-
Hintergrund der Erfindung
-
Bei der chirurgischen Navigation im Rahmen minimal-invasiver Eingriffe besteht ein technologisches Schlüsselproblem in der intraoperativen Bereitstellung der Pose bestehend aus Position (x, y, z) und Orientierung (Winkel ϕ, θ, ψ) des Laparoskops sowie weiterer starrer OP-Instrumente [1].
-
Insbesondere die Verdeckung des OP-Instrumentariums durch Ärzte, OP-Personal und OP-Lampen erschwert den Einsatz eines optischen Trackingsystems signifikant. Da dessen Kameras eine direkte Sichtverbindung auf die an den Instrumenten angebrachten Infrarotreflektoren benötigen, wird das Positionssignal durch Verdeckungen unterbrochen.
-
Dieses Szenario entspricht dem allgemeinen Problem der Schätzung der Position und Orientierung (d. h. aller sechs Freiheitsgrade) von Objekten in Innenräumen, das gemeinhin als Indoornavigationsproblem oder Indoor GPS bezeichnet und im Zuge von Industrie 4.0 zu einer notwendigen Schlüsseltechnologie wird.
-
Es existieren mannigfaltige Szenarien, in denen Innenraumnavigation benötigt wird. Hier seien Anwendungen aus der Montagetechnik, Lagertechnik sowie fertigungstechnische Prozesse genannt. Viele Anwendungen aus diesem Internet der Dinge werden erst realisierbar und somit kommerzialisierbar, wenn die Position der ”Dinge” in Echtzeit ermittelt werden kann. Hierzu soll das in diesem Patent beschriebenen Indour-GPS einen Beitrag leisten.
-
Die Positionsbestimmung im Freien mit Hilfe der globalen Satellitennavigation (Navstar GPS, Galileo, Glonass) kann spätestens seit der ubiquitären Verfügbarkeit von GPS-Hardware für den Consumer-Markt als gelöstes Problem betrachtet werden. Für die Positionsbestimmung in Innenräumen hingegen existiert solch eine Standardlösung nicht. Vielmehr ist die innerräumliche Positionsbestimmung geprägt durch eine Vielzahl individueller Insellösungen, die je nach Anwendungsfall (Genauigkeit, Arbeitsraum, Kostenrahmen, etc.) ausgewählt und angepasst werden müssen.
-
Zusammenfassung der Erfindung
-
Das vorgestellte Innenraumnavigationssystem erweitert Konzepte der globalen Satellitennavigation sowie der Technologie des MIT Cricket Systems [2] und Methoden der Systemdynamik. Dadurch entsteht ein international einzigartiges System zur Innenraumnavigation.
-
Genauer gesagt wird die Grundidee des GPS unter Verwendung von Ultraschall auf Innenräume übertragen. Der wesentliche Unterschied zum GPS besteht allerdings darin, dass im vorgestellten System zwei komplementäre Kanäle simultan eingesetzt werden. Neben Ultraschall ist dies Infrarot. Die Signallaufzeit des Infrarot beträgt bei den Abmessungen typischer Innenräume wenige Nanosekunden. Die Signallaufzeit des Ultraschalls liegt mit mehreren Millisekunden um etliche Größenordnungen darüber. Aus der Laufzeitdifferenz zweier Signale, die zeitgleich über beide Kanäle abgeschickt und an einem Empfänger detektiert werden, kann somit die Laufzeit des Ultraschalls approximiert und daraus mit Hilfe der Schallgeschwindigkeit die Distanz zwischen Sender und Empfänger ermittelt werden, s. . Die Technik gleicht der Methode, die zur Entfernungsermittlung eines nahenden Gewitters zum Einsatz kommt: Der Zeitunterschied zwischen Blitz (Infrarot) und Donner (Ultraschall) ergibt bei Kenntnis der Schallgeschwindigkeit die Entfernung zum Gewitter (Sender). Der Einsatz eines speziellen Codes (sog. Gold Code) ermöglicht die Differenzierung vieler Sender.
-
Abgleich mit dem Stand der Technik
-
Aktuell kommen Innenraumnavigationssysteme hauptsächlich in der Prototypenentwicklung, Forschung, Manufaktur von Sonder- und Einzelanfertigungen sowie in künstlerischen Bereichen zum Einsatz. Es handelt sich hierbei stets um avantgardistische Inselanwendungen, die nicht in großer Anzahl vorliegen.
-
In den Fällen, wo die Innenraumnavigation nur während der Entwicklung benötigt wird (z. B. Motion Capturing für Filmanimationen), tritt die Wirtschaftlichkeit der Navigationslösung in den Hintergrund. Hier eignen sich hochpreisige optische Technologien.
-
In vielen Fällen jedoch bildet die Positionierung einen integralen Bestandteil des Gesamtprodukts oder -prozesses. Dies ist z. B. im Rahmen der chirurgischen Navigation der Fall, wo jeder OP-Saal mit einem Navigationssystem ausgestattet werden muss. Die Navigation muss also permanent, und nicht nur einmalig aktiv sein.
-
Derzeit existieren am Markt einige kommerzielle Systeme zur Innenraumnavigation. Aufgrund der Genauigkeitsanforderungen werden Systeme basierend auf RFID oder Wi-Fi von vornherein ausgeblendet. In der engeren Auswahl stehen damit optische sowie opto-akustischee Systeme.
-
Mit optischen Systemen ergibt sich die Möglichkeit, Starrkörper mit einer Genauigkeit besser als 1 mm zu verfolgen. Diese Systeme funktionieren technologisch jedoch völlig anders als das in diesem Patent beschriebene opto-akustische System. Bei optischen Systemen wird die Position der zu verfolgenden Starrkörper mittels Bildverarbeitung ermittelt. Darüber hinaus weisen sie bauartbedingt aufgrund der Optiken sehr hohe Preise auf.
-
Da das in diesem Patent beschriebene System dem kommerziellen Produkt nexonar am ähnlichsten ist, erfolgt der technologische Vergleich vertieft mit diesem. Die Genauigkeit liegt wie bei den optischen Systemen ebenfalls im Submillimeterbereich. Zu beachten ist allerdings, dass mit dem System nexonar nur vier Sendepunkte und damit ein Starrkörper im Arbeitsvolumen verfolgt werden kann. Auch eine Vergrößerung des Arbeitsvolumens durch weitere Empfänger schafft hier keine Abhilfe. Dies ist begründet in der Tatsache, dass nexonar Schallpulse sendet. Es kommt also ein Zeitmultiplex (TDMA) anstelle eines Codemultiplex (CDMA) zum Einsatz. Die einzelnen Sender können nicht voneinander differenziert werden. Die im vorliegenden Patent beschriebene Erfindung behebt diese technologische Schwäche.
-
Neben kommerziell verfügbaren Systemen arbeiten international etliche Forschergruppen im Bereich der Innenraumnavigation.
-
Bildbasierte Ansätze werden u. a. in der Forschergruppe um A. Zakhor verfolgt. In [3] wird ein System zur bildbasierten Lokalisation in Innenräumen beschrieben. Der Positionsfehler liegt im einstelligen Meterbereich.
-
Auch die Gruppe um G. Trommer verfolgt solche bildbasierten Ansätze [4]. Diese werden zudem kombiniert mit komplementären Messsystemen wie GPS und Inertialsensorik [5]. Sog.
-
Ultrawideband-Signale kommen in [6] zur Positionsbestimmung in industriellen Hallen zum Einsatz. Die Standardabweichung des Positionsfehlers liegt im niedrigen zweistelligen Zentimeterbereich. Die Dissertation von N. B. Priyantha [2] beschreibt das MIT Cricket System. Kern dieses Systems bildet die Positionsmessung über die Messung des Laufzeitunterschieds zwischen einem Infrarotpuls und einem Ultraschallpuls.
-
Schließlich bietet die Habilitationsschrift von R. Mautz [7] einen sehr guten Überblick auf weitere aktuelle Forschungstrends und Technologien zur Positionsbestimmung in Innenräumen. Sie alle aufzuzählen würde den Rahmen dieses Patents sprengen.
-
Im Folgenden wird die Erfindung mit thematisch verwandten Patenten und anderen Publikationen verglichen. Eine kurze Stellungnahme hebt die Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede hervor.
-
Stellungnahme zum Patent FR2692363
-
Methode
-
Das Patent [8] erhebt Ansprüche auf die Entfernungsmessung mittels elektromagnetischer Wellen und Ultraschallwellen. Dabei wird die unterschiedliche Laufzeit der beiden Wellenarten zur Entfernungsmessung herangezogen. Zusätzlich kann das Signal moduliert werden, d. h. es wird eine Information auf das Signal aufgeprägt.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
Wir verwenden ebenfalls die Laufzeitmessung von Ultraschallwellen bzw. die Laufzeitdifferenz zwischen Ultraschallwellen und elektromagnetischen Wellen, wobei für die elektromagnetischen Wellen näherungsweise angenommen wird, dass sie sich instantan ausbreiten. Auch die Modulation des Ultraschallsignals wird genutzt, um mit Hilfe von Korrelationsverfahren Störungen durch Reflektionen oder Mehrwegausbreitung zu unterdrücken.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
Die in unserer Erfindungsmeldung vorgestellte Methode umfasst das Vorgehen in [8], enthält allerdings noch ein weitergehendes Merkmal: Durch Messung der Phase des Ultraschallsignals kann eine Genauigkeit bis in den Subwellenlängenbereich der Ultraschallwellen (Wellenlänge λ ≈ 8.5 mm) erreicht werden.
-
Stellungnahme zur Patentanmeldung WO 2005/112775 A1
-
Methode
-
Die Patentanmeldung [9] erhebt Ansprüche auf ein System zur Positionierung eines medizinischen Geräts und der Ablation von Gewebe. Dabei wird insbes. der Anspruch auf ein Navigationssystem erhoben, das ein dreidimensionales Referenzsystem bietet und die Position einer Energiequelle in diesem Referenzsystem bestimmen kann.
-
Es wird allerdings nicht auf das technologische Prinzip der Navigation eingegangen.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
Die einzige Gemeinsamkeit mit unserere Methode besteht in der Einführung eines dreidimensionalen Referenzsystems, in dem die Pose (Position und Orientierung) des OP-Instruments angegeben wird.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
Die Patentanmeldung [9] geht nicht auf die technologische Realisierung der Navigation ein.
-
Stellungnahme zur Arbeit von Winkler
-
Methode
-
Die studentische Arbeit [10] gibt einen Überblick über die Verfahren der Triangulation und Trilaterion bzw. Multilateration. Sämtliche Beschreibungen finden sich bereits in der einschlägigen Fachliteratur.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
Es wird eine Laufzeitmessung von Ultraschallwellen verwendet.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
In [10] wird das Signal nicht moduliert, zudem wird auch nicht die Phaseninformation genutzt. Es ergeben sich Abweichungen von 1–3 cm, die deutlich über der von den Erfindern angestrebten Genauigkeit im Subwellenlängenbereich liegen.
-
Stellungnahme zur Arbeit von Kalbacher
-
Methode
-
Die studentische Arbeit [11] beschreibt einen Roboter, der mit Hilfe von Ultraschallsensoren den Abstand zu einer Wand berechnet. Hierbei wird ausgenutzt, dass Ultraschallwellen an einer Wand reflektiert werden. Das Verfahren entspricht der Einparkhilfe, die man heutzutage in vielen PKW findet.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
Ultraschallwellen werden laufzeitbasiert zur Entfernungsmessung verwendet.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
In [11] kommt die Reflexion von Ultraschallwellen als physikalisches Prinzip zum Einsatz, wohingegen unsere Methode je einen Sender und einen Empfänger nutzt, zwischen denen die Ultraschallwellen gesendet werden.
-
Darüberhinaus kommen Modulation und Berücksichtigung der Trägerphase nicht zum Einatz.
-
Stellungnahme zur Patentanmeldung CN101770236
-
Methode
-
In der Patentanmeldung [12] wird als Erfindung die Regelung eines Reinigungsroboters beschrieben. Dieser Reinigungsroboter kann auf öffentlichen Plätzen und Straßen eingesetzt werden. Die Navigation des Roboters erfolgt mit GPS. Zur Erkennung des zu entfernenden Mülls kommen Bilderkennung sowie Ultraschallwellen zum Einsatz. Zudem verfügt der Roboter über einen Arm zum Aufsammeln des Mülls.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
Es ist nur der Abriss (Abstract) von [12] verfügbar. Auf die Ansprüche kann nicht zugegriffen werden. Dennoch kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die Erfindung nichts mit unserem Nahbereichsnavigationssystem zu tun hat.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
In [12] wird das GPS-System zur Navigation genutzt, wohingegen unsere Erfindung die Methoden der globalen Satellitennavigation (deren prominentester Vertreter das GPS ist) verwendet, um daraus ein ultraschallbasiertes Navigationssystem zu entwickeln.
-
In [12] wird also ein existierendes Navigationssystem für eine spezielle Aufgabe (Navigation eines Reinigungsroboters) genutzt, wohingegen unsere Erfindung das Navigationssystem selbst zum Gegenstand hat.
-
Der Ultraschall wird in [12] augenscheinlich zur Detektion der (Müll-)Umrisse verwendet, ähnlich wie bei einem Einparksensor. In unserer Erfindung hingegen wird das Ultraschallsignal als Trägersignal genutzt: Es wird moduliert und zusätzlich wird auch noch dessen Phase als Messgröße mit einbezogen.
-
Stellungnahme zum Patent US005873830A
-
Methode
-
Im Patent [13] wird der Einsatz eines Arrays aus Ultraschallwandlern in einem Ultraschallbildgebungssystem (Claim 1) beansprucht. Darüberhinaus werden Bildverarbeitungsverfahren beansprucht (Claim 23, 29 und 51). Die Ansteuerung der Wandler wird in Claim 27 beansprucht, wobei auch hier nur der Einsatz im Ultraschallbildgebungssystem erwähnt wird. Die Verarbeitung der Bildbewegung wird in Claim 67 beansprucht.
-
Die restlichen unabhängigen Ansprüche beziehen sich im Wesentlichen auf weitere Bildverarbeitungsmethoden sowie eine teilweise Automatisierung des Bildaufnahmeprozesses.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
Das Patent [13] hat bis auf die Verwendung von Ultraschall keinerlei Gemeinsamkeiten mit unserer Erfindung.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
Im Patent [13] wird ein bildgebendes Verfahren auf Basis von Ultraschall beschrieben (ähnlich wie Untersuchungen an ungeborenen Kindern), wohingegen unsere Erfindung ein (ultraschallbasiertes Nahbereichs-)Navigationssystem beschreibt.
-
Stellungnahme zur Offenlegungsschrift DE 10 2011 01 932 A1
-
Methode
-
In der Offenlegungsschrift [14] wird im Wesentlichen ein Navigationssystem zur Trilateration mit Hilfe von Ultraschallwellen beschrieben.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
Das System ist eine Teilmenge unseres Systems. Wir werden ebenfalls Trilateration mit Hilfe von Ultraschallwellen verwenden.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
Ein wesentlicher Neuheitsgrad unserer Erfindung gegenüber der Offenlegungsschrift [14] ist die Nutzung der Phase des Trägersignals zur hochgenauen Positionsbestimmung, da die Messung der Laufzeiten nur eine mäßige Ortsauflösung ermöglicht. Darüberhinaus nutzen wir mehrere Ultraschallwandler pro Objekt zur Berechnung der Orientierung. In der Offenlegungsschrift [14] wird zwar bereits die Richtung der Objekte berechnet (was im zweidimensionalen Fall der Orientierung entspricht), allerdings bleiben dreidimensionale Betrachtungen dort bisher komplett außer Acht.
-
Unsere Methode hingegen ist von Beginn an dreidimensional ausgerichtet.
-
Stellungnahme zur Patentpublikation US 2010/0049051 A1
-
Methode
-
In der Patentpublikation [15] wird ein System beansprucht, das aus einem Ultraschalldiagnosegerät besteht und über ein Navigationssystem (z. B. GPS) seine Position bestimmen kann. Zudem verfügt das System über eine Krankenhausdatenbank.
-
Gemeinsamkeiten mit unserer Methode
-
In der Patentpublikation [15] geht es nicht um ein (ultraschallbasiertes Nahbereichs-)Navigationssystem, sondern um ein auf Ultraschall basierendes bildgebendes System, das zusätlich ein Navigationssystem nutzt. Die Erfindung hat daher keinerlei Gemeinsamkeiten mit unserer Erfindung.
-
Unterschied zu unserer Methode
-
In der Patentpublikation [15] wird ein Ultraschalldiagnosegerät beschrieben, das z. B. über GPS seine Position bestimmen kann, wohingegen unsere Erfindung ein ultraschallbasiertes Nahbereichsnavigationssystem zum Gegenstand hat.
-
Detailbeschreibung der Erfindung
-
Im Folgenden werden die Modularität, die genutzte Topologie, die Grundzüge des eingesetzten kinematischen Modells sowie die Multilateration mitsamt zwei komplementären Methoden zur Distanzmessung dargestellt. Ferner erfolgt die Beschreibung supplementärer Technologien wie der Trägheitsnavigation und Messung des Erdmagnetfelds, sowie systemdynamischer Methoden der Sensorfusion zur Verbesserung der Absolutpositionierung.
-
Modularität
-
Das vorgestellte Innenraumnavigationssystem zeichnet sich durch hohe Modularität aus. Die Grundfunktionalität der Positionsbestimmung kann bereits unter Verwendung von drei Infrarot- und Ultraschallempfängern an drei unterschiedlichen Orten, sowie durch einen Infrarot- und Ultraschallsender, der mit dem Code amplitudenmodulierte Signal versendet, etabliert werden. Bereits mit dieser Grundkonfiguration können zahlreiche Sendermodule bei vollständiger Abdeckung des Bereichs mit Empfängern lokalisiert werden.
-
Sollten höhere Genauigkeitsanforderungen vorliegen, kann das System durch optionale Zusatzfunktionen und -technologien wie der hochgenauen Phasenmessung, einer Inertialsensorik inkl. Kompass für hochdynamische Bewegungen und zur Orientierungsstützung, der damit verbundenen Sensorfusion sowie der Schätzung der Orientierung durch mehrere Sender pro zu verfolgendem Starrkörper Schritt für Schritt ergänzt werden.
-
Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Vollständigkeit wird daher im Folgenden das Basissystem inklusive der optionalen Zusatzfunktionen als Gesamtsystem beschrieben.
-
Topologie
-
Das System ist schematisch in dargestellt: An einem im Raum frei beweglichen, starren Objekt befindet sich ein (optional drei) Ultraschallsender US-TX (Piezos), ein Infrarotsender IR-TX (LED), optional ein Beschleunigungssensor, optional ein Gyroskop sowie optional ein Kompass. Im Raum sind ”Satelliten” verteilt, deren Position bekannt ist und die jeweils einen Ultraschallempfänger US-RX (Piezo), einen Infrarotempfänger IR-RX (Photodiode), optional einen Beschleunigungssensor und optional einen Kompass beheimaten.
-
Kinematisches Modell
-
Die Navigationslösung ist gekennzeichnet durch einen modellbasierten Ansatz. Die Beschreibung der Bewegung des starren Objekts, dessen Position bestimmt werden soll, erfolgt durch ein kinematisches Modell. Der systemdynamische Zustand x = (r, v, q) eines Starrkörpers setzt sich zusammen aus seiner Position r ∊ R3, seiner Geschwindigkeit v ∊ R3 und seiner Orientierung q ∊ H. Für letztere findet eine Darstellung als Quaternion Anwendung, welche gegenüber Euler- oder Kardanwinkel den Vorteil aufweist, dass keine Singularitäten auftreten. Aufgrund der Rotationsdynamik ergibt sich eine nichtlineare Kinematik.
-
Multilateration
-
Die Schätzung der Position erfolgt über einen Multilaterationsalgorithmus. Die Kernidee der Multilateration ist in dargestellt und liegt darin, die unbekannte Position r0 auf Basis der Distanzen zu bekannten Fixpunkten ri (den Satelliten) zu berechnen. Die einzelnen Distanzen bilden Kreise im Zweidimensionalen bzw. Kugeloberflächen im Dreidimensionalen. Deren Schnittpunkt stellt dann die Position dar. Der Algorithmus benötigt also mehrere (unilaterale) Distanzmessungen di = ||ri – r0||2 zwischen den Sendern und den Empfängern, im Speziellen zwischen den US-TX und US-RX. Aus zwei (im Zweidimensionalen) oder drei (im Dreidimensionalen) Positionsmessungen eines Objekts kann darüber hinaus dessen Orientierung berechnet werden [16].
-
Unilaterale Distanzmessung
-
Für die dreidimensionale Multilateration werden mindestens drei (unilaterale) Distanzmessungen dij zwischen US-TX i und US-RX j benötigt. Die Art der Distanzmessung bildet den eigentlichen Neuheitsgrad der in diesem Antrag zur Validierungsförderung beworbenen Innenraumnavigationslösung. Die prinzipielle Vorgehensweise ähnelt dem MIT Cricket System [2], indem am Sender simultan ein Infrarot- und ein Ultraschallsignal erzeugt wird. Da sich das Infrarotsignal mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet, kommt es innerhalb weniger Nanosekunden am Empfänger an. Die Ausbreitung kann in zulässiger Näherung als instantan betrachtet werden. Das IR-Signal dient damit zur Synchronisation. Das Ultraschallsignal hingegen breitet sich mit Schallgeschwindigkeit aus und benötigt eine Laufzeit von einigen Millisekunden, um zum Empfänger zu gelangen. Die gesuchte Distanz zwischen US-TX und US-RX ist damit proportional zur Laufzeitdifferenz zwischen IR- und US-Signal. Dies ist die entscheidende Idee, mit der ein einfaches Ultraschall/Infrarot Indoor GPS aufgebaut werden kann.
-
Laufzeit der Einhüllenden.
-
Im Gegensatz zu [2] wird beim vorliegenden System allerdings sowohl das IR- als auch das US-Signal mit einem Gold Code [17] moduliert, wie er vom Navstar GPS und der Mobilfunktechnologie bekannt ist. Durch Demodulation des empfangenen Signals und Korrelation mit dem bekannten Gold Code kann die Laufzeit zwischen IR- und US-Signal berechnet und zudem einem bestimmten Sender zugeordnet werden. Anders ausgedrückt wird das Zeitmultiplex-Verfahren (TDMA, Time Division Multiple Access) aus [2] durch ein Codemultiplex-Verfahren (CDMA, Code Division Multiple Access) ersetzt. Dieses Vorgehen ist im Bereich der ultraschallbasierten Innenraumnavigation international einzigartig. Die zeigt schematisch die Laufzeitmessung durch die code-modulierten IR- und US-Signale. Die Einhüllende des Ultraschallsignals benötigt die Laufzeit ΔtETF gegenüber der Einhüllenden des Infrarotsignals. Dies ist exakt die notwendige Verschiebung, um die beiden Einhüllenden zur Deckung zu bringen. Dieser Betriebsmodus wird Envelope Time-of-Flight (ETF) genannt.
-
Die (Quasi-)Orthogonalität der Gold Codes zueinander sowie bezüglich einer zeitlich verschobenen Instanz ihrer selbst impliziert zwei signifikante Merkmale dieser Art der Distanzmessung. Erstens lassen sich sämtliche US-TX voneinander differenzieren, so denn sie nicht den gleichen Gold Code einsetzen. Dies ermöglicht den parallelen Betrieb mehrerer Sender, wodurch erst die Schätzung der Orientierung sowie die simultane Verfolgung mehrerer Objekte pro Arbeitsraum möglich werden. Zweitens weist die Korrelation der empfangenen Einhüllenden mit dem bekannten Gold Code ein eindeutiges Maximum auf, was eine robuste und eindeutige Distanzmessung erlaubt.
-
Mehrwegausbreitungen im Allgemeinen und Reflexionen im Speziellen werden somit zuverlässig unterdrückt.
-
Tragerphasendifferenz.
-
Obgleich bereits die ausschließliche Auswertung der Codes (ETF Modus) eine Absolutpositionierung erlaubt, kann durch die Phasenauswertung (CPH Verfahren, s. unten) ergänzend die Genauigkeit weiter gesteigert werden. Inspiriert von der Technik des Differential Carrier GPS, welche durch Auswertung des Trägersignals die Genauigkeit des GPS signifikant erhöht, werden neben der Korrelation der Einhüllenden im vorliegenden System zusätzlich die Trägersignale sowohl des Infrarot- als auch des Ultraschallsignals ausgewertet. Dieser Carrier Phase Betriebsmodus wird im Folgenden mit CPH abgekürzt.
-
Da die Trägersignale (anstelle des modulierten Codes) verwendet werden, ermöglicht die Phasendifferenz dieser beiden Signale eine hochgenaue Distanzmessung im Subwellenlängenbereich, wobei die Wellenlänge λ ≈ 8.575 mm beträgt. Die Phasendifferenz ist allerdings mehrdeutig bezüglich der Addition einer ganzen Wellenlänge. Ihre Bestimmung erfolgt durch die Betrachtung der Nulldurchgänge der IR- und US-Träger, s. . Die Trägersignale werden hierzu bis zur Sättigung verstärkt, so dass die Nulldurchgänge in steigende Flanken übergehen, welche technisch leicht detektierbar sind.
-
Da für das Codemulitplexverfahren die ASK-CDMA (Amplitude Shift Keying CDMA) Technik genutzt wird [18], welche im Wesentlichen einer Amplitudenmodulation des Trägers mit dem Gold Code entspricht, stellen die Mittelpunkte der Codechips mit Wert ”1” geeignete Zeitpunkte zur Trägerphasendetektion dar. Zu diesem Zeitpunkt ist das Trägersignal vollständig eingeschwungen. Da die Träger im Zustand der stationären Oszillation ausgewertet werden, treten keine genauigkeitsreduzierenden transienten Effekte auf, wie es beispielsweise bei der Auswertung einzelner Pulse der Fall ist. Beim simultanen Betrieb mehrerer Sender muss darauf geachtet werden, dass die Chips der Codes der anderen Sender zum betrachteten Auswertungszeitpunkt den Wert ”0” aufweisen. Der Trägerphasenbetriebsmodus ist also im Gegensatz zum Modus der Einhüllendenlaufzeitdifferenz wesentlich sensibler gegenüber dem simultanen Betrieb mehrerer Sender. Die Verwendung einer PLL (phase-locked loop) in Verbindung mit einem BPSK-CDMA (Binary Phase Shift Keying CDMA) Modulationsverfahren reproduziert die Lokaloszillation empfängerseitig und eliminiert damit diese Einschränkung. Sie ist Gegenstand des Arbeitspakets 4.
-
Inertialsensorik
-
Um die Orientierungsschätzung zu verbessern kann optional Inertialsensorik zu Stützung eingesetzt werden. Zusätzlich zur opto-akustischen Messung kommt eine Inertialmesseinheit (IMU, Inertial Measurement Unit) in MEMS-Ausführung (Microelectromechanical Systems) zum Einsatz. Sie ist im Rahmen der sog. Strapdown Technik fest mit dem Starrkörper verbunden und liefert mit einer Abtastrate in der Größenordnung von einem Kilohertz hochfrequente Beschleunigungs- und Winkelgeschwindigkeitssignale. Da diese sowohl durch Nullpunktsabweichungen als auch durch Rauschen gestört sind, driften die durch Integration der IMU-Signale gewonnenen Positions- und Orientierungssignale innerhalb weniger Sekundenbruchteile vom wahren physikalischen Wert ab.
-
Die IMU ist daher nur bedingt zur Stützung der Position und Orientierung des verfolgten Starrkörpers während Verdeckungsphasen geeignet. Ohnehin wird angestrebt, Verdeckungen durch den Einsatz einer Vielzahl an preisgünstigen Empfängern generell zu vermeiden.
-
Zusätzlich zur Orientierungsstützung kann die IMU vorteilhaft im Rahmen der Fehlerdetektion eingesetzt werden, indem die Signale des opto-akustischen Systems plausibilisiert werden.
-
Aufgrund ihrer hochfrequenten Abtastrate eignet sie sich zudem hervorragend zur Integration sehr schneller Bewegungen, die vom opto-akustischen System aufgrund der Schalllaufzeit, v. a. jedoch aufgrund der endlichen Codelänge, nur verzögert abgebildet werden können.
-
Kompass
-
Optional kann zur Verbesserung der Orientierungsschätzung ein ebenfalls in MEMS Bauweise und Strapdown Technik realisierter Kompass eingesetzt werden. Er misst das lokale Magnetfeld, welches zusätzlich zur Stützung der Orientierung genutzt werden kann. Die Abtastrate liegt in der Größenordnung von 100 Hz.
-
Sensorfusion
-
Um die durch die zusätzlichen Sensoren gegebenen Potentiale der Genauigkeitssteigerung optimal zu nutzen, werden basierend auf kinematischen Modellen Sensorfusionsalgorithmen vorgeschlagen. Anhand des kinematischen Modells kann ein zeitdiskretes systemdynamisches Modell xk+1 = f(xk, uk, vk, k), x(0) = x0 yk = h(xk, ηk, k) in Zustandsraumdarstellung abgeleitet werden. Hierbei stellt x den Zustand, u, den Eingang, y den (Mess-)Ausgang, v das Prozessrauschen und η das Messrauschen dar. Zusammen mit der Charakterisierung der diversen Navigationssignale hinsichtlich spektraler Rauschleistungsdichte, Rauschwahrscheinlichkeitsverteilung und Abtastrate kann dieses Modell genutzt werden, um mit Hilfe systemdynamischer Methoden eine Sensorfusion durchzuführen. Das bedeutet, dass die multimodalen Navigationssignale entsprechend ihrer jeweiligen Eignung optimal zusammengeführt werden, um Position und Orientierung des Starrkörpers zu berechnen.
-
Für die vorliegende Aufgabe der Posenschätzung bietet sich das Erweiterte Kalman Filter (EKF), das Unscented Kalman Filter (UKF) sowie das Partikelfilter (PF) an. All diesen Methoden ist gemein, dass während eines Prädiktionshorizonts das Modell mit den IMU-Signalen als Eingang simuliert wird, und anschließend die Kompasssignale sowie die Distanzsignale des opto-akustischen Systems zur Korrektur genutzt werden. Dieser Zyklus aus Prädiktion und Korrektur wiederholt sich fortwährend, wobei der Zustand des Modells gegen den tatsächlichen Zustand der Strecke konvergiert und damit eine Schätzung der tatsächlichen Position und Orientierung darstellt.
-
Da aufgrund der Verwendung eigenentwickelter opto-akustischer Absolutpositionierungstechnologie sämtliche Signale zugänglich sind, besteht freie Wahl bezüglich der Intensität der Kopplung zwischen IMU- und Absolutdaten. Neben loose coupling lässt sich also auch das performantere tight coupling oder deep coupling implementieren [19]. Diese Verfahren unterscheiden sich darin, wann die elementaren Signale fusioniert werden. Je früher die Fusion erfolgt, umso mehr Informationen können gewonnen werden. Allerdings erhöht sich auch die Komplexität.
-
Literaturverzeichnis
-
- [1] R Rapp, O. Sawodny, C. Tarín, C. R. Pech, J. Mischinger, and C. Schwentner, "A Concept for a Novel Surgical Navigation System," in Proceedings of the 2014 IEEE International Conference on Systems, Man and Cybernetics, 2014.
- [2] N. B. Priyantha, "The Cricket Indoor Location System," Ph. D. dissertation, Massachusetts Institute of Technology, 2005.
- [3] J. Z. Liang, N. Corso, E. Truner, and A. Zakhor, "Image Based Localization in Indoor Environments," in 2013 Fourth International Conference on Computing for Geospatial Research and Application, 2013.
- [4] C. Kessler, C. Ascher, N. Frietsch, M. Weinmann, and G. F. Trommer, "Vision-Based Attitude Estimation for Indoor Navigation using Vanishing Points and Lines," in 2010 IEEE/ION Position Location and Navigation Symposium (PLANS), 2010.
- [5] C. Ascher, C. Kessler, M. Wankerl, and G. F. Trommer, "Dual IMU Indoor Navigation with Particle Filter based Map-Matching on a Smartphone," in 2010 International Conference on Indoor Positioning and Indoor Navigation (IPIN), 2010.
- [6] L. Zwirello, M. Janson, C. Ascher, U. Schwesinger, G. F. Trommer, and T. Zwick, "Localization in Industrial Halls via Ultra-Wideband Signals," in 2010 7th Workshop on Positioning Navigation and Communication (WPNC), 2010.
- [7] R. Mautz, Indoor Positioning Technologies. ETH Zurich, Department of Civil, Environmental and Geomatic Engineering, Institute of Geodesy and Photogrammetry, 2012. [Online]. Available: http://dx.doi.org/10.3929/ethz-a-007313554
- [8] ”Procédé et dispositif des mesure de distances par émission d'ondes radioélectriques et ultrasonores,” FR Patent 2 692 363 , 1992.
- [9] ”3-D ULTRASOUND NAVIGATION DURING RADIO-FREQUENCY ABLATION,” WO Patent 2005/112775 A1 , 2005.
- [10] F. S. Winkler, "Positionsbestimmung mit Ultraschall," Master's thesis, Universität der Bundeswehr München, 2011.
- [11] M. Kalbacher, "Ultraschallützte Navigation und Wegplanung in bekannter Umgebung," Master's thesis, Universität Stuttgart (Fakultät Informatik), 1996.
- [12] W. Fu, W. Jin, M. Li, J. Li, J. Liu, Q. Liu, X. Liu, J. Sun, Z. Tian, W. Wang, G. Yuan, and Z. Zhao, ”Control system of a sanitation robot,” China Patent CN101 770 236 , 2010.
- [13] J. A. Hossack, B. S. Ramamurthy, J. S. Wang, K. F. Ustuner, C.-H. Chou, J. W. Arenson, and A. Jain, ”Ultrasound Imaging System and Method for Improving Resolution and Operation,” USA Patent 5 873 830 , 1999.
- [14] A. Rüschen, ”Navigationssystem zur Positions- und Richtungsbestimmung von mobilen Objekten insbesondere von Robotern,” German Patent DE 10 2011 01 932 A1 , 2012.
- [15] M. H. Sang and J. Y. Lee, ”Providing Hospital Information in a Portable Ultrasound System,” Patent US 2010/0049051 A1 , 2010.
- [16] P. Rapp, L. Hägele, O. Sawodny, and C. Tarín, "Characterization of a 6 DOF Acoustic-Inertial Navigation System for Minimally-Invasive Surgery," in Proceedings of the International Conference on Control, Automation, Robotics and Vision (ICARCV), 2014.
- [17] R. Gold, "Optimal Binary Sequences for Spread Spectrum Multiplexing," IEEE Transactions on Information Theory, vol. 13, pp. 619–621, 1967.
- [18] B. Sklar, Digital Communications, 2nd ed. Prentice Hall, 2001.
- [19] A. Noureldin, T. B. Karamat, and J. Georgy, Fundamentals of Inertial Navigation, Satellite-based Positioning and their Integration. Springer, 2013.