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Die Erfindung betrifft einen Glossomotographen, d. h. eine Zungenkraft-Messvorrichtung, umfassend eine Haltevorrichtung, insbesondere eine Kinnschale, zum Halten des Kopfes eines Probanden und eine vor der Haltevorrichtung angeordnete Kraftmesseinheit, die von einem Probanden mit der Zunge berührbar ist, um eine mit der Zunge ausübbare Kraft zu messen. Die Erfindung betrifft weiterhin ein Verfahren zum Messen von Zungenkräften, insbesondere mit der genannten Vorrichtung.
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In der klinischen Neurologie fehlen bislang zuverlässige Methoden, mit denen Bewegungsstörungen von Patienten objektiv erfasst und dokumentiert werden können. Bewegungsstörungen unterschiedlicher Art ergeben sich bei verschiedenen Krankheiten, wie z. B. Parkinson, Huntington, Multi-System-Atrophien, Dystonien, Schlaganfall, Armyotropher Lateralsklerose oder multipler Sklerose. Bislang stehen zur Beurteilung von Patienten nur kategorische, klinische Skalen zur Verfügung, wie z. B. die „unified Parkinson's disease rating scale” für Patienten mit Parkinsonscher Krankheit oder die „unified Huntington's disease rating scale” für Huntington-Patienten. Diese Skalen weisen jedoch nur eine geringe Sensitivität auf. Ferner sind sie aufgrund der subjektiven Beeinflussbarkeit der Beurteilungen fehleranfällig und weisen daher eine eingeschränkte Reliabilität und Reproduzierbarkeit auf.
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Aufgrund klinischer Beobachtungen ist bekannt, dass Patienten mit Erkrankungen motorischer Systeme häufig auch eine Störung der Zungenbeweglichkeit entwickeln, wobei sich bei einigen Erkrankungen, unter anderem der Huntingtonschen Krankheit, eine solche Beeinträchtigung schon sehr früh im Verlauf der Krankheit finden kann. Veränderungen in der Zungenbeweglichkeit können daher schon zu einem frühen Zeitpunkt ein Anhaltspunkt für eine Erkrankung liefern, der durch weitere Untersuchungen untermauert werden könnte.
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Eine Vorrichtung zur Messung einer von einem Probanden mittels der Zunge bei einer Protrusion maximal aufbringbaren Kraft ist aus der Patentschrift
US 4,585,012 bekannt. Bei der dort offenbarten Vorrichtung legt ein Proband sein Kinn in eine hierfür vorgesehene Kinnschale und drückt mit seiner Zunge gegen eine Kontaktplätte einer mechanischen Kraftmesseinheit, um anhand der hierdurch verursachten Auslenkung der Kontaktplatte die maximale Kraft zu bestimmen, die der Proband mit seiner Zunge aufbringen kann.
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Bei dieser Vorrichtung wird es als nachteilig empfunden, dass die Kraftmessvorrichtung eine zu hohe Trägheit aufweist, um schnelle Kraftänderungen, die beim Ausüben eines Druckes auf die Kontaktplatte auftreten, erfassen zu können, so dass eine Ermittlung von Schwankungen bei der Ausübung der Kraft nicht vorgenommen werden kann, mithin lediglich eine sichere Bestimmung der maximalen Kraft möglich ist.
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Darüber hinaus wird weiterhin bei der Ausübung einer Kraft die Kontaktplatte ausgelenkt, was bedeutet, dass sich die Zunge bei immer weiter erhöhter Kraft auch immer weiter vorstreckt, so dass eine isometrische Kraftmessung, bei der sich die Anspannung des Zungenmuskels unabhängig von einer Zungenbewegung einstellt, mit dieser vorbekannten Apparatur prinzipbedingt nicht möglich ist.
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Aus diesem Grunde sind verlässliche Angaben über die mit der Zunge ausgeübten Kräfte aufgrund der ständigen Bewegung der Zunge nicht in ausreichendem Maße möglich.
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EP 1 110 501 A1 offenbart weiterhin eine Zungenkraftmessvorrichtung mit nicht näher beschriebenen Druckmesszellen zur Messung der Kraft, die mit der Zungenfläche im Gaumen ausübbar ist. Eine Zungenprotrusion ist mit dieser Vorrichtung nicht messbar.
DE 30 30 897 A1 beschreibt eine Vorrichtung zur isometrischen Messung von Kräften an Daumen.
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Aufgabe der Erfindung ist es eine Vorrichtung und ein Verfahren bereitzustellen, mit denen nicht invasiv und reproduzierbar ohne Gefahren für einen Probanden eine objektive und quantitative Analyse eventueller Defizite in der Koordination der Zungenbeweglichkeit ermöglicht wird.
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Diese Aufgabe wird gemäß der Erfindung mit einer Zungenkraftmessvorrichtung der gattungsgemäßen Art gelöst, bei der die Kraftmesseinheit einen isometrischen Kraftsensor umfasst. Ebenso wird die Aufgabe mittels eines Verfahrens zur Messung von Zungenkräften gelöst, bei dem eine Kraft, die ein Proband mit seiner Zunge isometrisch auf einen isometrischen Kraftsensor ausübt, der vor einer Haltevorrichtung angeordnet ist, mit welcher der Kopf des Probanden gehalten wird, wenigstens über ein vorgegebenes Zeitintervall kontinuierlich erfasst und/oder gespeichert wird.
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Der wesentliche Vorteil bei der erfindungsgemäßen Lösung liegt gegenüber dem vorgenannten Stand der Technik darin, dass erst mittels eines isometrischen Kraftsensors, der die Messung der Zungenmuskelspannung ohne eine Längenänderung des Zungenmuskels ermöglicht, objektiv, quantitativ und nicht invasiv die motorische Leistungsfähigkeit der Zunge eines Probanden analysiert werden kann. Der Kraftsensor arbeitet hier im Wesentlichen dann isometrisch, wenn er keine Teile aufweist, die gegenüber einer aufgebrachten Kraft ausweichen.
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Die auf diese Art und Weise ermittelten Kraftmesswerte gestatten daher eine bessere, objektive und reproduzierbarere Auswertung.
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Besonders vorteilhaft ist es, wenn eine Kraft, die ein Proband mit seiner Zunge isometrisch auf einen isometrischen Kraftsensor ausübt, wenigstens über ein vorgegebenes Zeitintervall kontinuierlich erfasst und/oder gespeichert wird.
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Eine derartige dynamische isometrische Kraftmessung kann bevorzugt mit der genannten erfinderischen Zungenkraftmessvorrichtung durchgeführt werden und gibt neben dem Messergebnis einer maximal möglichen Kraft bei einer Zungenprotrusion z. B. auch eine Information darüber, inwieweit ein Proband in der Lage ist über wenigstens ein vorgegebenes Zeitintervall eine Kraft auszuüben und welche Schwankungen hierbei in der ausgeübten Kraft auftreten. Gegenüber der maximal möglichen Zungenkraft geben gerade die Schwankungen in der Zungenkraft eine nähere Information über einen möglichen Schweregrad der verschiedenen, hier möglicherweise zugrunde liegenden Erkrankungen.
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Um eine zuverlässige, dynamische isometrische Kraftmessung zu erreichen, ist es bevorzugt vorgesehen, dass mittels des Kraftsensors Kraftmessungen mit einer hohen Messfrequenz durchführbar sind, insbesondere mit Messfrequenzen von 1 Hertz bis 30 Kilohertz, wobei bevorzugt Messfrequenzen von 1 Kilohertz bis 2 Kilohertz Verwendung finden. Hierbei werden die Messwerte neben einer Erfassung bevorzugt auch gespeichert, um eine nachträgliche Auswertung der Kraftmessungen zu ermöglichen, ohne dass es hierbei der Anwesenheit des Probanden bedarf.
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Besonders bevorzugt ist es, wenn die genannte Vorrichtung eine Datenverarbeitungsanlage umfasst, mittels der die oben genannte periodische Erfassung und Speicherung der Messwerte ermöglicht wird, z. B. mittels Sample & Hold- und/oder Analog/Digital-Wandler-Einheiten.
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Mittels einer derartigen Datenverarbeitungsanlage kann weiterhin auch eine mathematische zeitliche Ableitung der erhaltenen Messwerte vorgenommen werden, so dass anhand dieser Ableitung eine bessere Beurteilung der Kraftänderungen pro Zeiteinheit ermöglicht wird.
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In einer bevorzugten Ausführung des Verfahrens bzw. der Vorrichtung ist es vorgesehen, dass einem Probanden wenigstens der aktuelle Kraftmesswert visualisiert wird. Hierfür kann die Vorrichtung eine Einheit umfassen, mittels der eine derartige Visualisierung ermöglicht wird, wie z. B. mittels eines Bildschirms, der bei Datenverarbeitungsanlagen eingesetzt wird. Mit einer derartigen Vorrichtung können einem Probanden unterschiedliche Aufgaben gestellt werden, die einer Beurteilung eventueller Defizite in der Zungenbeweglichkeit zugrunde gelegt werden können.
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So kann es beispielsweise gemäß einer bevorzugten Ausführung des erfinderischen Verfahrens vorgesehen sein, dass ein Proband einen vorgegebenen Sollkraftwert mittels der Zunge auf den Kraftsensor über wenigstens ein vorgegebenes Zeitintervall ausüben soll, wobei dem Probanden der aktuelle Istkraftwert gegenüber dem Sollkraftwert visualisiert wird.
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Gerade durch die gestellte Aufgabe einen bestimmten Sollkraftwert zu erreichen, ergeben sich in einer Kraftmesskurve signifikante Schwankungen, die für eine Auswertung und einen Hinweis auf bestimmte motorische Defizite herangezogen werden können.
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Hier kann es bevorzugt auch vorgesehen sein, dass ein Proband nacheinander verschiedene Sollkraftwerte ausüben soll, beispielsweise in Stufen ansteigende Kraftwerte, fallende Kraftwerte oder andere beliebige Szenarien.
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Da eine mögliche Bewegung des Kopfes eines Probanden Einfluss nimmt auf die Kraftmessung, ist es in einer besonders bevorzugten Weiterbildung der erfindungsgemäßen Vorrichtung und des erfindungsgemäßen Verfahrens vorgesehen, dass während einer Kraftmessung Bewegungen eines Probanden, insbesondere dessen Kopfes, erfasst werden, wobei bevorzugt eine derartig festgestellte Bewegung in die Bestimmung der aktuell ausgeübten Kraft mit einfließt, z. B. als Korrekturgröße bei der Kraftmessung.
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Herfür weist eine erfindungsgemäße Zungenkraftmessvorrichtung ein Positionsmesssystem auf zur Feststellung einer Relativbewegung zwischen dem Kraftsensor und dem Probanden, insbesondere dessen Kopf. Besonders bevorzugt kann dies derart realisiert werden, dass das Positionsmesssystem wenigstens eine Sensoreinheit umfasst, die am Kopf eines Probanden befestigbar ist und wenigstens eine Sensoreinheit, die relativ zum Kraftsensor ortsfest ist, wobei eine Relativbewegung dieser wenigstens zwei Sensoreinheiten untereinander messbar ist.
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So können neben der Erfassung und Speicherung der periodisch aufgenommenen Kraftmesswerte ergänzend auch Messwerte über die Relativbewegung des Kopfes eines Probanden gegenüber dem Kraftsensor festgestellt werden und bei der Bestimmung der aktuell ausgeübten Kraft mit einfließen. Hierdurch können eventuelle Fehlerquellen durch die Bewegung eines Probanden ausgeschlossen werden. Eine derartige Positionsmessung kann z. B. mit denselben Meßfrequenzen wie bei der Kraftmessung erfolgen, ausreichend sind jedoch schon geringe Meßfrequenzen von z. B. 120 Hz. Die erfassten Daten können der Datenverarbeitungsanlage zur Auswertung über übliche Schnittstellen zur Verfügung gestellt werden, z. B. mittels RS-232.
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Ein solches Positionsmeßsystem kann z. B. durch elektromagnetisch arbeitende Sensoren ausgebildet sein, wobei ein Empfänger x, y, und z-Koordinaten eines Sensors am Kopf eines Probanden liefert. Beispielsweise kann das System Polhemus der Firma Fasttrak eingesetzt werden, welches z. B. Meßreichweiten von bis zu 3 Metern und Meßgenauigkeiten von z. B. 0,7 Millimeter aufweist.
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Ein Ausführungsbeispiel der erfindungsgemäßen Vorrichtung und eine Beschreibung des Verfahrens wird nachfolgend anhand der Figuren näher erläutert. Es zeigen:
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1: eine Zungenkraftmeßvorrichtung gemäß der Erfindung mit einem isometrischen Kraftsensor;
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2: zwei Beispiele von Meßkurven aufgenommener Zungenkräfte von gesunden Probanden und Probanden mit einer Störung der Zungenbeweglichkeit.
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Die 1 zeigt eine erfindungsgemäße Zungenkraftmessvorrichtung 1, die eine Haltevorrichtung 2 umfasst, die hier in Form eines höhenverstellbaren Tisches 2 realisiert ist. Auf dem Tisch 2 ist ein Anschlag 3 realisiert, um auf dem höhenverstellbaren Tisch 2 eine Art Kinnschale auszubilden, in die ein Proband sein Kinn legen kann, wobei ein definierter fester Abstand zu einem vor dem Anschlag 3 angeordneten, hier vertikal orientierten Kraftsensor 4 gewährleistet wird.
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Zur Durchführung des Verfahrens wird ein Proband angewiesen sein Kinn vor dem Anschlag 3 auf dem höhenverstellbaren Tisch 2 zu platzieren, wobei es vorgesehen sein kann, dass auf der Tischoberfläche eine desinfizierbare Kinnschale mit einer Auflage aus Einmalmaterial angeordnet ist.
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Die Position des Kinns und damit des Kopfes ist durch die Schale bzw. den hier angedeuteten Anschlag 3 fixiert. Vor dem Kinn, hier in einem Abstand von z. B. 2 cm, wird in senkrechter Anordnung zum Tisch, hier dementsprechend in vertikaler Ausrichtung, ein isometrischer Kraftsensor 4 auf der Tischoberfläche befestigt. Dieser Kraftsensor 4 kann z. B. für jeden neuen Probanden mit einer neuen sterilen Einmal-Plastikabdeckung versehen werden.
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Als Kraftsensor kann jeder Sensor eingesetzt werden, der eine isometrische Kraftmessung ermöglicht, d. h. dass sich dieser Kraftsensor bei der Ausübung einer Kraft durch die Zunge selbst nicht bewegt, so dass sich auch keine Längenänderung des Zungenmuskels bei sich ändernden Muskelspannungen einstellen.
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Als Kraftsensoren können beispielsweise die Multiachsenkraft- und drehmomentsensoren der Firma ATI Industrial Automation eingesetzt werden. Diese Sensoren bieten die Möglichkeit mit hohen Messfrequenzen von bis zu etwa 30 Kilohertz Kraftmessungen automatisiert durchzuführen, wobei Kraftkomponenten bzw. Drehmomente in jeweils drei Dimensionen erfassbar sind.
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Ein derartiger isometrischer Kraftsensor kann, wie in diesem Ausführungsbeispiel dargestellt, über einen Verstärker 5 und einen Analog-Digital-Wandler mit einem computergestützten Datenerfassungssystem 6 verbunden sein.
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Mit verschiedenen Aufgaben, die einem Probanden gestellt werden, kann mit dem dargestellten Aufbau die isometrische Feinkraftkontrolle der Zunge in kurzen Zeitabschnitten überprüft werden.
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Z. B. wird einem Probanden das mit der Zunge erzeugte Kraftniveau direkt auf einem Monitor 7 als Feedback dargestellt, wobei ein Proband instruiert wird mit der Zunge ein definiertes Kraftniveau, das auf dem Monitor 7 als eine Ziellinie dargestellt sein kann, zu erzeugen und zu halten. Schon bei dieser Aufgabe können die Genauigkeit, die Variabilität, Geschwindigkeit der Kraftgeneration und viele andere Parameter der zeitlichen Koordination der Zungenkraft gemessen und analysiert werden. Beispielsweise kann in einer vorgesehenen Gesamtmesszeit von wenigen Minuten ein Proband mehrere Versuche über jeweils einige Sekunden, z. B. 30 Sekunden pro Versuch, vornehmen, wobei in jedem Versuch ein bestimmtes Kraftniveau zu erreichen ist. Hier kann in den möglichen Versuchsreihen z. B. Kraftniveaus von 0,5, 1 oder 2 Newton gefordert werden.
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Es hat sich herausgestellt, dass unter Zuhilfenahme der erhaltenen Messwerte und einer darauf beruhenden Auswertung, insbesondere der Kraftschwankungen, Anzeichen für einen Schweregrad und gegebenenfalls für die Art der Erkrankung abgeleitet werden können, die insbesondere durch weitere Untersuchungen zu untermauern sind.
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Die 2 zeigt zwei Beispielmessungen. Den jeweiligen Probanden wurde die Aufgabe gestellt eine Kraft von 1 Newton mit der Zunge am Kraftsensor zu erzeugen, wozu den Probanden die aktuelle Kraft über einen Bildschirm dargestellt wurde. Die beiden in der 2 oben dargestellten Meßkurven zeigen den typischen zeitlichen Kraftverlauf, wie er von einem gesunden Probanden erzeugt wird. Das gewünschte Kraftniveau von 1 Newton wird gut erreicht mit einer nur geringen Schwankungsbreite um dieses Zielniveau.
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Demgegenüber zeigen die beiden unteren Darstellungen Meßkurven von Probanden mit einer Störung der Zungenbeweglichkeit, wie sie z. B. bei Personen mit der Huntington-Krankheit auftreten kann. Deutlich ist zu erkenn, das diese Probanden auchin der Lage sind die gewünschte Kraft vom Absolutbetrag her zu erreichen, jedoch weisen die Meßkurven erheblich höhere Schwankungen bei der erzeugten Kraft auf.
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Gerade diese Schwankungen, nicht jedoch die Maximalkräfte können ein Hinweis auf eine Störung der motorischen Fähigkeiten sein, so dass sich bei Auftreten derartiger Meßkurven weitere Untersuchungen empfehlen.