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Klinisch einsetzbare Gewebekleber spielen eine wichtige Rolle in der Chirurgie, bei der Versorgung von Wunden im Weichgewebe, aber auch anderer Gewebetypen wie Knochen. Auch im Bereich der regenerativen Medizin werden solche Kleber benötigt, wenn künstliche, durch Tissue Engineering hergestellte Ersatzgewebe oder andere Implantate im Wundbereich fixiert werden sollen, wodurch ihre Ablösung verhindert werden und ein direkter biologischer Verbund mit dem umliegenden Gewebe erreicht werden soll. Durch die Fortschritte der letzten Jahre, die auf dem Gebiet der Gewebekleber für die Medizin gemacht wurden, haben sich einige wesentliche Anforderungen an solche Klebstoffe herauskristallisiert. Diese bestehen in einer relativ schnellen Reaktion und guter Haftfestigkeit des Klebers, einer möglichst einfachen Handhabung für den Anwender, in der Verwendung biokompatibler, möglichst abbaubarer Materialien, der Möglichkeit der Nutzung minimalinvasiver Verfahren und dabei überschaubarer Kosten (1).
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Bekannt sind eine Reihe von Gewebeklebern, die klinisch für die Behandlung von Wunden im Bereich der Medizin genutzt werden, wie z. B. Cyanoacrylate (Superglue) (2), Glutaraldehyd-Albumin (Bioglue) (3) und Fibrin (Tisseal) (4, 5). Wenngleich diese Kleber eine überwiegend befriedigende Wirksamkeit besitzen, haben sie teilweise eine geringe Biokompatibilität, wie z. B. die auf Cyanoacrylaten basierenden Kleber oder eine unzureichende Haftfestigkeit wie z. B. Fibrinkleber. Darüber hinaus gibt es bislang kaum adäquate Klebetechniken im orthopädischen Bereich, da die mit den vorhandenen chirurgischen Klebstoffen erreichbaren Haftkräfte oft zu gering sind bzw. deren Toxizität eine Anwendung z. B. im Bereich des Knochens erschwert. Sowohl Fibrin als auch Cyanoacrylate werden zu den chirurgischen Gewebeklebern gezählt. Beide haben jedoch unterschiedliche Wirkmechanismen und Indikationen. Der Gewebekleber Fibrin ist eine natürlich vorkommende Substanz, die aus Bestandteilen des Blutplasmas gewonnen wird und Teil des menschlichen Gerinnungsmechanismus ist. Fibrin wird typischerweise als biologische Gefäßklemme bei der Behandlung von Wunden im Weichgewebe oder bei Hauttransplantationen eingesetzt. Fibrin, der meistverwendete Gewebekleber, besitzt dabei nicht immer die nötigen mechanischen Eigenschaften (6). Aufgrund der Tatsache, dass es sich beim Fibrin um eine aus Blut gewonnene Substanz handelt, kann eine Infektion nicht immer ausgeschlossen werden (7). Im Gegensatz dazu sind Cyanoacrylate synthetisch hergestellte Verbindungen. Cyanoacrylate werden z. T. für die Fixierung von Hauttransplantaten eingesetzt, besitzen aber eine histotoxische Wirkung, wenn sie unter der Haut angewendet werden (2). Klebstoffe auf Basis von Cyanoacrylaten besitzen zudem eine hohe Steifigkeit, welches aus der Polymerisation des Cyanoacrylates resultiert, die deutlich höher ist als die des vernetzten Gewebes. Weiterhin sind Cyanoacrylate und deren Abbauprodukte, wie entstehendes Formaldehyd, zytotoxisch, was eine Schädigung des zu behandelnden Gewebes verursachen kann.
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Künstlich konstruierte, auf Tissue Engineering beruhende Ersatzgewebe beruhen auf einer Kombination von Gerüststrukturen und Zellen, welche in der in vitro Formierung eines biologischen Transplantats resultieren oder durch die nachfolgende Besiedelung einer solchen Gerüststruktur in vivo erfolgen kann. Die Gerüststrukturen können dabei aus synthetischen oder natürlichen Materialien bestehen und in Form von porösen Membranen, gewebten Fasern, gepressten oder schwammartigen Strukturen oder Hydrogelen angewendet werden.
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In
WO 2009/032247 wird die Verwendung von endogenen oder exogenen Transglutaminasen für die Kopplung von Pharmaka an Gewebe beschrieben, wobei hier die Pharmaka oder das bioaktive Agens durch Kopplung von Lysinen oder Glutaminen mit Hilfe von Transglutaminasen an verschiedenen Geweben wie z. B. Knorpel immobilisiert werden sollen, um lokal wirksam und freigesetzt werden zu können. Die Erfindung betrifft jedoch nicht die Klebung von Hydrogelen, Membranen, u. a. Scaffolds” zur Herstellung modularer Konstrukte und deren Fixierung in das Wundgebiet. Die Erfindung verwendet nicht die Layer-by Layer Methode, um einen möglichst stabilen Verbund der adsorptiv gebundenen Oberflächenbeschichtung mit dem Material herzustellen und somit eine feste Klebung bzw. Verbund von Modulen untereinander und mit dem Wundgebiet zu erreichen.
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WO 2012/113812 beschreibt die Anwendung der Layer-by-Layer-Technik (LbL) zur Herstellung einer Beschichtung auf Materialien für die Regeneration von Knochen und Knorpel, wobei die Beschichtung ein Freisetzungssystem für die Förderung der Heilung darstellt. Die Erfindung beinhaltet nicht die Anwendung der LbL-technik für die Herstellung von klebenden Beschichtungen für die Klebung modulare Konstrukte oder die Anbindung solcher Konstrukte in das Wundgebiet.
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Khademhosseini et al. beschreiben die Nutzung der LbL-technik zur Herstellung von Oberflächenbeschichtungen zur Erzeugung von Kokulturen verschiedener Zelltypen, wobei die Methode weder für die Herstellung klebender Beschichtungen noch zur Generierung modularer Konstrukte für das Tissue Engineering noch für die Beladung mit bioaktiven Faktoren eingesetzt wird (8).
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Bekannt ist das schichtweise Drucken gewebeähnlicher Konstrukte aus Mischungen von Hydrogelen mit Zellen (9). Es kommt dabei zur Herstellung eines Kontinuums aus einem Werkstoff (Hydrogel) mit unterschiedlichen Zellschichten. Dies stellt jedoch keinen Klebevorgang dar, zudem sind auch Kombinationen verschiedener Werkstoffe mit unterschiedlichem innerem Aufbau, wie z. B. Porosität, faserförmig oder homogen, etc. nicht möglich.
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Für Tissue Engineering Anwendungen muss der ideale Gewebekleber das betreffende Konstrukt im Wundbett fixieren und die Integration des Implantates bzw. Transplantates in das umliegende gesunde Gewebe ermöglichen und wenn möglich fördern. Der Gewebekleber darf dabei die natürlichen Heilungsprozesse nicht behindern. Einige Substanzen können bestimmte Heilungsphasen unterstützen, aber auch gewisse Schritte behindern, wie es bei den Cyanoacrylaten der Fall ist (10). Idealerweise sollte die eingesetzte Substanz den Heilungsprozess beschleunigen und anschließend selbst abgebaut werden, ohne toxische Nebenprodukte freizusetzen. Des Weiteren sollte der Stoff nur lokal wirksam sein. Eine noch weitgehend ungenutzte Rolle kommt den Gewebeklebern auch als kontrolliertes Freisetzungssystem zu. Die bioabbaubaren Kleber müssen dabei in der Lage sein, Medikamente, wie z. B. Antibiotika oder wachstumsfördernde Substanzen, am gewünschten Ort freizusetzen. Durch eine systematische Freisetzung können Probleme durch zu hohe Konzentrationen in bestimmten Organen vermieden werden. Eine weitere Verwendung dieser Methoden bestünde darin, Wachstumsfaktoren (11, 12) oder auch therapeutisch wirksame Zellen, welche die Heilung unterstützen (13), am Zielort freizusetzen. In schlecht heilendem Gewebe, wie Knorpel, wäre die Möglichkeit gegeben, Stammzellen zur Unterstützung der Heilung einzubringen. Die optimale Integrationsmethode sollte die Gewebeteile stark und schnell miteinander vernetzen, die Heilung unterstützen und dabei auch leicht anwendbar und biokompatibel sein. Zur Zeit sind jedoch nur wenige klinische Methoden und zugelassene Gewebekleber für die Bindung und Integration von Geweben wie dem Knorpelgewebe verfügbar (14). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Entwicklung von neuen, klinischunbedenklichen und biokompatiblen Gewebeklebern zum Einsatz in der Humanmedizin.
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Die erfindungsgemäße Lösung ermöglicht die gezielte Herstellung modularer Gewebekonstrukte durch das Vernetzen von porösen Membranen, gewebten Fasern, gepressten oder schwammartigen Strukturen oder Hydrogelen mit Hilfe der LbL Methode, wobei die zu verbindenden Strukturen bereits in vitro mit Zellen besiedelt werden können. LbL ist ein Multischichtbildungsprozess, welcher auf der abwechselnden Adsorption von entgegengesetzt geladenen Polyelektrolyten (PEL) beruht. Dieser Prozess stellt eine einfache und kostensparende Methode zum Herstellen von Mehrschichtsystemen unterschiedlicher Zusammensetzung dar (15). Das erfindungsgemäße Verfahren kann auch zur Beschichtung fester Trägermaterialien mit Proteinen genutzt werden. 1 zeigt den schematischen Ablauf bei dem Oberflächen und Formkörper durch Tauchen oder Sprayen von Polyanionen und Polykationen mit einer stabilen Multischicht überzogen werden können.
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Die erfindungsgemäße Lösung, poröse Gerüststrukturen, Membranen, aus Fasern gewebten oder gepressten Strukturen, Partikel sowie Hydrogele in modularer Weise zu komplexen Gewebekonstrukten zusammenzusetzen und diese in Gewebedefekte zu überführen, basiert auf der Beschichtung dieser Formkörper mit Polyelektrolytmultischichten (PEM), welche eine Klebung bzw. Bindung benachbarter Formkörper durch chemische oder biochemische Prozesse ermöglichen. Die Bildung der PEM erfolgt durch alternierende Adsorption von entgegengesetzt geladenen PEL aus dem wässrigen Milieu. Voraussetzung für die Adsorption ist eine vorhandene Ladung auf der Zieloberfläche, wobei die Wechselwirkung der Moleküle überwiegend auf elektrostatischer Anziehung beruht und der Zusammenhalt der Multischichten durch Ionenpaarung, Wasserstoffbrückenbindungen, hydrophobe Wechselwirkungen und entropische Kräfte zu einer hohen Stabilität der Systeme unter physiologischen Bedingungen beitragen (16). Die Verwendung von PEL biologischer Herkunft, wie z. B. von kationischen Polyaminosäuren, Proteinen, Glykosaminoglykanen, Polysacchariden und auch von Desoxyribonukleinsäuren (DNS) verbessert die Biokompatibilität des gesamten Systems, wie sie für medizinische Anwendungen zur Behandlung von geschädigten Geweben wie Knochen, Knorpel, Haut etc. erforderlich ist. Es können aber auch synthetische oder halbsynthetische PEL, wie z. B. Polystyrolsulfonat, Polyallylamin, Zellulosesulfat, Chitosansulfat, quaternäres Chitosan und andere Polymere für die Beschichtung der Konstrukte eingesetzt werden. Die modulare Verknüpfung der porösen Gerüststrukturen, Membranen, aus Fasern gewebten oder gepressten Strukturen, Partikel sowie Hydrogele basiert dabei auf einer chemischen oder enzymatischen Quervernetzung oder auf einer Affinitätswechselwirkung von angrenzenden PEM benachbarter Untereinheiten modularer Konstrukte und nicht auf ausschließlich physikalischen Wechselwirkungen, wie sie für die Ausbildung der Multischichten typisch sind. Beispiele für eine chemische Verbindung von PEM mit freien Amino- und Karboxylgruppen auf angrenzenden Elementen durch kovalente Kopplung benachbarter Elemente basieren auf der Zugabe von bifunktionellen Vernetzern wie z. B. und nicht ausschließlich Genipin, welches angrenzende Aminogruppen vernetzt, oder Ethyl-(dimethylaminopropyl)-carbodiimid/N-Hydroxysuccinimid (EDC/NHS), welche Amino- mit Karboxylgruppen zu stabilen Amidbindungen vernetzten. Andere Arten kovalenter Kopplungen können durch Nutzung von PEL mit Aldehydgruppen, wie z. B. oxidierten Glykosaminoglykanen und anderen Polysacchariden mit Polyaminen wie Chitosan (CHI), Poly-L-Lysin (PLL) oder Proteinen unter Bildung einer Schiff'schen Base vernetzt werden, sind aber nicht darauf beschränkt. Außerdem lassen sich PEL durch verschiedene Reaktivgruppen, wie z. B. freie Thiole, Maleinimide und andere reaktive Gruppen funktionalisieren, wodurch als Klick-Chemie bekannte kovalente Bindungen zwischen den PEM erzeugt werden können. Schließlich können PEL auch mit photoreaktiven Gruppen, wie z. B. Derivaten der Acrylsäure und anderer photoreaktiver Gruppen, modifiziert werden, wobei eine photochemische Reaktion zur Vernetzung benachbarter PEM auf den Elementen führen kann. Eine besonders verträgliche Art der Verbindung benachbarter, mit PEM beschichteter Elemente basiert auf einer enzymatischen Vernetzung durch spezielle Enzyme, die PEL mit spezifischen funktionellen Gruppen basierend auf Proteine oder andere funktionalisierte Makromoleküle miteinander verbindet. Hierzu gehören Transglutaminasen, Peroxidasen und andere Enzyme, sind aber nicht darauf beschränkt. Zudem können auch spezifische Wechselwirkungen zur Vernetzung der Elemente genutzt werden, die auf dem Schlüssel-Schloss-Prinzip beruhen. Hierzu zählen beispielsweise und nicht ausschließlich Affinitäts-Wechselwirkungen von Biotin zu Avidin oder Streptavidin sowie von Lektinen zu spezifischen Monosacchariden. Alle hier beschriebenen Ansätze zur klebenden Verbindung der porösen Gerüststrukturen, Membranen, aus Fasern gewebten oder gepressten Strukturen, Partikel sowie Hydrogele zum Aufbau eines modularen Tissue Engineering Konstruktes lassen sich auch für die Vorbehandlung des Wundgebietes und zur Herstellung eines festen Verbundes von Konstrukt mit dem umliegenden Gewebe einsetzen, sofern die verwendete Methodik keine zellschädigende Wirkung besitzt. 2 zeigt das generelle Prinzip des erfindungsgemäßen Verfahrens.
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Anwendungsbeispiele
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Zur Verbindung poröser Gerüststrukturen, Membranen, aus Fasern gewebten oder gepressten Strukturen, Partikel sowie Hydrogele wurden Multischichtsysteme basierend auf unterschiedlichen Bindungsprinzipien erprobt, wobei diese auf Modelloberflächen erzeugt wurden, um die Formierung der Multischichten quantitativ nachzuweisen und die Bindungskräfte zu bestimmen. Folgende Multischichtsysteme wurden für die beispielhafte Darstellung der Klebetechnik mittels der LbL-Methode erzeugt:
- a) Kombination von Poly-L-lysin (PLL) als Polykation und Fibrinogen (FBG) als Polyanion für die Schaffung eines Systems für die enzymatische Vernetzung durch Transglutaminasen.
- b) Kombination von Chondroitinsulfat (CS) mit freien Karboxylgruppen als Polyanion und Chitosan (CHI) mit freien Aminogruppen als Polykation als System für eine kovalente Bindung mit bifunktionellen Vernetzern unter Verwendung von EDC/NHS.
- c) Kombination von oxidierten Glykosaminoglykanen als Polyanion (oxidierte Hyaluronsäure (ox-HA), oxidiertes Chondroitinsulfat (ox-CS)) und Kollagen I (Col I) als Polykation für kovalente Bindung durch Bildung Schiff'scher Basen.
- d) Kombination von Avidin (AVI) als Kation mit biotinyliertem Chondroitinsulfat (BCS) als Anion für Affintätswechselwirkungen.
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1. Nachweis der Formierung von Multischichten auf Modelloberflächen
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Die Anwendung der unterschiedlichen Bindungsprinzipien im Bereich des Tissue Engineering erfordert die Bildung von Multischichten auf verschiedenen Werkstoffen wie Polymeren, Metallen und Keramiken, die für die Herstellung von Leitstrukturen bzw. Scaffolds wie porösen Gerüststrukturen, Membranen, aus Fasern gewebten oder gepressten Strukturen, Partikel sowie Hydrogele genutzt werden. Aufgrund der Anwendung spezifischer Analysetechniken zum Nachweis der Multischichtbildung und der PEM Eigenschaften sowie der Bindungsstärke wurden hier zunächst Modelloberflächen wie Glas und Goldbeschichtetes Glas verwendet. Glas oder Goldoberflächen wurden zunächst mit 0,5 M NaOH in 96% Ethanol gereinigt. Die PEL wurden mit einer Konzentration von 2 mg/ml in 150 mM NaCl-Lösung bei einem pH-Wert von 7,4 gelöst. 150 mM NaCl-Lösung wurde auch als Spüllösung zwischen den einzelnen Adsorptionsschritten verwendet, um nichtadsorbiertes Materials zu entfernen. Eine allgemeine Vorgehensweise bei der Bildung von PEM ist die Verwendung eines Polykations mit erhöhter Bindungskraft als Basisschicht auf negativ geladenen Oberflächen. Hier wurde Polyethylenimin (PEI) mit einem Molekulargewicht von 750 kDa auf den meisten der hier verwendeten Substrate als Basisschicht adsorbiert. Nach dem Spülen mit 150 mM NaCl-Lösung erfolgte die alternierende Adsorption der unterschiedlichen Polyanionen und Polykationen für jeweils 10 min, wobei Spülschritte mit 150 mM NaCl-Lösung folgten. Das Wachstum der PEM verschiedener Kombinationen wurde mittels Oberflächenplasmonresonanz (SPR) bestimmt, einer optischen Methode zur Ermittlung der Adsorption von Molekülen an Goldoberflächen. Die Adsorption von Substanzen auf der Goldoberfläche verursacht eine Änderung des Brechungsindexes, die detektiert werden kann 3 zeigt exemplarisch die Änderung der Masse der Multischichtsysteme im Verlauf der alternierenden Adsorptions- und Spülschritte.
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Die Ergebnisse der SPR-Studien zeigen, dass alle ausgewählten Schichtsysteme mit jedem Adsorptionsschritt an Masse zulegen, indiziert durch die zunehmenden Winkelverschiebungen. Die höchste, absolute Massenzunahme wurde für das PLL/FBG-System detektiert, wohingegen der geringste Massezuwachs beim BCS/AVI-System zu verzeichnen war.
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Statische Wasserkontaktwinkel(WCA)-Messungen werden verwendet, um die Benetzbarkeit von Biomaterialoberflächen zu bestimmen, da diese für die Adsorption von Proteinen und die Adhäsion von Zellen von Bedeutung ist. WCA-Messungen können auch genutzt werden, um den Schichtbildungsprozess bei der LbL-Methode zu verfolgen, da Schichten aus Polyanionen und Polykationen wegen ihrer verschiedenen chemischen Zusammensetzung und Ladungsdichte in der Regel unterschiedliche Benetzungseigenschaften aufweisen. Daher indiziert ein starker Wechsel des WCA nach jeder Adsorption eine unterschiedliche molekulare Zusammensetzung der jeweiligen terminalen Schichten mit Dominanz des Polyanions oder Polykations, wohingegen geringe Änderungen auf eine eher vermischte Multischichtstruktur hinweisen. 4 zeigt, dass nur geringe Unterschiede in den WCA mit jedem Adsorptionsschritt festgestellt werden konnten, was auf eine eher vermischte Struktur der terminalen Schichten hinsichtlich der Zusammensetzung von PEL hinweist. Zudem konnte festgestellt werden, dass PLL/FBG-Multischichten im Vergleich zu den anderen Systemen weniger hydrophil waren, indiziert durch einen höheren Wasserkontaktwinkel.
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2. Biokompatibilität der Multischichtsysteme
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Viele der hier exemplarisch verwendeten Polyanionen, wie CS, Col oder FBG, repräsentieren Biopolymere mit einer natürlichen Biokompatibilität, wohingegen Polykationen wie PEI oder PLL zytotoxisch sein können. Eine Zelltoxizität von für die Herstellung des Verbundes benötigten PEL sollte ausgeschlossen werden, um keine negativen Auswirkungen auf Zellen im Leitgerüst bzw. Scaffold oder das umliegende Gewebe zu haben. Um diese Effekte auszuschließen, wurde eine menschliche Osteosarkom-Zelllinie (MG-63) auf den Multischichtsystemen kultiviert. Das Wachstum der MG63-Zellen wurde auf den terminalen Schichten (jeweils 6. und 7. Schicht) über einen Zeitraum von 3 Tagen untersucht, wobei die Zahl metabolisch aktiver Zellen mittels QBlue®-Fluoreszenztest ermittelt wurde (siehe 5). Die Ergebnisse zeigen, dass es nur geringe Unterschiede in der Zahl metabolisch aktiver Zellen sowohl zwischen den einzelnen Schichtsystemen als auch zwischen den terminalen Schichten gab, dies sowohl nach 1 bzw. 3 Tagen. Im Vergleich zu Glas als Kontrolloberfläche wiesen die terminalen Schichten keine signifikanten Unterschiede auf, was auf eine gute Biokompatibilität der in den Beispielen beschriebenen und genutzten PEL hinweist.
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3. Bestimmung der Bindungskräfte zwischen Modellsubstraten und Hydrogelen
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Der wichtigste Aspekt des erfindungsgemäßen Verfahrens ist die Anwendung der LbL-Methode zur Herstellung modularer, biokompatibler poröse Gerüststrukturen, Membranen, aus Fasern gewebten oder gepressten Strukturen, Partikel sowie Hydrogele und deren Fixierung im Wundbett durch chemische Wechselwirkungen, ohne die Lebensfähigkeit von Zellen im Konstrukt oder der Umgebung zu beeinträchtigen. Dazu müssen die Proben auch unter strikt hydratisierten Bedingungen gehalten werden. Eine Trocknung von Proben nach Herstellung des Verbundes erfolgt nicht. Die Quantifizierung der exakten Bindungskräfte erfordert wegen messtechnischer Anforderungen die Verwendung eines Modellsystems, welches aus planaren Proben besteht, die sich in die Probenhalter der Messvorrichtung einspannen lassen. Hierfür wurde ein spezielles Rotations-Rheometer (Haake MARS, Thermo Scientific, Deutschland) verwendet, mit Hilfe dessen die Bindungskräfte aller genannten Multischichtkombinationen auf Glasplättchen als Modellsubstrat bestimmt wurden (6A). Diese wurden mit terminalen Schichten entgegengesetzter Ladung wie CS und CHI, PLL und FBG, sowie BCS und AVI entweder in Pufferlösung oder in Lösung mit Vernetzern miteinander in Kontakt gebracht und in die Probenhalter eingespannt (6B). Als Vernetzer dienten EDC/NHS für das CS/CHI-System sowie mikrobielle Transglutaminase (Aktivität ~150 IU) für das PLL/FBG-System. Aufgrund der Affinitätswechwelwirkung zwischen Biotin und Avidin wurde für das BCS/AVI System kein zusätzlicher Vernetzer benötigt.
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Nach dem Herstellen des Kontaktes in Abwesenheit oder Anwesenheit der beschriebenen Vernetzer wurden die Adhäsionskräfte durch Zurückziehen beider Probenhalter vermessen und Kraft-Abstands-Kurven aufgenommen (6C). Hierfür wurden die Proben zunächst für 300 s miteinander kontaktiert und anschließend mit einer konstanten Geschwindigkeit von 0,08 mm/s separiert, bis der Kontakt verloren ging und eine Normalkraft von 0,5 N registriert wurde. Während dieser Phase kann die Normalkraft als Funktion der Zeit oder des Abstandes (15) aufgezeichnet werden. Die Adhäsionskraft Fad wurde nach Gleichung 1 berechnet: Fad = kf × ΔD (1).
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Hierbei ist kf die Kraft-Konstante, die aus der Steigung der Kraft-Abstands-Kurve (6C) ermittelt werden kann, und ΔD die Differenz des Abstandes aus Maximalkraft zu Minimalkraft, bei der sich zwei Oberflächen separieren. 7 zeigt am Beispiel des PLL/FBG-Systems den Verlauf der Adhäsionskraft. Hier kann aus den Kraft-Abstands-Messungen geschlossen werden, dass sich die Adhäsionskräfte nach enzymatischer Vernetzung benachbarter Schichten durch Transglutaminase deutlich erhöhen.
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Die verschiedenen Ansätze zur Verknüpfung benachbarter Module poröser Gerüststrukturen, Membranen sowie Hydrogele durch Multischichten wurden im Vergleich zu Glas als Modellsubstrat untersucht (8). Die Bestimmung der Kraft-Abstands-Kurven und Ermittlung der Adhäsionskraft Fad hat ergeben, dass die Bindungen basierend auf Ionenpaarung und daraus resultierenden molekularen Wechselwirkungen, wie z. B. im CS/CHI-System, nur zu geringen Adhäsionskräften führen, die für einen Verbund der modularen Einheiten untereinander und mit dem Wundgebiet nicht ausreichend sind. Im Gegensatz dazu führt eine zusätzliche kovalente Vernetzung durch EDC/NHS zu einem deutlichen Anstieg der Haftungskräfte. Auch die relativ geringe Adhäsionskraft des nativen PLL/FBG-Systems kann durch eine enzymatische Vernetzung mittels Transglutaminase deutlich erhöht werden. Auf der anderen Seite sind Affinitätswechselwirkungen, wie sie zwischen Biotin und Avidin oder anderen Rezeptor-Ligand-Systemen auftreten, ohne zusätzliche kovalente Vernetzung nutzbar, um einen adhäsiven Verbund herzustellen, wie man am Beispiel des BCS/AVI-Systems erkennen kann, bei dem die Bindungskräfte größenordnungsmäßig mit dem enzymatisch vernetzten PLL/FBG-System vergleichbar sind.
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Um neben der quantitativen Analyse von Adhäsionskräften von mit Multischichten bedeckten Glas als „geklebtes Modelmaterial” ein anwendungsrelevantes Modell im Bereich des Tissue Engineering verschiedener Gewebe wie z. B. des Knorpels zu erhalten, wurden Probenkörper aus Gellangummi-Hydrogel (17) in analoger Weise zu Glas mit PEM aus PLL und FBG beschichtet. Die Ergebnisse in 9 zeigen, dass zwischen zwei Probenkörpern aus Gellangummi ohne Multischichten nur sehr geringe Adhäsionskräfte nachweisbar sind. Eine Beschichtung mit PLL/FBG-Multischichten erbrachte bereits eine starke Erhöhung der gemessenen Adhäsionskräfte um eine Größenordnung, die auf einen guten Verbund zwischen beiden Hydrogel-Probenkörper hinweist. Nach der Vernetzung der Multischichten auf den angrenzenden Gellangummi-Probenkörpern mit Transglutaminase kam es zu einer Verdopplung der Adhäsionskräfte, was auf einen sehr festen Verbund zwischen beiden Hydrogel-Probenkörpern hindeutet, der deutlich zeigt, dass die vorgeschlagene Methodik der Klebung von für Anwendungen in der Medizin relevanten Materialien zur Herstellung modularer Konstrukte und für deren Fixierung im Wundbett geeignet ist.
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Die Ergebnisse zeigen, dass die LbL-Methode ein praktisches Verfahren zum Kleben von unterschiedlichen Werkstoffen, Implantaten und Transplantaten wie sie im Bereich des Tissue Engineerings, aber auch in der chirurgischen Praxis zur Behandlung von Gewebsläsionen, die durch Traumata, Entzündungen, Tumorresektionen und anderen Komplikationen entstehen. Es wurde hier gezeigt, dass eine Beschichtung von Modellmaterialien wie Glas und einem medizinisch relevanten Hydrogel mit Multischichten aus verschiedenen biokompatiblen PEL, die überwiegend, aber nicht ausschließlich, aus biogenen Polymeren bestehen, eine nachfolgende kovalente Vernetzung mittels Carbodiimid-Chemie (EDC/NHS) oder durch das Enzym Transglutaminase hohe Bindungskräfte erzeugt werden können. Zudem können auch spezifische Schlüssel-Schloss- bzw. Affinitäts-Wechselwirkungen zwischen Biotin und Avidin für das Vernetzen von Formkörpern verwendet werden. Von großem Nutzen ist auch die hohe Biokompatibilität der eingesetzten PEL und der damit beschichteten Substrate. Ein weiterer Vorteil der Multischichtbildung ist die Möglichkeit der Einbettung von Medikamenten zur Verhinderung von Entzündungsreaktionen und Infektionen. Des Weiteren können so auch wachstumsfördernde Biomoleküle eingebracht werden, die durch ihren Einfluss auf das Zellverhalten, einen positiven Beitrag zur Wundheilung oder Geweberegeneration leisten können. Die gezeigten Systeme ermöglichen die Bildung von modularen Tissue-Engineering-Konstrukten, welche zur Behebung von Knochen- und Knorpeldefekten, schwer heilender Hautgeschwüre und anderer Gewebsdefekte eingesetzt werden können. Letzteres geschieht durch die Kombination von Materialien (poröse Gewebestrukturen, Membranen oder Hydrogele) mit Unterschieden in Zusammensetzung, mechanischen Eigenschaften, Zellgehalt und Materialart.
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Erläuterungen zu den Figuren
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1 Schematische Darstellung der Layer-by-Layer (LbL) Methode zur Bildung von Multischichten auf Oberflächen und Formkörpern.
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2 Schematische Darstellung der erfindungsgemäßen Verfahrens, bioabbaubare Membranen und Hydrogele mit Hilfe der LbL Methode zu modularen Suprastrukturen zu verknüpfen.
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3 Winkelverschiebungen bei Oberflächenplasmonresonanz(SPR)-Messungen durch Adsorption von Polyelektrolyten auf Goldsensoroberflächen. Es wurden verschiedene Kombinationen wie Poly-L-Lysin und Fibrinogen (PLL/FBG)
biotinyliertes Chondroitinsulfat und Avidin (BCS/AVI)
oxidiertes Chondroitinsulfat und Kollagen I (ox-CS/Col I) (•) und Chondroitinsulfat und Chitosan (CS/CHI)
untersucht. Die Angabe des Polyelektrolyten (PEI, PLL, FBG usw.) in den Graphen indiziert die Injektion desselben in die Messkammer des SPR-Sensors.
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4 Wasserkontaktwinkel (WCA) verschiedener Multischichtsysteme als Paarung von biotinyliertem Chondroitinsulfat und Avidin (BCS/AVI)
oxidiertem Chondroitinsulfat und Collagen I (ox-CS/Col I) (•); Poly-L-Lysin und Fibrinogen (PLL/FBG)
und Chondroitinsulfat und Chitosan; (CS/CHI)
Letzteres wurde abweichend zu den anderen Systemen bei pH 4.0 komplexiert.
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5 Untersuchung der Biokompatibilität von terminalen Polyelektrolytschichten durch Bestimmung der metabolischen Aktivität von Osteosarkom-Zellen (MG63) mittels QBlue Assay. Die Zellen wurden jeweils für 1 oder 3 Tage auf den terminalen Polyanion oder Polykation-Schichten der Multischichten kultiviert. CS – Chondrotinsulfat, CHI – Chitosan, BCS – biotinyliertes Chondroitinsulfat, AVI – Avidin, FBG – Fibrinogen, PLL – Poly-L-Lysin. Die metabolische Aktivität von Zellen auf Glas wurde als nicht-toxische, biokompatible Kontrolle verwendet.
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6 Schematische Darstellung des Rheometer-Aufbaus zur Bestimmung der Adhäsionskräfte. Im Rheometer (A) werden durch vertikale Bewegung der Probenhalter in entgegengesetzter Richtung die über PEM verbundenen Körper voneinander distanziert (B) und die Kraft-Abstands-Kurven (C) aufgenommen.
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7 Kraft-Abstands-Kurven des PLL/FBG-Systems. Hierbei wurde jeweils eine terminal Fibrinogen-(FBG)-Schicht (6. Schicht) mit einer terminalen Poly-L-Lysin(PLL)-Schicht (7. Schickt) verknüpft. Zu sehen sind Ergebnisse nach Vernetzung mit Transglutaminase (TG, •) und ohne Vernetzung
im Vergleich zu Oberflächen ohne Multischichten
Die Haftkräfte zwischen unbehandelten Glasoberflächen dienten als Kontrollgröße [PLL/FBG: F
ad = 204.47 mN; PLL/FBG: F
ad = 348.33 mN; Glas: F
ad = 86.16 mN].
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8 Übersicht zu den berechneten Adhäsionskräften der unterschiedlichen Ansätze
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9 Adhäsionskräfte für die Verbindung von Gellangummi als Substrat
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ZITATE ENTHALTEN IN DER BESCHREIBUNG
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Zitierte Patentliteratur
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- WO 2009/032247 [0004]
- WO 2012/113812 [0005]