Modulares Beschichtungssystem für Biomaterialien
Die Erfindung betrifft ein modulares Beschichtungssystem für Biomaterialien zur Anwendung in Medizinprodukten mit direktem Blutkontakt. Derartige Beschichtungssysteme dienen der Verhinderung der Blutgerinnungsaktivierung durch Biomaterialien, die bei diagnostischen oder therapeutischen Verfahren in Kontakt mit dem Blutkreislauf gebracht werden.
Blutkontaktierende Biomaterialien im Sinne dieser Erfindung werden zum Beispiel für die Herstellung von Medizinprodukten, wie Gefäßprothesen, Herzklappen, implantierbare Blutpumpen, Gefäßstützen und Gefäßkatheter, verwendet. Gleichfalls werden diese Biomaterialien in Blutreinigungssystemen, wie zum Beispiel für Hämodialysemembranen, Oxygenatoren, Schlauchsysteme und Blutbeutel, eingesetzt.
Als Biomaterialien finden häufig Kunststoffe oder Metalle Anwendung. Die Aktivierung der Blutgerinnung und der Thrombusbildung durch die Materialoberflächen stellt beim gegenwärtigen Stand der Technik ein erhebliches Problem für die Sicherheit der Anwendung vieler der oben angeführten Medizinprodukte dar. Die Anwendbarkeit von ansonsten sicheren medizintechnischen Systemen wird dadurch eingeschränkt bzw. es muss anwendungsbegleitend eine zusätzliche Verabreichung von gerinnungshemmenden Medikamenten (Antikoagulantien) vorgenommen werden. Dies bringt jedoch teilweise erhebliche zusätzliche Risiken mit sich.
Zur Verminderung der Blutgerinnung und Thrombusbildung werden daher im Stand der Technik verschiedene Oberflächenmodifikationen und Beschichtungen für blutkontaktierende Biomaterialien vorgeschlagen. Es wurden physikalische und chemische Oberflächenparameter, wie Texturierung, elektrische Ladung, Hydrophilie und molekulare Beweglichkeit der Materialoberfläche, variiert, womit eine Vermeidung der initialen
Aktivierungsreaktionen zwischen Biomaterial und Gerinnungsproteinen bzw. Thrombozyten erreicht werden soll. Außerdem wurden auch bereits verschiedene molekularspezifisch auf das Blutgerinnungssystem oder dessen molekulare Gegenspieler wirkende Biopolymere, wie Heparin, Hirudin oder Thrombomodulin, für Beschichtungen herangezogen. Diese Biopolymere wurden entweder fest an der Materialoberfläche verankert oder als Freisetzungssysteme zeitabhängig vom Material an den Organismus abgegeben. Im Stand der Technik sind insbesondere Beschichtungen von Biomaterialien mit Heparin bekannt. Nachteilig ist, dass die spezifische Wirkung von Heparin als Blutgerinnungshemmstoff aufgrund der Strukturvariabilität des Moleküls noch nicht komplett aufgeklärt ist. Weiterhin kann Heparin mit einer Vielzahl von Proteinen in Wechselwirkung treten und so gleichzeitig verschiedene Signalkaskaden beeinflussen.
Nachteilig an einer derartigen Beschichtung ist weiterhin, dass die Wirksamkeit der Beschichtung durch Abbauprozesse, denen diese Moleküle im Organismus unterliegen, zeitlich begrenzt und auch schwer kontrollier- bzw. feststellbar ist. Darüber hinaus weisen Biopolymere, wie Heparin, meist komplexe ausgedehnte dreidimensionale Molekülstrukturen auf, deren Änderung durch die Verbindung mit der Biomaterialoberfläche funktionseinschränkend sein kann.
Im Stand der Technik sind gleichfalls synthetische Blutgerinnungshemmstoffe, wie Serin-Protease-Inhibitoren, bekannt, welche verglichen mit den biomolekularen Vorbildstrukturen kleine molekulare organische Verbindungen darstellen. Diese binden Serin-Proteasen (Thrombin, Faktor Xa) so spezifisch, dass die zur Gerinnung führenden Serinproteasen gehemmt werden.
So wird in der DE 195 14 104 C2 die Nutzung von Blutgerinnungshemmstoffen, auch Inhibitoren genannt, für die Beschichtung von Biomaterialien beschrieben. Dabei erfolgt eine Einlagerung der Inhibitoren in ein bioabbaubares Beschichtungsmaterial, wie etwa Polylactid. In der Anwendung des Biomaterials mit eingelagertem Inhibitor erfolgt dann eine Freisetzung der Inhibitoren aus dem Beschichtungsmaterial.
Nachteilig ist jedoch, dass kleinere, heparinanaloge Substanzen auf Biomaterialoberflächen schwer fixiert werden können, ohne ihre Wirksamkeit stark zu beeinträchtigen. Insbesondere von Nachteil ist, dass in ein Beschichtungsmaterial eingelagerte Inhibitoren gleichfalls zeitabhängig degradiert werden und keine gleichbleibende Aktivität bzw. Hemmung mit derartigen Beschichtungssystemen möglich ist.
Aufgabe der Erfindung ist es, ein Beschichtungssystem für Biomaterialien auszubilden, welches eine spezifische Beeinflussung der Blutgerinnung ermöglicht und gleichzeitig die Wirksamkeit der Blutgerinnungsinhibierung über einen längeren Zeitraum erhalten bleibt.
Erfindungsgemäß wird die Aufgabe durch ein modulares Beschichtungssystem für Biomaterialien zur Anwendung in Medizinkontakten mit direktem Blutkontakt dadurch gelöst, dass eine synthetische Blutgerinnungshemmstoffschicht vorgesehen ist, die über eine flexible Abstandshalterschicht mit der Biomaterialoberfläche verbunden ist, wobei die Bindung der Abstandshalterschicht mit der Biomaterialoberfläche kovalent ausgebildet ist.
Die Blutgerinnungshemmstoffschicht wird dabei aus einer Substanz mit der Struktur A-B-C ausgebildet, wobei A eine amidino- oder guanidino-Gruppe und B ein alpha-, beta-, para-bi-substituierter Phenylring oder eine Alkylkette ist und
C eine Amin- (NH-), Thiol- (S-), Alkohol- (O-) oder eine Carbonsäuregruppe (CO-) ist.
Demnach werden synthetische Inhibitormoleküle wie 4- oder 3- Aminobenzamidin, 4-Guanidino- benzoesäure, ω-Guanidinoalkansäure oder Agmantin durch Umsetzung mit einer primären A ino-, Säure-, Thiol-, oder Alkohol-Gruppe mit einer Spacer- bzw. Abstandhalter-Funktion versehen. Dies erlaubt den Inhibitormolekülen über den Abstandhalter an Oberflächen von Materialien mit komplementären reaktiven chemischen Gruppen kovalent anzuknüpfen und auch im gebundenen Zustand die erforderliche Beweglichkeit zu behalten, um das aktive Zentrum von Gerinnungsenzymen spezifisch binden zu können.
Die Aufgabe der Erfindung wird in alternativer Weise durch eine Blutgerinnungshemmstoffschicht gelöst, die die folgende Struktur aufweist:
worin Rι ein in der alpha- oder beta-Position gebundener Naphthalinring ist, der gegenbenenfalls mit Alkylgruppen, die bis zu 3 C Atomen enthalten, und/oder Alkoxygruppen mit jeweils bis zu 3 C Atomen, derivatisiert ist, oder ein in der alpha- oder beta-Position gebundener Tetralinring oder Indanring ist, der gegebenenfalls mit Alkylgruppen, die aus bis zu 3 C
Atomen bestehen, und oder Alkoxygruppen mit jeweils bis zu 3 C Atomen derivatisiert ist, oder ein Phenylring ist, der gegenbenenfalls mit Alkylgruppen, die bis zu 4 C Atomen enthalten, und/oder mit bis zu drei Gruppen der Struktur O-X, in der O Sauerstoff und X Wasserstoff, Methyl, Ethyl, n-Propyl, i-Propyl oder t-Butyl ist, und/oder mit einer Gruppe der Struktur -COOY, in der Y Wasserstoff, Methyl, Ethyl, n-Propyl, i-Propyl oder t-Buty, i-Butyl, i-Pentyl oder neo-Pentyl ist, derivatisiert ist, oder ein Chromansystem ist, das vorzugsweise mit bis zu 5 Alkylgruppen, die bis zu 3 C Atomen enthalten, derivatisiert ist, R
2 eine Gruppe der Struktur D-E ist, wobei D = (CH
2)
n und CH; n=1-4, oder
" \=/, worin der Phenylring in der paraStellung substituiert ist und E eine NH-, S-, O-, CO- Gruppe ist, und
R3 und R4 gleich oder verschieden sein können und Alkylgruppen mit bis zu 4 Atomen sind oder zusammen einen heterocyclischen Ring mit bis zu 8 Ringgliedern bilden, der weitere Heteroatome enthalten und substituiert sein kann, z. B. der mit einer Hydroxygruppe, Hydroxyalkylgruppe bis zu 3 C Atomen oder Carbonsäuregruppe derivatisiert sein kann, und in der das mit * gezeichnete C-Atom in der R- und/oder S-Struktur vorliegt. Derartige Substanzen werden auch als NAPAP bzw. NAPAP-Analoge (N-α-(ß- naphthylsulfonyglykol)-4-amidinophenylalanin piperidid) bezeichnet.
Nach dieser alternativen Lösungsmöglichkeit der Aufgabe der Erfindung werden Inhibitormoleküle angeführter Struktur in Verbindung mit Polyethylenglykol-Abstandshaltem verwendet. Die Abstandshalterschicht im Allgemeinen weist vorteilhaft eine Struktur der Form F-G-H auf, wobei die Struktureinheit F eine Amin-, Thiol- oder Alkoholgruppe ist. Die Struktureinheit G ist bevorzugt eine Alkylkette (CH2)n mit n= 1 bis 14 oder eine Oligo- bzw. Polyethylenglykolkette im Molekularmassenbereich von 50 bis 10 000 Gramm pro Mol. Die Struktureinheit H ist bevorzugt eine Amin-, Thiol-, Alkohol- oder eine Carbonsäuregruppe.
Nach der Konzeption der Erfindung wird die Beschichtung durch das Beschichtungssystem derart ausgebildet, dass die Blutgerinnungshemm- stoffschicht durch die flexible Abstandshalterschicht sich optimal strukturell ausrichten kann, gleichzeitig aber durch die kovalente Bindung der Abstandshalterschicht mit der Biomaterialoberfläche fest mit dem Biomaterial verbunden ist und weniger stark durch Abbaureaktionen in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt wird.
Die Verwendung der angeführten Substanzen als
Blutgerinnungshemmstoffschicht ist durch eine spezifischere biologische Aktivität sehr vorteilhaft im Vergleich zu Heparin. Weiterhin kann die physiologische Wirksamkeit aufgrund der synthetischen Kontrolle über die Struktur der Moleküle genau definiert und reproduziert werden.
Die Verknüpfung der abstandshalterfunktionalisierten Inhibitoren mit Oberflächen von Biomaterialien wird vorteilhaft durch die folgenden angeführten Grundprinzipien realisiert.
Die Anknüpfung erfolgt einmal durch die Beschichtung des Materials mit einer Dünnschicht reaktiver Maleinsäureanhydrid-Copolymere, wobei die mit einer solchen Copolymerschicht belegte Materialoberfläche unter spontaner Reaktion mit dem Aminterminus des Polyethlyenglykol-Spacers verbunden wird. Durch dieses Grundprinzip werden verschiedenste Basismaterialien, wie Kunststoffe und Metalle, mit einer reaktiven Basisschicht versehen und so für die kovalente Verankerung von abstandshalterfunktionalisierten synthetischen Blutgerinnungsinhibitoren vorbereitet. In einer anderen Ausführung können abstandshalterfunktionalisierte synthetische Blutgerinnungsinhibitoren durch Reaktion der Endgruppe der Spacereinheit mit Oberflächenfunktionalitäten von Kunststoffen kovalent immobilisiert werden, die durch Behandlung der Kunststoffe im Niederdruckplasma eingeführt wurden. Ein Beispiel bildet die Reaktion eines amino-terminierten Abstandhalters mit einer säurefunktionalisierten Oberfläche.
Ebenso ist eine zusätzliche Beschichtung mit im Niederdruckplasma behandeltem Polydimethylsiloxan als vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung zu verstehen.
Im Falle einer zusätzlichen reaktiven Polymerbeschichtung der Biomaterialoberfläche wird diese vorteilhaft mit Maleinsäurecopolymer, Polyvinylchlorid, Polyurethane, Polyasparaginsäure, Polyglutaminsäure, Poly(L/D-Lysine) oder Poly(hydroxyethylmethacιγlat) ausgebildet.
Eine weitere Möglichkeit der festen Bindung der Abstandshalterschicht an das Biomaterial besteht darin, das Biomaterial selbst derart auszuwählen, dass es reaktive Gruppen aufweist. Die Biomaterialoberfläche wird dabei vorteilhaft mit Acrylat-, Acrylamid-, Methacrylat-, Methacrylamid-, Maleimid-, Allyl- oder Vinyl- Gruppen ausgeführt.
Dabei wird konzeptionsgemäß die kovalente Anbindung der Abstandshalterschicht mit den synthetischen Blutgerinnungsinhibitoren dadurch erreicht, dass die Abstandshalterschichtendgruppe mit reakiven Funktionalitäten, wie etwa Maleinsäure-Copolymere, Polyvinylchlorid, Polyurethane, Polyasparaginsäure oder Polyglutaminsäure bei amin-, thiol- und alkoholterminiertem Abstandshalter, versehen wird, wohingegen Poly(lJD- Lysine), Poly(hydroxyethylmethacrylat) bei Carbonsäure terminiertem Abstandshalter umgesetzt wird. Eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung besteht wie erwähnt darin, abstandshalterfunktionalisierte synthetische Blutgerinnungsinhibitoren durch die Reaktion' der Endgruppe der Abstandshaltereinheit mit Oberflächenfunktionalitäten von Kunststoffen kovalent zu immobilisieren, wobei die Behandlung der Kunststoffe im Niederdruckplasma erfolgt.
Durch die dargelegten Grundprinzipien können verschiedenste Basismaterialien, wie Kunststoffe oder Metalle, mit einer reaktiven Basisschicht versehen und so für die kovalente Verankerung von abstandshalterfunktionalisierten synthetischen Blutgerinnungsinhibitoren vorbereitet werden.
Die Vorteile der Erfindung liegen insbesondere in der kovalenten Verankerung synthetischer Blutgerinnungsinhibitoren an der Biomaterialoberfläche. Diese Immobilisationsform erweist sich als besonders vorteilhaft, da die feste chemische Verbindung die Freisetzung des Wirkstoffes und damit die zeitabhängige Veränderung der Grenzfläche und den damit verbundenen Verlust des Schutzes gegen die Blutgerinnungsaktivierung und systemische Auswirkungen des freigesetzten Inhibitors wirksam verhindert wird.
In besonderer Weise vorteilhaft ist das modulare Beschichtungssystem nach der Erfindung gegenüber Beschichtungssystemen mit eingebetteten und
zeitabhängig freigesetzten Inhibitoren durch die gleichbleibende Aktivität und die konstante lokale Wirkung der Inhibitoren. Hingegen werden die freigesetzten Inhibitoren abgebaut und über den Blutkreislauf von den gewünschten Wirkungsstellen wegtransportiert.
Die Verwendung kleinmolekularer synthetischer Blutgerinnungsinhibitoren in kovalent angebundener Form ist auch deshalb vorteilhaft gegenüber Beschichtungen mit gerinnungsinhibierenden Biopolymeren, da die kovalent gebundene Form bei Verarbeitung, Sterilisation und Lagerung des beschichteten Materials (bzw. Produktes) wesentlich weniger anfälliger für Strukturänderung und Funktionsverlust ist und in der Anwendung aufgrund der kovalenten Bindungen weniger biologischen Abbauprozessen unterliegen.