Reaktiver Schalldämpfer
Die Erfindung betrifft einen reaktiven Schalldämpfer nach dem Oberbegriff des An¬ spruchs 1 .
Stand der Technik
Die in der aktiven Lärmbekämpfung am meisten verfolgten und vielfach verfeinerten sogenannten Antischall-Systeme (Nelson, P.A., Elliott, S.J.: Active Control of Sound and Vibration. Academic Press Limited, London: 1 992) zur Schalldämpfung in Kanälen beruhen auf einer einfachen Konzeption, Bild 5. Eine ankommende, primäre Schall¬ welle wird von einem Mikrofon (8) erfaßt, das sich in Richtung der Lärmquelle deutlich abgesetzt vor den übrigen Komponenten im Kanal befindet. Das erfaßte Mikrofon¬ signal wird durch eine Signalverarbeitung ( 1 1 ) rechnerisch möglichst genau um 1 80° gedreht und dient zur Ansteuerung eines Lautsprechers (9), der schließlich die sekun¬ däre Schallwelle abstrahlt. In Schallausbreitungsrichtung überlagern sich beide Wellen im Idealfall bis zur Auslöschung. Die Überwachung dieser Auslöschung kann mit einem zweiten Mikrofon (10) in Schallausbreitungsrichtung erfolgen, dessen Signal gleichzeitig zur Anpassung der Signalverarbeitung an etwaige Veränderungen der Schallausbreitung im betreffenden Kanal dienen kann. Mit Hilfe moderner Signalpro¬ zessoren gelingt diese Prozedur zumindest unter Laborbedingungen sehr präzise. Ihr praktischer Einsatz ist jedoch durch hohe Empfindlichkeit bei überlagerter Luftströ¬ mung oder bei Temperaturschwankungen sowie durch hohen Aufwand an Elektronik und Signalverarbeitung gekennzeichnet.
Mit einem anderen Ansatz wird in DE 40 27 51 1 ein hybrider Schalldämpfer, Bild 6, vorgeschlagen, bei dem an der Vorderseite eines bekannten, passiven Subsystems (12) durch ein rückseitig ergänzendes aktives Subsystem eine optimale akustische Impedanz der Kanalwand (1 ) realisiert werden soll. Den Ausgangspunkt bilden die akustischen Eigenschaften des passiven Subsystems, z.B. einer Schicht aus porösem Absorbermaterial. Die weiteren Elemente des hybriden Schalldämpfers dienen der Generierung einer rückseitigen Abschlußimpedanz des passiven Subsystems. Zur Erzwingung dieser Abschlußimpedanz ist der Schalldruck hinter dem passiven Subsy¬ stem mit einem Mikrofon (13) zu messen. Anschließend wird die Mikrofonspannung über einen Signalformer (1 5) an einen Lautsprecher (14) rückgekoppelt, an dessen Membranfläche sich die berechnete Impedanz einstellen soll. Dieses Verfahren setzt voraus, daß der in der DE 40 27 51 1 vorgeschlagene Signalformer erstens das Eigen¬ verhalten aller elektromechanischen Komponenten (Mikrofon, Lautsprecher, Box, etc.) kompensiert und zweitens dem System die gewünschte Abschlußimpedanz aufprägt. Die Eigenschaften der elektromechanischen Komponenten wurden gründlich unter¬ sucht und beschrieben. Danach ist die Anpassung lediglich durch komplexe und nur näherungsweise realisierbare Übertragungsfunktionen des Signalformers möglich.
Eine Spielart des Grundgedankens hybrider Schalldämpfer stellen aktive Helmholtz-Re- sonatoren nach - DE 42 26 885 und Spannheimer, H., Freymann, R., Fastl, H.: Akti¬ ver He-Imholtz-Resonator zur Dämpfung von Hohlraumeigenschwingungen. Fortschritte der Akustik - DAGA 1994, DPG-GmbH, Bad Honnef: 1994, S. 525-528, -dar, Bild 7, vorzugsweise mit dem Anwendungsbereich in Kraftfahrzeugen. Dabei repräsentiert ein herkömmlicher Helmholtz-Resonator das in der DE 40 27 51 1 beschriebene passive Subsystem, das auf seiner Rückseite aktiv beeinflußt wird. Im einzelnen ist der an sich bekannte Helmholtz-Resonator durch einen Hohlkörper (16) und eine Öffnung (17) definiert. Das außerhalb des Helmholtz-Resonators neben der Öffnung vorgese¬ hene Mikrofon (18) gibt die Information über den dort herrschenden Schalldruck, womit ein Übertragungssystem (20) mit speziellem (PDT-) Frequenz- und Zeitverhalten die erforderliche Spannung für den Lautsprecher (19) im Holhlkörper generiert. Dieser Lautsprecher bestimmt bzw. verändert das Übertragungsverhalten (Resonanzfrequenz) des ursprünglichen Helmholtz-Resonators. Der Lautsprecher im Hohlkörper dient damit
der praktischen Vergrößerung (ailg. Veränderung) des Hohlkörpervolumens zur ver¬ besserten Schallabsorption des Helmholtz-Resonators bei tiefen Frequenzen. Das Ziel hier besteht demnach in der aktiven Verringerung der Resonanzfrequenz und damit der Schallabsorption des passiven Helmholtz-Resonators.
Aufgabe der Erfindung ist es, den Wirkungsgrad des reaktiven Schalldämpfers nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 zu erhöhen und den technischen Aufwand zu ver¬ ringern. Erfindungsgemäß wird dies durch den reaktiven Schalldämpfer nach Anspruch 1 gelöst. Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind in den Unteransprüchen ge¬ kennzeichnet.
Die Erfindung bezieht sich auf einen reaktiven Schalldämpfer, bei dem sowohl die Er¬ fassung als auch die aktive Beeinflussung des Schallfeldes direkt und unmittelbar an der Kanalwand (1 ) erfolgt, Bild 1 . Den Grundbaustein stellt eine geschlossene, kom¬ pakte Kassette (2) dar, in der alle Komponenten zusammengefaßt sind. Ihre Frontseite ist Teil der Kanalwand und wird durch mindestens eine schwingfähige Membran (3), z.B. eine Lautsprechermembran, verkörpert. Diese Membran (3) bildet durch ihre flä¬ chenbezogene Masse mit dem dahinter befindlichen Hohlraum (4) des Kassettenge¬ häuses ein akustisches Resonanzsystem. Die auftretenden Schallwellen im Kanal re¬ gen dieses Resonanzsystem bei und in der Nähe seiner Eigenfrequenz zu Schwingun¬ gen an. Die Aktivierung erfolgt mit Hilfe eines Sensors (5), der in unmittelbarer Nähe, in oder an der Membran (3) angeordnet ist und die Membranschwingungen detektiert. Diese Sensorfunktion können z.B. Mikrofone, Körperschallaufnehmer oder optische Bewegungssensoren übernehmen. Das Ausgangssignal des Sensors dient nach einer invertierenden, linearen Verstärkung (6) der Ansteuerung eines elektroakustischen Wandlers (7), z.B. der Schwingspule eines Lautsprechers.
Im Ergebnis wird die Membran zu stärkeren Schwingungen gezwungen, der Schall¬ druck an der ausgekleideten Wandfläche damit weiter reduziert und die Schallwelle stärker gedämpft.
Die Form des Gehäuses (2) ist variierbar, da lediglich das Volumen des Hohlraumes (4) die Frequenzcharakteristik beeinflußt. Um Hohlraumresonanzen zu unterdrücken, können Absorber im Innern des nach außen schallundurchlässigen Gehäuses (2) vor¬ gesehen sein. Zur spektralen Anpassung des Resonanzsystems kann weiterhin die flä¬ chenbezogene Membranmasse, z.B. durch unterschiedliche Lautsprecher, verwendet werden. Der prinzipbedingte lineare Verstärker (6) enthält keinerlei Frequenzbewer¬ tung des Sensorsignals, um die mit Filtern, Signalformern oder anderen Übertra-
gungssystemen verbundenen unerwünschten Phasenverschiebungen zu vermeiden. Dadurch unterbleiben störende akustische Wechselwirkungen zwischen benachbarten Kassetten und großflächige, reaktive Schalldämpfer aus vielen Einzelkassetten z.B. in reaktiven Schalldämpferkulissen, Bild 2, werden möglich. Die Bereitstellung der Be¬ triebsspannungen für die Sensoren (5) und Verstärker (6) erfolgt durch konventionelle Stromversorgungen oder Batterien. Die gemessene Einfügungsdämpfung eines bei¬ spielhaften reaktiven Schalldämpfers, Bild 3, bestehend aus 4 Kassetten, ist im Bild 4 dargestellt.
Vorteile reaktiver Schalldämpfer gegenüber dem Stand der Technik Aus dem Grundprinzip des reaktiven Schalldämpfers, d.h. der Ausnutzung bzw. Ver¬ stärkung der Membranschwingungen als Schallfeld-Abbildung direkt in der Kanal¬ wand, ergeben sich folgende Vorteile gegenüber bestehenden aktiven Schalldämpfern.
Der reaktive Schalldämpfer kommt ohne passive Subsysteme (poröse Absorber, Helmholtz-Resonatoren etc.) aus. Diese Tatsache sowie die räumliche Konzentration von Membran (3) und Sensor (5) in der Kanalwand ermöglichen die Verwendung eines einfachen Verstärkers (6). Dadurch können alle Komponenten des reaktiven Schall¬ dämpfers problemlos in einem kompakten Gehäuse (2) integriert werden.
Die räumliche Kaskadierung mehrerer, benachbarter reaktiver Schalldämpfer in der Kanalwand oder in Schalldämpferkulissen ist möglich und führt zu entsprechend höhe¬ rer Schalldämpfung. Die Dämpfungswirkung kaskadierter, reaktiver Schalldämpfer im Kanal ist praktisch nur durch Schallnebenwege (analog zu passiven Schalldämpfern) begrenzt.
Der reaktive Schalldämpfer ist an beliebige Schallfelder und an beliebige Schallfeldbe¬ grenzungen, z.B. Kanalumlenkungen, adaptierbar. Die reaktiven Schalldämpferkasset¬ ten und damit alle elektroakustischen Komponenten können mit Hilfe akustisch durchlässiger Abdeckungen gegen im Kanal auftretende physikalische und chemische Belastungen geschützt werden.
Eine Ausgestaltung des reaktiven Schalldämpfers sieht bei der Verwendung eines Mikrofons als Sensor (5) dessen Positionierung hinter der Membran (3), d.h. im Hohl¬ raum (4) der Kassette (2) vor. Das Funktionsprinzip des reaktiven Schalldämpfers ist nicht nur bei ebenen Wellen in vergleichsweise engen Kanälen anwendbar, sondern
bewirkt auch eine Dämpfung modaler Schallfelder in beliebigen Kanälen oder Räumen. In diesen Anwendungsfällen verringern die schwingenden Membranen der reaktiven Kassetten ebenfalls flächenhaft den Schalldruck an der ausgekleideten Wandfläche und dämpfen das vorhandene Schallfeld.
Beschreibungen der Bilder
Bild 1 : Beispielhafte Ausführung einer reaktiven Schalldämpferkassette in einer Kanalwand ( 1 ), bestehend aus dem Gehäuse (2) mit mindestens einer Membran (3) vor einem Hohlraum (4), einem Sensor (5), einem linearen Verstärker (6) und einem elektroakustischen Wandler (7).
Bild 2 : Kaskadierte Anordnung reaktiver Schalldämpferkassetten in einer Schalldämp¬ ferkulisse.
Bild 3 : Ausführungsbeispiel eines reaktiven Schalldämpfers bestehend aus 4 Kasset¬ ten in eine. Kanalwand ( 1 ) bei einem Kanalquerschnitt von 0,25 m x 0,25 m Bild 4 : Gemessene Einfügungsdämpfuπg des beispielhaften reaktiven Schall-dämpfers in Bild 3.