistenzsystem.
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Stand der Technik
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Hochautomatisiert und autonom fahrende Kraftfahrzeuge benötigen zur effizienten und kollisionsfreien Pfadplanung Kenntnis über die aktuellen und zukünftigen Positionen aller relevanten Interaktionspartner in deren Umwelt. Neben der Erfassung der Umgebung kommt dabei die Prädiktion der Pfade dieser Umgebungsobjekte zum Einsatz.
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Die
DE 10 2013 212 360 A1 beschreibt ein Verfahren zum Vorhersagen des zukünftigen Fahrpfades eines Fahrzeugs, bei dem ein Modell zur Bestimmung der Auftrittswahrscheinlichkeit eines möglichen zukünftigen Fahrpfades in Abhängigkeit des auszuführenden Fahrmanövers (Abbiegen, Geradeausfahren, Spurwechsel) parametriert wird. Das parametrierte Modell stellt für die Bedienangaben des Fahrtrichtungsanzeigers und die aktuelle Position (Entfernung von Referenzposition bzw. letzter Aktivierung Fahrtrichtungsanzeiger) eine Auftrittsmaßzahl bereit. Das Modell für jedes Fahrmanöver der Gruppe von Fahrmanövern kann für die Bereitstellung der Auftrittsmaßzahl eine Wahrscheinlichkeitsverteilung vorgeben. Dabei gibt die Wahrscheinlichkeitsverteilung Wahrscheinlichkeiten für eine Aktivierung des Fahrtrichtungsanzeigers in Abhängigkeit des Ortes der Aktivierung an, und insbesondere auch Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit der Richtung, in die der Fahrtrichtungsanzeiger aktiviert wird. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung kann für zumindest ein Fahrmanöver auf einer Normalverteilung basieren, deren Parameter, insbesondere deren Mittelwert und Varianz, mithilfe statistischer Auswertungen von Testfahrten, also vorhergehend durchgeführten Fahrten entlang des möglichen Fahrpfades, ermittelt wurden.
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Die
DE 10 2016 215 314 A1 offenbart ein Verfahren zur Prädiktion einer Verkehrssituation, bei der das aktuelle Abbild der Umgebung eines Fahrzeugs sowie der zukünftige Zustand eines in dem Abbild enthaltenen Umgebungsobjekts mittels eines parametrischen Modells ermittelt wird. Um eine präzisere Prädiktion der Bestandteile der Fahrzeugumgebung zu ermöglichen, werden ein Korrekturwert und ein Unsicherheitswert mittels eines maschinenbasierten Lernverfahrens ermittelt. Aus diesen beiden Werten wird ein Toleranzband für den zukünftigen Zustand ermittelt. Dadurch entsteht eine Kombination aus parametrischen Analysen des Abbildes und Erkenntnissen des maschinenbasierten Lernverfahrens. Neben dem hohen Aufwand beim Anlernen maschinenbasierter Lernverfahren und deren Abhängigkeit von den zugrundeliegenden Eingangsdaten ist vor allem der tatsächliche Berechnungsaufwand für eine Vielzahl möglicher Umgebungsobjekte nachteilig.
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Pellegrini et al. beschreiben die Nutzung eines Verhaltensmodells für die Vorhersage zukünftiger Bewegungen von Fußgängern. Das dabei entwickelte Modell wird experimentell auf die Eignung zum Tracken von Fußgängern untersucht. Die Ergebnisse werden mit einem einfachen Brownschen Bewegungsmodel verglichen (Pellegrini, S., [et al.]: Wrong turn - No dead end: A stochastic pedestrian motion model. In: 2010 IEEE Computer Society Conference on Computer Vision and Pattern Recognition - Workshops, San Francisco, CA, 2010, pp. 15-22 - ISSN 2160-7516).
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In der
DE 102 31 556 A1 wird ein Verfahren zur Bestimmung von Bewegungstrajektorien von Fahrzeugen offenbart, welches auch physikalische Eigenschaften der Straße, wie die maximal auf die Straße übertragbare Kraft, oder Witterungseinflüsse, wie z.B. Nässe oder Schnee, berücksichtigt.
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Die
DE 10 2016 215 314 A1 offenbart ein Verfahren zur Prädiktion einer Verkehrssituation, insbesondere zur Ermittlung eines zukünftigen Zustand eines Umgebungsobjekts. Dieses kann auch feststehend sein, zum Beispiel eine Leitplanke.
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Die
DE 10 2011 010 864 A1 , die als nächstliegender Stand der Technik für den unabhängigen Anspruch 1 angesehen wird, beschreibt ein Verfahren zur Vorhersage von Kollisionen zwischen einem Kraftfahrzeug und zumindest einem Objekt, insbesondere in Form eines Fußgängers oder Fahrradfahrers.
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Aufgabe der Erfindung
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Demgegenüber ist es die Aufgabe vorliegender Erfindung, die Vorhersage des Verhaltens eines Verkehrsteilnehmers, insbesondere eines potentiellen Kollisionsobjekts in der Umgebung des eigenen Fahrzeugs, zu verbessern, wobei das Verfahren einfacher und dennoch genauer zu berechnen ist, wobei das Verhalten zu jedem beliebigen zukünftigen Zeitpunkt berechenbar, also stetig zeitabhängig vorhersagebar ist.
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Darstellung und Vorteile der Erfindung
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Die Aufgabe wird durch ein Verfahren zur Vorhersage des Verhaltens eines Umgebungsobjektes entsprechend den Maßnahmen des unabhängigen Anspruchs 1 und ein Fahrerassistenzsystem entsprechend den gegenständlichen Merkmalen des unabhängigen Anspruchs 4 gelöst.
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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Vorhersage des Verhaltens eines Umgebungsobjektes. Die Vorhersage ist eine für eine kollisionsfreie Pfadplanung hinreichend genaue Abschätzung eines zukünftigen Zustandes. Dieser bezieht sich hier auf das Verhalten des Umgebungsobjektes. Die Umgebung wird ausgehend von einem Bezugspunkt als erfassbarer, den Bezugspunkt umgebender Teil der Umwelt definiert. Jedwedes in dieser Umgebung befindliches Objekt ist zunächst ein Umgebungsobjekt. Im Rahmen der Erfindung erfolgt jedoch eine Einschränkung auf bewegliche Objekte, welche potentielle Kollisionsobjekte darstellen und andere Verkehrsteilnehmer sind, wobei es sich um Fahrzeuge, wie Kraftfahrzeuge oder auch Fahrräder handeln kann. Fußgänger, deren Verhalten ebenfalls vorhergesagt werden muss, weisen unterschiedliche Verhaltens- und Bewegungsmuster auf, die mittels der hier vorgeschlagenen Vorhersage nicht hinreichend genau abgeschätzt werden können. Das Verhalten des Umgebungsobjektes und damit dessen zukünftiger Zustand beziehen sich einerseits auf die Positionsänderung und den Weg zwischen den Positionen, auch als Pfad oder Trajektorie bezeichnet. Je nach technischer Implementierung kann ein Pfad als stetiger Graph zwischen zwei Punkten oder eine Trajektorie als diskret abgetastetes, kinematisches Profil eines Fahrzeugmanövers, z. B. in Form einer geordneten Liste von Tupeln von Positionen oder Bewegungsparametern zu diskreten Zeitpunkten, ausgedrückt bzw. verstanden werden.
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Wichtig ist dabei nicht die Bezeichnung, sondern die technische Umsetzung, welche unter anderem auch die Wahl der mathematischen Mittel impliziert. Andererseits bezieht sich das Verhalten auch auf zeitliche Veränderungen des Umgebungsobjektes, beispielsweise eine Geschwindigkeitsänderung oder das Verfolgen einer neuen Absicht.
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Das erfindungsgemäße Verfahren umfasst mehrere Schritte, wobei diese teilweise regelmäßig wiederholt werden oder bedingungsabhängig sind und, obwohl sie in logischer Reihenfolge dargestellt sind, nicht zwangsweise in der dargestellten Reihenfolge abgearbeitet werden müssen. Darüber hinaus sind dem Fachmann an sich bekannte Zwischenschritte weggelassen worden und nur die wesentlichen Verfahrensmerkmale dargestellt.
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Ein Verfahrensschritt ist das Erfassen einer aktuellen Umgebung eines Ego-Fahrzeugs. Die aktuelle Umgebung bezieht sich auf den Bezugspunkt Ego-Fahrzeug. Da die vorliegende Erfindung bevorzugt bei autonom fahrenden Fahrzeugen eingesetzt wird, handelt es sich bei dem Ego-Fahrzeug vorzugsweise um ein Kraftfahrzeug. Die aktuelle Umgebung sind die zum Zeitpunkt der Erfassung tatsächlich vorliegenden Gegebenheiten im Umfeld des Ego-Fahrzeugs. Dazu zählen unter anderem die Straßenszenerie, wie Straßenklasse, Kreuzungsbereich, Fußweg, Radweg, Hindernisse usw., sowie die relevanten Objekte inklusiver deren Bewegungsparametern, wie Bewegungsrichtung, Geschwindigkeit etc. Das Erfassen der aktuellen Umgebung erfolgt durch Umgebungserfassungsmittel. Diese können bildgebend sein, wie Kameras, Laufzeiten elektromagnetischer Strahlung messen, wie Radar oder Lidar, aber auch Signale anderer beweglicher und nicht beweglicher Objekte empfangen, beispielsweise drahtlos via C2X-Kommunikation (Car-to-X oder Fahrzeug-zu-X-Kommunikation). Schließlich kann eine Sensordatenfusion stattfinden, die durch Ableiten oder Berechnen Umgebungsmerkmale bildet, die direkt nicht messbar wären. Diese Techniken werden unter Erfassen subsumiert. Die Erfassung kann wiederrum regelmäßig wiederkehrend, vorzugsweise in einem Erfassungsintervall stattfinden. Die räumliche Ausdehnung der zu erfassenden Umgebung kann je nach Erfassungsmittel von 1m bis zu mehreren 100m betragen. Sie kann auch zeitlich definiert sein, nämlich als Weg, den das Fahrzeug innerhalb einer bis mehrerer Sekunden zurücklegen kann und wäre damit geschwindigkeitsabhängig. Die Umgebung wird in ihrer Gesamtheit im Ego-Fahrzeug hinterlegt (im Folgenden als Umgebungsabbild bezeichnet) und es werden alle relevanten Umgebungsobjekte in Bezug zum Umgebungsabbild lokalisiert.
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Ein weiterer Schritt ist das Bestimmen des Vorhandenseins des Umgebungsobjektes in der aktuellen Umgebung. Dazu können zunächst die erfassten Umgebungsdaten ausgewertet und interpretiert werden. Die Verarbeitung der erfassten Signale, die Erstellung von Objektlisten und das Tracking, also das Verfolgen über mehrere Erfassungsintervalle hinweg, ist aber grundsätzlich bekannt und soll hier nicht weiter detailliert werden.
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Ein weiterer Schritt ist das Ermitteln der Position und der Geschwindigkeit, vorzugsweise der Geschwindigkeit und der Beschleunigung des Umgebungsobjektes. Dies wird üblicherweise im Rahmen der Interpretation der erfassten Umgebungsdaten durchgeführt. Dabei können Bewegungsparameter einzelner (beweglicher) Umgebungsobjekte in den Objektlisten hinterlegt werden. Die Position des Umgebungsobjektes in der aktuellen Umgebung kann absolut, z. B. in Form von GPS-Koordinaten oder in Form von Koordinaten eines anderen Globalen Navigationssatellitensystems (GNSS), von dem Umgebungsobjekt bestimmt werden und über C2X-Kommunikation an das Ego-Fahrzeug übermittelt werden. Die aktuelle Position des Umgebungsobjektes kann aber auch relativ durch das Ego-Fahrzeug selbst bestimmt werden, beispielsweise durch Erfassen des Abstandes und des Winkels zwischen Ego-Fahrzeug und Umgebungsobjekt, gegebenenfalls in Abhängigkeit der Bewegungsrichtung. Die aktuelle Geschwindigkeit des Umgebungsobjektes kann direkt gemessen werden, beispielsweise unter Einsatz eines Doppler-Radars, oder durch Auswertung zweier in definiertem zeitlichen Abstand gemessener Entfernungen und der Eigengeschwindigkeit. Vorzugsweise wird zusätzlich zur Geschwindigkeit auch die Beschleunigung des Umgebungsobjektes bestimmt. Diese lässt sich z. B. über den Vergleich zweier zeitlich beabstandeter Geschwindigkeitsmessungen ermitteln.
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Das erfindungsgemäße Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass in Abhängigkeit der Position und der Geschwindigkeit, vorzugsweise der Geschwindigkeit und der Beschleunigung des Umgebungsobjekts eine zeitabhängige Aufenthaltswahrscheinlichkeit, vorzugsweise eine zweidimensionale, zeitabhängige Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Umgebungsobjektes mittels einer parametrisierten Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt wird, die ein mathematisches Modell einer Brownschen Bewegung ist.
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Um den zukünftigen Bewegungspfad bzw. Fahrpfad des Umgebungsobjektes vorherzusagen, muss zunächst die aktuelle Position bekannt sein. Ausgehend von der aktuellen Position kann unter Kenntnis der Bewegungsparameter, hier der Geschwindigkeit, für eine höhere Vorhersagegenauigkeit vorzugsweise der Geschwindigkeit und der Beschleunigung, eine zukünftige Position abgeschätzt werden. Da diese Schätzung mit Unsicherheit behaftet ist, wird die zukünftige Position als geometrisch ausgedehnter Bereich, genauer gesagt als zweidimensional ausgedehnter Bereich, mit zugeordneter Aufenthaltswahrscheinlichkeit beschrieben. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit kann dabei stufenweise oder vorzugsweise kontinuierlich über den Bereich verteilt sein. Die Zweidimensionalität der Aufenthaltswahrscheinlichkeit sowie die stetige Zeitabhängigkeit und damit die Repräsentation eines kontinuierlichen Bewegungspfades wird durch die Analogie zu einer zweidimensionalen Brownschen Bewegung ermöglicht. Die Brownsche Bewegung ist zunächst eine unregelmäßige und ruckartige Wärmebewegung kleiner Teilchen in Flüssigkeiten und Gasen. Für sie gilt, dass der mittlere quadratische Abstand der Teilchen von ihrem Ausgangspunkt proportional zur Zeit wächst. Dieses auch bei Diffusionsprozessen anzutreffende Phänomen beschreibt das Verhalten von menschlichen Verkehrsteilnehmern in überraschend genauer Näherung. Damit lässt sich zum einen die Zweidimensionalität des Verhaltens, also sowohl die Schwankungen durch zufällige Lenkbewegungen als auch die Geschwindigkeitsschwankungen, und zum anderen die Normalverteilung des Bewegungspfades zu jedem beliebigen Zeitschritt (bewusste und unbewusste Verhaltensänderungen finden bei Menschen wiederkehrend statt) erklären und modellieren.
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Das mathematische Modell einer Brownschen Bewegung ist ein zentrierter Gauß-Prozess mit Kovarianzfunktion. Durch die Kovarianzfunktion sind die endlichdimensionalen Verteilungen eines zentrierten, Gauß‘schen Prozesses eindeutig festgelegt, denn eine mehrdimensionale Normalverteilung ist durch den Erwartungswertvektor und Kovarianzmatrix vollständig beschrieben. Damit lässt sich über verschiedene mathematische Möglichkeiten ein stochastischer Prozess konstruieren, der erfindungsgemäß von der Ausgangsposition des Umgebungsobjektes sowie dessen Bewegungsparameter Geschwindigkeit, vorzugsweise dessen Bewegungsparameter Geschwindigkeit und Beschleunigung abhängig ist. Dieser stochastische Prozess, der durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung bzw. eine Wahrscheinlichkeitsdichte operationalisiert wird, kommt den zugrunde liegenden kausalen Wirkungsketten des Verhaltens menschlicher Verkehrsteilnehmer sehr nahe und ist schon allein deshalb ein sehr vorteilhaftes Mittel zur Vorhersage des Verhaltens eines Umgebungsobjektes.
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Die technische Wirkung geht dabei über die Abbildung des menschlichen Verhaltens hinaus. Durch die Anwendung expliziter Formeln zur expliziten Berechnung stochastischer Prozesse sinken Rechenaufwand und die Anforderungen an den Speicher im Fahrzeug. Wegen der Linearität der Gleichungen, die die Lösungen der Wahrscheinlichkeitsverteilung erzeugen, kann eine beliebige Anzahl an Umgebungsobjekten betrachtet werden. Außerdem wird eine zeitkontinuierliche Prädiktion des Verhaltens eines Umgebungsobjektes geschaffen, womit die Vorhersage eines stetigen Fahrpfades ermöglicht wird, die sowohl die Genauigkeit der Bestimmung als auch die Anwendung bzw. Verarbeitung des bestimmten Fahrpfades verbessert. Im Ergebnis steht eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit, die das vorhergesagte Verhalten effizienter und genauer widerspiegelt als im Stand der Technik, in dem eine aufwändige regelmäßige Neuberechnung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit zu einem oder mehreren Zeitpunkten einer Trajektorie erfolgen muss. Die Variation in der Geschwindigkeit sorgt dabei für eine exponentielle Komplexitätssteigerung, die das erfindungsgemäße Verfahren überwindet, indem genau diese Komplexität durch eine physikalische Analogie zu Wärmebewegungen bzw. Diffusionsprozessen abgebildet wird und dadurch die Eigenschaften des ganzen Pfades betrachtet werden. Im Vergleich zum Stand der Technik sind weder Testfahrten, noch aufwändiges maschinelles Lernen nötig und es müssen auch keine Kennfelder oder Look-up-Tabellen im Speicher generiert und hinterlegt werden.
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Eine bevorzugte Weiterbildung der Erfindung zeichnet sich dadurch aus, dass eine von dem Umgebungsobjekt befahrene Straße in der aktuellen Umgebung bestimmt und klassifiziert wird, und das Verhalten des Umgebungsobjektes in Abhängigkeit der Klassifikation der vom Umgebungsobjekt befahrenen Straße durch Aufnahme einer Randbedingung in die parametrisierte Wahrscheinlichkeitsverteilung vorhergesagt wird, wobei die Klassifikation der Straße vorzugsweise in Abhängigkeit der Anzahl der Fahrspuren in Fahrtrichtung des Umgebungsobjekts und oder der Begrenzung, vorzugsweise der beidseitigen Begrenzung der von dem Umgebungsobjekt befahrenen Fahrspur bestimmt wird.
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Die Straße ist dabei der befahrene Untergrund des Umgebungsobjektes in der aktuellen Umgebung. Da es sich bei dem Umgebungsobjekt und dem Ego-Fahrzeug um Fahrzeuge handelt, wird davon ausgegangen, dass der befahrene Untergrund eine Straße mit einer Anzahl von Fahrspuren je Fahrtrichtung ist. Die Straße kann auch ein Fahrradweg sein. Jede Fahrspur ist dabei entweder baulich, beispielsweise mittels einer Leitplanke, eines Bordsteins oder einer ansteigenden/abfallenden Böschung, und/oder gestalterisch, beispielsweise durch gestrichelte, einfach oder doppelt durchgehende Fahrspurbegrenzungslinien, abgegrenzt. Die Fahrspur kann auch durch variable Hindernisse begrenzt sein, bspw. Warnbaken oder andere Verkehrsteilnehmer, wie liegen gebliebene Fahrzeuge oder Stau auf einer Nachbarspur.
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Sowohl die Anzahl der Fahrspuren als auch die Art der Begrenzung können mittels der Umgebungserfassungsmittel erfasst werden. Die Klassifikation der erfassten aktuellen Umgebung erfolgt durch Auswertung der erfassten Umgebungsmerkmale. Dabei zählen nicht nur die aktuell ermittelten Umgebungsmerkmale zur aktuellen Umgebung, sondern auch in der Vergangenheit erfasste und aktuell aus einer Datenquelle ausgelesene Umgebungsmerkmale, beispielsweise Attribute der aktuellen Umgebung aus einer digitalen Karte.
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Vorteilhafterweise kann damit ein adaptierter statistischer Prozess modelliert werden, der das Verhalten des Umgebungsobjektes noch genauer und in Abhängigkeit der jeweiligen Fahrsituation vorhersagen kann. Die Analogie zu den genannten physikalischen Phänomenen Wärmebewegung von Teilchen und Diffusion von Stoffen in viskosen Medien findet ihren Ausdruck beispielsweise in einer reflektierten Brownschen Bewegung, die die Reflexion von Teilchen an einer Barriere beschreibt. Die Adaption des statistischen Prozesses ist dadurch vorteilhafterweise noch realitätsnäher, wobei die einfache Berechenbarkeit und die Zeitkontinuität des Fahrpfades erhalten bleiben. Ganz besonders vorteilhaft ist die Schaffung einer kontextabhängigen Wahrscheinlichkeitsverteilung, da das Verhalten wie beschrieben in Abhängigkeit der jeweiligen Fahrsituation vorgesagt werden kann.
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In einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist die Randbedingung der parametrisierten Wahrscheinlichkeitsverteilung eine Dirichlet-Randbedingung. Eine Brownsche Bewegung mit Dirichlet-Randbedingung gibt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung an, die nur ab einer bestimmten Koordinate Werte annehmen kann. Daher wird diese Randbedingung bei nicht zu überfahrenden Fahrspurbegrenzungen, beispielsweise einer Leitplanke, verwendet, weil sie ein Vermeiden von Fahrpfaden an definierten Randbereichen widergibt. Es ergibt sich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, die in Analogie zu der Reflexion von Teilchen an einer starren Barriere eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Umgebungsobjektes in Abhängigkeit dessen Position und Geschwindigkeit, vorzugsweise in Abhängigkeit dessen Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung, angibt.
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In einer weiteren bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist die Randbedingung der parametrisierten Wahrscheinlichkeitsverteilung eine Neumann-Randbedingung. Eine Neumann-Randbedingung wird vor allem bei weichen Barrieren am Rand der Fahrspur, wie Spurmarkierungen, zur Vorhersage des Verhaltens des Umgebungsobjektes verwendet. Dabei kann es vorkommen, dass eine Fahrspur beidseitig begrenzt ist, wobei die Begrenzungen als starre oder als weiche Barriere mittels einer Dirichlet- und/oder Neumann-Randbedingung allein oder in Kombination im Rahmen eines mathematischen Modells einer Brownschen Bewegung modelliert sein können. Vorteilhafterweise kann die Brownsche Bewegung mit den passenden Randbedingungen zur realitätsnahen Darstellung des Randwertproblems an Fahrspurrändern kombiniert werden, um so das Verhalten eines Umgebungsobjektes noch genauer und effizienter vorhersagen zu können.
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In einer vorteilhaften Weiterbildung des erfindungsgemäßen Verfahrens wird eine physikalische Eigenschaft der von dem Umgebungsobjekt befahrenen Straße in der aktuellen Umgebung bestimmt und das Verhalten des Umgebungsobjektes in Abhängigkeit der physikalischen Eigenschaft der vom Umgebungsobjekt befahrenen Straße durch Aufnahme einer zweiseitigen Randbedingung in die parametrisierte Wahrscheinlichkeitsverteilung vorhergesagt, wobei die physikalische Eigenschaft ein Reibungskoeffizient oder eine den Reibungskoeffizienten einer Straße repräsentierende Eigenschaft ist. Die physikalische Eigenschaft repräsentiert die Straße bzw. den Untergrund in Bezug auf die Aufteilung der möglichen Gesamtkraft an einem Rad in die Seitenführungskraft und die Vortriebskraft, also die Brems- und Antriebskraft. Im einfachsten Fall handelt es sich bei der physikalischen Eigenschaft um einen Reibungskoeffizienten, also um ein Maß für die Reibungskraft im Verhältnis zur Anpresskraft zwischen Untergrund und dem Rad. Dem Fachmann sind unterschiedliche Verfahren zur Bestimmung des aktuellen Reibungskoeffizienten, wie Auswertung von Radschlupf oder auch testweises Bremsen bekannt. Außerdem kann der Reibungskoeffizient auch von anderen Fahrzeugen oder auf andere Art ermittelt und in einem lokal begrenzten Gebiet ausgesendet und empfangen werden, beispielsweise mittels C2X-Kommunikation. Die den Reibungskoeffizienten der Straße bzw. des Untergrundes repräsentierende Eigenschaft ist zum Beispiel das Vorhandensein von Schnee, Eis, Wasser, oder auch Verunreinigungen, wie Kies oder Sand, auf der Straße. Derartige Eigenschaften können mittels vorhandener Umgebungserfassungsmittel, wie Kamera oder Regensensor, erfasst werden. Die zweiseitige Randbedingung kann in die parametrisierte Wahrscheinlichkeitsverteilung, also das mathematische Modell der Brownschen Bewegung, aufgenommen werden, z. B. durch Modellierung eines Kammschen Reibkreis' bzw. einer Krempelschen Reibungsellipse. Vorteilhafterweise kann damit die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Umgebungsobjektes noch genauer und realitätsnäher vorhergesagt werden.
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In einer vorteilhaften Weiterbildung des erfindungsgemäßen Verfahrens wird ein Fahrpfad des Ego-Fahrzeugs berechnet und mit der zeitabhängigen Aufenthaltswahrscheinlichkeit überlagert und in Abhängigkeit der Überlagerung eine Kollisionswahrscheinlichkeit des Umgebungsobjektes mit dem Ego-Fahrzeug vorhergesagt. Vorteilhafterweise basiert die Vorhersage der Kollisionswahrscheinlichkeit auf der erfindungsgemäßen Vorhersage des Verhaltens des Umgebungsobjektes und dem für das Ego-Fahrzeug bekannten Fahrpfad. Damit weist die Vorhersage der Kollisionswahrscheinlichkeit die gleichen Vorteile auf wie die Vorhersage des Verhaltens, nämlich die zeitkontinuierliche, genaue und effiziente, also ressourcenschonende Ermittlung des Fahrpfades. Die technische Umsetzung der Überlagerung ist dabei dem Fachmann grundsätzlich bekannt und wird an der Stelle nicht näher ausgeführt.
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Die Erfindung betrifft ebenfalls ein Fahrerassistenzsystem umfassend Umgebungserfassungsmittel und elektronische Verarbeitungsmittel, die dazu eingerichtet sind, ein Verfahren nach einer der vorhergehenden Weiterbildungen auszuführen. Vorteilhafterweise ist die Anwendung der erfindungsgemäßen Vorhersage des Verhaltens eines Umgebungsobjektes durch ein Fahrerassistenzsystem ohne weiteres und ohne spezielle Anforderungen möglich. Aufgrund der sehr effizienten Vorhersage ist sogar die Anwendung des erfindungsgemäßen Verfahrens in einem Fahrerassistenzsystem mit relativ geringen Ressourcen, wie Prozessorleistung oder interner Speicher, möglich.
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Ausführungsbeispiel
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Weitere Merkmale, Anwendungsmöglichkeiten und Vorteile der Erfindung ergeben sich aus der nachfolgenden Beschreibung von Ausführungsbeispielen der Erfindung unter Bezugnahme auf die schematisch dargestellten Zeichnungen. Diese dienen lediglich zum Verständnis der Erfindung und haben keinerlei limitierende Wirkung auf den Erfindungsgegenstand, wie er in den Patentansprüchen dargelegt ist.
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Hierbei zeigen:
- 1 eine schematische Darstellung beispielhafter Fahrpfade des Umgebungsobjektes;
- 2 die schematische Darstellung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Umgebungsobjektes;
- 3 die Überlagerung der Aufenthaltswahrscheinlichkeitsbereiche und des Fahrpfades des Ego-Fahrzeugs zur Bestimmung der Kollisionswahrscheinlichkeit.
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1 zeigt ein Umgebungsobjekt 2, beispielsweise als ein weiteres Kraftfahrzeug neben dem Ego-Fahrzeug 1. Im Ego-Fahrzeug 1 ist ein Fahrerassistenzsystem in Betrieb, das das Verhalten des Umgebungsobjektes 2 vorhersagt, um eine kollisionsfreie Trajektorie für das Ego-Fahrzeug 1 zu berechnen oder Notfallmaßnahmen für eine bevorstehende Kollision, z. B. eine Notbremsung, einzuleiten. Das Ziel der vorliegenden Erfindung ist, einen einfachen Prädiktionsalgorithmus zur Verfügung zu stellen, der gleichzeitig eine erhöhte Genauigkeit aufweist.
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Grundsätzlich ist innerhalb eines physikalisch theoretisch möglichen Fahrschlauchs, dessen Begrenzung
21 dargestellt ist, eine Vielzahl möglicher Fahrpfade
20 möglich. Jeden einzeln zu berechnen, würde die Rechenkapazitäten eines normalen Fahrzeugs übersteigen. Abhilfe schafft hier die erfindungsgemäße Nutzung des mathematischen Modells einer Brownschen Bewegung. Dadurch wird eine zweidimensionale und zeitstetige Aufenthaltswahrscheinlichkeit berechenbar. Die Brownsche Bewegung ist als Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion beispielsweise wie folgt modelliert:
mit der Position x = (x, y) und Geschwindigkeit v = (v
x,v
y) des Umgebungsobjektes. Diese Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion lässt sich mit einer Dirichlet-Randbedingung in x-Richtung, die ein unüberwindbares Hindernis, wie eine Leitplanke, repräsentiert, erweitern:
wobei p
b und -p
b die Positionen der beiden Fahrspurbegrenzungen sind. Je nachdem, ob es sich um ein beidseitig begrenzte Fahrspur handelt, sind die Faktoren A
1 = A
2 = 1, oder, im Falle einer einseitig begrenzten Fahrspur, ist einer der beiden Faktoren null.
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Das allgemeine Modell der Brownschen Bewegung lässt sich erweitern, um auch komplizierte Trajektorien bzw. Fahrpfade
zu betrachten und neben der Geschwindigkeit auch die Beschleunigung zu berücksichtigen:
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Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit und damit das Verhalten des Umgebungsobjektes ist explizit gegeben. Die Standardabweichung ist beispielsweise mit Quer- und Längsbeschleunigung sowie Quer- und Längsgeschwindigkeit parametrisierbar:
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Auch die Kombination des um komplizierte Trajektorien erweiterten mathematischen Modells der Brownschen Bewegung mit ein- oder zweiseitigen Randbedingungen mit „harten“ Hindernissen (Dirichlet-Randbedingung) oder „weichen“ Hindernissen (Neumann-Randbedingung) lässt sich zum erfindungsgemäßen Vorhersagen des Verhaltens des Umgebungsobjektes verwenden.
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Die oben dargelegten Formeln dienen der grundsätzlichen Darstellung der erfindungsgemäßen Berechnungen. Sie ergeben stochastische Differentialgleichungen, die der Fachmann unter Kenntnis der vorliegenden Lehre aufstellen und lösen kann. Sie zeigen allerdings auch nur einen Weg auf, ein mathematisches Modell einer Brownschen Bewegung zu modellieren.
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Das Ergebnis der Berechnungen ist in 2 dargestellt. Anstelle der Ermittlung der möglichen Fahrpfade 20 aus 1 ist eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Umgebungsobjektes 2 zu sehen. Zum besseren Verständnis ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit gestuft dargestellt. Sie ist bevorzugt kontinuierlich berechnet und in der Umgebung des Ego-Fahrzeugs auch als solche hinterlegt. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit 24 stellt eine 50%ige Aufenthaltswahrscheinlichkeit dar. Das heißt, das Umgebungsobjekt wird sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% zu einem bestimmten Zeitpunkt tx innerhalb dieses Bereiches befinden. Dies gilt analog für die Aufenthaltswahrscheinlichkeit 22 in Höhe von 20% sowie die Aufenthaltswahrscheinlichkeit 23 in Höhe von 30%. Weder die Ausprägungen noch die Anzahl der hier gewählten Stufen stellen eine Einschränkung der Erfindung dar. Sie ergeben sich einzig aus den Lösungen des mathematischen Modells der Brownschen Bewegung für verschiedene Zeitpunkte t in Abhängigkeit der Position, Geschwindigkeit und vorzugsweise auch der Beschleunigung des Umgebungsobjektes.
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In 3 ist eine weitergehende Ausführungsform gezeigt, bei der der Fahrpfad 10 des Ego-Fahrzeugs 1 mit der berechneten Aufenthaltswahrscheinlichkeit überlagert bzw. geschnitten wird, um mögliche Kollisionspunkte zu identifizieren. Der hier beispielhaft dargestellte Kollisionspunkt 11 zeigt den Schnittpunkt des Fahrpfades 10 mit dem Aufenthaltswahrscheinlichkeitsbereich 22. In diesem nicht einschränkenden Beispiel, das lediglich dem Verständnis zur Umsetzung des erfindungsgemäßen Verfahrens dient, könnte die Kollisionswahrscheinlichkeit des Ego-Fahrzeugs 1 mit dem Umgebungsobjekt 2 bei 20% liegen.
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Diese Darstellung ist nur schematisch und grundsätzlich zeitabhängig. Während der Aufenthaltswahrscheinlichkeitsbereich des Umgebungsobjektes 2 zu einem bestimmten Zeitpunkt tx dargestellt ist, ist der Fahrpfad 10 des Ego-Fahrzeugs 1 als zeitstetiger Pfad über einen Zeitraum dargestellt. Da jedoch die Aufenthaltswahrscheinlichkeit und damit das Verhalten des Umgebungsobjektes 2 erfindungsgemäß zeitvariabel ist, lässt sich die Kollisionswahrscheinlichkeit ebenfalls zeitvariabel und zeitstetig vorhersagen bzw. bestimmen.
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Die Wahrscheinlichkeitsdichte wird dabei beispielsweise für den Mittelpunkt xM = (xM,yM) des Umgebungsobjektes 2 ermittelt. Jedoch kann die Position x = (x, y) auch für eine Ecke oder einen Punkt auf der Kante des Umgebungsobjektes 2 angenommen werden. Zusammen betrachtet können mehrere Positionen die Fläche des Umgebungsobjektes 2 repräsentieren. Ist der Fahrpfad 10 des Ego-Fahrzeugs 1 ebenfalls in Abhängigkeit der Fläche des Ego-Fahrzeugs 1 ausgeprägt, reicht eine zeitabhängige Berührung des Fahrpfades 10 mit dem Aufenthaltswahrscheinlichkeitsbereich, um eine Kollisionswahrscheinlichkeit vorherzusagen. Im einfachsten Fall wird die Position des Umgebungsobjektes 2 derart gewählt, dass es für das Ego-Fahrzeug 1 den kritischsten Fall darstellt, beispielsweise die kürzeste Entfernung zwischen Ego-Fahrzeug 1 und Umgebungsobjekt 2.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Ego-Fahrzeug
- 2
- Umgebungsobjekt
- 10
- Fahrpfad des Ego-Fahrzeugs
- 11
- möglicher Kollisionspunkt
- 20
- mögliche Fahrpfade des Umgebungsobjektes
- 21
- Fahrschlauchbegrenzung
- 22
- Aufenthaltswahrscheinlichkeit 20%
- 23
- Aufenthaltswahrscheinlichkeit 30%
- 24
- Aufenthaltswahrscheinlichkeit 50%