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Die vorliegende Erfindung betrifft die Überwachung technischer Systeme, deren Zustand mit einem oder mehreren Sensoren erfasst und deren Dynamik mit einer Differentialgleichung modelliert wird.
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Stand der Technik
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Für die Steuerung vieler technischer Systeme kommt es darauf an, aus der sensorischen Beobachtung des Systems über einen zurückliegenden Zeitraum eine Prognose für die Dynamik des Systems in der Zukunft zu ermitteln. Diese Prognose wird anhand eines Modells aus den sensorisch erfassten Messdaten ermittelt und dient als Grundlage für die weitere Steuerung des jeweiligen Systems. So kann beispielsweise ein Fahrzeug anhand von Sensordaten seine künftige Fahrdynamik zumindest für einige Zeiteinheiten oder Zeitschritte im Voraus vorhersagen, und gegebenenfalls kann ein Steuerungssystem eingreifen, um dieser Fahrdynamik in der gewünschten Weise abzuändern. Ein Beispiel für ein derartiges Steuerungssystem ist das elektronische Stabilitätsprogramm, ESP, gemäß der
EP 0 339 056 B1 .
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Damit derartige Steuerungssysteme ordnungsgemäß funktionieren, ist es notwendig, dass sich das jeweilige technische System auch tatsächlich so verhält wie es das verwendete Modell anhand der Sensordaten vorhersagt. Für komplexere Systeme ist es schwierig, den Beweis anzutreten, dass die von einer gegebenen Sensorkonfiguration gelieferten Messdaten in Verbindung mit einem gegebenen Modell zu jeder Zeit und unter allen Umständen die Dynamik des Systems vollständig beschreiben und das System nicht etwa ein von der Vorhersage völlig abweichendes (etwa chaotisches) Verhalten zeigt.
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Offenbarung der Erfindung
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Die Erfindung stellt ein Verfahren zur Prüfung, ob die Kombination aus einer Erfassung des Zustandes eines technischen Systems mit mehreren Sensoren und einer Differentialgleichung in den von diesen Sensoren gelieferten Messwerten die Dynamik dieses technischen Systems vollständig beschreibt. Die Differentialgleichung kann ihre Variablen in beliebiger Weise miteinander koppeln und darüber hinaus auch Anfangsbedingungen, Bezirksbedingungen und/oder Randbedingungen unterliegen, die sich ebenfalls zumindest näherungsweise als Differentialgleichung ausdrücken lassen. Der Übersichtlichkeit halber wird die Notwendigkeit, derartige Anfangsbedingungen, Bezirksbedingungen und/oder Randbedingungen zu erfüllen, im Folgenden nicht mehr bei jeder Erwähnung der Differentialgleichung mit erwähnt.
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Das Verfahren beginnt damit, dass mindestens eine zu N diskreten Zeitpunkten abgetastete Trajektorie Y1, ..., YN in einem Phasenraum bereitgestellt wird. Dieser Phasenraum wird durch die Messwerte, die von den Sensoren geliefert werden, sowie optional auch durch eine oder mehrere zeitliche Dimensionen aufgespannt. Jeder Punkt Y1, ..., YN auf der Trajektorie kann somit als Vektor, Matrix oder Tensor aufgefasst werden, dessen Komponenten die für den jeweiligen Zeitpunkt 1, ..., N erfassten Messwerte beinhalten. Die gesamte Trajektorie kann somit auch als Tensor Y geschrieben werden, in dem die Dimensionen der Messwerte um die Zeitachse mit den Zeitpunkten 1, ..., N als weitere Dimension ergänzt werden. Eine Trajektorie Y1, ..., YN kann zu jedem Zeitpunkt auch beispielsweise Messwerte, die sich auf genau diesen Zeitpunkt beziehen, mit Messwerten der gleichen Messgröße koppeln, die zeitlich um einen vorgegebenen Versatz zurückliegen.
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Die zeitlichen Abstände τ zwischen den N diskreten Zeitpunkten sind Vielfache der Sampling-Zeit Δt, die zwischen zwei aufeinander folgenden Aufnahmen von Messwerten durch die jeweiligen Sensoren liegt. Wenn beliebig viele rauschfreie Daten zur Verfügung stehen, kann τ ein beliebiges ganzzahliges Vielfaches von Δt sein. Wenn die Trajektorien Y1, ..., YN jedoch verrauscht sind und/oder nicht in großer Zahl zur Verfügung stehen, sollte τ so gewählt werden, dass im Phasenraum eine Variable x(t) einerseits und ihre retardierte Version x(t - τ) andererseits linear unabhängig sind. τ kann beispielsweise anhand einer Autokorrelation der Daten gewählt werden.
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Aus der Trajektorie Y1, ..., YN wird ein zugehöriger Attraktor A, und/oder eine Dimension d dieses Attraktors A, zumindest näherungsweise ausgewertet. Es werden also beliebige Informationen ermittelt, die den Attraktor A, und/oder seine Dimension d, charakterisieren.
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Unter einem Attraktor A wird allgemein eine Teilmenge des Phasenraums verstanden, auf die sich die Trajektorie Y1, ..., YN eines dynamischen Systems im Laufe der Zeit zubewegt und die dann unter der Dynamik des Systems nicht mehr verlassen wird. Der Attraktor A kann also insbesondere beispielsweise eine beliebig geformte Struktur im Phasenraum sein, um die die Punkte der Trajektorie Y1, ..., YN im Phasenraum zunächst streuen und gegen die diese Punkte konvergieren.
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Die Dimension d ist ein Maß für die Komplexität des Attraktors A sowie auch für die Komplexität von Lösungen der Differentialgleichung für die Dynamik der von den Sensoren gelieferten Messwerte. Wenn diese Differentialgleichung beispielsweise eine Euler-Lagrange-Gleichungen umfasst, haben Attraktoren A im Allgemeinen nicht-ganze Dimensionen d. Aufrunden dieser Dimension d auf die nächste ganze Zahl, also Addieren von 1 zum ganzzahligen Anteil df dieser Dimension d, ergibt die minimale Anzahl unabhängiger Variablen, die benötigt werden, um die zeitliche Entwicklung und Randbedingungen von Lösungen der Euler-Lagrange-Gleichungen vollständig zu beschreiben. In einem beispielhaften einfachen System mit einem Aktor gibt es maximal 2df + 1 unabhängige Variablen.
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Es wird geprüft, ob der Attraktor A, bzw. die Dimension d, ein vorgegebenes Kriterium erfüllt. In Antwort darauf, dass das vorgegebene Kriterium erfüllt ist, wird festgestellt, dass die Erfassung mit den Sensoren und die Differentialgleichung die Dynamik des Systems vollständig beschreiben.
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Hierbei kann das vorgegebene Kriterium insbesondere beispielsweise beinhalten, dass die Dimension d des Attraktors A
- • unterhalb eines vorgegebenen Schwellwerts liegt, und/oder
- • in der Nähe eines Werts d* der Dimension d liegt, für den bereits bekannt ist, dass er eine vollständige Beschreibung der Dynamik des Systems durch die Erfassung mit den Sensoren und die Differentialgleichung anzeigt.
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Der Schwellwert ist für das jeweilige technische System spezifisch und kann beispielsweise für Verkehrssituationen 1,42 betragen.
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Wenn also
- • anhand einer Trajektorie Y1, ..., YN eine Dimension d* des Attraktors A ermittelt wurde und
- • aus beliebiger Quelle die Information erhalten wurde, dass sich das technische System anschließend im Einklang mit der Differentialgleichung und nicht etwa chaotisch verhalten hat,
dann kann hieraus gefolgert werden, dass immer dann, wenn aus eine neuen Trajektorie Y1, ...,YN ein in der Nähe von d* liegender Wert d für die Dimension des Attraktors A ermittelt wird, die weitere Dynamik des technischen Systems ebenfalls der Differentialgleichung genügen und nicht etwa in chaotisches Verhalten abgleiten wird. Umgekehrt lässt die Erkenntnis, dass sich das technische System bei einer bestimmten Dimension d* des Attraktors A einmal chaotisch verhalten hat, den Schluss zu, dass dies jedes Mal droht, wenn die Auswertung einer Trajektorie Y1, ...,YN auf einen in der Nähe von d* liegenden Wert d führt.
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Insoweit ist die gesuchte Eigenschaft, ob die Erfassung mit den Sensoren und die Differentialgleichung die Dynamik des Systems vollständig beschreiben, an die Dimension d des Attraktors A gebunden. Diese gesuchte Eigenschaft kann aber nicht ausschließlich aus dieser Dimension d ermittelt werden, sondern auch beispielsweise direkt aus dem Attraktor A. Ist also beispielsweise bekannt, dass das System sich im Anschluss an eine konkrete, auf einen Attraktor A weisende Trajektorie Y1, ..., YN gemäß der Differentialgleichung verhalten hat, wird das System dies immer dann tun, wenn eine neue Trajektorie Y1, ..., YN auf den gleichen oder einen hinreichend ähnlichen Attraktor A weist. Umgekehrt ist ein solches gutartiges Verhalten gerade nicht mehr garantiert, wenn im Anschluss an eine auf den Attraktor A weisende Trajektorie Y1, ..., YN schon ein chaotisches Verhalten des technischen Systems festgestellt wurde.
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Die Auswertung des Attraktors A, bzw. der Dimension d, ermöglicht also eine Vorhersage dahingehend, inwieweit sich das technische System in der Zukunft konform mit der Differentialgleichung verhalten wird. Gleichwohl erfolgt diese Auswertung ohne Ansehung der konkreten Differentialgleichung. Es ist also nicht erforderlich, diese Differentialgleichung direkt zu lösen. Bei vielen Lösungsverfahren kommen spektrale oder lineare Methoden zum Einsatz, und es werden bestimmte Bereiche im Frequenzraum der auftretenden Signale als Rauschen verworfen. Wenn in dem technischen System aber aperiodische Signale aus nichtlinearen Quellen eine Rolle spielen, wird hiermit ein systematischer Fehler eingeführt, da diese Signale im Frequenzraum breitbandig sind und es keine Rechtfertigung dafür gibt, irgendwelche stetigen Komponenten im Frequenzspektrum von vornherein als Rauschen zu verwerfen. Eine Auswertung ohne direkte Lösung der Differentialgleichung vermeidet diesen systematischen Fehler.
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In einer vorteilhaften Ausgestaltung umfasst das Auswerten des Attraktors A, eine Näherung des Attraktors A an die Trajektorie Y
1, ..., Y
N anzupassen. Beispielsweise kann ein parametrisierter Ansatz für den Attraktors A an die Trajektorie Y
1, ..., Y
N gefittet werden. Es kann dann beispielsweise jeder Punkt der Trajektorie Y
1, ..., Y
N orthogonal auf die Näherung des Attraktors A projiziert werden, um so eine zeitlich gestauchte und/oder gedehnte
der Trajektorie Y
1, ..., Y
N zu erhalten.
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Die Dimension d kann insbesondere beispielsweise auf der Basis der Kapazität des Attraktors A zu
ermittelt werden. Hierin ist M(r) die minimale Anzahl von Hyperwürfeln der Kantenlänge r im Phasenraum, die benötigt wird, um den Attraktor A abzudecken. Diese Anzahl M(r) hängt zum einen von der Ausdehnung des Gebiets im Phasenraum, das von dem Attraktor A durchmessen wird, ab. Zum anderen sind auch umso mehr Hyperwürfel notwendig, je unsicherer die Bestimmung des Attraktors A ist, d.h., je breiter die Trajektorie Y
1, ..., Y
N um den Attraktor A herum streut.
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Eine Diskretisierung des Phasenraums in Hyperwürfel der Kantenlänge r kann aber auch beispielsweise verwendet werden, um die Dimension d anhand von Wahrscheinlichkeiten, dass bestimmte den Attraktor A abdeckende Hyperwürfel von der Trajektorie aufgesucht werden, zu ermitteln. Diese Wahrscheinlichkeiten sind mit den Häufigkeiten verknüpft, mit denen die Trajektorie Y
1, ..., Y
N bestimmte Bereiche des Attraktors A aufsucht. Beispielsweise kann die Dimension d zu
ermittelt werden. Hierin ist q die Ordnung der Trajektorie Y
1, ..., Y
N. p
i = N
i / N ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Punkt des Attraktors A in den i-ten Hyperwürfel mit Kantenlänge r fällt. N ist die Gesamtzahl aller Punkte auf dem Attraktor A. N
i ist die Anzahl der Punkte im i-ten Hyperwürfel.
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In einer besonders vorteilhaften Ausgestaltung wird die Dimension d aus einer doppelt logarithmischen Auftragung eines aus Punkten Y1, ..., YM der Trajektorie ermittelten Korrelationsintegrals Cm (r) über der Kantenlänge r der Hyperwürfel ermittelt wird. Hierbei ist M nach Maßgabe einer Embedded-Dimension m des technischen Systems unter N vermindert ist. m wird auch Einbettungs-Dimension genannt. Hierhinter steckt die Erkenntnis, dass die M Variablen im Phasenraum auch Information über die restlichen N - M Variablen enthalten. Die Embedded-Dimension m ist derjenige Wert von m, bei dem die Dimension d in die Sättigung geht. Dieser Wert kann beispielsweise auch anhand einer Singularwertzerlegung ermittelt werden.
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Die Embedded-Dimension m kann beispielsweise auch ermittelt werden, indem m schrittweise erhöht wird und für jeden Wert von m die fraktale Dimension dF (oder eine andere Invariante) des technischen Systems berechnet wird. m wird so lange erhöht, bis die fraktale Dimension dF fast erhalten bleibt. Dieser Wert von dF ist dann die fraktale Dimension des rekonstruierten Attraktors, die auch als fraktale Dimension des ursprünglichen Attraktors angesehen werden kann. Üblicherweise ist m ≥ 2dF ausreichen.
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Die Dimension d
1 erster Ordnung kann beispielsweise zu
ermittelt werden. Für eine große Anzahl von Hyperwürfeln sollte dieser Ausdruck im Wesentlichen unabhängig vom Index i eines konkreten Hyperwürfels sein. Die Statistik lässt sich noch weiter verbessern, indem über mehrere Indizes i gemittelt wird. Mit einer Mittelung über alle Indizes i ergibt sich die Dimension d
2 zweiter Ordnung zu
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Hierin ist das Korrelationsintegral C
m (r) definiert durch
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Im Rahmen einer Echtzeit-Auswertung auf Embedded-Systemen, wie beispielsweise Mikrocontrollern, kann d2 beispielsweise erhalten werden, indem In Cm (r) in Abhängigkeit von r numerisch ermittelt und über ln r aufgetragen wird.
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Hierbei ist nur ein Bereich zwischen einer minimalen Kantenlänge rmin und einer maximalen Kantenlänge rmax der Hyperwürfel relevant. Für Kantenlängen r < rmin ist die Statistik schlecht, weil in jedem Hyperwürfel zu wenige Punkte liegen. Für Kantenlängen r > rmax führen nichtlineare Effekte zu einer Abweichung von der Geraden, deren Steigung d2 zu bestimmen ist. Die Grenzen rmin und rmax können beispielsweise experimentell für das technische System bestimmt werden.
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Damit im Intervall zwischen r
min und r
max genügend Punkte liegen, ist vorteilhaft die Gesamtanzahl N der Datenpunkte entsprechend der Nerenberg-Gleichung größer als
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Hierin ist Γ (x) die Gamma-Funktion, k = rmax/rmin, und E ist der vorgebene, maximal zulässige Fehler der Schätzung.
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Es muss aber nicht erst die Dimension d2 bestimmt werden, um zu entscheiden, ob die Dynamik des Systems vollständig beschrieben ist. Vielmehr kann das vorgegebene Kriterium alternativ oder in Kombination hierzu auch beinhalten, dass die Trajektorie Y1, ..., YN, und/oder die doppelt logarithmische Auftragung von Cm (r) über r, in der Nähe einer Trajektorie bzw. Auftragung liegt, für die bereits bekannt ist, dass sie eine vollständige Beschreibung der Dynamik des Systems durch die Erfassung mit den Sensoren und die Differentialgleichung anzeigt. Diese Auswertungen haben den Vorteil, dass ganze Kurvenverläufe herangezogen werden können. Die Auswertung ist also detaillierter als der bloße Vergleich zweier Zahlen.
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In einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung wird Verhalten des technischen Systems in einer Vielzahl von Betriebssituationen beobachtet und/oder simuliert. Weiterhin wird für jede Betriebssituation jeweils einerseits der Attraktor A, und/oder die Dimension d, und/oder die doppelt logarithmische Auftragung von Cm (r) über r, und andererseits ein Chaos-Indikator dahingehend, inwieweit sich das technische System chaotisch verhält, ermittelt. Auf diese Weise kann Vergleichsmaterial erworben werden, das später für die Entscheidung herangezogen werden kann, ob denn jetzt ein neuer Attraktor A, eine neue Dimension d, eine neue Trajektorie Y1, ...,YN, und/oder eine neue doppelt logarithmische Auftragung Cm (r) über r, auf ein der Differentialgleichung genügendes Verhalten oder aber auf ein chaotisches Verhalten des Systems hindeutet.
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Eine wichtige Nutzanwendung des Verfahrens ist, dass eine Steuerlogik für das technische System, welche die Dynamik des Systems auf der Basis der Erfassung mit den Sensoren und der Differentialgleichung vorhersagt und anhand dieser Vorhersage Steuereingriffe ermittelt, auf sichere Funktion überprüft werden kann. Es kann also geprüft werden, ob sich das System so verhalten wird, wie es die Differentialgleichung vorhersagt, oder ob es anhand der von den Sensoren gelieferten Messwerte Anhaltspunkte dafür gibt, dass das technische System sich anders verhalten wird. In letzterem Fall könnte ein von der Steuerlogik auf der Basis der Vorhersage ermittelter Steuereingriff der Situation, in der sich das technische System tatsächlich befindet, nicht angemessen sein. Eine solche Prüfung kann sowohl im Rahmen der Auslieferung und Zulassung (Release) der Steuerlogik als auch online während des laufenden Betriebes erfolgen.
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Hintergrund ist, dass jede Beschreibung des technischen Systems mit einer Differentialgleichung und sensorisch erfassten Messwerten auf einer Modellierung des technischen Systems beruht. Der Detaillierungsgrad dieser Modellierungen wird so gewählt, dass die für den Betrieb des technischen Systems relevanten Phänomene erfasst werden, während das Modell gleichzeitig mit vorgegebenen Hardwareressourcen in vorgegebener Zeit berechnet werden kann. So reicht beispielsweise für die grobe Beschreibung der Bewegung von Planeten die Modellierung der Erde als Massenpunkt. Für die Planung eines Fluges zum Mond muss die Erde bereits als massive Kugel modelliert werden. Um die Dynamik von Satelliten genau zu beschreiben, reicht auch dies nicht mehr aus, denn hier wirken sich sowohl die Topographie der Erdoberfläche als auch die inhomogene Massenverteilung aus.
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Es kann auch während des laufenden Betriebes des technischen Systems Situationen geben, in denen eine Modellierung plötzlich nicht mehr ausreicht und eine detaillierte Modellierung benötigt würde, um die Dynamik des Systems hinreichend genau zu beschreiben. Beispielsweise kann bei einer Fahrt auf der Landstraße über weite Strecken eine Modellierung der Verkehrssituation ohne genaue Tiefeninformation genügen, weil nur auf das Einhalten der eigenen Fahrspur und auf Verkehrszeichen geachtet werden muss. Wenn nun aber plötzlich ein Fahrzeug des Gegenverkehrs zum Überholen ausschert und dem eigenen Fahrzeug frontal entgegenkommt, hängt die weitere Entwicklung der Situation davon ab, wie schnell sich der Überholende nähert und ob er noch rechtzeitig am Überholten vorbeiziehen kann, um es auf seine Fahrspur zurückzuschaffen. Hierfür wird verlässliche Tiefeninformation der Verkehrssituation benötigt.
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Daher wird in einer besonders vorteilhaften Ausgestaltung in Antwort auf die Feststellung, dass die Erfassung mit den Sensoren und die Differentialgleichung das System vollständig beschreiben, anhand der Differentialgleichung eine Prognose für den Zustand des technischen Systems in der Zukunft ermittelt. Anhand dieser Prognose wird ein Ansteuersignal ermittelt. Das System wird mit diesem Ansteuersignal angesteuert. Es kann dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass diese Ansteuerung des technischen Systems der tatsächlichen Situation, in der sich das technische System befindet, angemessen ist.
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Sollte hingegen festgestellt werden, dass die Erfassung mit den Sensoren und die Differentialgleichung das System nicht vollständig beschreiben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, hierauf zu reagieren.
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Beispielsweise kann eine neue Konfiguration von Sensoren, und/oder eine neue Differentialgleichung, aufgestellt werden. Das Prüfverfahren kann dann ausgehend von der so gebildete neue Kombination aus Sensorkonfiguration und einer Differentialgleichung erneut gestartet werden. Hiermit kann insbesondere beispielsweise das Ziel verfolgt werden, mit einer detaillierten sensorischen Erfassung und/oder Modellierung die Dynamik des technischen Systems nunmehr vollständig zu beschreiben. In dem vorgenannten Beispiel mit der Verkehrssituation, in der der Überholer ausschert, kann beispielsweise zusätzlich zu einer oder mehreren zuvor genutzten Kameras ein Radarsensor zugeschaltet werden, um die Dynamik des Überholers und des Überholten in Fahrtrichtung genau zu erfassen.
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Es kann auch beispielsweise ein Arbeitspunkt des technischen Systems verändert und das Verfahren ausgehend von in dem neuen Arbeitspunkt von den Sensoren gelieferten Messwerten neu gestartet werden. Wenn beispielsweise die Belichtungseinstellung für eine Kamera ungeeignet ist und ein Teil des Bildes in die Sättigung am oberen oder unteren Rand der Intensitätsskala gerät, kann dies dazu führen, dass die von der Kamera gelieferten Bilder zu wenig Information für eine vollständige Erfassung einer Verkehrssituation enthalten.
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Alternativ oder in Kombination hierzu kann in Antwort auf die Feststellung, dass die Erfassung mit den Sensoren und die Differentialgleichung das System nicht vollständig beschreiben, das technische System in seiner Funktionalität eingeschränkt, in einen sicheren Zustand versetzt oder deaktiviert werden. Beispielsweise kann die Fahrgeschwindigkeit eines zumindest teilweise automatisiert fahrenden Fahrzeugs reduziert werden, oder es können Überholmanöver unterbunden werden. Das Fahrzeug kann auch beispielsweise auf einer vorgeplanten Notstopp-Trajektorie zum Stillstand gebracht werden. Es kann auch beispielsweise ein Bediener, etwa ein Fahrer, zur Übernahme der Kontrolle über das System aufgefordert werden.
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Besonders vorteilhaft kann ein technisches System gewählt werden, dessen Dynamik durch eine Euler-Lagrange-Gleichung beschreibbar ist. An Lösungen der Euler-Lagrange-Gleichung lässt sich besonders gut ablesen, ob das technische System durch die Gleichung und die darin verarbeiteten sensorischen Informationen vollständig beschrieben ist: Eine analytische Lösung der Euler-Lagrange-Gleichung korrespondiert unter bestimmten Allgemeinheitsbedingungen zu mindestens einer Trajektorie, für die eine Aussage dahingehend gemacht werden kann, dass ausgehend von dieser zurückliegenden Trajektorie das System im jetzigen Zeitpunkt vollständig durch die Euler-Lagrange-Gleichung und die Messwerte beschrieben ist. Die Analyse von Attraktoren A und Dimensionen d ist jedoch numerisch wesentlich einfacher durchzuführen als eine Untersuchung der analytischen Lösungen der Euler-Lagrange-Gleichung.
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Wie zuvor erläutert, kann insbesondere beispielsweise ein Fahrzeug, und/oder eine Verkehrssituation mit mehreren Verkehrsteilnehmern, als technisches System gewählt werden. Gerade Verkehrssituationen können sich im laufenden Betrieb schnell von normalen Situationen zu kritischen Situationen entwickeln, in denen eine zuvor verwendete einfache Modellierung möglicherweise nicht mehr gültig ist. Auch sind gerade bei der Anwendung in Fahrzeugen die Hardwareressourcen für eine Prüfung auf vollständige Beschreibung knapp. Das hier vorgeschlagene Verfahren kann auf der Basis eines Ringpuffers, der eine Historie der zurückliegenden Messwerte über einen begrenzten Zeitraum aufbewahrt, arbeiten und mit Rechenoperationen auskommen, die auch auf einem Embedded-System mit wenig Rechenkapazität und Speicher schnell ausgeführt werden können. Daher wird das Verfahren vorteilhaft in Echtzeit auf einem Embedded-System, das in dem technischen System enthalten ist oder von ihm mitgeführt wird, ausgeführt.
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Das Verfahren kann insbesondere ganz oder teilweise computerimplementiert sein. Daher bezieht sich die Erfindung auch auf ein Computerprogramm mit maschinenlesbaren Anweisungen, die, wenn sie auf einem oder mehreren Computern ausgeführt werden, den oder die Computer dazu veranlassen, das beschriebene Verfahren auszuführen. In diesem Sinne sind auch Steuergeräte für Fahrzeuge und Embedded-Systeme für technische Geräte, die ebenfalls in der Lage sind, maschinenlesbare Anweisungen auszuführen, als Computer anzusehen.
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Ebenso bezieht sich die Erfindung auch auf einen maschinenlesbaren Datenträger und/oder auf ein Downloadprodukt mit dem Computerprogramm. Ein Downloadprodukt ist ein über ein Datennetzwerk übertragbares, d.h. von einem Benutzer des Datennetzwerks downloadbares, digitales Produkt, das beispielsweise in einem Online-Shop zum sofortigen Download feilgeboten werden kann.
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Weiterhin können ein oder mehrere Computer mit dem Computerprogramm, mit dem maschinenlesbaren Datenträger bzw. mit dem Downloadprodukt ausgerüstet sein.
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Weitere, die Erfindung verbessernde Maßnahmen werden nachstehend gemeinsam mit der Beschreibung der bevorzugten Ausführungsbeispiele der Erfindung anhand von Figuren näher dargestellt.
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Ausführungsbeispiele
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Es zeigt:
- 1 Ausführungsbeispiel des Verfahrens 100;
- 2 Beispiele für doppelt logarithmische Auftragungen von Cm (r) über r.
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1 ist ein schematisches Ablaufdiagramm eines Ausführungsbeispiels des Verfahrens 100 zur Prüfung, ob die Kombination aus einer Erfassung des Zustandes eines technischen Systems 1 mit mehreren Sensoren 2a-2c und einer Differentialgleichung in den von diesen Sensoren 2a-2c gelieferten Messwerten 3a-3c die Dynamik dieses technischen Systems 1 vollständig beschreibt.
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In Schritt 110 wird mindestens eine zu N diskreten Zeitpunkten abgetastete Trajektorie Y1, ..., YN in einem durch die von den Sensoren 2a-2c gelieferten Messwerte 3a-3c aufgespannten Phasenraum 4 bereitgestellt. Hierbei kann gemäß Block 111 der Phasenraum 4 in Hyperwürfel einer Kantenlänge r diskretisiert werden.
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In Schritt 120 wird aus der Trajektorie Y1, ..., YN ein zugehöriger Attraktor A, und/oder eine Dimension d dieses Attraktors A, zumindest näherungsweise ausgewertet.
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Gemäß Block 121 kann das Auswerten 120 des Attraktors A umfassen, eine Näherung des Attraktors A an die Trajektorie Y1, ..., YN anzupassen.
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Gemäß Block 122 kann die Dimension d auf der Basis der Kapazität des Attraktors A zu
ermittelt werden, worin M(r) die minimale Anzahl von Hyperwürfeln der Kantenlänge r im Phasenraum ist, die benötigt wird, um den Attraktor A abzudecken.
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Gemäß Block 123 kann die Dimension d anhand von Wahrscheinlichkeiten, dass bestimmte den Attraktor A abdeckende Hyperwürfel von der Trajektorie aufgesucht werden, ermittelt werden. Es kann dann insbesondere beispielsweise gemäß Block 123a die Dimension d zu
ermittelt werden. Hierin ist q die Ordnung der Trajektorie Y
1, ..., Y
N· p
i = N
i / N ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Punkt des Attraktors A in den i-ten Hyperwürfel mit Kantenlänge r fällt. N ist die Gesamtzahl aller Punkte auf dem Attraktor A. N
i ist die Anzahl der Punkte im i-ten Hyperwürfel.
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Gemäß Block 124 kann die Dimension d aus einer doppelt logarithmischen Auftragung eines aus Punkten Y1, ..., YM der Trajektorie ermittelten Korrelationsintegrals Cm (r) über der Kantenlänge r der Hyperwürfel ermittelt werden. Hierbei ist M nach Maßgabe einer Embedded-Dimension m des technischen Systems unter N vermindert.
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In Schritt 130 wird geprüft, ob der Attraktor A, bzw. die Dimension d, ein vorgegebenes Kriterium 5 erfüllt.
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Hierbei kann gemäß Block 131 das vorgegebene Kriterium 5 beinhalten, dass die Dimension d des Attraktors A
- • unterhalb eines vorgegebenen Schwellwerts liegt, und/oder
- • in der Nähe eines Werts d* der Dimension d liegt, für den bereits bekannt ist, dass er eine vollständige Beschreibung der Dynamik des Systems durch die Erfassung mit den Sensoren 2a-2c und die Differentialgleichung anzeigt.
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Alternativ oder in Kombination hierzu kann gemäß Block 132 das vorgegebene Kriterium 5 beinhalten, dass die Trajektorie Y1, ..., YN, und/oder die doppelt logarithmische Auftragung von Cm (r) über r, in der Nähe einer Trajektorie bzw. Auftragung liegt, für die bereits bekannt ist, dass sie eine vollständige Beschreibung der Dynamik des Systems durch die Erfassung mit den Sensoren 2a-2c und die Differentialgleichung anzeigt.
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Gemäß Block 107 kann das Verhalten des technischen Systems 1 in einer Vielzahl von Betriebssituationen beobachtet und/oder simuliert werden. Es kann dann gemäß Block 108 für jede Betriebssituation jeweils einerseits der Attraktor A, und/oder die Dimension d, und/oder die doppelt logarithmische Auftragung, und andererseits ein Chaos-Indikator 10 dahingehend, inwieweit sich das technische System chaotisch verhält, ermittelt werden. Diese Informationen können bei der Auswertung 130 des vorgegebenen Kriteriums 5 als Vergleichsmaterial herangezogen werden.
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Als technisches System 1 kann gemäß Block 105 insbesondere beispielsweise ein technisches System 1 gewählt werden, dessen Dynamik durch eine Euler-Lagrange-Gleichung beschreibbar ist.
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Gemäß Block 106 kann insbesondere beispielsweise ein Fahrzeug, und/oder eine Verkehrssituation mit mehreren Verkehrsteilnehmern, als technisches System 1 gewählt werden.
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In Antwort auf die Feststellung in Schritt 140a, dass die Erfassung mit den Sensoren 2a-2c und die Differentialgleichung das System 1 vollständig beschreiben, kann in Schritt 150 anhand der Differentialgleichung eine Prognose 6 für den Zustand des technischen Systems 1 in der Zukunft ermittelt werden. Anhand dieser Prognose kann in Schritt 160 ein Ansteuersignal 7 ermittelt werden. In Schritt 170 kann dann das System 1 mit diesem Ansteuersignal 7 angesteuert werden.
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In Antwort auf die Feststellung in Schritt 140b, dass die Erfassung mit den Sensoren 2a-2c und die Differentialgleichung das System 1 nicht vollständig beschreiben, sind verschiedene Reaktionen möglich.
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In Schritt 180 kann eine neue Konfiguration 8a von Sensoren 2a-2c, und/oder eine neue Differentialgleichung 8b, aufgestellt werden. In Schritt 190 kann dann das Verfahren 100 ausgehend von der so gebildeten neuen Kombination aus Sensorkonfiguration und einer Differentialgleichung erneut gestartet werden.
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In Schritt 200 kann ein Arbeitspunkt 9 des technischen Systems 1 verändert werden. In Schritt 210 kann dann das Verfahren 100 ausgehend von in dem neuen Arbeitspunkt 9 von den Sensoren 2a-2c gelieferten Messwerten 3a-3c neu gestartet werden.
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In Schritt 220 kann das technische System 1 in seiner Funktionalität eingeschränkt, in einen sicheren Zustand versetzt oder deaktiviert werden. Alternativ oder auch in Kombination hierzu kann in Schritt 230 ein Bediener zur Übernahme der Kontrolle über das System 1 aufgefordert werden.
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2a zeigt eine Verkehrssituation 20 an einer Kreuzung als technisches System 1. Die Verkehrssituation 20 enthält drei Verkehrsteilnehmer 21, 22 und 23, die sich jeweils in Fahrtrichtungen 21a, 22a und 23a bewegen.
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Die 2b und 2c zeigen beispielhafte doppelt logarithmische Auftragungen des Korrelationsintegrals Cm (r) über der Kantenlänge r der Hyperwürfel, in die der Phasenraum 4 jeweils diskretisiert wird. Die Kurven wurden jeweils aus Trajektorien Y1, ..., YN ermittelt. Für die mit - bezeichneten Kurven ist bekannt, dass die Verkehrssituation 20 im Anschluss an die jeweils untersuchte Trajektorie Y1, ..., YN chaotisches Verhalten zeigte. Für die mit + bezeichneten Kurven ist bekannt, dass die Verkehrssituation 20 sich im Anschluss an die jeweilige Trajektorie Y1, ...,YN entsprechend der Vorhersage durch die Euler-Lagrange-Gleichung verhielt.
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Wenn nun eine neue Trajektorie Y1, ..., YN untersucht und eine neue doppelt logarithmische Auftragung von Cm (r) über r ermittelt wird, kann geprüft werden, ob diese Auftragung eher zu einer mit + bezeichneten Kurve oder eher zu einer mit - bezeichneten Kurve ähnlich ist. In ersterem Fall wird sich die Verkehrssituation 20 im Folgenden entsprechend der Vorhersage durch die Euler-Lagrange-Gleichung entwickeln. In letzterem Fall gibt es hierfür keine Garantie; vielmehr kann die Verkehrssituation 20 jederzeit in chaotisches Verhalten abgleiten.
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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