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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Bestimmen der Masse eines Kraftfahrzeugs sowie ein Steuergerät, das zur Durchführung dieses Verfahrens eingerichtet/programmiert ist. Die Erfindung betrifft ferner ein Kraftfahrzeug mit einem solchen Steuergerät.
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Moderne Kraftfahrzeuge besitzen Vorrichtungen zur Beeinflussung der Fahrdynamik des Kraftfahrzeugs. Solche Systeme sind gemeinhin unter dem Begriff „Elektronische Stabilitätskontrolle” bekannt und basieren auf einer gezielten Ansteuerung der einzelner Bremsen der Räder des Kraftfahrzeugs, um auf diese Weise ein Ausbrechen des Kraftfahrzeugs zu verhindern. Herkömmliche ESP-Systeme besitzen neben der genannten Grundfunktionalität auch verschiedene zusätzliche Funktionen, worunter auch das sogenannte „Rollover-Protection-Programm” zum Schutz gegen ein drohendes Überschlagen des Kraftfahrzeugs fällt. Damit ein solches Rollover-Protection-Programm ein Überschlagen des Kraftfahrzeugs verhindern kann, müssen dem ESP-System neben verschiedenen, sensorisch messbaren Größen wie z. B. der Querbeschleunigung des Kraftfahrzeugs weitere, einer direkten Messung nicht zugängliche Paramater bekannt sein. Insbesondere die Fahrzeugmasse, die Lage des Fahrzeugschwerpunkts sowie die wirkenden Trägheitsmomente werden in der Regel zur Parametrisierung vom ESP-System benötigt. Die Masse des Fahrzeugs ändert sich jedoch zumeist dynamisch in Abhängigkeit von der Beladung sowie der Tankfüllung des Kraftfahrzeugs und auch in Abhängigkeit von der Anzahl der Fahrzeuginsassen.
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Es ist daher für eine optimale Regelung der Fahrdynamik des Kraftfahrzeugs durch ein ESP-System oder ein vergleichbares System unter dem Aspekt der Fahrzeugsicherheit von erheblicher Bedeutung, die Masse des Kraftfahrzeugs dynamisch, also im Fahrbetrieb des Kraftfahrzeugs, möglichst genau bestimmen zu können und dabei eine hohe Verfügbarkeit und Güte des Signals zu erreichen.
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Daher ist es eine Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein verbessertes Verfahren zum Bestimmen der Masse eines Kraftfahrzeugs zu schaffen, welches sich insbesondere zur Durchführung im Fahrbetrieb des Kraftfahrzeugs eignet. Diese Aufgabe wird durch den Gegenstand der unabhängigen Patentansprüche gelöst. Bevorzugte Ausführungsformen sind Gegenstand der abhängigen Patentansprüche.
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Grundgedanke der Erfindung ist dabei, ein Schätzintervall [m–, m+] für die tatsächliche Masse m des Kraftfahrzeugs mit Hilfe eines Intervall-Beobachters zu ermitteln. m– < m, m–(t) → m m+ > m, m+(t) → m
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Als „Beobachter” wird in der Regelungstechnik ein System, das aus bekannten Eingangsgrößen und Messgrößen – vorliegend die Antriebskraft FAntrieb und die Beschleunigung ax des Kraftfahrzeugs – eines beobachteten Referenzsystems nicht messbare Größen – vorliegend die gesuchte Fahrzeugmasse m des Kraftfahrzeugs – rekonstruiert. Dazu bildet der Beobachter das beobachtete Referenzsystem als Modell nach und beinhaltet einen Regler, der die messbaren Zustandsgrößen nachführt. Im vorliegenden Fall dient als Modell die Basisgleichung, die anhand der Kraftbilanz für die Bewegung des Kraftfahrzeugs in die Längsrichtung erstellt wurde. FAntrieb = max + Fwid mod + FOffset + E, wobei FAntrieb die auf das Kraftfahrzeug wirkende Antriebskraft ist, ax die im Schwerpunkt des Kraftfahrzeugs gemessene Längsbeschleunigung in eine vorbestimmte X-Richtung ist und m die Masse des Kraftfahrzeugs ist. Da der Längsbeschleunigungssensor nicht direkt im Schwerpunkt des Fahrzeugs angebaut ist, muss das Sensorsignal in der Schwerpunktlage mittels bekannter kinematischer Regeln transformiert werden. Fwid mod bedeutet der modellierte Fahrwiderstand in die Längsrichtung, der anhand verfügbarer Information aus den Teilsystemen berechnet werden kann. Die Berechnung des modellierten Fahrwiderstands hängt von verfügbaren Signalen im Steuergerät ab. So können zum Beispiel der Luftwiderstand und der Beschleunigungswiderstand der Fahrwerksteilen berücksichtigt werden. E ist der Offset-freie nichtmodellierte Fahrwiderstand, der für die hinreichende Anregung stochastisch angenommen werden kann, und FOffset ist ein Term, der aus dem nichtmodelliertem Offsetanteil des Fahrwiderstands und dem Beitrag des Sensoroffsets besteht. In Ausnahmenfallen, falls der Fahrwiderstand nicht nach dem Modell Fwid mod + FOffset + E abgebildet werden kann, werden die zugehörigen Messungen bei der Massenschätzung nicht berücksichtigt (z. B. Schlagloch, plötzlich auftretendes Aquaplaning, ...).
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Beim erfindungsgemäßen Verfahren wird jedoch nicht der vorangehend vorgestellte herkömmliche „Beobachter” verwendet, sondern ein sogenannter Intervall-Beobachter. Mittels eines solchen Intervall-Beobachters wird die zu ermittelnde Masse m sowohl nach oben als auch nach unten abgeschätzt. Mit anderen Worten, basierend auf den als Eingangsgrößen für das erfindungsgemäße Verfahren zur Verfügung stehenden Messwertpaaren aus Beschleunigung ax und messbarer Längskraft FAntrieb – Fwid mod wird ein oberer Schätz-Grenzwert mMax ermittelt, unterhalb dessen der tatsächliche Wert m für die Masse des Kraftfahrzeugs tatsächlich liegt. In analoger Weise wird ein unterer Schätz-Grenzwert mMin ermittelt, oberhalb dessen der tatsächliche Wert m der Masse des Kraftfahrzeugs tatsächlich liegt. Im Zuge des erfindungsgemäßen Verfahrens kann auch eine Genauigkeitsabschätzung für die geschätzte Masse [m–, m+] durchgeführt werden. Die Genauigkeit Δm* der Abschätzung ist dann durch die Differenz zwischen dem oberen Schätz-Grenzwert mMax und dem unteren Schätz-Grenzwert mMin gegeben. Durch Verwendung des mittels des Intervall-Beobachters ermittelten Schätz-Grenzwerts mMax kann sichergestellt werden, dass der Wert für die tatsächliche Masse m niemals zu niedrig geschätzt wird. Eine solche Unterschätzung des Werts für die Masse könnte bei Weiterverarbeitung dieses Werts durch das ESP-System zu sicherheitskritischen Fahrmanövern durch das ESP führen. Dabei erhöht sich die Signalverfügbarkeit, weil man nicht bis zur Konvergenz des Parameters abwarten muss, sondern auch bei weniger Anregung zuverlässig die obere/untere Grenze der Masse für die Sicherheitssystemen verwenden kann. Durch Anwendung des hier vorgestellten, erfindungsgemäßen Verfahrens in einem im Kraftfahrzeug verbauten Steuergerät wird dies ausgeschlossen.
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Daher betrifft die vorliegende Erfindung auch ein Steuergerät, das zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche eingerichtet/programmiert ist.
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Schließlich betrifft die Erfindung auch ein Kraftfahrzeug mit einem solchen Steuergerät und mit einer Brennkraftmaschine, mittels welcher eine auf das Kraftfahrzeug wirkende Antriebskraft FAntrieb erzeugt werden kann. Die Antriebskraft FAntrieb lässt sich etwa mit Hilfe eines Drehmomentsensors – nachfolgend als Sensoreinheit bezeichnet – ermitteln, der ein von der Brennkraftmaschine erzeugtes Antriebsmoment ermittelt. Das Kraftfahrzeug umfasst ferner wenigstens einem Beschleunigungssensor, mittels welchem eine Beschleunigung ax des Kraftfahrtzeugs entlang seiner Fahrtrichtung bestimmt wird. Sowohl die Sensoreinheit als auch der wenigstens eine Beschleunigungssensor wirken mit dem Steuergerät zusammen, d. h. die Sensoreinheit übermittelt die aktuell das von der Brennkraftmaschine erzeugte Drehmoment, aus welchem die zur Durchführung des Verfahrens benötigte Antriebskraft FAntrieb ermittelt wird, an das Steuergerät. Entsprechend übermittelt der wenigstens eine Beschleunigungssensor die vom Kraftfahrzeug in Fahrtrichtung ausgeführte Beschleunigung.
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Weitere wichtige Merkmale und Vorteile der Erfindung ergeben sich aus den Unteransprüchen, aus den Zeichnungen und aus der zugehörigen Figurenbeschreibung anhand der Zeichnungen.
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Es versteht sich, dass die vorstehend genannten und die nachstehend noch zu erläuternden Merkmale nicht nur in der jeweils angegebenen Kombination, sondern auch in anderen Kombinationen oder in Alleinstellung verwendbar sind, ohne den Rahmen der vorliegenden Erfindung zu verlassen.
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Bevorzugte Ausführungsbeispiele der Erfindung sind in den Zeichnungen dargestellt und werden in der nachfolgenden Beschreibung näher erläutert, wobei sich gleiche Bezugszeichen auf gleiche oder ähnliche oder funktional gleiche Bauteile beziehen.
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Dabei zeigen, jeweils schematisch:
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1 ein Beispiel eines erfindungsgemäßen Kraftfahrzeug, in welchem das erfindungsgemäße Verfahren angewandt werden kann,
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2 eine Blockdarstellung, in welcher die prinzipielle Funktionsweise des erfindungsgemäßen Verfahrens wiedergegeben ist,
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3 ein Diagramm, in welchem der zeitliche Verlauf mittels des Intervall-Beobachters dargestellte Wert für den oberen und unteren Schätz-Grenzwerts mMax, mMin relativ zur tatsächlichen Masse m des Kraftfahrzeugs 1 dargestellt ist,
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4 eine Kraft-Beschleunigungs-Diagramm, in welchem als Graph die Basisgleichung FAntrieb – Fwid mod = F(ax) dargestellt ist.
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1 illustriert in einer Seitenansicht ein erfindungsgemäßes Kraftfahrzeug 1, welches eine Masse m aufweist. Zur Masse m zählt vorliegend auch die vom Kraftfahrzeug 1 temporär aufgenommene Zuladung einschließlich der vom Kraftfahrzeug 1 beförderten Fahrzeuginsassen. Die Masse m des Kraftfahrzeugs 1 kann in beladenem Zustand also erheblich größer sein als ohne Zuladung. In 1 grobschematisch dargestellt sind weiterhin eine Brennkraftmaschine 2 und ein Steuergerät 3 des Kraftfahrzeugs 1.
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Die der Brennkraftmaschine 2 erzeugte Antriebskraft FAntrieb lässt sich mit Hilfe eines Drehmomentsensors – nachfolgend als Sensoreinheit 9 bezeichnet – ermitteln, der ein von der Brennkraftmaschine 2 erzeugtes Antriebsmoment ermittelt. Das Kraftfahrzeug 1 umfasst ferner einen Beschleunigungssensor 10, mittels welchem eine Beschleunigung ax des Kraftfahrtzeugs 1 entlang dessen Fahrtrichtung X bestimmt und – etwa über einen CAN- oder LIN-BUS (nicht gezeigt) an das Steuergerät 3 übermittelt wird. Auch das von der Brennkraftmaschine 2 erzeugte Drehmoment wird mit Hilfe einer geeigneten Sensoreinheit 5 an das Steuergerät 3 übertragen, so dass dieses daraus die zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens als Eingangsgröße erforderliche Antriebskraft FAntrieb berechnen kann. Zum Ermitteln des Schätzwerts m* für die Masse m des Kraftfahrzeugs 1 kommt ein Intervall-Beobachter 4 mit einem Regler 5 zum Einsatz, mittels welchem für die Masse m ein oberer Schätz-Grenzwert mMax und ein unterer Schätz-Grenzwert mMin berechnet wird.
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Die 2 zeigt in grobschematischer Darstellung ein Funktionsdiagramm eines solchen Intervall-Beobachters 4: Das Verhalten des Kraftfahrzeugs 1 als reales System ist in 2 mit S1 bezeichnet. Die Masse m des Kraftfahrzeugs 1 als zentrale Zustandsgröße des Systems S1 ist der direkten Messung nicht zugänglich. Die Bestimmung der Masse m mittels Schätzung erfolgt daher indirekt auf Basis einer Messung der Antriebskraft FAntrieb und der Beschleunigung ax, da beide Größen durch Verwendung der Sensoreinheit 9 und des Beschleunigungssensors 10 einer direkten Messung zugänglich sind. Mit anderen Worten, das System 51 liefert die für die Schätzung der Masse verwendeten Messwerte der Antriebskraft FAntrieb und der Beschleunigung ax.
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Das Verhalten des Kraftfahrzeugs 1 – in 2 mit S2 bezeichnet – wird mittels der einfachen Bewegungsgleichung FAntrieb = max + Fwid mod + FOffset + E, die im Folgenden als „Basisgleichung” bezeichnet wird, modelliert.
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Der sich ergebende lineare Zusammenhang zwischen Antriebskraft FAntrieb und Beschleunigung ax ist im Kraft-Beschleunigungs-Diagramm der 4 in Form einer Geraden 8 dargestellt. Die zu schätzende Masse m des Kraftfahrzeugs entspricht dem Steigungsfaktor der Geraden 8, und die Kraft FOffset entspricht deren Y-Abschnitt. Eine Masse wird dabei anhand mehrerer Messgleichungen in einzelne Zeitpunkte geschätzt.
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Es ist klar, dass die reale Messung der Messwerte FAntrieb – Fwid mod und ax, beispielsweise im Fahrbetrieb des Kraftfahrzeugs 1, mit erheblichen Messfehlern behaftet sein kann. Die in 4 exemplarisch dargestellten und mit dem Bezugszeichen 6 bezeichneten Messwert-Paare aus Antriebskraft FAntrieb – Fwid mod und Beschleunigung ax können daher mit erheblichen Messfehlern behaftet sein, die in 4 exemplarisch durch Fehlerbalken mit dem Bezugszeichen 7 wiedergegeben werden sollen. Derartige Messfehler wirken sich erheblich bei der Ermittlung einer Geraden 8a mit maximaler Steigung durch Ausgleichsrechnung im Zuge Berechnung des oberen Schätz-Grenzwerts mMax aus. Gleiches gilt für die Ermittlung einer Geraden 8b mit minimaler Steigung, die ebenfalls durch Ausgleichsrechnung erfolgen mag, als Grundlage für die Berechnung des unteren Schätz-Grenzwerts mMin. Die beiden Ausgleichgeraden 8a, 8b dienen als Eingangsgrößen für den Regler 5. Dabei gilt: Je gleichverteiler die Messpunkte (FAntrieb – Fwid mod, ax) entlang der ax-Achse sind, desto näher werden die Geraden 8a, 8b bei einander liegen. Der Regler 5 als Teil des Intervall-Beobachters 4 (vgl. 2) führt die Messgrößen FAntrieb – Fwid mod und ax nach. Auf diese Weise kann durch iteratives Regeln sowohl der obere Schätz-Grenzwert mMax als auch der untere Schätz-Grenzwert ermittelt werden. Beide Schätz-Grenzwerte mMax, mMin nähern sich der tatsächlichen Masse m von oben bzw. unten an, d. h. der Regler 5 arbeitet derart, dass Δm+ = mMax – m >= 0 -> Min, Δm– = mMin – m <= 0 -> Min, erfüllt ist. Mit anderen Worten, die beiden Differenz-Größen Δm+, Δm– werden vom Regler 5 minimiert.
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Ein solches Regelverhalten zeigt die Darstellung der 3. Man erkennt, dass die beiden Graphen 9a, 9b, welche den zeitlichen Verlauf der vom Regler 5 berechneten oberen bzw. unteren Schätz-Grenzwerte mMax, mMin wiedergeben, sich von oben bzw. unten der tatsächlichen Masse m des Kraftfahrzeugs 1 annähern, die in 3 durch die gestrichelte Linie wiedergegeben wird. Entscheidend ist dabei, dass der Graph 9a, also der obere Schätz-Grenzwert mMax von oben konvergiert, d. h. bei Verwendung des oberen Schätz-Grenzwerts mMax als Schätzgröße für die Masse m, etwa durch das eingangs erwähnte ESP-System, wird die tatsächliche Masse m des Kraftfahrzeugs 1 in jedem Fall überschätzt, denn der Graph 9a verläuft in 3 stets oberhalb der gestrichelten Linie der Masse m. Eine unerwünschte Unterschätzung des Werts für die Masse m des Kraftfahrzeugs 1 und damit verbundene, u. U. sogar sicherheitskritische Fahrmanövern, die vom ESP eigentlich zur Stabilisierung des Kraftfahrzeugs 1 eingeleitet wurden, können auf diese Weise vermieden werden.