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Die vorliegende Erfindung betrifft ein Medikament zur Behandlung von
stressbedingtem Tinnitus aurium.
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Unter Tinnitus aurium versteht man konstant, intermittierend, anfallsweise
oder progredient (fortschreitend) auftretende Geräusche, die als subjektive
Ohrgeräusche nur vom Patienten wahrgenommen werden oder als objektive
Ohrgeräusche auch auskultatorisch (d. h. durch Abhorchen) nachweisbar
sind. Man unterscheidet nonpulsative und pulssynchrone Ohrgeräusche.
Nonpulsative Ohrgeräusche werden bspw. als Sausen, Brummen, Rauschen
oder Klingeln oder als zischende oder pfeifende Ohrgeräusche
wahrgenommen. Die mittelbaren Ursachen der nonpulsativen Ohrgeräusche
sind vielfältig, z. B. Erkrankungen des Innenohrs, Akustikusneurinom,
Menière-Krankheit, Lermoyez-Syndrom akustisches Trauma, Hörsturz.
Pulssynchrone Ohrgeräusche sind in der Regel die Folge von
Durchblutungsstörungen.
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Die unmittelbare organische Ursache, die zur Entstehung eines Tinnitus
aurium führt, ist noch weitgehend unbekannt. Derzeit gilt als sicher, dass
Tinnitus aurium durch eine Schädigung der feinen Haarsinneszellen im
Innenohr entsteht.
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Häufig jedoch entwickelt sich ein Tinnitus aurium als psychosomatische
Erkrankung infolge eines Stresssyndroms. Nervliche Erschöpfung bei
Überanstrengung, bspw. vegetative Erschöpfung oder Erschöpfung der
Nervenzellen des Gehirns kann zu einem Tinnitus aurium führen, der auch
einen chronischen Verlauf nehmen kann. Diese Erschöpfung entsteht auf
Grund von Dauerstress. Grundlage ist die Leistungsbereitschaft des
Menschen. Die biologische Körperaktivität bildet die Basis der physischen
und psychischen Leistungsbereitschaft. Diese Leistungsbereitschaft kann
durch äußere Faktoren aus dem persönlichen Umfeld des Patienten
beeinflusst werden, wie z. B. finanzielle und berufliche Absicherung,
Gesundheitszustand, familiäre Probleme und Belastungen,
Doppelbelastungen durch Beruf und Haushalt oder Beruf und schulische oder berufliche
Fortbildung, etc.
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Die Leistungsfähigkeit des Menschen wird in drei Bereiche unterteilt, wobei
die maximale Leistungsfähigkeit begrenzt ist. Die unterste Stufe stellen die
unwillkürlichen und automatisierten Leistungen dar, also bspw. Atmen,
Sprechen, Laufen, Lesen sowie lang trainierte Tätigkeiten und
Bewegungsabläufe, deren Durchführung nur geringe Anforderungen an die
Leistungsfähigkeit stellt. Die eigentlichen physiologischen und psychischen
Leistungen umfassen Leistungen die ohne besondere willentliche
Anstrengungen verfügbar sind sowie Leistungsreserven, die dem
menschlichen Willen zugänglich sind. Ein dauerhafter Rückgriff auf diese
willentlich zugänglichen Leistungsreserven führt jedoch zu einer schnelleren
Ermüdung und wirkt sich durch den Willenseinsatz oft negativ auf das
geistige und körperliche Befinden aus. Daher sollten die beruflichen und
privaten Leistungsanforderungen auf Dauer im Bereich der ohne besondere
willentliche Anstrengungen verfügbaren Leistungen liegen. Der Körper
verfügt darüber hinaus noch über autonom geschützte Leistungsreserven,
welche die dritte und höchste Stufe darstellen. Diese Reserven sind
kurzzeitig bei außergewöhnlichen Situationen, wie z. B. in
Gefahrensituationen verfügbar. Die Schwelle zu dieser Stufe wird durch
eine hormonelle Reaktion überwunden.
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Tinnitus aurium als psychosomatische Erkrankung entsteht durch ein
Überschreiten der geistigen und körperlichen Leistungsgrenzen im
physiologischen und psychischen Bereich. Inwieweit der autonom
geschützte Bereich durch eine hormonelle Steuerung mit einbezogen ist, ist
fraglich. Dauerstress verändert die Physiologie der Nervenzellen im Gehirn,
so dass die Tätigkeit der Nervenzeilen schließlich zum Ohr- bzw.
Kopfgeräusch führt.
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Das ständige Ohrgeräusch ist für den Patienten eine unerträgliche
Belastung. Umso wichtiger ist eine angemessene Therapie, die das
Ohrgeräusch auslöscht oder zumindest reduziert. Die bisher bekannten
Therapiemöglichkeiten umfassen die Psychotherapie, um dem Patienten den
Leidensdruck zu nehmen sowie ihn zur Selbsthilfe zu führen,
Entspannungsmethoden und autogenes Training, die Gabe
durchblutungsfördernder Mittel sowie die sog. Maskierung, d. h. die
Verwendung von Geräten, die wie ein Hörgerät zu tragen sind und durch
programmierte Töne das Ohrgeräusch übertönen bzw. neutralisieren sollen.
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Alle diese Maßnahmen sind jedoch bisher unbefriedigend und führen nicht
zu einer vollständigen Heilung von Tinnitus aurium.
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Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung besteht demnach darin, eine
Therapiemöglichkeit bereit zu stellen, mit der Tinnitus aurium als
psychosomatische Erkrankung infolge von Stress gelindert oder geheilt
werden kann.
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Die Lösung besteht in der Verwendung von (1S-cis)-(+)-4-(3,4-
Dichlorphenyl)-1,2,3,4-tetrahydro-N-methyl-1-naphthalinamin oder eines
physiologisch verträglichen Salzes zur Behandlung von Tinnitus aurium
bzw. in der Verwendung von (1S-cis)-(+)-4-(3,4-Dichlorphenyl)-1,2,3,4-
tetrahydro-N-methyl-1-naphthalinamin oder eines physiologisch
verträglichen Salzes zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von
Tinnitus aurium.
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(1S-cis)-(+)-4-(3,4-Dichlorphenyl)-1,2,3,4-tetrahydro-N-methyl-1-
naphthalinamin ist unter dem internationalen Freinamen "Sertralin" bekannt.
Sertralin ist ein Antidepressivum, das zu der Gruppe der sog. selektiven
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer gehört. Serotonin wirkt u. a. als
Neurotransmitter im Gehirn. Die Störung des Serotonin-Stoffwechsels im
Gehirn wird als eine Ursache von Depressionen angesehen. Sertralin
verhindert die Wiederaufnahme des als Neutrotransmitter ausgeschütteten
Serotonins im Gehirn durch den Serotonin-Transporter. Durch diesen
Eingriff in den Serotonin-Stoffwechsel des Gehirns werden depressive
Zustände gemildert bzw. beseitigt. Ein Medikament mit dem Wirkstoff
Sertralinhydrochlorid wird von der Firma Boehringer Ingelheim unter dem
Handelsnamen "Gladem®" als Antidepressivum und von der Firma Pfizer
GmbH unter dem Handelsnamen "Zoloft" auf den Markt gebracht.
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Überraschenderweise hat sich herausgestellt, dass die Einnahme von
Gladem den Tinnitus mindert und auf Dauer merklich reduziert.
Außergewöhnliche Stresssituationen führten nicht mehr zu einem Ansteigen
des Ohrgeräusches.
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Der Kern der Erfindung besteht also in der Erkenntnis, dass die Behandlung
von Tinnitus aurium eine zweite medizinische Indikation für den Wirkstoff
Sertralin darstellt.
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Im folgenden wird die Erfindung am Beispiel eines Selbstversuches des
Anmelders näher erläutert. Das als einzige Fig. 1 beigefügte Diagramm
zeigt den Tinnitusverlauf des Anmelders in Form einer subjektiven
Bewertung der Intensität von Februar 1993 bis Juli 2000. Der Tinnitus
aurium machte sich durch ein wellenförmiges An- und Abschwellen der sich
verschlimmernden Beschwerden (Ohr-/Kopfgeräusche, Antriebsarmut,
Erschöpfung der Leistungsfähigkeit, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit)
bemerkbar. Der Tinnitus ist zeitweise im Ohr und zeitweise im Kopf,
vornehmlich den seitlichen und hinteren Regionen, zu lokalisieren. Die Ohr-
/Kopfgeräusche sind immer dann geringer, wenn eintönige Arbeit verrichtet
wird oder direkt nach dem Aufwachen, also immer dann, wenn die geistige
Tätigkeit oder die Tätigkeit des "Denkens" im weitesten Sinne
vergleichsweise gering war. Schon bei einfacher geistiger Arbeit wie z. B.
Fernsehen steigern sich die Ohr-/Kopfgeräusche. Die Geräusche werden
auch durch die Einnahme von Alkohol und Koffein verstärkt.
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Die Intensität der Ohr-/Kopfgeräusche nahm unter großer physischer
und/oder psychischer Belastung bzw. unerfreulichen oder als negativ
erlebten Situationen regelmäßig zu und in Situationen geringer Belastung
bzw. erfreulichen oder als positiv erlebten Situationen ab.
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Intensitätsmaxima sind zum Beispiel zu beobachten im Mai 1996 und Juni
1997 (Prüfungen im Rahmen der schulischen und beruflichen Weiterbildung
an der Fachhochschule, Mai 1996, Juni 1997). Ein weiteres Maximum im
Januar 1997 ist auf die unterlassene Einnahme von Thyrona-Jod zurück zu
führen. Ein Maximum im Dezember 1997 auf den Genuss eines Glases
Glühwein. Intensitätsminima wurden im Juli 1995 (Urlaub) und September
1997 (Diplomierung an der Fachhochschule) festgestellt. Ab Januar/Februar
1998 erfolgte eine stetige Überdosierung. Die Überdosierung minderte das
Geräusch vorübergehend. Darauf folgte eine kontinuierliche Zunahme des
Geräusches, je weiter die nervlichen Bodenstoffe aufgebraucht wurden.
Fortschreitende Erschöpfung führt zu einer kontinuierlichen
Intensitätssteigerung.
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Ab Juli 1998 wurde mit der Einnahme von Gladem® 50 mg Filmtabletten
der Firma Boehringer Ingelheim begonnen. Die Dosierung betrug 2 Tabletten
(entspricht 100 mg Sertralin) pro Tag. Zunächst trat eine
Erstverschlechterung ein. Seither wurde ein kontinuierlicher - wellenförmiger -
Rückgang der Ohrgeräusch-Intensität beobachtet, wobei einige Tage bereits
klar und nur mit geringen Ohr-/Kopfgeräuschen belastet sind. Eine weitere
markante Stresssituation, nämlich ein Streit mit einer Baufirma im Juni
1999, führte lediglich zu einem deutlich abgeschwächten
Intensitätsmaximum. Insgesamt ist die Tendenz der Ohr-/Kopfgeräusche
abnehmend und langfristig gegen Null strebend.
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Der stressbedingte Tinnitus aurium ist die hörbare Begleiterscheinung
nervlicher Arbeit als Folge einer Erschöpfung des vegetativen
Nervensystems und/oder der Nervenzellen des Gehirns bei
Überanstrengung, die nur durch entsprechende nervliche Grundsubstanzen,
bspw. Substanzen, die in den Neurotransmitter-Stoffwechsel eingreifen,
gemindert bzw. behoben werden kann. Sertralin wirkt durch Eingriff in den
Serotonin-Stoffwechsel mindernd bzw. heilend und ist als Medikament zur
Behandlung von stressbedingtem Tinnitus aurium geeignet.
Anmerkungen
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Anmerkungen zum Diagramm Tinnitusverlauf. Subjektive Bewertungsskala.
1. Juli 95 Urlaub in Bad Segeberg
2. Mai 96 Ende der Zwischenprüfung
3. Januar 97 kurze Pause von Thyrona-Jod-Einnahme
4. Januar 97 Steigerung der Einnahme von Thyrona-Jod
5. Juni 97 Ende der Abschlußprüfung
6. August 97 kein Tonikum aus der Apotheke mehr genommen
7. September 97 Veranstaltung/Diplomierung an der Fachhochschule
8. Dezember 97 Glühwein getrunken
9. Juni 99 Abrechnung mit Baufirma
10. Juli 98 Einnahme von Gladem